Eindimensionale Betrachtung des Satzes „´Ne Tasse Kaffee, bitte“

Jenseits aller Statistiken ist es die konkrete Anschauung, die Erkenntnis ermöglicht. Zumindest, wenn man sie zulässt.

Ich sitze im ICE, es erscheint ein Mensch im Mittelgang, der einen schmalen Wagen vor sich herschiebt und fragt, ob man einen Kaffee oder ähnliches wolle. Ich wünsche mir eine Tasse Kaffee, er gibt mir einen Pappbecher mit Filterkaffee drin und sagt: „Zwei Euro achtzig“. Der Wert des Pappbechers samt Inhalt liegt bei maximal 20 Cent. Es entstehen auch keine weiteren Kosten wie Raummiete, Heizkosten, Reinigung etc., da ich das alles schon mit meiner Fahrkarte bezahlt habe. Der Mensch, das wissen wir jetzt, verdient, nachdem er den Job 20 Jahre gemacht hat, bei einer 40-Stunden-Woche 1.300 Euro netto. Man könnte nun ausrechnen, wie viel Mehrwert dieser Mensch für die 1.300 Euro erzeugt.*

Es sind solche absurde Situationen, in denen uns die kapitalistischen Verhältnisse ganz nahe kommen, die wir aber nicht mehr wahrnehmen. Und nur aufgrund der Tatsache, dass wir sowas nicht mehr wahrnehmen, kann die Hetze des Kapitals wie gerade gesehen funktionieren.

Es ist alles in Ordnung.

*Zum Gehalt liest man verschiedene Zahlen. Grundbrutto ist wohl 20.800 Euro p.a., dazu kommen Schichtzuschläge.

064(Foto: genova 2013)

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16 Antworten zu Eindimensionale Betrachtung des Satzes „´Ne Tasse Kaffee, bitte“

  1. Beatgeneration schreibt:

    Es ist alles in Ordnung, solange man nicht die Wahl hat.

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  2. Beatgeneration schreibt:

    Pardon, Korrektur: Wahl haben kann.

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  3. Beatgeneration schreibt:

    … oder wählen kann ?

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  4. genova68 schreibt:

    Ja was denn jetzt? :-)

    Aber stimmt schon, ich wollte das eigentlich noch in dem Artikel unterbringen: Kapitalismus und Marktwirtschaft verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser, entgegen aller offiziellen Beteuerungen. Je mehr Markt, desto kleiner ist die Marge. Im ICE-Abteil gibt es überhaupt keinen Markt und Konkurrenz nur in Form einer mitgebrachten Termoskanne.

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  5. Beatgeneration schreibt:

    Ah, jetzt habe ich es auch kontempliert: Tuppern ist ja wieder im Kommen, wie mir meine drei Schwestern versichern. Ich bin den Einladungen zu diesen Parties jedoch nie gefolgt, weil es allzu arg nach Kuppelung roch.

    Kumpeln statt Kuppeln – und das soll auch mal gesagt werden – jene „Mitarbeiter“ (Zeitarbeit?) der db.com also für umme, oder macht das chauffieren durch den Gang Spassss ?

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  6. Opperfield schreibt:

    Ich hoffe, Du hast locker auf 3,00 € aufgerundet, damit der arme Angestellte zumindest noch etwas Trinkgeld bekommt. Ansonsten sage ich dazu: Wer diese Abzocke unterstützt, ist selber Schuld! Überteuerte Waren einfach nicht kaufen!

    In Zukunft einfach Kaffee bei Yormas am Bahnhof für 1 € kaufen und gut :) Gehe auch nicht zu Starbucks u.ä.

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  7. Garfield schreibt:

    20 Jahre (!) und immer noch Kaffeeausgeber (vermutlich in etwa der Level „Hilfsarbeiter“) … auf dem Bau wär er zumindest Polier.
    Kein Wunder, daß es [einigen] in Deutschland so zu gut geht

    Das Problem ist MMN aber eher, daß der Trend schon lange dazu übergegangen ist, Lohn/Beförderung tatsächlich nach dem jeweils „erwirtschafteten“ auszurichten – von Privatkliniken, wo der Chefarzt zu Jahresende seinen Patienten zwecks Haushalts“ausgleich“ noch ein paar dringende OPs unterjubelt; bis zum öffentlichen Dienst, wo die Arbeitsvermittler schon im eigenen Interesse soviel Kunden wie möglich „aus der Statistik holen“

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  8. Garfield schreibt:

    ist das Mitbringen von Getränken noch erlaubt? Beatgeneration könnte aber Recht haben, evtl. wird der Fahrkartenpreis vom Lohn abgezogen. Für lau um die Welt kommen, auch noch im Prunkstück der Bahn – und obendrein noch ein kleines Taschengeld…

    seit 1-€-Jobs als soziale Wohltat verkauft werden warte ich eh nur darauf, daß man für den Luxus, einen geregelten Tagesablauf in den Hallen renommierter Großunternehmen verbringen & sich dabei mit sinnstiftenden Tätigkeiten entfalten zu dürfen, selbst aufkommen darf.

    eigtl wollt ich aber einen interessanten Link zum Thema Geld/Wohlstand/wirtschaftl. Gewinner allgemein da lassen:
    «Klick»

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  9. genova68 schreibt:

    Opperfield,
    ja, ich runde immer auf.

    Garfield,
    wenn die Bistroleute nach dem tatsächlich erwirtschafteten bezahlt würden, wären sie Millionär. Und was ist schon „tatsächlich erwirtschaftet“? Das Kapital liebt das Monopol, das ist in einem Zugbistro in seinem Element. Das Erwirtschaftete ist das per zwang aus den Fahrgästen herausgepresste, was funktioniert, weil man bei Temop 250 nicht mal schnell aussteigen kann und zur Konkurrenz gehen.

