Von der Problematik des Hummus-Essens

Darf man Nutella in Hummus mischen? Das hat kürzlich jemand in einem Video auf tiktok gemacht. Die Reaktionen waren aggressiv. Die „Hummus-Kontroverse“ ward geboren.

„Kulinarische Aneignung oder die Übernahme und Transformation von Gerichten funktioniert so ähnlich wie der Prozess der Gentrifizierung. Jemand kommt, nimmt sich etwas, verändert es ein bisschen und inszeniert es als etwas Neues und Hippes“, erklärt sie. „Dieses Vorgehen hat aber oft einen schalen Beigeschmack. Wenn solche Nahrungsmittel neu ,entdeckt‘ werden, ist das oft mit einem stark kolonialen Gestus verbunden“.

Das sagte kürzlich Meryem Choukri in jetzt, dem Magazin der Süddeutschen Zeitung, das laut Eigeneinschätzung darüber berichtet, „was junge Menschen jetzt bewegt: Aktuelles mit Tiefe“. Hoffen wir, dass das nicht stimmt, denn wenn das obige Zitat das Niveau junger Menschen demonstriert, sieht es nicht gut aus.

Um das kurz zu klären: Gentrifizierung bedeutet nicht, dass sich jemand etwas nimmt und als hipp inszeniert. Gentrifizierung bedeutet die Verwertung alter Bausubstanz und generell bestimmter Stadtteile mit vormoderner Struktur durchs Kapital. Gentrifizierung bedeutet die immer weiterzutreibende Verwertung von Immobilientauschwerten. Dazu ist es natürlich notwendig, dass es eine gesellschaftliche Tendenz hin zum Altbau und bestimmter Stadtteile gibt. Die aber setzte schon in den 1970ern ein, und zwar mit den Hausbesetzern und dem Denkmalschutz. Also Akteuren, die der Kapitalismusaffinität unverdächtig sind.

Dass Meryem Choukri den kapitalistischen Aspekt des Begriffs nur nebenbei thematisiert, ist kein Zufall, sondern im sogenannten politischen Denken dieser Leute immanent. Es geht um identitäres Denken. Wer Hummus variiert, diskriminiert Araber. Den „kolonialen Gestus“ könnte man natürlich als Argument anführen, aber nur in ökonomischer Perspektive: Nahrungsmittelkonzerne haben die finanziellen Möglichkeiten, vorkapitalistische kulinarische Traditionen ökonomisch für sich zu nutzen. Das ist problematische kulinarische Aneignung, zumal es da vor allem darum geht, dem traditionellen Gericht Zucker und Fett zuzusetzen und einen möglichst großen Profit herauszuschlagen. Der Profit hängt also direkt zusammen mit der Zerstörung unserer Geschmacksnerven. Oder genauer: Mit dem Anfüttern von Kindern mit Zucker und Fett und Geschmacksverstärker, auf dass sie zeitlebens willfährige Konsumenten des Supermarktdrecks sein werden. Man kann gute Gewinne mit Chrystal-Meth-Abhängigkeit machen oder mit durch industriell zugerichtete Nahrungsmittel zerstörtes Geschmacksempfinden. Dem Kapital ist es einerlei.

Humus weiterzuentwickeln ist aber nicht generell kapitalistisch, sondern Leben. Gerichte entwickeln sich weiter und fusionieren mit anderen Esskulturen, wir kreuzen Rebsorten, picken uns aus der asiatischen Küche das heraus, was uns schmeckt, und schätzen indische Küche in einer Form, die Inder als fad empfinden. In der Musik gibt der Jazz dem Rock den Takt, wenn man das so sagen kann, vor und traditionelle afrikanische Musik kommt plötzlich mit einem E-Bass daher. Das ist alles prinzipiell gut und kein Grund zur Sorge.

Choukri – laut jetzt „forscht sie an der University of Warwick und der Universität Gießen“ – traut ihrer Argumentation selbst nicht. Am Ende des Artikels sagt sie, dass sie grundätzlich nichts gegen die Fusionküche habe:

„Es ist schön, dass immer mehr Menschen unterschiedliche Gerichte kennen lernen können.

