Hildesheim: Die Reko-Fans melden sich zu Wort

Mein Artikel über die Marktplatz-Rekonstruktion in Hildesheim hat in einem Online-Architekturforum eine Diskussion ausgelöst. Da dort fast ausschließlich Leute schreiben, die ganz Deutschland ästhetisch (und wohl nicht nur das) ins vorletzte Jahrhundert zurückrekonstruieren wollen, fanden meine Ansichten lediglich sehr begrenzt Zustimmung. Allerdings ist keiner dieser Helden willens oder in der Lage, seine Kritik hier im Blog kundzutun.

Dennoch ein paar Zeilen dazu: Auffällig an dieser Kritik ist, dass die „Reko“-Fans (Reko steht für Rekonstruktion, eine geläufige Abkürzung im besagten Forum) sich für nichts interessieren als Ästhetik. Die Regeln sind einfach: Alles, was alt ist, ist gut, alles, was neu ist, ist schlecht. Schön oder nicht schön, Daumen rauf oder runter. Wodurch Geschmack bestimmt wird, wie Architektur gesellschaftlich zustande kommt, interessiert nicht. Diese Kritiker sind Gefangene ihrer Begrenztheit.

Sie merken auch nicht, dass sie gnadenlos alles zerstören wollen, was nach 1945 in Stadtzentren gebaut wurde. Sie sind, im schlechten Sinn, das, was sie auf keinen Fall sein wollen: Modernisten. Sie wollen eben keine behutsame Stadtreparatur, keinen Umgang mit Geschichte, kein Integrieren. Sie wollen rigoros das Alte zurück und sich dann gemütlich einrichten in der Puppenstube. Sie spüren wohl, dass dieses Alte unwiderruflich verloren ist, aber das ignorieren sie. Sie ignorieren auch, dass die Funktionen von Architektur vor 200 oder 500 Jahren andere waren. Sie sind gezwungen, ihre Wünsche auf Fassaden, auf reine Oberflächlichkeit zu reduzieren.

Fast schon beängstigend ist, dass Gegenwart nicht vorkommt. Was können heute Architekten leisten? Was gibt es Neues? Was passiert im Hier und Jetzt? Egal. Einfach zurück in die gute alte Zeit, da war es doch irgendwie besser. Es ist paradox: Viele der Gebäude, die heute von Reko-Fans favorisiert werden, entsprachen zum Zeitpunkt ihres Entstehens dem Stand der Technik, sie waren sozusagen Avantgarde, also das, was ihre heutigen Anhänger verteufeln.

Und hier sind die Reko-Fans nicht konsequent: Was stand denn vor dem Wedekinghaus an dieser Stelle?  Hat das Wedekindhaus nicht auch schon alte Architektur verdrängt? Wieso nicht noch weiter zurück? Wieso nicht Erdlöcher und Neandertalhöhlen rekonstruieren?

Noch ein paar Anmerkungen zur fachlichen Kritik an meinen Ausführungen:

Die Fenster der Sparkassenfassade sind in der Tat nicht wirklich „blind“, aber sie sind dennoch vorgetäuscht: Man kann sie nicht öffnen, man kann nicht ans Fenster treten, man kann nicht hinausschauen. Alles, was ein Fenster ermöglichen sollte (in einem Fachwerkhaus erst recht), ist hier unterbunden. Die Fenster sind also gefaked.

Das gegenüberliegende Hotel ist eventuell zu einem geringen Teil rekonstruiert, wenn überhaupt. Dazu genügt ein Blick auf die Rückseite: In Teilen eine profane Fassade aus den 1980er Jahren. Wahrscheinlich deshalb, weil man 1989 schlicht nicht mehr genau wusste, wie das Haus von hinten aussah. Dort haben die Architekten billige Türen aus dem Baumarkt verbaut. Tolle Rekonstruktion:

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Außerdem glaube ich nicht, dass der vordere Innenbereich des Hauses original rekonstruiert wurde. Das hätte sicher den aktuellen Nutzungsabsichten widersprochen. Es wurde nur so getan, also ob. Wie es in weiten Teilen des Hotels aussieht, zeigt ein Foto von der Hotel-Website: Van der Valk Hotel Hildesheim)

Das kann man opulent nennen oder einfach kitschig. Wes Geistes Kind diese Geschichtsklitterung ist, lässt die Eigenbeschreibung des Hotels ahnen:

„Sehr geehrter Gast, herzlich Willkommen im Van der Valk Hotel Hildesheim am historischen Marktplatz. Hinter der denkmalgeschützten Fachwerk- und Rokokofassade bietet das 4-Sterne Hotel…“

Die wollen eindeutig direkt auf der Homepage den Eindruck erwecken, ihr Hotel sei ein authentisches uraltes Gebäude. Peinlich. (Das Hotelmanagement weist auf der Website an anderer Stelle und sehr versteckt darauf hin, dass es sich um eine Rekonstruktion handelt.)

Die in Teilen schlampige, lieblose Fassadenrekonstruktion des Wedekindhauses (das belegen meine Fotos im ersten Artikel) zeigt die Grenzen von Rekonstruktion. Da hat sich kein „Holzbalken nach außen gebogen“. Da hat man 1989 einfach festgestellt, dass man heute nicht mehr wie vor 400 Jahren bauen kann. Deshalb tut man auch hier so als ob. Innen moderner Stahl, außen „romantisches“ Holz. Streng genommen ist also beim Wedekindhaus nicht einmal die Fassade rekonstruiert. Im Detail wirkt alles billig:

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Ich gebe aber gerne zu, dass das neue Knochenhaueramtshaus etwas hat – die einzige Rekonstruktion am Marktplatz, die diese Bezeichnung verdient und die gelungen ist – trotz kleiner baulicher Mängel. Solche einzelnen Rekonstruktionen würde ich nicht generell ablehnen. Die Rekonstruktion ganzer Plätze ist eine – letztlich nicht mögliche – Flucht in die Vergangenheit, die überdies die mutwillige Zerstörung vorhanderner Bausubstanz erfordert.

