Vom Unterschied zwischen 2,11 und 1,99

Aus einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (Druckausgabe, 1. Mai, S. 10) über das eingestürzte „Texil-Hochhaus“ in Bangladesh mit mehr als 390 Toten und 1.000 Verletzten:

38 Euro im Monat verdient dort eine Näherin im Schnitt. Dabei könnten die Auftraggeber aus dem Ausland leicht mehr bezahlen, sagt Dietrich [Verdi-Gewerkschaftssekretärin, g.]: „Würde man jeder Näherin 50 Euro mehr im Monat zahlen, würde das zum Beispiel bedeuten, dass ein T-Shirt zwölf Cent mehr kostet“. 2,11 statt 1,99 Euro.

Vor einigen Jahren lief auf arte eine Reportage zur Kaffeeproduktion mit ähnlichen Zahlen. Der mittelamerikanische Kaffeebauer könnte seinen Lohn verdoppeln, wenn die Tasse Kaffee in einem Straßencafé ein paar Cent teurer wäre.

Ist sie aber nicht. Das zeigt schön die Logik des Systems. Es wird genau das bezahlt, was man bezahlen muss, um das Produkt zu bekommen und es mit Mehrwert weiterverkaufen zu können. Warum soll das T-Shirt im Laden 2,11 Euro kosten, wenn es für 1,99 Euro inklusive Mehrwert anbietbar ist? Da der Markt in der Theorie alles regelt, regelt er offenbar auch in diesem Fall. Und er tut es ja, zweifelsohne. Vielleicht sollte man statt „Markt“ „Macht“ sagen.

Konkreter Ausfluss dieses Denkens ist auch die Freihandelsideologie, die den Kapitalismus notwendigerweise begleitet, gerade wieder mit Indien. Ein paar europäische Einzelhandelskonzerne sehen dadurch zusätzliche Gewinne, Millionen indischer Einzelhändler sehen ins Leere.

Umgekehrt ist die Freihandelsideologie nützlich, um Opposition ruhig zu halten: Wenn der Chinese, der Inder oder die Bangladesherin fleißiger sind als wir, müssen wir halt den Gürtel enger schnallen.

Das Illustrationsfoto leihe ich mir dieses Mal von bersarin aus: Bitte hier klicken.

 

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18 Antworten zu Vom Unterschied zwischen 2,11 und 1,99

  1. landbewohner schreibt:

    natürlich ist das absoluter schwachsinn, den die verdi-dame da verkündet.
    denn selbstverständlich erhält die indische näherin keinen cent mehr, wenn sie statt kik-shirt eines für adidas oder cardin näht, obwohl die teile dann das zigfache einbringen. da steigert sich lediglich der gewinn anderer, nicht das einkommen indischer näherinnen. und dank foxxcon – apple skandal, der ja nun sogar von der qualitätsjournaille wahrgenommen wurde, sollte sogar eine gewerkschaftssekretärin so etwas wissen.

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  2. genova68 schreibt:

    Absoluter Schwachsinn, natürlich. Immer wieder schön zu sehen, wie die Alleschecker meinen, die Welt zu verstehen, nur weil sie am profitablen Ende der Kette stehen.

    Der Preiszuschlag für das T-Shirt KÖNNTE durchgereicht werden, das ist jedem Grundschüler verständlich zu machen. Dass das nicht geschieht, zeigt nur, dass das kapitalistische System selbst vor dem Verstand oder auch dem Gerechtigkeitsempfinden eines Grundschülers kapituliert, solang die Mehrwertproduktion es nicht erfordert.

    Wer darauf aufmerksam macht, macht sich bei Leuten wie dem landbewohner des absoluten Schwachsinns verdächtig.

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  3. Tony Mach schreibt:

    Dann müsste man aber den Menschen die hier am Existenzminimum leben auch mehr Geld geben. Wenn aber die Näherin in Bangladesh mehr Geld für ihre Arbeit bekommt, und der prekär lebende Mensch hier eine vernünftig bezahlte (und vernünftige!) Arbeit hier hätte, und vielleicht noch all die anderen Menschen in der Welt für ihre Arbeit vernünftig entlohnt würden, dann würde ja der Druck auf diejenigen wegfallen, die noch (halbwegs) vernünftig bezahlte Arbeit haben.