Um dann zu betonen:

Aber es gibt noch so viele Essenskulturen, die noch nicht präsent sind. Ich denke da an den afrikanischen Kontinent, zum Beispiel an ghanaisches Essen.“

Fusionküche ist offenbar erst dann erlaubt, wenn in Deutschland jede Esskultur der Welt vertreten ist. Man spürt hier das Bemühen, Probleme zu machen.

Die „Moderatorin, Bildungsaktivistin und Psychologin“ Helen Fares sagt im gleichen jetzt-Artikel, sie finde es wichtig,

mit bestehenden Rezepten und den Ursprungskulturen achtsam und respektvoll umzugehen, vor allem wenn Menschen aus diesen Kulturen in Deutschland von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind.

Es ist dieser merkwürde Identitätssound, der stört. Man baut ein paar Begriffe ein (achtsam, respektvoll, Rassismus, Diskriminierung) und heraus kommt ein sinnloser Brei. Es wird ein Popanz aufgebaut, den ich zu beachten habe, bevor ich eine Portion Hummus esse. Praktisch unmöglich, aber mit dem wording kann sich die Aktivistin moralisch wunderbar überhöhen. Fares sammelt unter dem Hashtag #leavehummusalone neue Kombinationen, Hummus mit Kürbis beispielsweise. Das findet sie schlimm. Es geht um Reinheit, irgendwie. Auch Fares kommt beim Hummusthema auf schwergewichtige politische Begriffe:

Der Diskurs um Hummus symbolisiert für mich den Diskurs um Kolonialismus, Post-Kolonialismus und Gentrifizierung.

Mit Symbolen ist das ja so eine Sache. Auf der einen Seite geht heute alles, auf der anderen Seite ist ein Portion Hummus mit Nutella mit allen Übeln dieser Welt beladen.

Auffällig auch, dass die jetzt-Journalistin Sabrina Graf sich völlig unkritisch mit dem identitären Anliegen identifiziert und diese kuriose Sprache übernimmt. Sowas nennt man schlechten Journalismus. Es ist PR-Journalismus.

Diese Diskurse mögen Randphänomene sein. Sie beanspruchen aber die Verortung im linken Kontext. Wer dort sich zuhause fühlen möchte, sollte gewisse argumenative Mindeststandards erfüllen. Die #leavehummusalone-Fraktion reißt sie noch.

(Foto: genova 2021)

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5 Antworten zu Von der Problematik des Hummus-Essens

  1. hANNES wURST schreibt:

    Solange sie nicht dazu verwendet wird, Menschen irgendetwas verbieten zu wollen oder sonst irgendwie ihre Freiheit einzuschränken, finde ich identitäre Ansätze ganz in Ordnung. Nutella im Hummus ist nicht besser als Cola in den Wein, da kann man sich schon mal beschweren, ebenso wie man vielleicht den Charakter eines Stadtviertels erhalten möchte oder es schlimm fand, wenn Wendy Carlos Bach mit dem Synthesizer interpretiert hat. Oder man findet es gut, plötzlich finden alles es gut, alle schütten Cola in den Wein und hören Klassik nur noch elektronisch. Der Erfolg hat dann der Sache Recht gegeben und so ist das nun man in Geschmacksfragen, sie werden demokratisch geregelt.

    Etwas anderes sind die Anliegen der Identitären, die den Pfad der humanistischen Aufklärung mit ihrer Kritik an der Vermischung von Kulturen verlassen. Aber es gibt leider auch weniger eindeutige Fälle, zum Beispiel wenn versucht wird, kulturelle Aneignung als grundsätzlich schlecht auszugeben oder bestimmte Rechte nur Gruppen zu gewähren, die sich diese aufgrund ihrer zugesprochenen Nachteile verdient haben.

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  2. Jakobiner schreibt:

    Darf man Nutella mit Kot mischen? Wäre das dann kulturelle Aneignung oder käme es dann drauf an,wer da geschissen hat?

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  3. eimaeckel schreibt:

    Gräfin Dönhoff fragte zu einer Zeit als ich noch die Zeit las: „Soll man Kinder Kaviar kosten lassen?“. Das interessiert doch den Kleinsparer.

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  4. Jakobiner schreibt:

    Lebt Genova noch?Jetzt seit Wochen kein neuer Artikel oder Kommentar.Was ist los?

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  5. genova68 schreibt:

    Ja, er lebt noch, danke der Nachfrage. Aber vielleicht gibt es außer Wiederholungen derzeit nichts zu sagen.

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