Wir leben nunmal im Jahr 2009, nicht im Mittelalter.

(Fotos: genova)

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10 Antworten zu Hildesheim: Die Reko-Fans melden sich zu Wort

  1. Pingback: Postmoderne Mythenbildung in Hildesheim « Exportabel

  2. kindvon2dresdnern schreibt:

    Oh da hast Du es ja diesem Forum mächtig gezeigt. Nur wenn ich darum bitten dürfte: bevor so eine plumpe pauschalisierende Kritik kommt mit dümmlichen Abgedroschenen Phrasen und hier Unwahrheiten verbreitet werden, erst einmal genauer einlesen!

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  3. Knecht schreibt:

    Hach, was würde ich dafür geben, über den originalen ehrlichen 50er Marktplatz in Hildesheim flanieren zu können, bevor diese reaktionären Bilderstürmer ihn zerstört haben.

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  4. Alpha schreibt:

    Lieber BloggerEs ist köstlich ihren ziemlich arroganten, unreflektierten Artikel zu lesen. Ich rate ihnen diese Zeit, in der sie sich diese Ignoranz noch leisten können, zu geniessen. Noch ist ihre Ansicht stark, es gilt als aufgeklärt und fortschrittlich Rekos zu belächeln.
    Haben sie schon einmal etwas von Panikblüte gehört? Wäre es möglich, die abgefahrenen Konstruktionen der heutigen „Stararchitekten“ , die Blob-Architektur etc. als letztes(naturgemäss beindruckend wirkendes) Aufbäumen des Modernismus zu interpretieren? Könnte es nicht sein, dass die Menschen dann doch irgendwann mal gesättigt sind von Architektur, die ihnen nichts zu sagen vermag? Dass die arch. Moderne dann den ihr zustehenden Platz einnimmt und von Zeit zu Zeit schöne Solitäre hervorbringt, aber der klassischen Architektur wieder die Trägerfunktion übergibt?
    Alles was langsam und stockend heranwächst(und das tut die Rekowelle wahrlich) wird gerne übersehen. Die Zeiten ändern sich trotzdem. Flucht unmöglich. Und auch gar nicht nötig.

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  5. HartaufHart schreibt:

    Liebe Genoveva,
    wir wissen nicht was Dein Problem ist, aber das Neanderthal liegt bei Düsseldorf und nicht in der Hildesheimer Börde.
    Aber egal, meine persönliche Vermutung ist immer, daß Leute mit persönlichen Problemen (kein Bartwuchs, von Mama nie richtig lieb gehabt, ein Bein kürzer als das andere) stets nach außen projiziert werden, mit dem heißen Wunschen, daß es andere Menschen auch nicht schön haben sollen.
    Dann geht man wohl zur Antifa oder studiert Soziologie im 30. Semester oder befürwortet Darmverschlußarchitektur oder alles auf einmal.
    Wenn man da nur helfen könnte, aber die Menschen werden werden wohl irreparabel in den ersten vier Lebensjahren geprägt…

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  6. ThomasXY schreibt:

    Also Genova, nimm es mir nicht übel, aber wenn man die Ausführungen in dem verlinkten Architekturforum liest, dann muss man doch zu dem Schluss kommen, dass die „Reko-Fans“ zahlreiche inhaltliche Fehler in deinem ursprünglichen Artikel aufgezeigt und nachgewiesen haben.

    In diesem Sinne wirkt deine jetzige Replik nicht gerade souverän.

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  7. genova68 schreibt:

    Ja, Thomas, du hast mich durchschaut.

    Hartaufhart, zur Information: Der Neandertaler hat nicht nur in Düsseldorf gelebt, sondern in halb Europa.

    Die anderen Bemerkungen in den Kommentaren sind mir zu dämlich, tut mir leid.

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  8. ThomasXY schreibt:

    „Ja, Thomas, du hast mich durchschaut.“

    Hmmm… irgendwie passt dieser Satz inhaltlich jetzt nicht wirklich auf meinen Beitrag, weshalb ich auch nicht weiß, was ich darauf antworten soll.

    Dann lieber was anderes:
    Wenn man sich den Diskussionsverlauf im Architekturforum des Vereins „Stadtbild Deutschland“ mal anschaut, dann kommen die Reko-Fans doch sooooo böse gar nicht rüber, oder? Die gehen da doch eigentlich recht gesittet mit dir um…

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  9. genova68 schreibt:

    Böse? Habe ich das behauptet?

    Mit dem „durchschaut“ meinte ich, dass du etwas behauptest, ohne Ahnung davon zu haben. Ob die Reko-Fans „zahlreiche inhaltliche Fehler“ nachgewiesen haben: Darum geht es ja gerade in diesem Artikel. Ich meine, das haben sie nicht getan. Aber wenn hier kein Mensch inhaltlich diskutiert, kann ich es auch nicht ändern.

    Die inhaltliche Diskussion findet übrigens eher in deren Forum statt. Falls es jemanden interessiert: Oben ist der Link.

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  10. ThomasXY schreibt:

    „Ich meine, das haben sie nicht getan“

    Ich meinte ja, dass sie das (Fehler nachweisen) in dem Forum getan haben (nicht hier).

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