Kurze Notiz zu einem außergewöhnlich unangenehmem Land

In welch überaus und außergewöhnlich katastrophalem Zustand sich unser, wie man sagt, Land befindet, berichtete kürzlich die Süddeutsche Zeitung (20.10., S. 45) in einem Satz:

85 Prozent der Deutschen brauchen zum Aufstehen einen Wecker.

Der Mensch hat eine praktische und vom Werk eingebaute High-Tech-Funktion: Er wacht auf, wenn er ausgeschlafen ist. Wenn nicht, schläft er weiter. Ein Humanwecker sozusagen, und alles ist in Ordnung. Könnte in Ordnung sein. Stattdessen quälen sich offenbar jeden Morgen runde 68 Millionen Deutsche erst aus dem Schlaf und dann aus dem Bett, statt das Selbstverständliche zu machen: liegenzubleiben und weiterzuschlafen. Die restlichen zwölf Millionen sind vermutlich Rentner, die sowieso wachliegen. Es gibt demnach in diesem Land praktisch niemanden, der das Natürlichste überhaupt macht: ausschlafen.

Eine der Folgen: Die Verkehrsberichte einschlägiger Radiosender berichten morgens um sieben minutenlang über kilometerlange Staus. Morgen für Morgen. Die Deutschen sind um sieben nicht nur schon aufgewacht, sie sind nicht nur schon aufgestanden, sie haben nicht nur schon das Haus verlassen, nein, sie stehen auch schon alle im Stau.

Es ist eine unaufhörliche und immer wieder täglich und also jeden Tag aufs Neue sich verwirklichende Kultur- und also Menschenkatastrophe.

In Georgien, las ich kürzlich, beginnt das Leben morgens erst gegen neun.

Die Süddeutsche berichtet in diesem luziden Artikel dankenswerter Weise auch über das, was die Deutschen nach dem Aufgewecktwerden machen:

Früh zur Arbeit, spät nach Hause, fünfzehn Minuten Mittag, alles mit der gebotenen Verbissenheit.

Bei soviel Weckerfixiertheit wundert es nicht, dass die Deutschen europaweit die einzigen sind, die ein Ende der Zeitumstellung fordern. Ihr Argument: Die Kühe geben deshalb nicht mehr so viel Milch.

So ist das in diesem außergewöhnlich unangenehmen Land.

Gute Nacht.

(Foto: genova 2018)

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25 Antworten zu Kurze Notiz zu einem außergewöhnlich unangenehmem Land

  1. neumondschein schreibt:

    Der Mensch hat eine praktische und vom Werk eingebaute High-Tech-Funktion: Er wacht auf, wenn er ausgeschlafen ist. Wenn nicht, schläft er weiter. Ein Humanwecker sozusagen, und alles ist in Ordnung. Könnte in Ordnung sein.

    Doch früh am Morgen kräht der Hahn. Danach strecken alle Tiere alle viere von sich und fangen an, Lärm zu machen, weil sie etwas zu fressen haben wollen. „Frau! Steh mal auf, und schau mal, was da drau&szligl;en los ist! Diesen Lärm halt man ja im Leben nicht aus!“ — „Geh Du doch! Na, mach schon! Mach Deinen Viechern was zu fressen. damit die endlich Ruhe geben!“. So war das ganz ganz früher, als die Menschen zwar Landwirtschaft trieben und noch keinen Wecker hatten. Eines Tages aber haben sie beschlossen, beim ersten Hahnenschrei aus dem Bett zu klettern, in Eiseskäte noch vor dem Frühstück sich in die Futterküche zu schleppen, und den Schweinen, was zu fressen zu machen. So entstand die Gewohnheit der Deutschen, früh aufzustehen.

    Die Georgier sind früh am Morgen noch nicht ganz nüchtern von der letzten Nacht. Oder die Rinder und Schweine kriegen auch Schnaps, damit sie schön schlafen.

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  2. genova68 schreibt:

    Danke für diese wertvollen Hinweise. Was wäre ein Blog ohne seine mit- und vorausdenkenden Leser.