    Und wenn die Löhne überall steigen, dann sinken überall die Profite, dann können die Reicher nicht noch reicher werden…

    Und so produziert Armut noch mehr Armut bei den einen, und noch mehr Reichtum bei den anderen.

    Wer also Armut abschaffen will, der muss den gegen die Profite vorgehen, der muss den Reichtum der wenigen abschaffen wollen – und nicht einfach bitten das wir 12 Cent mehr fürs T-Shirt ausgeben. Wer diesen Schritt nicht geht und die Profit-Rate des Kapitals als das Problem benennt, der hat schon verloren. Sonst verlaufen sich sowas in moralisch-gefülsduseligen „Jeder kann was tun“ Appelle die vielleicht noch als individual-verantwortlicher Luxus von ein paar wenigen umgesetzt werden – das Gewissen mit dem Gelbbeutel beruhigen, sozusagen – weil eben nicht jeder sich Waren leisten kann die zu vernünftigen Bedingungen hergestellt wurden.

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  4. genova68 schreibt:

    Tony,
    ja, es müsste viel passieren. An einem solchen Beispiel finde ich aber interessant, dass es aufzeigt, wie einfach es wäre, wenn der Wille da wäre. Und der prekäre Arbeiter in Bangla Desh ist wohl immer noch ein ziemliches Stück entfernt vom prekären Arbeiter hierzulande.

    Ich kann dein Anliegen verstehen, finde es aber kontraproduktiv, wenn man einwirft, dass das Beispiel nichts taugt, wenn es nicht auf der ganzen Welt, am besten noch auf einmal, umgesetzt wird.

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  5. genova68 schreibt:

    P.S: Das kommt mir so ähnlich vor wie die Argumenation von Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, der sich am Dienstag über die rot-grünen Steuervorschläge mokierte mit dem Hinweis:

    „Oder glaubt jemand, die Welt werde gerechter durch ein paar Änderungen in der Splittingtabelle?“ (S. 11)

    Ein typischer, wenn auch billiger Trick. Zum einen fordert rot-grün nicht nur ein paar Änderungen in der Splittingtabelle, zum anderen geht es rot-grün nicht um „die Welt“. Es ist die vermeintlich gutmeinende Haltung, doch auch an die Armen sonstwo zu denken, in Wirklichkeit aber jede realistische Änderung der Verhältnisse zu torpedieren.

    Tony March kommt sozusagen von der anderen Seite, aber mit einem ähnlichen Effekt. Das System ist kompliziert, und Verweise auf System sind theoretisch sinnvoll, in der Praxis aber ohne Auswirkungen.

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  6. Jakobiner schreibt:

    Die Kritik an Billiglöhnen und Ausbeutung ist nicht neu.In den 50er und 60er Jahren gab es auch Kampagnen gegen derartige Zustände in Japan, Taiwan, Singapur und Südkorea.Zur damaligen Zeit waren die Löhne auch sehr gering und schliefen die Arbeiter oft gleich neben den Maschinen auf Strohmatten. Dennoch hat die Globaliserung dafür gesorgt, dass diese Zustände schon innerhalb eines Jahrzehnts beseitigt waren und sich eine gut bezahlte Arbeiterschaft herausbildete. Und sehen wir einmal: Selbst in China wurden aufgrund der Foxconn-Proteste die Löhne um 40% erhöht.Die Frage aber ist, ob der Sozialstaat eine Reaktion der kapitalistischen Kreise auf die damalige Existenz des Kommunismus war, die jetzt abgebaut wird, da es ja keine kommunistische Bedrohung mehr gibt. Die Frage ist aber, was man dagegen machen soll.Sozialstandards gekoppelt mit Importzöllen/sanktionen, Konsumerboykott oder setzt man auf die internationale Klassensolidarität, z.B. auf den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften.Aber fraglich ist, ob diese Solidarität überhaupt existiert, da die Gewerkschaften ja durchaus ihrem jeweiligen nationalen Standortnationalismus fröhnen.

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  7. Jakobiner schreibt:

    Wobei ich Genovas Beispiel von 1.99 und 2,11 Euro ganz gut finde. Das macht es konkret und dürfte selbst Hartzler nicht überfordern, was ihre Kuafkraft angeht.

