Von wüsten Komikern und Belastbarkeitsgrenzen

Ein neuer Komiker strahlt am Expertenhimmel: Clemens Fuest heißt er, Volkswirt ist er. Die taz hat ihn interviewt:

taz: Die neue griechische Regierung hat die Privatisierung des Hafens von Piräus gestoppt. Nachvollziehbar: Warum soll man Anlagen verkaufen, die Jahr für Jahr Gewinne für den Staat erwirtschaften können?

Clemens Fuest: Die umgekehrte Frage muss man stellen – warum erscheint es notwendig, dass der Staat Hafenanlagen betreibt?

Geilomat. Der mit 170 Prozent des BIP verschuldete griechische Staat macht mit dem Hafen jedes Jahr Gewinn und der Experte will das verhindern. Lieber die Frage anders stellen. Fuest lockt mit der einmaligen Verbuchung des Kaufpreises, danach kommt das dauerhafte Einnahmeminus.

Außerdem findet er die angekündigte Erhöhung des griechischen Mindestlohns – derzeit 3,35 Euro die Stunde – „unverständlich“. Seine Sicht ist verständlich: Mit monatlich 550 Euro brutto (Syriza will 750 Euro) kann man auch in Griechenland kaum überleben und angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist nur ein toter Grieche ein guter Grieche. Rein volkswirtschaftlich natürlich.

Fuest, 1968 geboren, ist Chef des Mannheimer „Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung“, das zu 53 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert wird. Die Drittmittel kommen vom Kapital und der Europäischen Kommission, also zu 100 Prozent von uns allen. Damit fördert er eine Politik für schätzungsweise zehn Prozent. Auf seinem Portraitfoto auf der Website des Zentrums sieht Fuest aus wie jemand, den man einen coolen Hund nennt. Vielleicht ist er ja wirklich ein Komiker.

Warum erscheint es notwendig, dass Staat und Gesellschaft ein sozialdarwinistisches Institut betreiben?

Vermutlich muss ich laut Fuest die Frage umgekehrt stellen.

Der wueste Fuest ist

  • Mitglied bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
  • im Wirtschaftsrat der CDU
  • im wissenschaftlichen Beirat von Ernst & Young
  • Mitglied der Stiftung Marktwirtschaft
  • Mitglied am Center for Economic Studies der Uni München, das mit dem neoliberalen ifo-Institut kooperiert
  • und, Achtung, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums.

Nebenbei ist er noch VWL-Professor an der Uni Mannheim.

Ein Lobbyist des Kapitals, der aus staatlichen Töpfen sicher fürstlich bezahlt wird, um den Staat den Bedürfnissen des Kapitals anzupassen, um den Staat zu plündern. Es ist ein zweckrationaler Sachverstand, der standardmäßig auf Bild-Niveau argumentiert, nicht nur in Sachen Griechenland:

„Also dieses alte Motto ‚Die Reichen sollen mal zahlen‘ funktioniert deshalb nicht, weil es so viele Reiche nun auch wieder nicht gibt“

Der deutsche Kleinbürger stimmt zu. Hat Herr Fuest eigentlich schon bei Pegida gesprochen? Herr Bachmann sollte ihn schleunigst einladen. Die Fuests dieses Landes bringen Bachmann Zulauf.

Ich stelle mir vor, wie Fuest von einer Beiratssitzung zur nächsten rennt und ähnlich skurrile Aussagen macht wie in der taz und im Deutschlandradio. Und an der Uni sitzen vor ihm 19-jährige Erstsemester und schreiben das alles mit. Irgendwann forscht er sicher noch.

Dieses Denken bringt solche Zeitungsartikel hervor:

Die Berliner Zeitung (das hätte in jeder anderen bürgerlichen Zeitung stehen können) räsonnierte vergangenen Donnerstag über die „Grenzen der Belastbarkeit“ bei den Mieten in Berlin. Im „unteren Segment“ sei der Mietzins im letzten Jahr um durchschnittlich 8,6 Prozent gestiegen. Diese Mieter waren bislang offenbar nicht genug belastet. Jetzt vielleicht? Wir müssen noch ausloten und melden uns nächstes Jahr wieder.

Wohnen wäre in einem zivilisierten und nicht barbarischen – also fuestfreien – Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ein Bedürfnis, das möglichst günstig, möglichst sozial, möglichst ökologisch und generell möglichst nach den Bedürfnissen der Bewohner ausgestaltet würde und keine Frage von finanziellen Belastbarkeitsgrenzen der Mieter. Undenkbar im Kapitalismus. Da testen wir nämlich, wie lange ein Bewohner sich gängeln und ausbeuten lässt, wie lange er bereit ist, Melkkuh für die Renditemaschine zu spielen. Und wo der Grenzpunkt liegt, an dem er vom Balkon springt. Das wäre blöd, weil er dann keine Miete mehr zahlt.

Die Berliner Zeitung spricht von „Preisdruck“, ein schönes Wort. Wer drückt? Der Markt vermutlich, denn dann kann man niemanden verantwortlich machen.

It´s the nature, stupid.

041 (2)(Foto: genova 2015)

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10 Antworten zu Von wüsten Komikern und Belastbarkeitsgrenzen

  1. Klaus Jarchow schreibt:

    Ich weiß nicht, ob du jemals Thomas Kuhns historische Untersuchungen über ‚Paradigmenwechsel‘ gelesen hast. Solche ranzig gewordenen Figuren auf elitären Schaltstellen müssen biologisch regelrecht ‚aussterben‘, bevor etwas Neues – eine neue Generation – Platz greifen kann. Mit ihnen aber lässt sich niemals etwas Zukunftsträchtiges schaffen, dazu fußt ihre gesamte Existenz zu sehr auf dem Überholten. Solange sie die Lehrstühle und Redaktionssessel innehaben, bleibt die alte Welt bestehen, und sollte sie dabei in die Krümpe gehen …

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  2. genova68 schreibt:

    Ranzig geworden? Fuest ist 46 und diese Leute wachsen nach. Nix Generationenwechsel.

