Ein interessanter Beitrag in der taz zum Thema Gentrification. Exportabel-Leser wissen das meiste zwar schon, aber als Zusammenfassung gut zu lesen. Autor ist der Politologe Udo Knapp, geboren 1945, früher beim SDS aktiv.
Knapp beschreibt den Unwillen der Grünen und der SPD, das Problem überteuerter Wohnungen und Mieten und Böden zu lösen. Diese angeblich linken Parteien haben – warum auch immer – kein ernsthaftes Interesse daran. Sie machen somit Politik für die oberen Zehntausend. Es ist offenbar die notwendige inhaltliche Korruption im Kapitalismus. Früher oder später kriegt er alle.
Knapp schreibt:
Die tagtägliche Wohnungspolitik wird auch bei den Grünen nur pflichtgemäß als soziales Gedöns im großen politischen Theater mitbehandelt. Ordnungspolitische Einzelmaßnahmen vom Wohngeld über die Beschränkung der Maklerhonorare bis zum Mietendeckel, dessen Inkrafttreten in Berlin sich gerade jährt, zeigen zwar entlastende Wirkungen in der Wohnungsfrage, die Grundsatzfrage „Wem gehört die Stadt“ mit allen ihren ästhetischen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen wird allerdings politisch nicht angesprochen. Solange es auf diese Frage keine verrechtlichte Antwort im Interesse aller Bürger und ihrer Stadt gibt, bestimmen die Eigentümer von Grund und Boden, Hauseigentümer, Kapitalgesellschaften, Finanzinvestoren und ihre Lobbyvereine weiter allein darüber, wer wo und wie in den Städten lebt – und wie es mit der Stadt weitergehen wird.
Exakt das macht seit Jahren stutzig, zumindest wenn man, wie ich, naiv ist. Das Thema Wohnen und Boden müsste im Bundestag ganz grundsätzlich verhandelt werden. Real passiert: nichts. Die Sozialdemokraten sitzen seit 2013 mit in der Regierung.
Während die Politik weiter herumdoktert, beginnt sich in der Öffentlichkeit der Ärger zu organisieren. Der Versuch, in Berlin einen Volksentscheid herbeizuführen zur Vergesellschaftung der Deutschen Wohnen und allen privaten Wohnungsgesellschaften mit mehrals 3.000 Wohnungen, wird seit kurzem von der ÖTV und der IG Metall offen unterstützt. Ein Bündnis aus dem Gesamtverband der Paritätischen Wohlfahrtsverbände, dem DGB und dem Deutschen Mieterbund startet gerade eine Kampagne für einen sofortigen sechsjährigen Mietenstopp. Alle politischen Parteien reagieren achselzuckend gar nicht.
Der letzte Satz ist der entscheidende. Selbst ÖTV und IG Metall machen mit, die Berliner SPD unter Giffey rudert wieder nach rechts. Man möge sich in diesem Zusammenhang an Klaus Wowereit erinnern. Der Kamerad privatisierte als Regierender Bürgermeister auf SPD-Ticket hunderttausende Wohnungen und lobte öffentlich die steigenden Mieten. Ein faktisch rechter und menschenverachtender Politiker. Kein Problem für deutsche Sozialdemokraten.
Dabei liegen, und das bemerkenswerterweise aus der SPD, schon seit langer Zeit ausformulierte Vorschläge zu einer anderen Boden-, Wohnungs- und Baupolitik vor. Der im letzten Jahr verstorbene Hans-Jochen Vogel hat schon in den 70er-Jahren als Oberbürgermeister in München in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, ein grundsätzliches Verbot eines freien Grundstücksmarktes in den Kommunen einzuführen, ein Vorkaufsrecht für alle Grundstücke für die Kommunen festzuschreiben und die Verpflichtung der Kommunen festzulegen, diese Grundstücke selbst städtebaulich zu entwickeln und dann in Erbbaupacht an Genossenschaften, private Zusammenschlüsse und kommunale Wohnungsbaugesellschaften weiterzugeben. Vogel wollte auch den kommunalen Einfluss auf das Baugeschehen in den Städten durch eine Rücknahme der Entwicklung der zukünftigen städtischen Wohngebiete in kommunale Zuständigkeit wiederherstellen. Die mittlerweile freilaufenden, sich wie private Immobilienkonzerne gebärdenden GEWOBAG und Co. sollten auf die streng kontrollierte Bewirtschaftung ihrer Bestände zurechtgestutzt werden … Zu der politischen Blockadehaltung passt, dass Grüne und SPD gemeinsam zwei Jahre lang versucht haben, das Enteignungs-Volksbegehren zu torpedieren. Österreichs Hauptstadt Wien gehören übrigens fast zwei Drittel aller Mietwohnungen, sie hat deshalb die stabilsten Mieten – und nach wie vor eine sehr starke SPÖ.
