Architektur und Alltag 6

Ein Verwaltungsgebäude im Südschwäbischen aus der kurzen Phase zwischen der abklingenden Postmoderne und der einsetzenden Zweiten Moderne, also vermutlich frühe Neunziger. Oder vielleicht auch nur eine verhaltene, konservative Postmoderne.

Auffällig ist die monotone Fensterreihung mit kleinen Öffnungen und obendrein gedrittelten Fenstern. Der Eindruck von Massivität, Ge- und Verschlossenheit ist wohl beabsichtigt. Dazu in den oberen zwei Dritteln die Verkleidung mit rötlichem Ziegel, was den geschilderten Eindruck verstärkt. Interessanterweise sind die Ziegelverkleidungen in den beiden unteren Geschossen zurückgenommen, aber nicht, um hier Offenheit zu zelebrieren, sondern um sehr helle Kunststoffverkleidungen einzusetzen. Die lassen keine größeren Wandöffnungen zu, sondern erinnern nur an die Moderne, in der der Ziegel verpönt war.

Ein massiver Klotz ohne Vor- oder Rücksprünge, ohne Balkone oder Erker. Aus den späten 1920ern wurde die serielle Monotonie übernommen, aus der Moderne generell die fehlenden Fensterfaschen, fehlenes Gesims, fehlender Dachabschluss, aus der Postmoderne die Fensterteilung und der Kunststoff. Lediglich das angedeutete Mezzaningeschoss mit den Lüftungsauslässen gibt dem Ganzen eine leicht klassische Note.

Ein Verwaltungsgebäude in diesem Typus kann man wohl angesichts der vielen interessanten Lösungen der Moderne und der 1970er Jahre in diesem Bereich als Rückschritt bezeichnen. Man spürt es: Der Architekt hätte auf alles verzichtet, aber nicht auf seine Lochrasterfassade. Lieber Freitod als Fensterband. Andererseits ist das Gebäude ein ehrlicher Ausdruck für eine sich verselbstständigte Bürokratie, für „eine Verwaltung, die sich selbst programmiert“ (Habermas), für eine Anomymität, die keine Eigenständigkeit kennt und einer instrumentellen Vernunft folgt. Insofern folgt hier die Form der Funktion.

Da die Bürokratie und mit ihr ein immer weiter „expandierender Staatsapparat“ (Habermas) das heimliche Dauerthema unserer Zeit ist, ist dieser Gebäudetyp interessant. Und auch deshalb, weil es davon nicht allzu viele gibt.

(Foto: genova 2016)

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