„Uns aber erfüllet stolze Freude“ – Gesellschaftsgeschichte am architektonischen Fallbeispiel

Wenn Kunst, wenn Qualität, wenn großartig Gelungenes untergeht, verlieren wir immer. Alle.

Das sagt der bayrische Dokumentarfilmer Dieter Wieland über den 2009 erfolgten Abriss der brutalistischen Auferstehungskirche (Foto) im Dörfchen Sailauf, Spessart. Die Geschichte vom Bau und vom Abriss der Kirche ist ein Stück deutsche Sozialgeschichte, das macht sie interessant.

Wir lesen das Zitat von Dieter Wieland in einem wunderbaren Büchlein über die Auferstehungskirche in Sailauf, verfasst von dem jungen Architekten Peter Wohlwender. Wohlwender wurde in Sailauf groß, er studierte in Berlin und lebt heute in München.

Aber beginnen wir am Anfang. In Sailauf gibt es eine Barockkirche, St. Vitus. Die war in den 1960er Jahren sanierungsbedürftig und zu klein. Statt einer umfassenden Sanierung entschied man sich für einen Neubau. Neubau bedeutete damals selbstverständlich, sich am Hier und Jetzt zu orientieren.

Der Autor berichtet,

„dass die Sailaufer zum Bau der neuen Kirche drängen; sie werden sich zum allergrößten Teil immer klarer, dass das alte Gotteshaus auf dem Berg der heutigen Zeit, der Größe der Gemeinde, der Feier der Liturgie nicht mehr entsprechen kann.“

Es ist für uns kaum noch vorstellbar, dass sich eine strukturell konservative Dorfbevölkerung für einen modernen und im Kontext sehr fordernden Architekturentwurf entscheidet.

Dazu kam, dass ein junger, progessiver Pfarrer, Josef Hämel-Köhler, die Kirchengemeinde übernahm, der ebenfalls hinter dem Entwurf stand.

Hämel-Köhler teilt der Diözese daraufhin mit, dass sich sowohl die Räte, als auch die Bevölkerung mit großer Mehrheit für Emil Mais Entwurf ausgesprochen haben.

Die Kirchenverwaltung beschließt im Juni 1968 „einstimmig, den Entwurf von Emil Mai zu realisieren.“ Emil Mai war ein Schweinfurther Architekt, der dort in der Region baute, viele interessante Sachen sind darunter. Und er war Schüler von Sep Ruf.

Lediglich die Regierung von Unterfranken

merkt an, es wäre wünschenswert, wenn der im überholten Entwurf zum Ausdruck kommende ´Brutalismusˋ gedämpft werden könnte.“

Der Protest kam also von einer Verwaltungsebene, nicht von unten. Dennoch bleiben offenbar Änderungen am Entwurf aus.

Der Richtspruch beim Richtfest eines Handwerkers gibt interessante Einblicke in das damalige Selbstverständnis:

Über die Kirchengemeinde reimte er:

Nun kann sie ihr Gotteshaus so stolz und schön

Hier oben am Hange liegen sehen.

Wir wollen bei unseren Dank-Adressen

Den Planer dieser Kirche nicht vergessen.

Er hat in Form, Gestalt und Baustoffen

Bei diesem Bauwerk sich selbst übertroffen.

Der Architekt Mai hat mit sicherer Hand

viele sakrale Bauten entworfen, die weithin bekannt.

Die dem Klerus und den Gläubigen gefielen – gleichermaßen,

Weil sie Bedürfnis und Ansprüche sinnvoll umfassen.

Uns aber erfüllet stolze Freude,

dass wir durften dieses fromme Gebäude

In moderner Holz-Leimbauweise errichten,

In Erfüllung unserer übernommenen Pflichten.

Form, Gestalt und Baustoff: Der Handwerker lobt hier unumwunden eine moderne, dazu noch brutalistische Form aus Beton. Nicht mehr vorstellbar heute. Das ist zumindest meine Vermutung.

Peter Wohlwender: Auferstehungskirche zu Sailauf. Verlag Dreiviertelhaus 2019. 104 Seiten, 25 Euro

Der unbedingte Wille der Sailaufer Bevölkerung, den aufwendigen Weg eines Kirchenneubaus zu gehen, bewahrt letztlich die historische Vitruskirche vor Teilabriss und Erweiterung. Auch erwähnenswert: Das Geld für den Neubau wurde knapp, aber die Dorfbevölkerung half in ihrer Freizeit bei den Bauarbeiten mit, spendete großzügig und so manche Handwerkerrechnung wurde stillschweigend in eine Spende des Handwerksbetriebs für die Kirche umgewandelt.

Der Architekt Wohlwender meinte kürzlich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung über die moderne Form der Kirche und ihre Akzeptanz bei der Bevölkerung:

Es gab einen Pfarrer, der hat es ihnen erklärt: das Raue, nicht nur Heimelige des Spessarts – dazu passt schroffes Material, unverputzter Sichtbeton. Zumal sich die Kirche ja einfühlsam in die Landschaft einfügte. Im Spessart war das Leben immer karger als im barocken Würzburg.

Mitte der nuller Jahre wurde die Kirche sanierungsbedürftig. Die Zahl der Kirchgänger wurde kleiner, der Zeitgeist reaktionärer. Ein Bauwerk stehenzulassen und zu überlegen, was man damit anfangen könnte, seine Alterung, seine Baufälligkeit zu akzeptieren, ist der Deutschen Sache nicht. Man bezahlt lieber Unmengen für den Abriss. Es muss diese merkwürdige, deutsch definierte Ordnung herrschen. Der Abriss erfolgte geräuschlos 2009, wie erwähnt. Dann reaktivierte man die Barockkirche.

Dort, wo die Auferstehungskirche stand, ist jetzt übrigens eine Kiesfläche.

Das Buch über die Geschehenisse in Sailauf ist also nicht nur Architektur-, sondern auch Gesellschaftsgeschichte, begrenzt auf ein kleines Dorf. Das macht sie lesenswert.

Heute kann man froh sein, wenn moderne Kirchen nicht abgerissen werden. Neu aufgebaut wird dagegen die rechte, dem Militarismus geweihte Garnisonskirche in Potsdam. Es kann manchen nicht schnell genug gehen mit der Wiedererrichtung dieses Symbols der Vereinigung von Deutschnationalen und Nazis. Passt ja auch zur aktuellen Politik.

Andererseits: Architektur ist immer Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen. Ob Berliner Schloss, Altstadt Frankfurt, Garnisonskirche in Potsdam oder eben die Auferstehungskirche in Sailauf: Es sind authentische Ausdrücke rechter, demokratie- und menschenfeindlicher Bestrebungen. Auch jenseits der AfD. Egal, was die Apologeten plappern.

(Foto: P. Wohlwender: Auferstehungskirche zu Sailauf. Berlin 2019)

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