Kapitalismus und Naturverhältnis, Folge 547

Die Berliner Grünen-Politikerin Canan Bayram will Hans-Christian Ströbele beerben und in Kreuzberg ein Direktmandat für den Bundestag erringen. Zum Thema Wohnen hat sie ganz gute Ansätze. Im Interview mit dem Tagesspiegel  sagt sie:

Auch in der Mietenpolitik brauchen wir auf Bundesebene bessere Gesetze, damit Mieter besser geschützt werden. Wir brauchen Veränderungen im Baugesetzbuch und ich will zum Schutz von Mietern auch enteignen können, insbesondere bei Spekulanten. Wenn es um den Bau von Autobahnen geht, enteignen wir ja auch.

Schön, dass sie das Wort „enteignen“ in den Mund nimmt. Sie müsste hinzufügen, dass die Entschädigung nur in minimaler Höhe erfolgen sollte.

So bemerkenswert wie bezeichnend ist die sich anschließende Frage des Tagesspiegel-Redakteurs:

Friedrichshain-Kreuzberg ist durch den Mauerfall zum Herzen der Stadt geworden. Muss man es da nicht akzeptieren, dass die Mieten langfristig steigen?

Leider stellt Frau Bayram nicht die notwendige Gegenfrage, wie man auf einen solch absurden Gedanken kommt. Man muss in Berlin akzeptieren, dass der Sommer verregnet ist, aber sicher nicht, dass man „im Herzen“ mehr Miete zahlen muss. Das hängt einzig mit den bekannten ausbeuterischen Strukturen eines perversen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zusammen.

Diese Gegenfrage wäre ein erster Schritt zu ernsthafter Aufklärung gewesen. Die Absurditäten, die die Gegenseite als Naturverhältnisse hinstellt, nicht nur zu hinterfragen, sondern deren absurde Logik aufzudecken. Nicht diejenige, die das Selbstverständliche, nämlich günstige Mieten, erreichen will, sollte sich erklären müssen, sondern derjenige, der die Absurdität zum Naturzustand erklären will.

Der Kapitalismus im fortgeschrittenen Stadium hat etwas von religiösem Fanatismus. Während diese einen Gott behaupten, dem man sich unterwerfen müsse und es anders überhaupt nicht gehe, behaupten jene das gleiche, nur heißt der Gott Kapital. Fantasmen akzeptieren, um die Nacktheit des Kaisers nicht zu sehen.

Die Umkehrung der Verhältnisse beginnt im Hinterfragen. Je selbstverständlicher die Herrschenden agieren, desto notwendiger. Ob der Führer nun Gott oder Kapital heißt, ist Nebensache.

Dieser Beitrag wurde unter Berlin, Gentrifizierung, Gesellschaft, Kapitalismus, Linke, Neoliberalismus, Politik abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..