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  8. landbewohner schreibt:

    Der Preiszuschlag für das T-Shirt KÖNNTE durchgereicht werden,

    das KÖNNTE ist das entscheidende. und dazu müsste eben der kapitalismus abgeschafft werden. unter dem geht es nun mal nicht. so einfach ist das!!!

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  9. Jakobiner schreibt:

    Zu Landbewohner:
    Dieser Logik nach müsste der Kapitalismus abgeschafft werden, um Lohnerhöhungen zu erreichen. Kämpfe um Reformen, zumal erflogreich, gab es aber seit Anbeginn der Arbeiterbewegung, ohne dass der Kapitalismus abgeschafft wurde. Das sind doch ultralinksradfikale Thesen, die Lenin schon in seinem Buch „Die Kinderkrankheiten des Kommunismus“ parodistisch auseinandernahm und heftig kritisierte. Selbst Kommunisten wie Lenin meinten, dass die Kommunisten in der Praxis die entschiedensten Kämpfer für Reformkämpfe sein sollen, sei es jetzt um Löhne oder Arbeitsbedingungen. Nur die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern und zu sagen: Drunter geht´s nicht, ist Defäitsismus und soll wohl dahingehend orientieren, dass man Klassenkämpfe erst gar nicht mehr führt mit dieser „Alles oder Nichts“-Parole.

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  10. genova68 schreibt:

    Vor allem in seinem letzten Posting kann ich mich dem Jakobiner einmal vollumfänglich anschließen.

    „Selbst Kommunisten wie Lenin meinten, dass die Kommunisten in der Praxis die entschiedensten Kämpfer für Reformkämpfe sein sollen, sei es jetzt um Löhne oder Arbeitsbedingungen.“

    Hat er das gesagt? Das würde das Verhalten von Wagenknecht erklären. Die Leute da abholen, wo sie stehen.

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  11. Jakobiner schreibt:

    Als Lesetip wirklich zu empfehelen:Lenin: „Die Kinderkrankheiten des Kommunismus“ und „Was tun?“–hier werden die damals schon existententen sozialdemokratischen, anarchistischen und ultralinken Tendenzen und Vorstellungen, die heute auch immer wieder aktuell auftauchen, in ihrer Gesamtheit abgewatscht.Leseaufwand relativ gering, da es sich um 60-80 seitige Broschüren handelt, die nicht vergleichbar sind mit 3 fetten Bänden „Das Kapital“oder so.

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  12. Jakobiner schreibt:

    Die Tatsache ist, dass diese Globalisierung einen Riesenreichtum schafft–es liegt an den Klassenkämpfen, diesen neu zu verteilen.Zu sagen: Kapitalismus weg und drunter geht nichts, wäre zu sagen: Wir führen diese Klassenkämpfe gar nicht mehr und verzichten auf Neuverteilungen.Hätten die Foxconn-Arbeiter i China sagen sollen: Erst muss der Kapitalismus weg, damit wir 40% Lohnsteigerungen bekommen und darauf verzichten wir? Dürfen die Arbeiter von Bangladesch nicht bessere Lohnbedingungen und Arbeitsbedingungen auf ihren Demos einfordern, weil damit nicht gleich der Kapitalismus abgeschafft wird?
    Es geht darum wie Genova es sagte: Die Leute da abholen, wo sie sind.

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  13. garfield080 schreibt:

    ich muß landbewohners erstem Kommentar zustimmen. Ich hab das auch nicht als Argument gegen eine Preiserhöhung, sondern einfach als Beschreibung der Realität verstanden.
    Bestes Beispiel sind da doch die Apple-Produkte – wo von „Geiz ist Geil“-Mentalität in irgendeiner Form ja wirklich nicht die Rede sein kann. Am Anfang der Produktionskette kommt da trotzdem nicht mehr als bei den oben genannten Näherinnen an.

    Was natürlich nicht heißt, daß es nicht anders laufen könnte; MMN muß man dafür auch nicht gleich den kompletten Kapitalismus umschmeissen…
    ohne Zwang/ Druck auf Anbieter & Hersteller seh ich aber trotzdem schwarz, daß bei den NäherInnen auch nur irgendwas ankommt, und das liegt nicht zuletzt auch an den (Sub)Unternehmern vor Ort.
    Wäre das aber garantiert und man würde Bewußtsein schaffen, könnte die Sache MMN sogar Potential haben.

