Berliner Schloss: Vom Durchschleusen und vom Fieberwahn

Das Berliner Schloss ist nun einzugsbereit, morgen wird es eröffnet. Da noch kein neuer Kaiser installiert wurde und man Bernd Höcke als unzuverlässig einstuft, versucht man es vorerst halt mit der Präsentation kolonialer Beutekunst aus Afrika.

Das deutsche Feuilleton schwelgt ob des tollen neuen Schlosses. Der Tagesspiegel „fiebert“ gar der Eröffnung „entgegen“. Vielleicht ist es ja Fieberwahn. Man spürt die für Zugereiste gewöhnungsbedürftigen Berliner Kollektivorgasmen, wenn es um dieses komische Preußen geht. Mir fällt gerade die Potsdamer Garnisonskirche ein, die dieselben rechten Kreise wiederaufbauen wollen.

Selbst die taz glaubt:

Das Humboldt Forum wird vielleicht gerade wegen all der berechtigten Kritik an ihm besser werden, als die meisten glauben.

Es geht schon damit los, dass etwa vier Millionen Besucher*innen jährlich in der Zeit nach der Pandemie erwartet werden – also mehr als in jedem Museum in Deutschland.

Genau. Vier Millionen können nicht irren, damit geht es los. Man hofft, dass die Pandemie noch eine Weile anhält. Wer hat sich die Zahl vier Millionen eigentlich ausgedacht? Egal, die taz plappert es munter nach.

Zur Erinnerung: Die Kolonialkunst war bislang im Berliner Vorort Dahlem zu sehen, in einem architektonisch interessanten Gebäude, nur interessierte das dort wenige. Das Tourismusmanagement war mit den Besucherzahlen unzufrieden. Der Umzug nach Mitte bedeutet also, die desinteressierten Touristenmassen irgendwie durchs Schloss zu schleusen, auf dass die Zahl von vier Millionen Durchgeschleusten erreicht werde. Ich sehe die Schulklassenhorden ähnlich euphorisch die afrikanische Kunst bestaunen wie sie bislang schon auf dem Holocaust-Mahnmal herumturnen.

Das Schloss ist nicht nur formal Walt Disney. Das nennt man kulturellen Fortschritt. Selbst das Original war ein architekturhistorisch bestenfalls mittelmäßiger Kasten, da hilft auch das ganze jahrelange peinliche Hochgejazze der Provinzfürsten – ehemals ostelbische Landjunker – nichts.

Dummerweise gibt es ein klitzekleines Problem: Nigeria fordert die Benin-Bronzen, die das Herzstück, wie man sagt, des neuen Museums werden sollen, zurück. Die so fleißige wie reaktionäre Elite Deutschlands will im neuen Schloss Hehlerware ausstellen. Die Frage, wieso koloniale Raubkunst „preußischer Kulturbesitz“ sein soll, stellt man sich in diesen Kreisen nicht. Es sind ja nur Neger.

Andreas Kilb plapperte in dem Zusammenhang in der FAZ von „Propaganda postkolonialer Gruppen“. Die Bronzen gehören natürlich uns und morgen die ganze Welt.

Dazu passt auch eine Geschichte über den Co-Architekten des Schlosses, Thomas Albrecht (vom reaktionären Büro Allmann Sattler Wappner Architekten). Niklas Maak berichtet in der FAZ:

Albrecht ist so erbost, dass die Medien es immer noch wagen, Kritik an seinem Superschloss zu äußern, dass er jüngst Briefe an Zeitungschefs aufsetzte, in denen diese aufgefordert werden, schlosskritische Journalisten endlich aus der Redaktion zu „entfernen“.

„Entfernt“ hat man ja schon des öfteren in der deutschen Geschichte. Eine sozusagen traditionelle Forderung.

Der Terminus passt zum Schloss und zur Beutekunst und zu dem ganzen Preußengeplapper. Wer ein Schloss baut, will auch Journalisten entfernen, was denn sonst? Nicht grundlos sind die Kameraden der AfD die vehementesten Schlossbefürworter.

