Salzburg: Wohnungsneubau für 4,78 Euro pro Quadratmeter

Thomas Bernhard nannte die Architektur in Salzburg noch menschenfeindlich und die Stadt nationalsozialistisch und katholisch. Dennoch brachte die taz kürzlich eine bemerkenswerte Meldung, die leider im allgemeinen Medienrauschen untergegangen ist: Dort hat eine Wohnungsbaugesellschaft architektonisch anspruchsvolle Wohnungen mit Balkon und nach neuesten Kriterien für Energieeffizienz errichtet, und zwar für einen Mietpreis von 4,78 Euro nettokalt. In Deutschland behaupten die üblichen Experten gerne, unter acht Euro sei da nix zu machen.

Über die Realität im sogenannten sozialen Wohnungsbau berichtete die taz im gleichen Artikel:

Der Bau von Sozialwohnungen gilt in Deutschland als gescheitert. Zu teuer. Ohne lang anhaltenden Effekt. Die Sozialbindung der mit Milliarden geförderten Wohnungen läuft meist nach 30 Jahren aus. Bundesweit fallen so pro Jahr rund 100.000 günstige Wohnungen weg.

Besonders absurd ist die Situation in Berlin. In den 60er und 70er Jahren wurden dort viele Sozialbauten errichtet. Aber sie waren vor allem Steuerabschreibungsmodelle für betuchte Westdeutsche. Wer mehr als 150.000 Mark im Jahr verdiente, konnte seine Einlage innerhalb von fünf Jahren über Steuerersparnisse wieder zurückholen.

Gleichzeitig konnten die Baukosten nicht hoch genug sein, denn nach diesen richtete sich die sogenannte „Kostenmiete“, die in einigen Häusern 14 Euro pro Quadratmeter erreichte. Die Differenz zu den niedrigen Sozialmieten zahlte jahrelang die Berliner Landesregierung. Mittlerweile hat der Berliner Senat diese Dauersubvention gestoppt. Damit entfällt aber auch die Sozialbindung. Künftige Eigentümer dürfen ihre Mieten an den fiktiven „Kosten“ ausrichten.

Allein seit 1990 wurden in Berlin rund 21 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau gesteckt. Die befinden sich heute in den Taschen der Eigentümer und Banken. Die Mieten aber steigen.

Sozial tun und in Wirklichkeit kommen Steuersparmodelle für Besserverdienende raus: Das nimmt einen nicht Wunder, unter anderem so funktioniert Kapitalismus.

Was läuft in Salzburg anders?

Das Gegenmodell aus Österreich heißt „Salzburger Wohnbaufonds“. Er beruht im Kern auf drei Säulen: staatliche Förderung; gemeinnützige Bauträger; und vollständiger Verzicht auf Bankkredite.

Üblicherweise werden Neubauten von Banken vorfinanziert; der Eigentümer zahlt den Kredit über 25 bis 30 Jahre zurück. Die Geldgeber wollen dafür eine entsprechende Rendite. Das kann im Laufe der Jahrzehnte die Gesamtkosten fast verdoppeln. Ein Effekt, der auch in Österreich nicht unbekannt ist.

„Im Jahr 2005 stand das Land Salzburg mit 1,5 Milliarden Euro Schulden in der Wohnbauförderung da“, erklärt Walter Blachfellner, der im Bundesland Salzburg der für die Wohnbauförderung zuständige sozialdemokratische Landrat. „Deshalb haben wir uns seit 2006 komplett von der Finanzierung über private Banken verabschiedet.“

Die Kredite kommen nun aus dem eigens gegründeten Salzburger Fonds. Auch der nimmt Zinsen. Aber er berechnet je nach Förderart für Mietwohnungen oder selbst genutzte Eigenheime nur 1 bis 2,5 Prozent – festgelegt auf die gesamte, im Schnitt 30-jährige Laufzeit.

So konnten in Salzburg bei einer typischen Beispielwohnung die Bruttokosten von knapp 1.000 Euro auf knapp 600 Euro gesenkt werden. „Was bisher die Banken verdient haben, fließt nun in billigere Mieten und mehr Bauvolumen“, sagt der Landrat.

