Von 14 auf 70

Ein ganz interessantes Interview in der Zeit mit dem Elitenforscher Michael Hartmann. Nichts wirklich Neues, aber gut, hin und wieder daran erinnert zu werden.

Die deutsche Elite habe sich demnach

in den letzten zwei, drei Jahrzehnten weiter von der Masse entfernt.

ZEIT: Woran liegt das?

Hartmann: Es gibt unterschiedliche Faktoren: Einer ist der Immobilienmarkt. Die Preise sind so stark gestiegen, dass die Menschen heute viel getrennter leben. Vor allem hängt die Entwicklung mit den Einkommen und Vermögen zusammen, die sich zunehmend unterscheiden. Ein Vorstandsmitglied eines Dax-Konzerns verdiente bis Mitte der 1990er-Jahre im Schnitt das 14-Fache dessen, was ein Beschäftigter desselben Unternehmens verdiente. Heute ist es, je nach Studie, das 50- oder sogar 70-Fache […].

Bis Mitte der 60er-Jahre stammte ein Drittel der Minister aus dem Bürgertum – also den oberen drei bis fünf Prozent der Bevölkerung. Das galt mit Schwankungen bis Ende der 1990er-Jahre. Dann gab es einen radikalen Wechsel. Zwischen 1999 und 2009 kehrte es sich um: Der Anteil der Bürgerkinder in der Regierung erhöhte sich auf zwei Drittel. Einen Arbeiterhintergrund haben heute nur zwei im Kabinett: Peter Altmaier und Horst Seehofer […]

Von 14 auf 70. Solche Zahlenverhältnisse sagen viel aus. Wobei ich nicht die 90er Jahre verklären will. Aber immerhin erkennt man mit einem solchen Vergleich, wie scheiße die herrschende Klasse ist, die sich naturgemäß gern als Verbündete anbiedert. Es hängt also alles mit allem zusammen. Zuerst brauchte man ein rot-grünes Bündnis auf Bundesebene, um rechte, neoliberale Politik voranzutreiben. Das Ergebnis ist die erwähnte Kluft bei den Einkommen und auch die ungerechtere Steuerlastenverteilung:

ZEIT: In Ihrem Buch werfen Sie den Politikern vor, Politik vor allem für die Bessergestellten zu machen. Haben Sie da ein Beispiel?

Hartmann: Ja, für die Reichen ist die Steuerbelastung seit Beginn des letzten Jahrzehnts gesenkt worden. Für das oberste Prozent liegt sie, verglichen mit 1998, heute um fünf Prozent niedriger, für das untere Zehntel dagegen um gut fünf Prozent höher. Auch von der weitgehenden Abschaffung der Erbschaftsteuer für Familienunternehmen profitieren vor allem die Reichen.

Dann kommen die Faschisten ins Spiel:

ZEIT: Den Vorwurf der „abgehobenen Elite“ hört man häufig von Rechtspopulisten. Haben die also recht?

Hartmann: Es stimmt, die rechtspopulistischen Parteien betreiben ein regelrechtes Elitenbashing. Der Front National spricht von „der arroganten Pariser Elite“, Donald Trump vom „Establishment“, wieder andere von der „politischen Kaste“. Allerdings machen die Populisten es sich zunutze, dass der Begriff unscharf verwendet wird. Sie bezeichnen einfach alle als „Elite“, die gegen sie antreten. Bei vielen Menschen, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen, kommt das gut an.

Die Elitenkritik von rechts ist natürlich objektiver Blödsinn. Aber er funktioniert.

Ein Vorschlag zur Verbesserung der Lage macht Hartmann auch, wobei man frommen Mutes sein muss, um an dessen Realisierung zu glauben:

Parteien wie die SPD müssen sich wieder öffnen, auch in ihren Top-Positionen. Ein Beispiel, bei dem das geklappt hat, ist die Labour-Partei in England. Die hat ihre gesamte Führungsriege ausgetauscht. Nur fünf von 25 Mitgliedern im Schattenkabinett stammen aus dem Bürgertum, jeder Zweite aus einer Arbeiterfamilie. Bei vielen kam das gut an. Auch weil es ein Zeichen setzte: Wir wollen Politik für die Masse machen, nicht nur für die Elite.

