Architektur und Dogma 9 (1) – Rossi und der Rationalismus

Ich möchte mich mit dem Architekten Aldo Rossi auseinandersetzen, was mir mangels intellektueller Konsistenz leider nicht am Stück gelingt. Deshalb gibt es ein work in progress.

Der Artikel ist die Fortsetzung dieses Artikels über eine Wohnsiedlung in Mailand-Gallaratese:

Aldo Rossi (1931-1997) ist einer der Architekten, die in der Theorie große Aufmerksamkeit erlangten. Er publizierte viel, mehr, als er baute. Im Nachkriegsitalien war er marxistisch orientiert und schon in den frühen 1950ern Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens. Er bezog sich unter anderem auf George Lukacs´ Gedanken zur Entfremdung. Es ging in Italien damals auch architektonisch um den Umgang mit der Architektur, die unterm Faschismus favorisiert wurde. Die wollte den Bezug zur römischen Klassik und desavouierte nach und nach den italienischen Rationalismus, der in den 1920ern mit dem faschistischen Kunst- und Architekturbegriff noch in Einklang zu bringen gewesen war. Giuseppe Terragni ist das bekannteste Beispiel für einen Architekten, der im Bauhaus-Stil baute und damit keine Probleme mit dem Regime bekam. Seine Casa del fascio in Como von 1936 war der Sitz der Partei Mussolinis und könnte auch in der Weißenhofsiedlung stehen.

Spätestens Ende der 1930er Jahre änderte sich der positive Bezug der Faschisten auf den Rationalismus. Mussolini bevorzugte nun einen monumentalen, entindividualisierten und eigentlich enthistorisierten Neo-Klassizismus, der vor allem der konstruierten Repräsentation dienen sollte. (Wobei auch der leicht surreal oder metaphysisch auftrat, wie der Palazzo della Civiltà in Rom zeigt, aber das ist ein anderes Thema.)

Der italienische Rationalismus war also nach dem Sturz Mussolinis und dem Ende der faschistischen Ära nicht kompromittiert, sondern bot sich als Vehikel zur Erneuerung der italienischen Architektur an.

Rossi wurde einer deren wichtigster Vertreter.

Konkurrent des Rationalismus war nach dem Krieg interessanterweise ein Architekturstil, der am Neorealismus orientiert war. Der Neorealismus machte vor allem literarisch und cineastisch auf sich aufmerksam. Es ging dort um das, was man kulturell und visuell als Gegensatz zur faschistischen Imperiumsästhetik verstand: Das Unverfälschte, das Bäuerliche, das einfache Landleben, der kleine Italiener und die kleine Italienerin im Mittelpunkt. Politisch wurde diese Haltung von einem Bündnis von Marxisten bis katholischen Sozialisten getragen, Abstraktion galt als volks- oder basisfeindlich. Architektonisch setzten auch die in der Regierung sitzenden Christdemokraten – und nicht die Kommunisten – diese Ästhetik ohne Murren um. Sie war von rechts problemlos instrumentalisierbar. Und so manifestierte sich diese Querfront-Ästhetik beispielsweise in der Siedlung Il Tiburtino in Rom: kalkulierte Unregelmäßigkeiten, dörfliche Anmutung, Ziegelstein. Heile vormoderne Welt (die vielleicht ganz gut funktioniert, ich weiß es nicht).

rossiDer Rationalismus war das Gegenteil dessen. Was Rossi gegen die instrumentalisierte Idylle stellte, ist, soweit ich das sehe, allerdings nichts Emanzipiertes im Sinne einer Architektur, die sich für ihre Nutzer interessiert. Rossi interessierte sich für architektonische Grundformen: Kubus, Quader, Pyramide, wie das in der Collage links von Rossi himself aus dem Jahr 1972 zu sehen ist. Er collagierte seine eigenen Gebäude zusammen. Diese Formen sollten genügen und der Architekt sollte sie autonom, wie er sagte, einsetzen. Autonom eingesetze Grundtypen als Formel gegen Entfremdung in der Gesellschaft. Auf diese grundsätzlich problematische Autonomie des Architekten komme ich noch zu sprechen. Rossi wollte, so viel hier, eine Art kritischen Rationalismus, der systemische Widersprüche nicht ästhetisch übertüncht, sondern über die Grundformen thematisiert.

Was Rossi theoretisch wirklich gebracht hat, ist nicht so einfach zu sagen. Seine „Architektur der Stadt“ von 1966 ist schlecht geschrieben und, wie ich finde, voller Leersätze. Sätze, die so wahr sind wie der, dass es hell ist, wenn die Sonne scheint. Darüber hinaus sind Bücher ohne oder mit schwachen Lektoren naturgemäß eine Katastrophe. Dennoch kümmerte sich kürzlich das eigentlich ziemlich interessante Mailänder Architekturbüro bauhkuh ausführlich um dieses Rätselbuch und veröffentlichte die Recherche in der Zeitschrift arch+, Ausgabe 214. Ich komme darauf noch ausführlicher zu sprechen, aber hier ganz knapp: Rossi wollte eine Architektur, die sich den Verhältnissen zwischen Orten und Räumen widmet. Keine Stile, keine Symbolik, keine Polemik und sogar keine Konzepte, schreiben baukuh.

Nun hat jedes Bauwerk hat einen Stil, es hat eine Symbolik. Es hat naturgemäß auch ein Konzept. Vielleicht hat es keine Polemik und vielleicht könnte man das als Rossis frühe Auseinandersetzung mit der Postmoderne werten. Ein Punkt von vieren, der Sinn ergibt.

Stil, Symbolik und Konzept: Auch ein Friedhof ist ohne diese nicht denk- und baubar. Der von Modena von 1971 ist Rossis berühmtestes Werk (Bild links).