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  3. Jakobiner schreibt:

    „Eines Tages aber haben sie beschlossen, beim ersten Hahnenschrei aus dem Bett zu klettern, in Eiseskäte noch vor dem Frühstück sich in die Futterküche zu schleppen, und den Schweinen, was zu fressen zu machen. So entstand die Gewohnheit der Deutschen, früh aufzustehen.“

    Ja, der Hahn auf dem Misthaufen war der frühere Wecker/Weckruf. Wir haben noch einem im Dorf, der aber entfernt werden musste, weil eine norddeutsche Zugereiste sich wegen morgentlicher Ruhestörung belästigt fühlte. Wecker geht, Hahn nicht mehr–paradox. Selbiges mit Kirchglockengeläut. Hähne dürfte es aber auch in anderen Ländern als biologischen Wecker geben–da müssen die Tiere bei anderen Agrargesellschaften auch gefüttert werden. Ich habe mal das Buch von Berndt Engelmann „Krupp“gelesen. Als die ersten Bauern in die Industriebetriebe einrückten, waren sie noch ihren biologischen Rhytmus gewohnt und verliesen oft die Fabrik, um sich am Fluß zu räkeln, auszuruhen und zu fischen. Krupp liess darauifhin seine neuen bäuerlich geprägten Arbeiter immer wieder einsammeln und spendierte ihnen Uhren, damit sie in Takt mit den Produktionszeiten zu leben lernten. Momentan diskutiert man auch, ob man die Schule und die Arbeit später beginnen lässt, damit die Leute ausgeschlafen sind und wegen des Biorythmus.Arbeitswütige Menschen und Traditionalisten sprechen sich aber dagegen aus.

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  4. neumondschein schreibt:

    Als „Manisch-bekloppte Frühaufsteher“ hat Bloggerkollege Erdmann meine Landsleute beleidigt.

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  5. genova68 schreibt:

    Immerin gibt es mittlerweile oft die Gleitzeit. Ich erinnere mich an Geschichten kurz nach der Wende. Die Ostdeutschen sollten unterm neuen Westchef um sieben die Arbeit beginnen. Es war ihnen zu spät. Sie wollten weiterhin um sechs anfangen. Irgendwer schrieb einmal, der deutsche Arbeiter sei schlau, denn er wolle dem Chef nicht seinen ganzen Tag schenken. Deshalb fange er früh an und höre früh auf.

    Vor acht Uhr sollte man das Haus nur verlassen, wenn der Flieger geht, wie man sagt.

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  6. Jakobiner schreibt:

    Eurozentrisches Expertentum versus weltgeschichtlichem Kosmopolitismus ala Oswald Spengler–ein deutsches Grundproblem?

    Warum haben viele deutsche Entscheidungsträger samt ihrem Volk und Bildungssystem keine kosmopolitische Bildung und brauchen immer „Sachverstand“ und Experten, um mal selber grobe Grundlinien aufgrund eine Minimalwissens internationaler Zusammenhänge und grober Landeskunde formulieren und denken zu können? Zumal diese Experten, die man immerzu konsultiert, wenn man nicht den Mut und die Zivilcourage hat, mal eine eigene Meinung zu vertreten und auf die man sich dann mangels Zweifels an der eignenen Urteilsfähigkeit verlässt vom Bau der DDR-Mauer bis zum arabischen Frühling so konsequent gnadenlos falsch gelegen haben? Und daran haben all jene interkulturellen Seminare nichts geändert, die andere Länder vor allem auch nur kulturell und sonst gar nicht deklinieren und kein ganzheitliches Bild zeichnen, sondern eher eurozentrischen Projektionen in andere Kulturen und Staaten gleichen oder dem Gegenextrem postkolonialer Genderstudien diese anderen Länder als gleichartig, ja zumal gleichwertig aufzufassen, dass sie eigentlich mit der historisch neuzeitlichen kurzlebigen liberalen Demokratie kompatibel seien und sein müssten, da alles andere sonst Rassismus des „old angry white man“ und auch „angry white woman“ ala islamkritischen Feministinnen und neuerdings vorgeblichen Reaktionärinnen ala Alice Schwarzer sei.