Im Kern: Niedrige Zinsen, die gerade mal die Inflation ausgleichen, und Anschubfinanzierung.

Experten der EU waren auch schon vor Ort und lobten das Modell. Ein Leser berichtet im Kommentarteil des taz-Artikels von ähnlichen Modellen in Wien. 350 Euro warm für 50 Quadratmeter sind da offenbar normal. In einem Neubau.

Eigentlich müsste seit November eine mindestens deutschlandweite Diskussion zu diesem Modell eingesetzt haben mit dem Ziel, das möglichst schnell und massenhaft in den Städten mit hoher Nachfrage zu realisieren. Es geht immerhin fast um eine Halbierung der Mietkosten. Doch man hört und sieht nichts. Kann das damit zusammenhängen, dass die Banken ihre diesbezüglichen Gewinne abschreiben müssten? Und überhaupt: Warum redet niemand von der Verstaatlichung von Banken?

Es ist hier auch ein schönes Beispiel dafür, wie Medien funktionieren: Ohne die richtige Strategie geht die sensationellste Meldung unter. Oder wird sowas in den großen Medienkonzernen hierzulande gedeckelt? Eben weil es reale Milliardenverluste fürs Kapital bedeuten würde? Und weil hierzulande es eine Menge junger Architekten gibt, die ähnliches hinkriegen? Und weil man dann vielleicht noch ergänzend und notwendigerweise über Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden reden würde?

Aber wir wollen ja keine Verschwörungstheoretiker werden.

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2 Antworten zu Salzburg: Wohnungsneubau für 4,78 Euro pro Quadratmeter

  1. Peleo schreibt:

    Guter Fund. Die SPD will sich doch des Themas annehmen. Also:
    Artikel an Steinbrück schicken – per Einschreiben mit Rückschein.

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  2. genova68 schreibt:

    Im Gentrificationblog hat Andrej Holm dankenswerterweise meine Frage beantwortet, wie die Reaktionen in Deutschland aussehen. Ich kopiere seine Antwort hier herüber:

    Hallo genova68,
    die Diskussion um das Salzburger Modell des Sozialen Wohnungsbaus ist ja in Berlin von Kotti&Co aufgegriffen worden und auf der Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau gab es eine ganze Arbeitsgruppe (sogar mit Experten aus Österreich) die über eine mögliche Übertragbarkeit nach Berlin diskutiert haben.
    Einen Mitschnitt der Arbeitsgruppe (Rekommunalisierung) findest du hier: http://mietendossier.blogsport.de/2012/11/20/konferenz-zum-sozialen-wohnungsbau-audioaufzeichnung/
    Soweit ich die Ergebnisse der Konferenz im Kopf habe, versprachen Politik und Verwaltung, sich näher mit den Vorschlägen auseinanderzusetzen… Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Zumindest sind die Gesprächsrunden zwischen Verwaltung und Mieter/innen wieder in Gang gekommen und es wird wohl auch über konkrete Lösungen diskutiert.

    Ein Haken – nicht am Salzburger Modell, ab an den Rahmenbedingungen in der BRD – ist, dass hier im Gegensatz zu Österreich die Gemeinnützigkeit für Wohnungsunternehmen abgeschafft wurden. Die gemeinnützigen Bauträger jedoch sind in Salzburg der Hebel, um an die zinsgünstigen Bundeskredite heranzukommen.

    An verschiedenen Stellen in Berlin wird zur Zeit aber sehr intensiv über vergleichbare soziale Wohnungsbaukonzepte und revolvierende Fonds nachgedacht. Vermutlich ist es auch sehr sinnvoll, eine konkrete Idee für die Adaption zu entwickeln, bevor das Pulver des Salzburger Modells in der Öffentlichkeit verschossen wird (und irgendein Beamter feststellt, dass hier dies oder jenes anders und an eine Anwendung gar nicht zu denken sei).

    Beste Grüße,
    AH

    Logik des Marktes: Mietsteigerungen sollen Mieter/innen schützen

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