Thierse, Schwan und eine Chronologie eines Scheiterns

Die aktuelle Diskussion um Wolfgang Thierse, Gesine Schwan und die nichtheteronormativen Aktivisten erklärt einiges.

Was ist passiert? Kurzversion: Die SPD lud im Februar zu einer Onlinediskussion (Video siehe unten) mit drei Vertretern des Act-Out-Manifestes ein. In diesem Manifest behaupten 185 Schauspieler, die sich „unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, queer, inter und non-binär … identifizieren“:

Bisher konnten wir in unserem Beruf mit unserem Privatleben nicht offen umgehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten. Noch zu oft haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass ihnen geraten wurde – sei es von Agent:innen, Caster:innen, Kolleg:innen, Produzent:innen, Redakteur:innen, Regisseur:innen usw. – die eigene sexuelle Orientierung, Identität sowie Gender geheimzuhalten, um unsere Karrieren nicht zu gefährden.

Und:

Bislang wird behauptet, dass, wenn wir gewisse Facetten unserer Identität, nämlich unsere sexuelle sowie Geschlechtsidentität offenlegten, wir mit einem Mal bestimmte Figuren und Beziehungen nicht mehr darstellen könnten. Als wäre deren Sichtbarkeit unvereinbar mit unserer Fähigkeit, Rollen überzeugend und glaubhaft für das Publikum zu verkörpern.

Man ist erstaunt, dass es in der Branche tatsächlich Regisseure, Intendanten usw. gibt, die behaupten, dass ein Schwuler keinen heterosexuellen Familienvater spielen könne. Es wäre interessant, hier Namen zu erfahren.

Aber ok, nehmen wir an, es ist so. Immerhin sagen das 185 Leute, darunter so bekannte Persönlichkeiten wie Maren Kroymann, Ulrich Matthes oder Karin Hanczewski.

Die SPD-Onlinediskussion sollte genau darauf eingehen. Tat sie nur bedingt. Stattdessen ging es hoch her. Es diskutierten auf der einen Seite Sandra Kegel, Feuilleton-Redakteurin bei der FAZ, die dem Manifest kritisch gegenübersteht und behauptet, die nicht-heteronormative Welt werde schon in ausreichendem Maße fiktional dargestellt. Aufgrund eines entsprechenden Artikels von ihr in der FAZ sollte sie von der Diskussion schon wieder ausgeladen werden. Auf der anderen Seite diskutierten eine lesbische Schauspielerin, ein schwuler Blogger und eine nicht-binäre Person, wie man sagt. Dazu kam noch ein Gay-Aktivist und SPD-ler in einer roten Jacke namens Alfonso Pantisano.

Es kam nicht nur zu keiner Verständigung, es kam zu völligem Unverständnis.

Das Unvermögen aller Beteiligter zum Gespräch wurde an mehreren Stellen deutlich:

Kegel redete (ab 15:50) zuerst 15 Minuten über den „Feuilleton-Begriff“ und Einfamilienhäuser und anderes, was mit dem Thema nichts zu tun hatte. Sie wurde von der angeblichen Diskussionsleiterin Gesine Schwan nicht unterbrochen. Als es zu den Beiträgen der Act-Out-Vertreter kam, brach Kegel das Gespräch mit dem Schwulen ab, weil der sie in die Nähe der AfD gerückt hatte. Das sollte man als privilegierte Journalistin aushalten und darauf antworten können. Sie konnte oder wollte es nicht, der Schwule wurde kurzerhand aus der Zoom-Übertragung gekickt. Kurz zuvor hatte Kegel noch betont, „Streit“ sei wichtig.

Kegel fand das Manifest unverständlich, worauf die Lesbe meinte, man habe ein Jahr lang „an jedem Komma“ des Manifestes (eine Seite) herumgefeilt. Das nährt meine Vermutung, dass Texte, an denen man zu lange herumfeilt, im Eimer sind. Vielleicht müsste man in solch einem Fall erst einmal ganz grundsolide Arbeit am Text vornehmen. Das lernt man in der achten Klasse. Man hätte bei konsequenter Textarbeit wohl festgestellt, dass das Manifest in der Tat nicht klar ist. Man distanziert sich nebenbei auch noch von Antisemitismus. Nur Gott weiß, warum. Das Manifest spielte jedenfalls bei der Diskussion kaum eine Rolle.