Das Gebäude erinnert nicht von ungefähr an die Ostseite des neuen Berliner Schlosses. Dessen Architekt Frank Stella ist Schüler von Rossi und deshalb Neorationalist. Manche nennen das Friedhofsgebäude melancholisch, vielleicht könnte man auch monotonisch sagen. Ich meine das nicht negativ, denn das konsequente Raster in Verbindung mit dem ungewöhnlichen Verhältnis von Wand zu Öffnung ist ein Hingucker; vor allem in Zusammenhang mit den fehlenden Fenstern – Wandöffnung ist hier wirklich nur Wandöffnung – ist die Wirkung bemerkenswert.

Auch dieser Friedhof hat auf Fotos (ich war noch nicht dort) auch etwas Metaphysisches, er erinnert an Gemälde von Giorgio de Chirico und an Aufnahmen von Ferrara im November, vielleicht ist das auch melancholisch, jedenfalls ist das alles sehr schön. Für Tote ist die Bauaufgabe gelungen, immerhin, und, wie gesagt, ohne Ironie.

174Rossi baut einen guten Friedhof und ein interessantes Denkmal für Widerstandskämpfer in Segrate bei Mailand von 1965 (Bild links, zum Datum des Besuchs ein wenig lädiert. Hier als Rundschau.). Hier sieht man schön die verwendeten Grundkörper, den Hang zum klaren Entwurf, zur möglichst reinen Verwendung von Typen. Eine Art ernsthafte, reduzierte Postmoderne. Bei einem Denkmal ist das ähnlich wie bei einem Friedhof – auf Nutzer muss man keine Rücksicht nehmen.

Was Rossi von Nutzern, von Bewohner hielt, fasst baukuh so zusammen:

Rossi [betrachtet] die materielle Organisation ds Ortes als ein Verzeichnis aller Erwartungen, Bedürfnisse, Wünsche, Ambitionen und Erinnerungen, die dort gespeichert sind. Die Komplexität der Gesellschaft erscheint am Ort bereits in ein materielles Alphabet übersetzt, bereits räumlich organisiert, bereits in Architektur gegossen, und tritt dort in spezifischer, bestimmter, ganz singulärer Weise auf. Wenn die Architektur auf den Ort reagiert, und nur auf ihn, reagiert sie auf all das, was dort enthalten ist. Man muss nichts anderes tun. Die Gesellschaft, die Nachbarschaftsinitiativen, die Interessenverteteer, die Alten, die Kinder, sie alle sollen nicht befragt werden, sie alle sollen nicht partizipativ einbezogen werden, weil sie bereits partizipieren, und zwar in der einzig möglichen Weise – durch die Architektur der Stadt.

Man bekommt hier einen ganz guten Eindruck vom elitären, verqueren Denken des angeblichen Kommunisten Rossi. Die „materielle Organisation des Ortes“ sind wohl ganz banal die Straßen, die Infrastruktur, die Topographie, das Licht, der Kontext, vielleicht auch die Bauvorschriften usw. Die sind schon da und geben offenbar die Architektur des zu Bauenden vor. Die, die dann drin wohnen werden, muss man nicht beachten. Für einen Friedhof ist das eine prima Herangehensweise, vielleicht ist auch deshalb der Friedhof von Modena das Meisterwerk Rossis. Bei Untoten gelten andere Regeln.

Das, was im Ort gespeichert ist, ist Geschichte. Die muss offenbar fortgeschrieben werden und der einzige, der etwas verändern, etwas Neues einbringen darf, ist der Architekt, das Genie. Die Bewohner partizipieren durch die Architektur der Stadt – einer der vielen erwähnten Null-Sätze, die man in Zusammenhang mit Rossi oft liest. Damit ist wohl gemeint dass sich Architektur nach Rossi nur aus der vorhandenen Stadt, aus dem Komplexen entwickeln kann. Es kann sich dann aber nur aus Geschichte entwickeln, was als Moderne-Kritik verstanden werden kann und in dieser spezifischen Perspektive seinen Sinn hat. Aber nicht, wenn es um einen konkreten neuen Bau geht.

arch+ kommt in diesem Zusammenhang auf die lustige Idee, Ludwig Wittenstein zu bemühen, der in Bezug auf Sprache ganz richtig sagte, dass Sprache ihr Gebrauch ist:

Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben? – Im Gebrauch lebt es.

So ist es. Deshalb ändert sich Sprache ständig und wenn nur genug Sprecher – aus guten Gründen – den Genitiv ignorieren oder das Prädikat im Nebensatz vorziehen, dann steht das irgendwann so im Duden. Und neue Wörter werden täglich erfunden und praktiziert. Nur: Häuser werden gebaut und bleiben lange Zeit so stehen. Umbaumaßnahmen sind meist nur auf Details beschränkt. Der miese Grundriss bleibt der miese Grundriss. Wie die neuer Häuser aussehen, sollte nicht die Geschichte entscheiden, sondern die Bedürfnisse der Gegenwart.

Architektur braucht den Kontext, und es hat den Kontext ganz selbstverständlich. Die üble Annahme des autonomen Architekten überschätzt diesen und überhaupt den Menschen vollständig und ruft nach dem Genie, um nicht zu sagen: nach dem Führer. Autonome Kunst ist das eine (was auch immer), autonome Architektur ist im günstigsten Fall bullshit, im ungünstigsten gefährlich.

Die kapitalistische Entfremdung soll also zumindest architektonisch beendet werden, indem sich der Architekt den Ort anguckt, seinen Gehalt aufsaugt und dann das Paradies baut.

Zu einem Bau Rossis, in dem lebende(!) Menschen wohnen, kommen wir im zweiten Teil.

(Fotos: flickr und genova 2013)

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