Es passt eigentlich alles. Wie schon öfter in diesem Blog festgestellt: Jenseits von pseudolinker Gendersprache und PR-Agitation sind weite Teile dieser Gesellschaft nach wie vor reaktionär, rechts, zwanghaft und angstbesetzt. Warum regte man sich eigentlich kürzlich über die Reichsflaggen der Querdenker auf?

Touristenmassen, Billigbarock, Preußen: Da kommt alles zusammen. In Bezug auf die Forderungen aus Afrika jedenfalls sollten die Schlossfans standhaft bleiben. Wie einst der Kaiser.

(Foto: genova 2016)

Dieser Beitrag wurde unter Architektur, Berlin, Deutschland, Geschichte, Politik, Rechtsaußen abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

14 Antworten zu Berliner Schloss: Vom Durchschleusen und vom Fieberwahn

  1. docvogel schreibt:

    Danke ! Bitte bald die Kritik am Sparkassenstil

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  2. Hugo schreibt:

    Hab mal spaßeshalber nachgeguckt; Schloß Neuschwanstein hat pro Jahr ca. 1,4 Mio Besucher, die Wartburg ca. 350.000, weltweit siehe hier:https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_meistbesuchten_Museen .
    Bei ca. 750.000 Einschulungen pro Jahr sind aber auch mehrere Mio Schulkassenausflügler im neuen alten Schloß, äh, ambitioniert, unter den in normalwahnsinnigen Zeiten restlichen Berlintouris wrd des wohl eher ned so der „burner“ werden.

    Mal als Vergleich zu den phantasierten Zahlen der Beutekunst-Ausstellung; Buchenwald hat ca.ne halbe Mio Besucher.

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  3. genova68 schreibt:

    Danke, Hugo. Auch das Deutsche Museum in München, das meistbesuchte in Deutschland, hat nur 1,5 Millionen Besucher. Die vier Millionen sind vermutlich reine Phantasterei.

    Was ist denn Sparkassenstil, docvogel?

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  4. Jakobiner schreibt:

    Zur Schlosseinweihung fehlt noch eine Hunnenrede alaKaiser W2: Damit uns kein Afrikaner mehr scheel ansehe.Als Kontrapunkt zu Black Live Matters und solchen Pygmäenaufständen.Und die Strassen in von Trotha-Strasse umbenennen.

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  5. genova68 schreibt:

    Die Süddeutsche Zeitung beschäftigt sich näher mit den Drohbriefen, die der Schlossarchitekt offenbar unter anderem an die FAZ verfasst hat. Es geht dort um den Architekturjournalisten Niklas Maak, der auch hier im Blog schon öfter lobend erwähnt wurde.

    Albrecht schreibt:

    „Sie müssen Herrn Maak aus Ihrem Blatt entfernen, er zieht Ihr Niveau ins Unendliche hinab.“

    Albrecht kritisiert hier nicht einfach einen Artikel, der ihm nicht passt. Er fordert die Kündigung. Besonders unappetitlich ist seine Begründung.

    Die Süddeutsche berichtet:

    In seinem Brief appelliert er an das Verantwortungsbewusstsein der Herausgeber „für unseren Staat, für unser Gemeinwohl und den Gemeinsinn“, es klingt beinahe so, als habe eine Zeitung so systemstabilisierend zu berichten wie er systemstabilisierend baut.

    Was das Gemeinwohl und der Gemeinsinn ist, entscheidet offenbar ein Schlossarchitekt. Wer gegen diese Gesinnung verstößt, muss weg.

    Andererseits passt es eben. Wer ein Schloss baut, braucht von Demokratie und Menschenrechten nicht zu reden. Insofern ist es folgerichtig, dass der Architekt sich zum Diktator aufschwingt und Redaktionen säubern will. Was sonst? Er dürfte nicht der einzige sein.

    https://www.sueddeutsche.de/medien/humboldt-forum-faz-architektur-kritik-1.5148759

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  6. stadtauge schreibt:

    danke danke danke! du sprichst mir voll aus dem herzen!
    schon absurd, wie wir uns nun an diesen tempel gewöhnen müssen
    und welchen begründungsverherrlichungsschwachsinnsstuss für diesen bau wir auch weiterhin ertragen müssen werden…
    lg daniel

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  7. Jakobiner schreibt:

    Auzch wenn man das als Linker nicht wünschen soll: Unbeschwerte Weihnachtsgae und ein schönes Fest. Anbei noch ein mehr aufklärerischer Song rund um den Weihnachtsmann und adann einer von ELP, der mich immer nostalgisch und sentmnental macht:

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  8. genova68 schreibt:

    Klar kann man sich das wünschen. Das ist ja der Unterschied zwischen vernünftigen Menschen und den Sprachkorrekten: Wir sind in der Lage, den Wunsch nach frohen Weihnachten abstrakt aufzufassen. Es kommt aber in zwei Stunden noch ein offizieller Weihnachtsbeitrag.