Schließlich stellte Gesine Schwan den dritten Diskussionsteilnehmer vor (ab 1:oo:00): Das sei „der Regisseur und Schauspieler Heinrich Horwitz“. Auf dem Bildschirm erschien eine Frau, die sich zuerst darüber beschwerte, dass sie gerade schon dreimal „missgegendert“ worden sei. Sie sei „Schauspieler:in und Regisseur:in“ und kein Herr. Sie sei „eine geoutete, lesbische, nicht-binäre Person und ich existiere nicht in dieser Gesellschaft“. Ich war erstaunt, weil diese Person biologisch klar als Frau erkennbar war. Eine kurze Recherche via google ergab, dass Heinrich früher Miriam hieß und sich 2019 entschlossen hat, „sich als nicht-binär zu identifizieren“. Sie bezeichnet sich selbst ausdrücklich nicht als transsexuell, sie ist wohl biologisch eine Frau. Was sie meint, ist schlicht, dass sie sich rollentechnisch nicht als Frau fühlt, aber auch nicht als Mann: „Ich verweigere einfach die Unterteilung.“ Warum sie sich nun Heinrich nennt, also einen ziemlich männerorientierten Namen trägt, bleibt ihr Geheimnis. In der Schule habe sie sich „Möhre“ genannt, erzählt sie an anderer Stelle. Sie beschwerte sich jedenfalls bei Schwan ob der falschen Präsentation. Die einzige Möglichkeit, Heinrich Horwitz nun richtig vorzustellen, ist die Benutzung des glottal stop, als mit der kurzen Sprechpause. Wie Schwan darauf hätte kommen können, blieb ungeklärt.

Horwitz erzählte auch noch, dass sie „mindestens einmal pro Tag“ diskriminiert werde. Vermutlich jedesmal, wenn jemand sie „Frau Horwitz“ nennt.

Die zeitlichen Anteile waren so eindeutig wie minderheitendiskriminierend: Nachdem sich Kegel und Schwan über 50 Minuten ausbreiten konnten, blieben den drei Act-Out-Vertretern schätzungsweise 15 Minuten, um ihr Anliegen darzustellen.

In mehreren Tageszeitungen, darunter im Tagesspiegel, wurde Schwan nun kritisiert, weil sie am Ende der Diskussion noch einmal auf Horwitz zu sprechen kam und meinte, es sei „nicht schlimm“, dass sie vom Heinrichsein von Frau Horwitz nichts gewusst habe.

Dann trat noch Alfonso Pantisano auf (ab 1:24:00). Er berichtete von seinen Diskriminierungserfahrungen und wie sehr ihn der Text von Frau Kegel verletzt habe – „massiv, massiv, massiv!“. Leider sagte er fünf Minuten nichts anderes als das immergleiche, dazu moralisch ziemlich aufgeladen. Pantisanos Beitrag zeigte, wie unterschiedlich man Texte lesen kann. Das identitäre Herangehen sorgt für weitere Unmöglichkeit von Verständigung.

Statt die verbleibende Zeit zur Schadensbegrenzung zu nutzen und sich um das eigentliche Thema – Diskriminierung von Schauspielern wegen ihrer Sexualität – zu kümmern, schneite plötzlich noch ein SPD-ler „aus dem Haushaltsausschuss“ herein. Er hatte die Diskussion nicht mitbekommen, was ihn aber nicht davon abhielt, einen langen Vortrag („zwei, drei Sätze“) über Fördergelder zu halten, die einen „Reflexionsprozess“ anstoßen sollen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Act-Out-Vertreter schon längst raus aus zoom.

Schließlich beendete Gesine Schwan die Veranstaltung mit ein paar Allgemeinplätzen, ähnlich denen von Wolfgang Thierse. Sie offenbarten, dass sie nichts verstanden hatte.

Sandra Kegel sagte zum Schluss: Wir kämpfen für dieselbe Sache.

Wir haben es hier mit einem fatalen Phänomen zu tun: Auf der einen Seite haben wir Leute wie Thierse und Schwan, die es ein Leben lang gewohnt sind, dass sie reden und man ihnen zuhört. Wirklich neues lernen ist diesem Typus Mensch nicht gegeben. Die Rollenverteilung ist festgefahren. Thierse und Schwan wäre zu raten, in solche Diskussionen als Zuschauer zu gehen und den Mund zu halten. Für sie wohl die einzige Möglichkeit, zu Erkenntnis zu kommen. Wobei sie da zur großen Mehrheit von schätzungsweise 99 Prozent gehören würden, die nichts sagen. Auch Kegel war nicht gewillt, das Manifest vorurteilsfrei zur Kenntnis zu nehmen. Für eine Feuilleton-Redakteurin und Literatur- und also Sprachexpertin eine reife Leistung, die vermutlich mit sozialisierter Präformierung zu erklären ist.