Wien zeigt seit 100 Jahren, wie es geht. Dieser Hinweis reicht eigentlich, zum zu wissen, dass die herrschende Clique Deutschlands ihre vornehmste Aufgabe in der Anhäufung des Reichtums ganz oben sieht.
Was die korrumpierte deutsche Sozialdemokratie nicht schafft, schafft offenbar Basel. Dort werden
öffentliche Grundstücke grundsätzlich nicht mehr verkauft, wird kontinuierlich potentielles Bauland zugekauft und nach öffentlich unter breiter Beteiligung erarbeiteten Entwicklungsvorgaben in Erbbaupacht an Genossenschaften, Baugruppen, Wohnungsbaugesellschaften und auch Private zum Mietwohnungsbau vergeben. Unter dieser Voraussetzung entstehen mit verbindlichen öffentlichen Vorgaben im Bestand und im Neubau sozial und von der Nutzung her vielfältige Quartiere.
Am Ende beschreibt Knapp einen Weg zur Besserung der Verhältnisse:
Das Wohnen in der Stadt kann wie das Wasser zu einem öffentlichen Gut in der Infrastruktur der Stadt gemacht und im Interesse aller Bürger dauerhaft gesichert werden. Zu einem solchen Schritt gehören Enteignungen nutzerfeindlicher, zu großer und öffentlichen Interessen entgegenstehender Wohnungsbestände überall in der Bundesrepublik, vor allem aber eine gesetzlich neu geregelte Bodenvorrangs- und Boden-Vorrats-Politik der öffentlichen Hand. Das meint, dass die Kommunen Grundstücke kaufen und im eigenen Besitz auf Vorrat halten, damit sie die Stadt nach eigenen Plänen entwickeln können und sie der Spekulation entzogen werden.
Wohnen als öffentliches Gut. Die Besitzenden müssen dann billige Wohnungen zur Verfügung stellen, so wie niemand Altöl in die Spree kippen darf. Wobei die Idee, dass Kommunen nun Grundstücke kaufen, zu spät kommt. In Berlin wurde von den Herrschenden das meiste schon verscherbelt. Ein vernünftiger Rückkauf ginge nur über die Möglichkeit der nahezu entschädigungslosen Enteignung. Man müsste die Bodenpreise auf einen Stichtag vor rund zehn oder 20 Jahren setzen. Ansonsten haben wir das Dilemma, dass die rückkaufwillige Kommune für einen Quadratmeter selbst in einem Randbezirk wie Lichtenberg 5.000 Euro zahlen müsste. 2010 waren es noch 500 Euro.
Juristisch ist so ziemlich alles machbar, wenn man will. Das Grundgesetz steht dem nicht im Weg.
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Grüne und SPD haben linke, soziale Politik längst ad acta gelegt. Dafür gibt es Ersatzfelder. Hilfreich ist in Teilen die Klimapolitik und vollends die genderbezogene Sprachpolitik. Ersteres ist in vielen Fällen zwar nur Aktionismus, kommt beim Völkchen derzeit aber gut an. Symbolpolitik fürs Gewissen. Radfahren in der Innenstadt ist sicher keine schlechte Idee. Aufs globale Klima, wie gerne behauptet, hat das allerdings keinerlei Auswirkung. Radwege bauen, um das Klima zu retten: Solche Ideen zeigen den Infantilisierungsgrad, den die Deutschen mittlerweile erreicht haben. Man kann nicht einfach in der Stadt radfahren. Nein, man muss gleich das Klima retten. Drunter macht es der gemeine Deutsche nicht. Wobei dann der aktualisierte gemeine Deutsche der deutsche Linke wäre. Mein Gott.