    Vielleicht hängt es ja mit der deutschen Untertanenmentalität und dem humanistischen Erbe zusammen, das vor allem ein eurozentrisches Weltbild und eine gewisse Arroganz und Ignoranz hervorbrachte, das vor allem von Griechen und Römern, bestenfalls noch von der Aufklärung geprägt wurde, wie dies Oswald Spengler richtigerweise als Kritik am deutschen Bildungsbürgertum kritiserte, da er in seinem „Der Untergang des Abendlands“ klarmachte, dass europäische Geschichte eben nicht Weltgeschichte ist und es neben den Europäern eben auch andere gibt und nach ihnen geben wird, die die Geschichte bestimmen können.

    Naja, die Deutschen gelten ja weltweit als Reiseweltführer. Viel kommt da aber scheinbar nicht rüber ausser Ballermann, Toskana-Multikulti-Linke samt ihrer Köchin Sarah Wiener auf dem 68er-Nostalgiesender ARTE, , kulinarisches, edle Weinsorten, Schrebergartenökologismus, schöne Landschaften und Traumschiffe,die wie Campervans die Welt verpesten und beide eine völlige Desinteressiertheit gegenüber dem Rest der Welt offenbaren und zumal auch filmisch solche weltbewegenden Fragen aufwerfen, ob Florian Silbereisen der neue Kapitän des Traumschiffs werden soll und warum Kübelböck in Frauenkleider von einem Kreuzfahrtschiff sprang. Diues neben Dschungelcamps eigentlich so die wesentlichen Fragen, die die Deutschen bewegen. Ein rechter Wohlstandschauvinismus, der sich herausbildet und den die sozialen Fragen gar nicht mehr interessieren.

    Man wünscht sich einen Scholl-Latour und seinen Typus zurück, der angesichts der Weltlage auch schon mal fragte, wie es um den Geisteszustand des deutschen Bildungsbürgertums und seiner mündigen Bürger beschaffen ist, wenn man angesichts der tektonischen geopolitischen Erschütterungen sich mit Fragen des Dosenpfands schwerpunktmässig beschäftigt.Heute wären es für Scholl-Latour wahrscheinlich die „dritte Geschlecht“-Toiletten für Transgender oder das Tempolimit, das mehr Aufmerksamkeit erhascht als weltpolitische Fragen.

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  7. genova68 schreibt:

    Bitte keine Propaganda gegen Sarah Wiener. Sie ist die Schutzheilige dieses Blogs.

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  8. Jakobiner schreibt:

    Dann stell auch ein paar Kochrezepte von der Sarah Wiener auf deinen Blog, so als intergrierte Kochstudionische.Neben Architektonischem dann auch Bio-Kulinarisches zur Kapitalismuskritik.

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  9. genova68 schreibt:

    Kulinarisches zur Kapitalismuskritik ist eine super Idee. Ich empfehle als Rezept:

    Blutwurst mehrere Stunden mit hoher Temperatur steinhart braten und damit Investoren bewerfen.
    Guten Appetit!

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  10. Jakobiner schreibt:

    Kennst du den Film „Eat the Rich“–ein anarchistischer Film, bei dem Reiche in einem Feinschmeckerlokal verfüttert werden? Könnte als Orientierung für deine kulinarische Blogecke dienen. Aber kannibalistisch und Fleisch–dürfte bei Veganern und Vegetariern gar nicht gut ankommen.

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  11. genova68 schreibt:

    Nee, Eat the rich kenne ich nicht. In einer antikapitalistischen Kulinarikecke würde ich für die dreistündige Mittagspause bei vollem Lohnausgleich plädieren, ob mit oder ohne Fleisch.

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  12. Jakobiner schreibt:

    Der Trailer zum Film: „Sie verabscheuen den Kapitalismus, aber sie verspeisen Menschen i ihrem Restaurant!“:

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  13. genova68 schreibt:

    Das Lexikon des Internationalen Films meint dazu:

    „Grelle Groteske mit nur wenigen überzeugenden Attacken auf tatsächliche Mißstände, die sich durch ihre schrillen Rundumschläge ins Abseits stellt. Selbst Freunde des krudesten britischen Humors dürften nur beschränkt auf ihre Kosten kommen, zumal die lärmende Musik die Nerven zusätzlich strapaziert.“

    Da ich mit meinen Kochrezepten auf die tatsächlichen Missstände hiniweisen will, kommt dieser Film für mich leider nicht infrage. Blutwurst auf Investoren werfen scheint mir da überzeugender.