Und wir haben auf der anderen Seite Leute wie Person Horwitz, denen man einfach erklären müsste, dass sie eine Meise haben. Horwitz ist biologisch eine Frau, und genau solche Leute werden „Frau“ genannt“. Genauso gut könnte ich die Schwerkraft nicht anerkennen. Hier kommt wieder das im Blog schon öfter erwähnte Eins-Zu-Eins-Problem zum Tragen: Sprachtaliban. Außer dem sprachlichen Aspekt hatte Horwitz auch kein Anliegen. Leider haben offenbar die 185 ausgerechnet Horwitz in die Gruppe der Drei gehievt, die sie in der Diskussion mit der SPD repräsentieren sollen. Dümmer gehts nimmer.

In der Diskussion der folgenden Tage und Wochen in den Medien standen die Act-Out-Vertreter auf verlorenem Posten. Ihr wohl berechtigtes Anliegen, Diskriminierung von geouteten Schauspielern zu thematisieren, ging unter. Esken und Kühnert schämten sich für Schwan und Thierse, die angeblich die Community übelst verletzt haben. Eine große Mehrheit der medialen Öffentlichkeit riet der SPD, sich mit den Identitären nicht so sehr zu beschäftigen, das koste Stimmen. Und Volkes Stimme in den üblichen Kommentarforen reagierte oft versteckt und offen homophob: Die sollen sich mal nicht so haben.

Es scheint eine völlige Unfähigkeit zum Gespräch zu geben. Anstatt ganz simpel bei einer klar verständlichen Botschaft zu bleiben – nicht heteronormative Schauspieler bekommen weniger Angebote, strukturelle Homophobie – zerpflückt man sich in Absurditäten und demonstriert ausgiebig das eigene Verletztsein. Dazu kommt der Wording-Schrott, der die Gräben vertieft.

Vielleicht sollte man Leute von unten fragen, ob sie spontan in eine solche Diskussion gehen. Verkäuferinnen, Lagerarbeiter, Obdachlose. Leute, die es gewohnt sind, dass sie nicht den Ton angeben. Und Leute, die Sprache wie einen Kleinwagen benutzen: Einfach, um von A nach B zu kommen.

Sinnloser würde es nicht werden.

fade out

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5 Antworten zu Thierse, Schwan und eine Chronologie eines Scheiterns

  1. Objektiv handeln schreibt:

    Es gibt so viele Tausend Arten respektlos miteinander umzugehen. Eigentlich comedyreif…

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  2. Jakobiner schreibt:

    Mal eine unaufgeregte Erläuterung,was Schwan,Kessler und die nicht unsere Gegenseite überhaupt besprechen wollten.Waere auch noch interessant wie das in Zusammenhang mit dem FAZ-Beitrag von Thierse über Grabenkämpfe wegen Identitätspolitik steht.Die CDU und die Grünen wird es freuen. Thierse und Schwan treiben Gender-SPDwaehler zu den Grünen und Esken und Kuehnert die mehr traditionellen TanteSPD-Waehler zur CDU,wenn nicht gleich zur AfD.Und dann noch Wirecard.Die demontieren sich selbst.Die SPD führt scheinbar Wahlkampf gegen sich selbst.Oder Identität spolitik,deren Ablehnung oder Zustimmung scheint inzwischen zum Kulturkampf Geräten zu sein.Thietse und Schwan könnten aber,wenn sie meinen,dass es wichtigere Themen gebe,diese einfach selbst thematisieren.Es hindert sie ja keiner dran Mal Sozial-und Wohnungspolitik ins Zentrum Rücken zu wollen.Vielleicht lenkt das ja auch vom Wirecardskandal ab.

    interessant ist,dass das ActOut-Manifest vielsprachig gehalten ist,selbst auf chinesisch.Wollen der/die/das dir ganze Welt erreichen,nebst Holly-und Bollywood auch Sinowood?

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  3. Jakobiner schreibt:

    Es geht aber auch um den Begriff der Gleichheit.Da verstand die SPD zuerst die juristische und ökonomische Chancengleichheit der Arbeiter.Dann erst der Frauen,die aber eben zahlenmäßig keine wirkliche Minderheit waren.Dann die Schwulen,die es schon weniger zahlreich gab,wobei ich den Eindruck habe,dass unausgesprochen Schwulsein bei traditionellen SPDlern eher als spätrömische Dekadenzerscheinung der Bourgeoisie begriffen wurde. Nun nach der Homoehe eben die LGBTIQ-Minderheit,die aber nicht so zahlreich ist,auch als einigender Sammelbegriff zusammengefasst werden muss,um irgendwie kritische Masse einzubringen.