Die sprachbezogene Identitätspolitik ist eine ähnliche Ablenkung. Exakte Anweisungen, wer wie anzusprechen und zu bezeichnen ist, zeugen von einer weitgehenden Entpolitisierung. Wichtigtuer und Wichtigtuerinnen tauchen in allen Medien auf und betreiben Wordingkorrektur. Schwarz ist keine Farbe, lernte ich kürzlich von einer streng dreinschauenden schwarzen Frau, sondern eine politische Haltung. Aha. Außerdem brauche man mehr BIPOC-Journalist (kurze Pause) innen. Das I in BIPOC steht für Indigene. Wobei ich mich frage, wer das in Deutschland ist. Aus den USA zugewanderte Indianer? Oder Deutsche mit einem Ariernachweis bis in die zehnte Generation?
Wo man früher ganz klassenbezogen mehr Journalisten aus dem Arbeitermilieu, aus dem nichtakademischen Sektor, aus dem Prekariat gefordert hätte, wird das heute ignoriert und auf Schwarze und andere nicht biodeutsch Aussehende begrenzt. Die schwarzen Deutschen, die heute in den Medien vorkommen, sind übrigens zu 100 Prozent akademisch („irgendwas mit Medien“) sozialisiert.
Man sagt auch nicht mehr „Sinti und Roma“, denn das ist nicht gegendert. „Sint:izzi und Rom:nja“ ist derzeit state of the art. „Anti-Ziganismus“ ist triggernd, man sagt „Anti-Sinti-und-Romaismus“.
Kaum ein Tag vergeht, an dem im TV nicht betroffen dreinschauende linke Aktivisten in merkwürdig verformter Sprache Forderungen an die Sprache, die wir sprechen, vortragen. Interessant dabei auch die Transformation des Traumabegriffs: Früher war das eine seriöse Krankheit. Heute ist eine Frau traumatisiert, wenn sie nicht korrekt gegendert angesprochen wird.
Sprachgepansche als vermeintlich emanzipatorischer Akt. Das Ökonomische – und damit die Basis für alle gesellschaftlichen Entwicklungen – wird ignoriert. Es ist meines Erachtens ein Ersatz: Weil wir die Sprache panschen, kümmern wir uns nicht mehr um das Wesentliche.
Es ist die Frucht der neoliberalen Ideologie, die derzeit allerorten regiert. Es ist die totale Verblödung. Die Grünen sind die wesentliche Partei, die diese Haltung vertritt. Es ist eine Art Entlastung des eigenen Gewissens. Dass bei den Grünen überproportional viele Esoteriker mitmischen, gehört dazu.
Dennoch sehen Teile der deutschen Reaktion selbst diese Grünen noch als Gefahr. Das zeigte kürzlich die Aufregung um Einfamilienhäuser. Prompt warf die CDU den Grünen „ein gestörtes Verhältnis zum Eigentum“ vor. Haha. Schön, wenn es so wäre.
Es ist die Talibanisierung der Linken: So wie Fundamentalmuslime nur zu einer Eins-zu-Eins-Übersetzung des Koran in der Lage sind, so ist die identitätspolitische Linke nur noch zu einem Politikansatz fähig, bei dem der Satz „Berlin hat 3,7 Millionen Einwohner“ bedeuten soll, dass in Berlin also 7,4 Millionen Menschen wohnen. Plus die Diversen. Sprache soll die Realität eins zu eins abbilden. Was unmöglich ist. Sprache ist Sprache und Welt ist Welt. Diese Leute wollen dumm sein. Vermutlich, weil das entlastet. Vielleicht gehört auch die Sprachverpanschung zur notwendigen inhaltlichen Korruption im Kapitalismus. Da man den realen Verhältnissen ohnmächtig gegenübersteht, weicht man aufs Absurde aus – mit der penetranten Behauptung, man mache ja weiterhin linke politische Arbeit.
Währenddessen läuft bundesweit in den Metropolen seit zehn Jahren mit der Gentrifizierung die größte Enteignungsmaschine seit dem Zweiten Weltkrieg.
Seien wir ehrlich, auch wenn es schwerfällt. Wir brauchen offenbar Leute wie Udo Knapp, einen 75-jährigen alten weißen Mann, der sich noch Sozialist nennt. Und der in dem taz-Artikel einen Mieterstreik fordert und weiß, dass dort auch Frauen streiken sollen. Und Diverse. Und Sint:izzi. Und BIPOC. Und Traumatisierte. Die, die unter den Verhältnissen leiden.
Also alle.