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  14. Jakobiner schreibt:

    Zugegeben: Der Film ist sehr primitiv, setzt an die untersten Triebkräften des Menschen an. Ich habe ihn damals im Rahmen eines Filmabends der Münchner Autonomen in ihrem Infoladen gesehen. Die ganze Meute johlte und mir kam dieser ganze Schwarze Block wie ein Lynchmob vor, der nicht nur Kapitalisten fressen will, sondern auch die Kinder der erhofften Revolution.Nicht nur deswegen halte ich von diesen Leuten nichts,hate sie auch für gefährlich.

    Britischer Humor–der wird meiner Ansicht nach über Gebühr hochgejubelt. So schwarz und feinsinnig wie immer behauptet ist der auch nicht und der Otto-Normalbrite schon gar nicht. Es sei denn, man hält Nigel Farage für britisch-witzig. Und viele Briten sind keineswegs schwarzhumorig oder etwa ironiebegabt. Monte Python fand ich ambivalent. Ein paar treffende Milieustudien und Anspielungen, aber auch viel Klamauk. Mr. Bean–naja, ganz drollig, aber da ist der Black Adder eher zu empfehlen, wenngleich über die Zeit dann doch etwas langatmig. Interessant fand ich den US-amerikanischen Mr. Bean-Kinofilm–da wurde der britisch-humorige MNr. Bean hollywoodisiert und witzig war da nichts mehr, sondern alles nur noch krachend blöd und eher zum Ärgern als zum Lachen.Am beten finde ich noch solche britischen Serien wie „Yes, Minister“. Das ist die Sorte britischen Humors, mit dem ich mich am ehesten anfreunden kann.

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  15. Jakobiner schreibt:

    Der deutsche Humor ist auch in Änderung. Ich hatte damal ein interessantes Gespräch mit einem Briten und Amerikaner. Der meinte, Deutsche kenne man auf Partys von früher als jene Leute, die versuchten einen in tiefgründig philosophische und politische , zumal recht ernsthafte Gespräche zu verwicklen, eigentlich eher als Spaßbremsen ohne jegliche Lockerheit, ja eher Verbissenheuit und Verkrampftheit. Dies habe sich aber mit den 90er Jahren geändert, da es in Deutschland immer mehr Comedians nach US-Vorbild gebe und zumal auch die Loveparade eiun Ausdruck hedonistischer, witzioger Lebnensfreude und einer Spassgesellschaft sei.Die meisten Deutschen seien sehr viel lockerer, witziger und easy geworden. Ich frage mich aber, ob das wirklich so positiv ist. Oft sehne ich mich an jene politisch-philosophischen Langeweiler auf den Partys zurück.

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  16. Jakobiner schreibt:

    Auch ein Indikator für jungen deutschen Humor: Zum einen jetzt die europaweiten Schülerdemos für Klimaschutz, deren Anführer recht weltmissionarisch und ernst für die ökologische Wende eintreten. Gleichzeitig kursieren auf den Schulhöfen Ökowitze, wie mir mein Neffe berichtete, etwa:

    Wie nennt man eine übergewichtige Vegetarierin?
    Wie nennt man eine Demonstration von Veganern?

    Biotonne und Gemüseauflauf.

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  17. genova68 schreibt:

    Die Unterteilung junger Leute nach Nationen ist real längst passé. Das sind alles Klassenfragen. Bestenfalls bei Leuten aus dem Ostblock finden sich eher konservative Ansichten, ist meine Beobachtung.

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  18. Jakobiner schreibt:

    Elaboriert habe ich daraus folgenden Artikel verfasst, auf dessen Kritik und Widerlegung ich warte:

