Neoconism

Die Junge Freiheit (ich lese sie tatsächlich wöchentlich mindestens 15 Minuten im Internet) widmete sich kürzlich dem Thema Architektur und bewies, sicher nicht ungewollt, wie sehr ästhetische Urteile politische Urteile sind und man deshalb wunderbar darüber streiten kann. Der JF-Autor Günther Zehm fordert, dass die Architekten den „klassischen Formenkanon“ „endlich voll wiedererinnern“. Zehm will den „mörderischen Stumpfsinn“ moderner Architektur stoppen und zurück ins 19. Jahrhundert. Begründung. Wenn jetzt „Barock- und Rokkokofassaden“ zurückkommen, dann geht es um nichts weniger als „die elementaresten Voraussetzungen bürgerlichen und überhaupt menschlichen Zusammenlebens“, nämlich um „ästhetischen Sinn und die Überhöhung des gemeinsamen Alltags durch ornamentale Gesten“.

Ohne Barock gibts also Mord und Totschlag. Was verstehen die eigentlich unter bürgerlich? Das ist wohl die Elite, die dem Proletariat sagt, wo es langgeht. Ein Geschwurbel: Fassaden wollen den Bürger „in eine freie Gemeinschaft einbinden, ihn stolz machen“. Stolz wird der Bürger also nur mit Risaliten und mannshohen Sockeln. Ästhetischen Sinn gibt es in der modernen Architektur offenbar nicht.

Zehm macht kein Hehl daraus, dass er von moderner Architektur nichts versteht. Außer den genannten Pauschalisierungen fällt ihm dazu nichts ein. Für seine kruden Theorien benennt er keine Zeugen, keinen Architekturtheoretiker, nichts. Stattdessen erklärt er souverän, dass Architektur, „die ihren Namen verdient“, Ornament besitzen müsse, was für ihn heißt: irgendwas mit Stuck drangeklatscht. Moderne Architektur habe das „klassische Fassaden-Arsenal einfach abgeschafft, ohne etwas Vergleichbares an seine Stelle zu setzen“.

Mörderischer Stumpfsinn: Farnsworth House von Mies van der Rohe:

800px-Mies_van_der_Rohe_photo_Farnsworth_House_Plano_USA_8

Vielleicht wollte man gar nichts Vergleichbares an seine Stelle setzen, sondern etwas ganz anderes: Fläche, Raumgefühl, Proportionen, Farbe, Klarheit, Stringenz. Interessant auch, wenn Zehm moderne Architektur als einen „mörderischen Anschlag auf jedes ästhetische Gefühl“ verurteilt. Und wer moderne Architektur dennoch schön findet, der ist was? Entartet? Fast schon pervers, wenn diese Leute sich auf die alten Griechen berufen und „Karyatiden, Giganten, Mosaiken“ fordern, also ästhetische Formen der Antike, deren wichtigste Protagonisten vor 2500 Jahren politisch schon weiter waren als die Kameraden der Jungen Freiheit im dritten Jahrtausend nach Christus. Wahrscheinlich hätten die auch kein Problem, Aristoteles als Vorläufer ihrer wirren Protonazi-Ideologie schönzuschreiben. Ganz davon abgesehen, dass Zehm die Klarheit klassischer Architektur unterschätzt und stattdessen Antike, Gotik, Barock und Rokoko unterschiedslos zusammenmixt, um daraus eine Art neuen deutschen NeoCon-Bürgerstil zu kreieren. Wie das aussehen soll, ist unklar, aber halt mit Ornament.

Eigentlich ganz praktisch: Die JF kann sich ideologiegeschichtlich bestenfalls auf ein paar wirre konservative Revolutionäre der Weimarer Republik berufen. (Hitler ist ihnen wohl zu grob.) Also hängen sie sich einfach irgendwo dran. So wie sich die Burschenschaftler heute allen Ernstes in der Nachfolge der 1848-er Revolutionäre sehen.

(Foto: Wikipedia, http://commons.wikimedia.org/wiki/Library_of_Congress)

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