„…ohne dass sie selbst etwas dazu tun müssen.“

Derzeit liest man in bürgerlichen Zeitungen häufig Artikel, die sich über die vermeintlich zu geringe Zahl von Baugenehmigungen beschweren. „Der Staat“ ist demzufolge Schuld an der Wohnungsnot. Dagegen berichtet ein Professor für Immobilienökonomie namens Günter Vornholz in der FAZ (16.8., S. 13), dass die Spekulation von Grundstücksbesitzern eine Ursache für die Wohnungsnot ist. Unter der Überschrift „Am Genehmigungsstau liegt es nicht“ schreibt er:

Seit Jahren steigt der sogenannte Bauüberhang, also die Zahl der bereits ausgesprochenen, aber liegengebliebenen Baugenehmigungen. 2017 lag dieser bei gut 650.000 Einheiten und hat sich innerhalb von gut zehn Jahren nahezu verdoppelt.

Vornholz berichtet im Weiteren, dass er für die Wohnungsnot in Ballungsgebieten vor allem zwei Ursachen sieht. Erstens die ausgelasteten Baukapazitäten, und zweitens…

…die Spekulation der Grundstücksbesitzer. Bauland wird nicht bebaut oder zurückgehalten, um es später zu einem höheren Preis zu verkaufen. Spekulanten verdienen daran, dass ihr Grund und Boden immer teurer wird, ohne dass sie etwas dafür tun müssen.

Vornholz ist Professor an der privaten EBZ Business School in Bochum, man wird ihm wohl nur schwer einen ideologischen Hang zum Sozialismus vorwerfen. Es sind schlicht die Statistiken, die dieses Bild entwerfen.

Kapitalismus funktioniert in dieser Situation also wie folgt: Man hat Bauland mit einer Baugenehmigung, wartet aber mit dem Bauen, vielleicht ein Jahr, vielleicht länger. In dieser Zeit suchen viele eine Wohnung, aber das spielt in der Logik des Kapitals keine Rolle, sonlange der Grundstückspreis schneller steigt als die theoretische Miete das täte.

Ökonomisch ist das Modell erfolgreich, denn wenn das Bauland ein paar Jahre später zu einem wesentlich höheren Preis den Besitzer wechselt, nennt man das „Wachstum.“ Die offiziellen staatlichen Bilanzen weisen dann aus, dass es „Deutschland“ gut geht. Dass neben dem Grundstück vielleicht jemand unter einer Brücke schläft, ist bilanztechnisch nicht von Interesse.

Solche Beispiele zeigen die Perversion unseres netten Wirtschaftssystems, wobei man Herrn Vornholz noch ergänzen müsste. Für die Wohnungsknappheit sind mitnichten nur „insbesondere zwei Ursachen verantwortlich“. In Berlin – dritte Ursache – wird fast ausschließlich hochpreisig gebaut, als 5.000 Euro für den Quadratmeter aufwärts. Wer diese Preise bezahlt, spürt keine Wohnungsnot, wer sie nicht bezahlt, spürt sie. Und viertens: Eine unbekannte, aber hohe Zahl an Wohnungen in Berlin steht faktisch leer, weil Reiche aus aller Welt sie als Dritt-, Viert- usw.-Wohnungen belegen. Betongold.

Nichts neues also, aber hin und wieder sollte man daran erinnern, wie dieses Wirtschaftssystem beschaffen ist, in dem wir so gottgegeben leben.

(Foto: genova 2019)

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Eine Antwort zu „…ohne dass sie selbst etwas dazu tun müssen.“

  1. Tony Mach schreibt:

    Ne, Kapitalismus funktioniert in dieser Situation wie folgt:

    Firma A (=Heuschrecke) kauft ein Grundstück „mit Potenzial“ (=Mieteinnahmen unterhalb dessen „was der Markt hergibt“). Firma A kümmert sich um die „Entmietung“ (=Mieter werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, zur Not mit Gewalt, entfernt) und um die „Entwicklung“ des Grundstückes (=Abriss von allem auf dem Grundstück um maximale Baufläche zu erhalten, ggf. um Baugenehmigungen).

    Firma A hat aber (trotz Baugenehmigung) keine Absicht zu bauen, Firma A will nur das Grundstück zum Verkauf anbieten. Irgendwann kauft es Firma B um darauf zu bauen. Was Firma B darauf baut ist Firma A egal. Welche kriminellen Methoden Firma A angewendet hat, das ist Firma B egal. Was mit den Ex-Mietern passiert ist, das ist beiden egal. Und Reibach machen beide.

    (Genau so erlebt)

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