    Überhaupt ist das Boardbistro auch ein schönes Beispiel, um den kulturellen Niedergang zu erklären. Es gibt ja schon seit Jahren keine Küche mehr, nur noch eine Mikrowelle. Ich bin vor einer Weile beim Fahren während der Mittagszeit auf die Werbung hereingefallen, die per Lautsprecher durch den ganzen Zug plärrte: Ein dänischer Spitzenkoch habe exklusiv für die Bahn etwas kreiert, das könne man jetzt im Speisewagen essen. Ich bin gleich hingerannt und habe das bestellt, irgendwas geschnetzeltes. Es schmeckte total billig. Ich unterhielt mich scheinheilig mit der Kellnerin („das muss ja anstrengend sein, sowas in der kleinen Küche zu kochen“). Sie erzählte mir dann treuherzig, dass sie das nur im Wasserbad warmgemacht habe.

    Genauso schmeckte es.

    Es wird einem der letzte Müll auch noch offensiv als kulinarische Spezialität verkauft, anstatt einfach zu schweigen.

    Kapital und Monopol: Im ICE ist das Ausbeutersystem schon perfektioniert. Es zu verlassen, ist nur per Notbremse möglich. Dazu das nervtötende Gelaber, thank you for travelling.
    ————-
    Interessanter Test, den du da verlinkt hast, danke.

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  10. Opperfield schreibt:

    Meine Lieblingsdurchsage im ICE war: „Genießen Sie unsere Erbsensuppe für nur 9,90!“.

    Monopol eben.

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  11. Garfield schreibt:

    wenn die Bistroleute nach dem tatsächlich erwirtschafteten bezahlt würden, wären sie Millionär.

    die Logik nach dem Erwirtschafteten zu bezahlen, gilt ja auch für Manager – umso mehr sie für eine kleine Clique von Aktionären rausholen, desto mehr Gehalt – wo dann schonmal astronomische Summen rauskommen … auch wenn der Nutzen für die ganze Gesellschaft gleich Null oder sogar im Minusbereich ist, wenn sie z.B. zig Leute auf die Straße setzen.

    Das Problem dabei ist halt daß sich die Leistung von vielen Berufsgruppen, wie Erziehern oder Pflegepersonal, nur sehr schwer in Euros umrechnen läßt. Wenn man keine abstrakte Rechnung über 5 Ecken & 2 Generationen in die Zukunft aufmacht, erwirtschaften die bis auf den ideellen Wert vermutlich kaum was… und nichts gg die „Servicekraft“ mit dem Kaffee – aber solche Jobs halte ich nicht nur für wichtiger & verantwortungsvoller, v.A. dürften sie die Arbeiter auch einiges mehr in Anspruch nehmen.
    Teils können diese Berufsgruppen aber sogar vom Gehalt des Bistroangestellten nur träumen

    (was nicht heißen soll, daß der Bistro-Angestellte zuviel verdient … so ein Lohn nach 20 Jahren – ohne Worte)

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  12. genova68 schreibt:

    Ja, es geht eben immer um Betriebswirtschaft. Wenn du Zalando gründest, wirst du Millionär, weil du Paketfahrer für fünf Euro die Stunde beschäftigst und den Einzelhandel in den Innenstädten kaputtmachst, dafür aber keine Verantwortung trägst. Uns ist das alles in Fleisch und Blut übergegangen.

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  13. philgeland schreibt:

    Meine letzte „ICE-Erfahrung“ liegt schon ein paar Jahre zurück. Es ist mir vollkommen unverständlich, wie es kommt, dass ein so ausgezeichnetes Verkehrsmittel solch einen miesen Kaffee anbietet. Damals waren es noch 2 Euro 50, wenn ich mich recht entsinne. Schön und gut, dachte ich mir damals und habe einen bestellt. Das Zeug war nicht genießbar – Sie wissen ja, was passiert, wenn so was zu lange auf der Heizplatte schmort. Habe mich dann beschwert. Ok, der Preis wurde dann zurückerstattet, aber Sie hätten mal die Gesichter des Personals sehen sollen, als ich eine knappe Stunde später im Restaurant-Abteil auftauchte, um ein belegtes Brötchen zu erstehen.

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  14. philgeland schreibt:

    P. S. (Summa summarum)
    So ein Verkehrsmittel verdient gutes Personal mit anständiger Bezahlung. Und Subventionen vom Staat. (Anstatt das Flugbenzin künstlich zu verbilligen). Damit würde dieser Hype um die Billigfliegerei endlich einmal in seine Schranken (sic) verwiesen.

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  15. Garfield schreibt:

    Subventionen vom Staat

    statt die Aktionären zu ihrer Dividende obendrauf noch aus unserer Tasche zu subventionieren, gehört ein so elementares Unternehmen wie die Bahn eigtl komplett in unsere Hände (=Staatseigentum)

    wie schon gesagt, der Fehler war MMN, die Bahn überhaupt zu privatisieren.
    Wir leben halt nicht mehr im MA – Mobilität im Umkreis von [sagen wir] 50 km ist _kein_ „Luxus“, sondern oft genug Zwang; der eigene PKW aber alles andere als selbstverständlich, und mit der Pferdekutsche kann man auch nicht mehr so einfach umherreisen (was dafür ironischerweise Luxus ist, Pferdehaltung … )

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  16. philgeland schreibt:

    Garfield, eben drum. Wenn schon Subventionen, dann bitte zum Nutzen aller und nicht für eine Minderheit.

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