Auch die aktuelle Mietenstuation in vielen Städten ist das Ergebnis neoliberaler Politik: Zuerst lässt man sich die Oberschicht dumm und dämlich verdienen und dann müssen die natürlich irgendwohin mit ihrem Geld. Zum Beispiel eine Drittwohnung in Berlin kaufen, um sich noch dümmer und noch dämmlicher zu verdienen. Hartmann beschreibt oben die gestiegen Immobilienpreise, die zuerst Ergebnis neoliberaler Politik sind und dann zur weiteren Elitenabgehobenheit führen. Ein schickes System.

Oder dieser Wahnsinn hier, den die taz berichtet:

Die dänische Pensionskasse PFA kauft sich im großen Stil im deutschen Immobilienmarkt ein. Laut einem Bericht des ­Handelsblatts übernimmt PFA ein Portfolio von 3.700 Woh­nungen an 15 Standorten in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Mieteinnahmen wird in München und Berlin erzielt. Weitere Bestände befinden sich in Düsseldorf sowie in Hamburg, Stuttgart und im Rheinland. Die Pensionskasse zahlt dafür insgesamt über 1 Milliarde Euro. Das ist bisher das größte Wohnimmobilieninvestment in Deutschland in diesem Jahr.

Verkäufer ist die Industria Wohnen. Die PFA setzt nun vor allem auf Mietsteigerungen durch Neuvermietungen, wenn Altmieter ausziehen: Bei Neumietverträgen liegt in München der Preis bei inzwischen 18 Euro pro Quadratmeter, bei Altverträgen bei 10.

Der Kauf beweist die ungebremste Attraktivität des Immobilienstandortes Deutschland auch für internationale Anleger.

Das Übliche, wobei hier ein Wahnsinn besonderer Güte ins Auge sticht: Es geht hier um eine „Pensionskasse“ (wobei das wohl der falsche Begriff ist – richtigerweise müsste man von einem privaten Rentenversicherungsfonds sprechen). Sie soll das Vermögen ihrer Mitglieder erhöhen, ihnen eine bessere Rente bieten. Dazu kaufen sie Wohnungen auf und erhöhen die Preise. Es geht hier als lediglich um kapitalistische Ausbeutung, nicht um Wertschöpfung. Bekanntlich ist die einzig funktionierende Altersvorsorge die gesetzliche Rentenversicherung, alles andere basiert auf dem Prinzip, anderen etwas wegzunehmen. Blöd wäre es, wenn ein Däne nach Berlin oder München in eine der gekauften Wohnungen zieht: Dann muss er mehr Miete zahlen, also das, was er mehr bekommt, direkt wieder abführen. Man sieht hier die Sinnlosigkeit des Versuchs, Geld ohne Wertschöpfung zu verdienen. Bezahlen tut ein anderer.

Dieses Prinzip der legalisierten Ausbeutung haben seinerzeit Schröder und Maschmeier in einem Partykeller ausgeheckt.

So oder so: Das kapitalistische Prinzip der Vermögensbildung funktioniert entweder über reale Wertschöpfung – oder über Ausbeutung. Reale Wertschöpfung lohnt sich immer weniger, dank der rotgrünen Politik, Ausbeutung dagegen immer mehr.

All das ist Strategie der Elite und Teil der Elitenbildung.

Da sämtliche Parteien weder Willens noch in der Lage sind, die Probleme zu entschärfen, fällt notwendigerweise der Blick auf außerparlamentarische Aktivität. Von Parteien haben wir vermutlich nichts mehr zu erwarten. Sie haben ihre Unfähigkeit wie auch ihre Formen legaler Korruption ausgiebig unter Beweis gestellt. Wobei leider das revolutionäre Subjekt fehlt. Die Arbeiterklasse ist existent wie eh und je, nur erkennt sie sich selbst nicht. Aber vielleicht hat Marx uns mit dieser merkwürdigen Arbeiterklasse nur einen Floh ins Ohr gesetzt.