    Desweiteren ist die klassische Linke,die vom Hauptwiderspruch Lohnarbeit/Kapital ausging nun um vermeintlichen Nebenwidersprüche Geschlechter undOekologie der Neuen Linken ergänzt worden, spätestens mit der Triple oppression der Autonomen.

    Zudem scheint es nicht mehr hegelianisch nach dem Muster These-Antithes-Synthese/Kompromiss zu gehen,sondern jeder lautstark auf seinen Positionen hin zu bestehen und zu polarisieren.

    Interessant fand ich die Stelle,wo die FAZlerin meinte,das Manifest entspreche nicht der Realität,da im ZDF schon Gendert würde,dass es überproportional wäre.Das wurde von der Gegenseite bestritten.Da wäre es wichtig gewesen,dassMams Mal den Check macht,wie das in der Realität jetzt aussieht,ob die ZDF-Statistik stimmt oder Alibistatistik ist.Abrr Faktenorientiertheit undEmpirie war beiderseitig nicht gefragt.

    Und wie richtig gesagt wurde:Die FAZ-Frau,Schwan und der Haushalts-SPD hatten ewig Redezeit und die Genderleute mehr Alibifunktion,dass man miteinander reden.Wobei Schwan da nach eigener Selbstdefinitiondie „Großmutter“sein wollte.Die gute alte Tante SPD.Das funktioniert aber nicht mehr seit Aufkommen des Populismus.

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  4. genova68 schreibt:

    Interessant fand ich die Stelle,wo die FAZlerin meinte,das Manifest entspreche nicht der Realität,da im ZDF schon Gendert würde,dass es überproportional wäre.Das wurde von der Gegenseite bestritten.Da wäre es wichtig gewesen,dassMams Mal den Check macht,wie das in der Realität jetzt aussieht,ob die ZDF-Statistik stimmt oder Alibistatistik ist.

    Das hat der Nolldendorfblog recherchiert, dessen Betreiber der Typ aus der Diskussion ist, der rausgekickt wurde:

    https://www.nollendorfblog.de/?p=12565

    Man kann das wohl nur bedingt sagen, da Kegel mit der ZDF-Redaktion gesprochen hat und Material bekam. Das Material ist aber nicht offiziell und somit ist man in den Ebenen der Bürokratie verheddert. Das wäre aber in der Tat ein sinnvoller Ansatz.

    Die Nebenwidersprüche existieren, aber sie werden derzeit teuflisch schlecht kommuniziert. Man könnte in solch eine Diskussion halbwegs vorbereitet gehen, aber das macht keiner. Kegel konnte ja auch ihre These vom überproportionalen Aufkommen nicht heteronormativer Formate nicht stützen. Alleine ein paar Ausgaben von SOKO fiel ihr ein. Es ist geballte Inkompetenz. Oder es ist so, dass Leute den Diskurs bestimmen, die sich vor allem selbst produzieren wollen.

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  5. Jakobiner schreibt:

    Also nur das ZDF zu betrachten,ist auch ein wenig wenig.Man muss auch Mal andere Sender sehen.Rtst Mal fällt auf,dass es schon öfters schwarze oder nichtdeutsche Moderatoren und Schauspieler in Krimiserien,Nachrichtensendungen oder selbst Kika gibt.Die LGBTIQ-geeinschaft völlig abwesend mit Ausnahme von Pro Sieben,wo seit Bully Herbig Verschwuling der running Gag war nebst Dragqueenshows.Den Dragqueen und schwulen Tatortkommissar gab es noch nicht, dafür aber durchaus Sendungen,die in diesem Milieu spielten.Grundsaetzlich muss man sich aber auch Mal fragen,was Representivitaet denn eigentlich bedeuten soll.Es gibt kaum Queers in der Bevölkerung.Wollte man sie prozentual abbilden wollen,dann müsste man sie wegen der sexuellen Identitäten gleich rauslassen.Nimmt man sie rein,beschwert sich wiederum die konsrvativeren Teile der Heterogesellschaft über Ueberpraesentierung.Wie solll man/Frau/Diverses einer/m da Recht machen.Noch zum ZDF.Florian Kirner,ehemals Linksruck,dann das IdentitaeteProjekt Flori,der damals mit Pedram Shayar die Friedensdemos von Lars Maehrholz übernahm,hatte ja Mal im ZDF 5Minuten FlorisTagebuch im ZDFmit einer Transsexuellen ,die er aus Japan mitbrachte.Das ZDF wollte sich da progressiv geben,aber das ist dann schnell wieder rausgeflogen wegen Zuschauerprotesten und Volkes Stimme.

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