Dirk von Lowtzow und Jan Müller von Tocotronic zum Begriff der S0lidarität und was Hippies damit zu tun haben:
JM: Solidarität ist doch ein Begriff, den die Hippies gerade nicht benutzt haben. Deshalb sollte man die auch nach wie vor diskreditieren. Meiner Meinung nach waren die Hippies der Beginn des ganzen neoliberalen Murkses, in dem wir jetzt sitzen. Da wurde eben keine Solidarität geübt, weil jeder auf seinem eigenen Selbstfindungstrip war.
DvL: Man konnte das ganz spannend sehen bei The Whole Earth, einer Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt. Da ging es um Hippies und die Gegenkulturszene in Kalifornien. Das war mal wirklich Underground, und dann hat es sich nach und nach in Silicon Valley verwandelt. Von einem New-Age-Selbstverwirklichungstrip, also von einer politischen Sache, ging das über in eine Ideologie der Selbstverwirklichung. Bis hin zum neoliberalen Super-GAU.
Gelesen in der aktuellen Spex. Selbstverwirklichung, Individualität und so weiter wurden sofort kapitalistisch zugerichtet, die Verlockung war zu groß. Das Silicon-Valley-Ding ist in seiner Totalität vermutlich noch gar nicht erfasst. Junge und sicher sympathische Leute, die sich auf neue Art die Welt zum Untertan machen. Der Super-GAU steht uns noch bevor. Es ist auch eine angenehme Distanzierung der Ex-Trainingsjackenträger von den Hippies, will sagen: von den Leuten, die qua Äußerem Legitimation wollen. Wer sich scheiße kleidet, ist nicht zwangsläufig glaubwürdig. (Ich bin mir leider sicher, dass das unverständlich ist.)
Und immer schön per du.
Schönes neues Album übrigens. Zwar nur Pop, aber das soll man nicht gleich in die Ecke kicken. Der wesentliche Aspekt einer 25 Jahre alten Band ist die Fähigkeit zur Entwicklung. Gibt es keine, ist es Günter Ücker und die Stones. Tocotronic schafft es immer wieder, dem bekannten Sound Neues hinzuzufügen, und gegen Ohrwürmer hat man nichts, wenn es Pop ist. Sie sind dessen Essenz. Auch nichts gegen Keyboard-Geigen. Lowtzow und seine Attitüde, sich durchs Haar zu fahren, jenseits aller Härte, pro Verletzlichkeit, Unschlüssigkeit, Zerfahrenheit, sehr angenehm. Überhaupt stellt sich immer wieder heraus, dass das Zögerliche, das „im Zweifel für den Zweifel“ das Wesentliche der Gruppe ist. Allerdings: Man kann es sich erlauben.
Zweifel werden möglich, wenn man privilegiert ist.
Alle Rezensionen des neuen Albums sind positiv. Selbst in der Rheinischen Post. Was sagt uns das? Biedert sich die Idiotie der Band an? Oder die Band der Idiotie? Irgendwas ist unvereinbar.
Ein wenig peinlich ist jedenfalls das Video zu dem Erwachsenenlied. Könnte in Teilen von Max Herre stammen.
Die (vormals Hamburger) Band sollte sich zu schade sein, die üblichen Berlin-Klischees zu reproduzieren: Wir sitzen auf dem Traufhöhen-Altbaudach und gucken auf die Admiralbrücke, wir fahren U2, natürlich Rosenthaler Platz, dann die U-Bahn auf Stelzen. Wären die jungen Leute in Ludwigshafen oder Duisburg unterwegs: Es hätte gut werden können. In Zeiten ihrer Privilegiertheit das abgeschmackte Berlin zu instrumentalisieren, meine Fresse.
Rick McPhail wird jedenfalls immer attraktiver.
Dieses pseudolässige Käsefuß-Genöle – nicht auszuhalten. Da möchte jemand vom Max Herre Verein Ian Curtis sein, das haut nicht hin.
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Ja, kann auch sein. Man sollte Pop generell nicht so Ernst nehmen und deutschen schon gleich gar nicht. Es gibt ein „Durch die Nacht“ mit Lowtzow und Pollesch, da zeigen beide, dass sie nicht viel drauf haben. Aber die Geste stimmt, der Stil, und das reicht ja beim Pop.
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