    …ansonsten hat’s aber schon ne gewisse Ironie, wenn man sich ansieht wie sich eine ver.di-Funktionärin hier für Arbeiter in Bangladesh „einsetzt“ (wo sie weiß, daß sie kaum in die Verlegenheit kommen wird, ihren Worten mal Taten folgen lassen zu müssen) – und das mit der Bilanz für die eigenen Mitglieder vergleicht…
    gerade aktuell hätte ver.di viel bessere Chancen sich zu beweisen, als über Begebenheiten außerhalb des eigenen Einflußbereichs zu philosophieren.

    nebenbei spielen Lohn-, Produktions-, etc-Kosten für den Preis aber sowieso eine eher untergeordnete Rolle, natürlich nicht bei Discountern, aber gerade bei Produkten wie dem neuen DVD-Player, Flachbild-TV, oder eben Smartphone.
    Gewöhnlich lassen Forschungsinstitute repräsentative Probanden „blind“ (in Unkenntnis der Realkosten) den Wert einschätzen, und ermitteln so den höchstmöglichen Preis; Stichwort „target costing“.
    Das führt natürlich nicht dazu, daß Produkte unter Produktionskosten verkauft werden – umgekehrt läßt sich aber keiner von 500%igen Gewinnspannen abhalten, die erst runtergehn wenn’s doch nicht so läuft.
    Soviel zur Macht des Verbrauchers…

    im Übrigen geb ich Genova und Jakobiner Recht, von diesen „Alles oder Nichts“-Taktiken halte ich auch nicht viel, denn mit der Überwindung des Kapitalismus ist das so ne Sache… sollte der nicht schon vor 30 Jahren untergegangen sein? dieses Denken findet man aber überall & immer wieder, unter dem selben Motto wird von Vielen ja auch „strategischer Konsum“ z.B. für sinnlos erklärt.

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  14. Jakobiner schreibt:

    Als Unternehmerverband würde ich sogar eine ultralinke Kommunistische Partei fördern, die fordert: Wir tun nix, wenn es nicht unmittelbar zur Revolution führt.Damit lassen sich dann Arbeits- und Klassenkämpfe wunderschön, wirksam und effektiv unterbinden.SOLCHE Kommunisten braucht das Kapital!

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  15. genova68 schreibt:

    „Ich hab das auch nicht als Argument gegen eine Preiserhöhung, sondern einfach als Beschreibung der Realität verstanden.“

    Ja, die Realität kennen wir, darum ging es aber nicht.

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  16. garfield080 schreibt:

    Jakobiner

    als ob man da noch groß was fördern müsste…
    was Selbstzerfleischung betrifft, macht der Linken doch keiner was vor. Was (meiner persönlichen Erfahrung nach) nicht zuletzt auch daran liegt, daß sich in dieser Szene ziemlich viel Eitelkeit versammelt hat. Egomanen, die unbedingt die „Radikalsten“ sein wollen, im Grunde aber nur Selbstdarsteller sind. Und da die Lautesten meist auch die größte Aufmerksamkeit bekommen…

    – Wählen = Unterstützung des Systems
    – strategischer Konsum = es gibt kein richtiges Leben im Falschen
    – Petitionen = binden nur Zeit, Energie & Kräfte, und hält die Leute von wirklich Sinnvollem ab (zuletzt sogar laut Fefe… ich frag mich nur, was dieses „wirklich Sinnvolle“ dann ist – den Bundestag zu stürmen?)
    – etc etc…

    sollte es allem Erwarten zum Trotz doch mal kritisch werden, lassen sich immer noch Frauen vs Männer, Wessis vs Ossis, oder Jung vs Alt ausspielen… Teilen & Herrschen, schon ein geniales Konzept

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  17. El_Mocho schreibt:

    Wirklich ein Skandal, dass die Regierung von Bangladesh solche Zustände in ihrem Land zulässt.

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  18. genova68 schreibt:

    „sollte es allem Erwarten zum Trotz doch mal kritisch werden, lassen sich immer noch Frauen vs Männer, Wessis vs Ossis, oder Jung vs Alt ausspielen“

    Eine beliebte Strategie, wird seit Jahren ja immer wieder in unterschiedlicher Form angewendet, so wie hier:

    Ein smarter Grüner und sein Einsatz für die „Rechte zukünftiger Generationen“

    Das klappt immer. Die angesprochenen Gruppen steigen da sofort ein.

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