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  9. Hugo schreibt:

    @Sparkassenstil; da fahr ich ab und an mal dran vorbei: https://www.sparkasse.de/filialen/c/sparkasse-coburg-lichtenfels-finanzcenter-coburg-kuerengrund/12960.html
    (Gibt bei google maps größere Bilder, der Link ist halt 5+ Zeilen lang.)
    Finde die schick, die Eingangsüberdachung war wahrscheinlich ein (schlechter Kompromiß) der Architekten bzgl. der Bauherrin.

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  10. genova68 schreibt:

    Sparkassenstil ist wohl alles, was auf der Höhe der (Bau)Zeit ist. Insofern immer interessant. Das abgebildete Gebäude fällt aus dem Sparkassenstil eher heraus, würde ich sagen, weil das stilistisch überhaupt nicht eindeutig ist. Ein simpler Kasten, der für die Erscheinung das Daches sich zurückhält. Das Dach fällt auf als ein etwas gekünsteltes, es ist funktional überflüssig. Aber wieso nicht.

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  11. grandgoschier schreibt:

    Ein nachgetragenes und hiermit empfohlenes Fundstück zum Thema ist Thomas Pigors Lied „Baut den Palast der Republik wieder auf!“

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  12. genova68 schreibt:

    Danke! Der Text gibt ganz gut die Stimmung im Berlin der 1990er Jahre wieder. Es waren noch ganz andere Diskussionen und von Gentrifizierern und dem ganzen kapitalistischen Gesockse redete niemand. Aber es wurden die Grundlagen gelegt: neoliberale Politik bis zum Anschlag, eine Finanzsenatorin namens Fugmann-Heesing, die alles privatisieren wollte, beispielsweise. Natürlich SPD. Man müsste sie heute interviewen. Ob sie dazu bereit wäre? Immerhin ist sie Täterin.

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  13. grandgoschier schreibt:

    Noch ein später Nachtrag: die Blätter haben hier eine (wie mir scheint ganz gute) Zusammenfassung der widersprüchlichen Geschichte des Wiederaufbaus:
    https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/februar/vorwaerts-in-die-vergangenheit

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  14. grandgoschier schreibt:

    Daraus sei dieses bemerkenswerte Zitat gestattet:
    [blockquote] In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die Skepsis gegenüber solch heilenden Rekonstruktionen noch größer aus. 1947 sprach sich etwa der Publizist und Mitbegründer der CDU, Walter Dirks, gegen die Rekonstruktion des Frankfurter Goethehauses aus, das zum Goethe-Jahr 1949 wiederaufgebaut werden sollte. Ein vertrautes Gebäude, von dem man sich nicht trennen kann, wiederherzustellen, „ein solcher Gedanke kann etwas sehr Verführerisches haben“. Aber „das Haus am Hirschgraben ist nicht durch einen Bügeleisenbrand oder einen Blitzschlag oder durch Brandstiftung zerstört worden; es ist nicht ‚zufällig‘ zerstört worden, genauer gesagt: in einer Kausalkette, die keine Beziehung zu dem eigentümlichen Wesen dieses Hauses hätte und also ihm gegenüber äußerlich wäre. Sondern dieses Haus ist in einem geschichtlichen Ereignis zugrunde gegangen, das mit seinem Wesen sehr wohl etwas zu tun hat.“ Wenn das „Volk der Dichter und Denker“ nicht vom Geiste Goethes und dem Humanismus abgefallen wäre, dann stände das Haus am Hirschgraben heute noch unversehrt. [/blockquote]
    CDU. Das muß man sich mal vorstellen.

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