Das Problem ist wohl, dass es im Kapitalismus kein Außen mehr gibt, nicht mal mehr die Vorstellung davon. Die im vorherigen Artikel thematisierten Wohnmobilfahrer der 1960er und 1970er Jahre, die nach Afghanistan und Indien unterwegs waren, konnten tatsächlich noch per Auto in nicht kapitalisierte, in andere Gegenden vorstoßen. Heute müssten sie in die IS-Rifugien in Syrien oder ähnliche Brutstätten in Afrika reisen. Dazwischen gibt es nichts. Es gibt viele Reiseblogs im Netz. Meistens geht es nur darum, per Selfie zu zeigen, dass man da war. Keinerlei individuelle Erkenntnis vom bereisten Ort. Es gibt kein Außen, das bedeutet, man geht gar nicht davon aus, dass es irgendwie anders sein könnte. Außer das Wetter. Und das kriegen wir auch noch in den Griff.

 

(Fotos: genova 2018)

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8 Antworten zu Von 14 auf 70

  1. hANNES wURST schreibt:

    Sehr geehrte/r Genova,

    mir großem Interesse habe ich Ihren Artikel über die deutschen Eliten gelesen. Ihren Missmut diesbezüglich kann ich jedoch überhaupt nicht nachvollziehen, denn eins ist klar: wer sich in Deutschland anstrengt, der bringt es auch zu etwas.

    Herzliche Grüße, Ihr
    Carsten M. Arschmeyer

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  2. Jakobiner schreibt:

    Jeder ist seines Glückes Schmied–schade nur, dass der Beruf des Schmieds inzwischen fast ausgestorben ist.

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  3. schlingsite schreibt:

    Man könnte fast von einer Bereicherungsmentalität sprechen, der sich zu unterwerfen allemal lohnt; wenigstens da herrscht eine gewisse Einigkeit.

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  4. Jakobiner schreibt:

    Teil des Prozesses der Elitenbildung ist ja auch, dass in vielen Ländern inzwischen Oligachen gleich selbst in höchste politische Ämter drängen und auch noch gewählt werden–von Trump, Stronach bis Porotschenko.Mit der Rolle als Parteispender und Lobbyist im Hintergrund gibt man sich nicht mehr zufrieden, man drängt inzwischen an die große Öffentlichkeitund direkt in politische Ämter. Witzig auch, dass diese Milliardäre sich dann auch noch ala 68 Slogan als „Antiestablishment“begreifen und von Minderbemittelten und Unterschichten begeistert gewählt werden.Ob es sinnvoll ist, mehr Arbeiterkinder in Parteien und Eliteämter zu lotsen, ist auch fraglich. Bezüglich Revolutions- und Veränderungsbereitschaft zeichnet die durch Marx als revolutionäres Subjekt gepriesene Arbieterklasse ja eher dann Verbürgerlichungstendenzen und Neureichenprotzgehabe aus. Am schlimmsten sind dann solche Arbeiterkinder mit zweiten Bildungsweg wie Gazprom/Agenadaschröder.

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  5. genova68 schreibt:

    Sehr geehrter Herr Arschmeyer,
    vielen Dank für Ihren Beitrag. Sie haben völlig recht, ich möchte jedoch leistungslos zur Elite gelangen. Sie können mir sicher verraten, wie das geht.
    MFG

    Elitenbildung ist in einer Gesellschaft vermutlich normal, man organisiert sich, weitet sich aus, bereichert sich etc. Die Strukturen schaffen sich fast automatisch. Der Wert einer staatlichen Struktur müsste sich daran bemessen, ob und wie deutlich sie bei solchen Entwicklungen gegensteuern kann.

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  6. hANNES wURST schreibt:

    Liebe/r Genova,

    ohne Leistung gelangt man nicht zur Elite, wer zur Elite gehört ohne Leistung zu erbringen der war immer schon Teil der Elite.

    Herzlichst
    CM Arschmeyer

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  7. besucher schreibt:

    Leistung muss sich wieder lohnen!
    Gez. Dr. hc. Christian Lindwurm

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  8. genova68 schreibt:

    Oh, der besucher lebt auch noch.

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