Der politischste Platz und die regressivste Architektur: that´s Germany

Der Bau des Berliner Stadtschlosses sorgt derzeit fast täglich für Meldungen aus Absurdistan. Man sollte sie sammeln. Jüngstes Ereignis: Die ersten barocken Fassadenelemente (hergestellt 2015) sind geliefert worden. Da schaute auch Bundesbauministerin Barbara Hendricks vorbei.

Die in dem Artikel der Berliner Zeitung zum Thema gelieferten Zahlen sind eindrucksvoll: Die Barockfassade soll ja komplett aus Spenden finanziert werden, das war die Bedingung, unter der diese Fassade überhaupt geplant wurde. Für die Spenden steht der mecklenburgische Adelige Wilhelm von Boddien, der mit seinem Schlossverein seit mindestens zehn, eber aber schon seit 20 Jahren sammelt. Gebraucht werden 80 Millionen Euro. Gespendet wurden bislang 18,4 Millionen Euro. Dennoch werden die Platten schon hergestellt.

Das Stein-Magazin drückt es deutlicher aus:

Die hierfür veranschlagten Kosten von 80 Millionen Euro sollen von der Bevölkerung mittels privater Spenden aufgebracht werden.

Und an anderer Stelle schreibt das Lobbyheftchen:

Das Berliner Schloss, genauer die Rekonstruktion der Fassaden, wird von der Bevölkerung finanziert.

Die Bevölkerung soll und wird. Aha. Bislang scheint die Bevölkerung nicht zu wissen, was sie soll und wird.

Was sagt Frau Hendricks zu der finanziellen Schieflage?

Die Berliner Zeitung zitiert sie:

Falls die Spenden nicht so schnell fließen, wie sie gebraucht werden, sollen die Arbeiten dennoch nicht ins Stocken geraten. Der Haushaltsausschuss des Bundestags habe „Vorsorge getroffen, dass niemand auf offenen Rechnungen sitzen bleibt.“

Das heißt im Klartext: Wenn die Spenden nicht zusammenkommen, zahlt der Bund den Betrag aus Steuern. Legale oder auch nicht legale Korruptionsversprechen. Warum man da überhaupt noch spenden soll, ist mir unklar.

Boddien scheint von der typisch deutschen Krankheit namens Größenwahn befallen zu sein, denn er sagte jetzt, er wolle sogar 105 Millionen Euro einsammeln. Statt also einmal innezuhalten und vorsichtig die 80 Millionen als ein möglicherweise zu brechendes Versprechen zu bezeichnen, schraubt er die Summe einfach nach oben. Wenn wir Stalingrad nicht kriegen, nehmen wir halt Moskau.

Einen weiteren lustigen Satz sagte der Architekt Frank Stella:

„Wir machen keine Kulisse.“

Ja, genau. Warum gibt es dieser Hampelmann nicht einfach zu? Er produziert reine Kulissenarchitektur und behauptet dann, nichts gemacht zu haben. Vor die schon stehenden Betonwände wird eine – ernsthaft – 80 Zentimeter dicke Ziegelwand gestellt, in die wiederum die Barockelemente positioniert werden. Hoffen wir, dass es in den sicher zahlreichen Hohlräumen schnell zu schimmeln anfängt. Was da gemacht wird, ist das Gegenteil von nachhaltig oder gar energetisch sinnvoll. Dieser Hinweis nur, weil gerne der politische Aspekt des Baus betont wird und der Schlossplatz angeblich der politischste Platz Deutschlands ist.

Noch ein kleines Zitat aus der Stiftung Berliner Schloss:  Mit dem Schloss

wird das Zentrum Berlins seinen Bezugspunkt wiederhaben, das Gebäude, auf das sich die umliegenden historischen Bauten maßstäblich und inhaltlich beziehen.

Inhaltlich beziehen, soso.

Es ist die Walt-Disneysierung einer regressiven Gesellschaft, die hinter Hitler und hinter alles Demokratische zurückwill. Es wird ein Spielplatz für Banalotouristen, es ist die Degradierung von allem, was Stadt sein könnte.

Es ist zeitgemäß.

Zum Abschluss ein schönes Beispiel für die Dummheit dieser historisierenden Architektur, der es nur um die Verherrlichung von Vergangenem geht. Nikolaus Bernau schreibt in der Berliner Zeitung:

Seit Jahren wird auf Kongressen in Wien, London, Paris oder New York debattiert: Warum lassen die Deutschen zu, dass dieser Museumsneubau sich nur für eine historisierende Fassade genau die Probleme schafft, auf die Museen in echten Schlössern gerne verzichten würden: Zu niedrige und zu enge Räume für Museen, zu hohe und auseinandergezogene für die Bibliotheken.

Alle Forderungen von Museumsdirektoren und Bibliothekaren, wenigstens die Geschosse sinnvoll aufzuteilen, wurden vom Architekten Stella und der Schloss-Stiftung zurückgewiesen. Zu teuer. Genauso wurde jede Veränderung der nur als brutal zu bezeichnenden Ostfassade zur Spree hin abgelehnt.

Die historisierende Fassade bestimmt die Grundrisse und macht Probleme, weil man notgedrungen im 18. Jahrhundert stecken bleibt. Man baut aus ideologischen Gründen statt auf aktuellem Niveau. Gerade die Planung von innen nach außen,von den Bedürfnissen hin zur Form, sollte eigentlich unhintergehbar geworden sein. In Berlin nicht.

Es geht ja auch nicht darum, Fehlentwicklungen des Bauwirtschaftsfunktionalismus zu korrigieren, das wird von guten Architekten laufend gemacht. Ausgerechnet den revolutionär neuen Umgang mit Raum – eine der Leistungen moderner Architektur – ignorieren die Schlossheinis zugunsten eines starren Raumsystems, analog zum vermutlich gewünschten starren Gesellschaftssystem – wir Möchtegernadelige oben, der Pöbel in Marzahn.

Der politischste Platz Deutschlands mit der regressivsten und dümmsten Architektur Deutschlands.

Danke für Ehrlichkeit.

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2 Antworten zu Der politischste Platz und die regressivste Architektur: that´s Germany

  1. besucher schreibt:

    Protzigkeit statt elegant klassizistischen Einschüben. Bäh!

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  2. Jürgen Haase schreibt:

    uuups, da fällt mir doch wieder eine dringende Bitte eines meiner früheren Dozenten ein: „Hüten Sie sich vor intellektuellem Hochmut!“

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