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  3. P.M. schreibt:

    Och, ich glaube dieser Lobbyist des exportfixierten deutschen Unternehmertums weiß schon ganz genau, was er da redet.
    Die haben ein Interesse an einer Fortführung des Ruin der griechischen Volkswirtschaft, denn dadurch sinkt der Wert des Euros und sie können ihren Kram leichter an das außereuropäische Ausland verkaufen.

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  4. Klaus Jarchow schreibt:

    Naja, vielleicht zunächst nicht in Deutschland. Aber Deutschland steht in Sachen ‚Ökonomie‘ schon ziemlich allein und dumm in der weiten Welt herum.

    ;-)

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  5. ernte23 schreibt:

    Die Wissenschaftstheorien orientierten sich meines Wissens an den Beispielen der Naturwissenschaft, die im 20. Jahrhundert gewaltige Fortschritte machte, obwohl man in der Physik zu Beginn desselben glaubte, alles wesentliche schon entdeckt zu haben. Mit der Wirtschaftswissenschaft befassten sie sich so gut wie gar nicht, weil sie nichts spektakuläres zu bieten hat.

    Üblicherweise nutzen die WiWis Poppers Falsifikationismus, um sich der lästigen Empirie entledigen zu können. Demnach ist eine wissenschaftliche Theorie so lange gültig, bis ihr Gegenteil bewiesen ist. Die allgemeine Gleichgewichtstheorie etwa, nach wie vor gefeiert als einer der großen Würfe der theoretischen Mikroökonomie, ist in ihrer abstrakten mathematischen Gestalt nur sehr schwer empirisch testbar. Sie ist also praktisch immunisiert gegen Falsifikation und damit ewig gültig! Eigentlich handelt es sich dabei folglich um einen Nebenzweig der Mathematik, den man Optimierungstheorie taufen könnte. Irgendwie optimieren alle Marktteilnehmer irgendwas und je mehr Markt desto optimaler läuft der Laden, so könnte man die Sicht der meisten Ökonomen über alle Landesgrenzen hinweg (!) charakterisieren.

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  6. genova68 schreibt:

    „Die allgemeine Gleichgewichtstheorie etwa, nach wie vor gefeiert als einer der großen Würfe der theoretischen Mikroökonomie, ist in ihrer abstrakten mathematischen Gestalt nur sehr schwer empirisch testbar.“

    Ich glaube, da hat Piketty gute Arbeit geleistet.

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  7. ernte23 schreibt:

    Soweit ich weiß, ist Piketty ein Anhänger der Neoklassik als deren Höhepunkt die allgemeine Gleichgewichtstheorie gilt. Er möchte daher gewissermaßen die Wirklichkeit der allgemeinen Gleichgewichtstheorie anpassen, die Harmonie des Marktes quasi künstlich herstellen.

    Es ist trotzdem nur sehr schwer vorstellbar, was negative Inputs in der empirischen Realität sein sollen, was schon Debreu, einer der Erfinder der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, anmerkte. Für Menschen mit einem Sinn für Mathematikästhetik gilt sie aber als elegant bzw. schön, weswegen sie irgendwie richtig sein müsse…

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  8. genova68 schreibt:

    Zu Piketty: Er hat nachgewiesen, dass die Gleichheitstheorie empirisch nicht haltbar ist. Er ist kein Revoluzzer, sondern fordert mehr Umverteilung. Das ist nicht originell und es wäre eher zu fragen, warum das nicht funktioniert. Einfach gesagt, weil der, der das Geld hat, die Macht hat. Insofernist Piketty vermutlich nicht lesenswert, aber er hat sich die Mühe gemacht, empirisch die wachsende Ungleichheit nachzuweisen, die nach neoklassischer Ansicht sich von selbst abmildert.

    So zumindest habe ich das verstanden.

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  9. sol1 schreibt:

    Kein anderer als der neue griechische Finanzminister kritisiert hier Pikettys theoretische Annahmen:

    Klicke, um auf Varoufakis69.pdf zuzugreifen

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  10. ernte23 schreibt:

    Es gibt zwei Möglichkeiten die allgemeine Gleichgewichtstheorie zu interpretieren: einmal sozusagen von links einmal von liberal-konservativer Seite her. Sie heißt Gleichgewichtstheorie und nicht Gleichheitstheorie, weil sie belegen soll, dass alle Märkte simultan geräumt werden, alles verkauft wird, was verkauft werden soll…

    Sie von „links“ zu lesen (à la Piketty), bedeutet sie bzw. ihre dynamisierten Weiterungen, aus denen Piketty seine Wachstumsratenregeln ableitet, als Sollzustand zu postulieren, folglich nachzuprüfen, ob wir uns im Sollzustand befinden, und diesen dann (theoretisch) herbeiführen zu wollen.

    Von der liberal-konservativen Seite (à la Fuest) aus sagt man sich, dass der Markt der Theorie nach irgendwie natürlich und der Staat irgendwie künstlich ist, weil er in der Theorie keine Rolle spielt, daher möglichst alles Markt werden soll ungeachtet irgendwelcher Gerechtigkeitsüberlegungen, die einen womöglich gleich in den Stalinismus führen würden.

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