Ist Travertin böse?

Der Architekturhistoriker Heinrich Klotz schrieb 1978 in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau über das Problem des ideologisch belasteten Materials, in diesem Fall Travertin. Das habe Hitler als bevorzugtes eingesetzt.

Ich habe Travertin eher als elegantes Material aus Italienurlauben schon in meiner Kindheit abgespeichert, Nachkriegsarchitektur, nicht Mussolini. Aber natürlich hat Mussolini viel damit gebaut. Die Gebäude des römischen Stadtteils EUR, von ihm initiiert, sind hauptsächlich mit Travertin verkleidet. Nur habe ich als Nachkriegsurlauber Travertin nicht mit Mussolini in Verbindung gebracht. Es ist halt alles subjektiv. Manche Inder schauen sich ja auch gerne Hakenkreuze an, was man ihnen nicht übel nehmen sollte.

Kann Material diskreditiert sein? Nicht grundsätzlich. Wenn die AfD ihre Parteizentrale mit Travertin verkleiden würde, wüsste man natürlich, warum. Und es würde ja auch passen: Form follows function. Ansonsten wird es eher schwierig. Jahrzehntelang baute man mit viel Glas, weil das Transparenz verdeutlichen sollte – im Gegensatz zu den massiven Fassaden der Nazis, die Härte und Entindividualisierung vermittelten. Man kann allerdings in den transparentesten Glasgebäuden der Frankfurter Skyline ganz intransparente Sachen machen. Spätestens durch die Digitalisierung ist das Thema obsolet. Und ein in der Tat sehr transparenter Bürobau – die DB-Zentrale am Berliner Potsdamer Platz von Helmut Jahn, die nicht widerspiegelt, sondern tatsächlich Einblicke zulässt – führt eher zum gläsernen Mitarbeiter, bei dem selbst die Touristen auf der Straße sehen, ob er am Arbeitsplatz gerade onaniert. Seine Aktivitäten kann er sich dann abends auf youtube anschauen. Welche Daten er während des Onanierens in seinen Computer eingibt und was der Computer daraus macht, bleibt gheim.

Politik wird im digitalen Zeitalter anders gemacht.

Man kommt bei diesem Thema schnell in Teufels Küche, denn Materialfragen erweisen sich schnell als Geschmacksfragen. Architektonisch modern orientiert findet man beispielsweise polierten Granit scheußlich. Er ist die Verblendung schlechthin. Glanzlackierten Holzdielen dagegen steht man schon wohlwollender gegenüber. Liegt das daran, dass Holz der Machtrepräsentation unverdächtiger ist? Will man, wie das bei mir der Fall ist, von rein individuellen, subjektiven Geschmacksurteilen wegkommen, steht man nun in einer Sackgasse.

fade out

(Der FR-Artikel ist abgedruckt in der lesenswerten Aufsatzsammlung von Klotz: Gestaltung einer neuen Umwelt. Kritische Essays zur Architektur der Gegenwart. Luzern 1978)

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6 Antworten zu Ist Travertin böse?

  1. dame.von.welt schreibt:

    Ist Travertin als Außenverkleidung nicht schon deswegen gaga, weil voller Löcher, die man erstmal zuspachteln muß?

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  2. genova68 schreibt:

    Tut man das wirklich? Werden die Travertinfassadenlöcher zugespachtelt? Man sieht ja viele kleine Löcher und Ritzen, die nicht zugespachtelt sind.

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  3. dame.von.welt schreibt:

    Keine Ahnung, ob die Fassadenverkleidungen auch verspachtelt werden, Fensterbänke und Tischplatten werden jedenfalls. Wenn ich mich richtig an die Materialkunde erinnere, ist Travertin ein Kalkgestein, damit relativ weich, sprich: längerfristig werden die Ecken rund und am Ende bleibt bloß Sand übrig.

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  4. Hugo schreibt:

    https://traco.de/portfolio-items/travertin-thuringen/#iLightbox%5Bgallery-1%5Dlightbox-gallery-1/-1
    Die größeren Poren haben ca. 1cm Durchmesser in real.
    Wir haben nen ganzen Schwung Platten, vermutlich sogar den wie von den Bildern aus Ehringsdorf/Weimar, tw. nur „in den Dreck gelegt“ als Garageneinfahrt, das Zeug ist schon stabil und die Poren ned durchgängig, deswegen braucht mensch als Fassade da auch nix weiter zu machen.

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  5. genova68 schreibt:

    Vielen Dank, Hugo!

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  6. Hugo schreibt:

    A propo Weimar:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gauforum_Weimar
    Hab in Weimar ab 95 studiert und war seinerzeit für „street art“ – Gestaltung incl. Bearbeitung der Travertinflächen.

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