    Kurze Anmerkungen zum britischen und deutschen Humor

    Britischer Humor oder was dafür gehalten wird–der wird meiner Ansicht nach über Gebühr hochgejubelt. Zumal, wenn man Witze über britischen Humor und seine Anhänger macht, deutsche Liebhaber desselben todernst und gar nicht humorvoll reagieren, ja dies geradezu als Sakrileg sehen. Angeblich versteht man dann die feinsinnigen Pointen nicht. Dinner for One wird da ja als Sternstunde britischen Humors gesehen und läuft auf deutschen Öffentlichrechtlichen seit Jahrzehnten als Silvesterritual. Ich kann diesen running gag eines sich besaufenden Butlers nicht mehr ertragen und schalte da erst gar nicht ein. So schwarz und feinsinnig wie immer behauptet ist aber der britische Humor auch nicht und der Otto-Normalbrite schon gar nicht. Es sei denn, man hält Nigel Farage für britisch-witzig und den Brexit zum Totlachen, ja für britische Realsatire und war noch nie in einem working class-Pub, wo eher der platte, oberflächliche, zumeist rassistische und sexistische Volkswitz grassiert, der an Grobheit und Derbheit nichts vermissen lässt. Und viele Briten sind keineswegs schwarzhumorig oder etwa ironiebegabt. Monte Python fand ich ambivalent. Ein paar treffende Milieustudien und Anspielungen, aber auch viel Klamauk. Mr. Bean–naja, ganz drollig, aber da ist der Black Adder eher zu empfehlen, wenngleich über die Zeit dann doch etwas langatmig. Interessant fand ich den US-amerikanischen Mr. Bean-Kinofilm–da wurde der britisch-humorige Mr. Bean hollywoodisiert und witzig war da nichts mehr, sondern alles nur noch krachend blöd und eher zum Ärgern als zum Lachen.Am besten finde ich noch solche britischen Serien wie „Yes, Minister“. Das ist die Sorte britischen Humors, mit dem ich mich am ehesten anfreunden kann. Und wenn man Peter Sellers als britischen Humor sehen will trotz US-Hollywoodproduktionen, so waren doch sein „Der Partyschreck“ und „Küss meinen Schmetterling-Ich liebe Alice D.“ sehr gelungen, wenngleich es dann mit dem „Rosaroten Panther“wieder sehr flach wurde.

    Der deutsche Humor ist auch in Änderung, insofern er nicht nur auf die Zoten Kölner Faschingsbarden beschränkt aufgefasst wird und früher ja auch eine Bandbreite von Karl Valentin, Loriot (so hanseatisch-bürgerlich, dass es schon britisch anmutete) , Gerhard Polt bis hin zu Heinz Erhardt und dann den unsäglichen Otto, Dieter Krebs und Didi Hallervorden als Spektrum hatte. Ich hatte mal ein interessantes Gespräch mit einem Briten und Amerikaner. Die meinten, Deutsche kenne man auf Partys von früher als jene Leute, die versuchten einen in tiefgründig philosophische und politische , zumal recht ernsthafte Gespräche zu verwickeln, eigentlich eher als humorlose Spaßbremsen ohne jegliche Lockerheit, ja eher mit Verbissenheit und Verkrampftheit- der bierernste Teutone und Hunne eben, der je nach Klassenzugehörigkeit dann eben rumproletet oder sich als dialektischer Hegelscher Wein- und Weltgeist in Weltschmerz versenkt und darin versinkt. Naja, etwas sehr pauschal. Als hätte es unbeschwerte Frohgeister und beschwingte Blödelköpfe wie Otto und Heinz Erhardt und ihre zahlreichen Anhänger und Nachahmer nie gegeben. Aber nun zur Pointe:

    Diese deutsche Humorlosigkeit habe sich aber mit den 90er Jahren geändert, da es in Deutschland immer mehr Comedians nach US-Vorbild gebe und zumal auch die Loveparade ein Ausdruck hedonistischer, witziger Lebensfreude und einer Spassgesellschaft sei.Die meisten Deutschen seien sehr viel lockerer, witziger, unverkrampfter, relaxter und easy geworden. Es gibt ja auch ganz gute Synthesen zwischen dem klassisch mehr ernsten politischem Kabaret und der neuen Comedy, wie etwa Dieter Nuhr oder Switch oder die mehr infotainige Anstalt, aber leider überwiegen plumpe und primitive Blödelcomedians wie Mario Barth und Konsorten, die auch bei Mediamarkt und Aldi auftreten. Also scheinbar auch klassenabhängig der Humor, aber dies soll jetzt keine soziologische Doktorarbeit werden. Ich frage mich aber, ob das wirklich so positiv ist. Oft sehne ich mich nach jenen politisch-philosophischen Langeweilern auf den Partys zurück., da oft gar nicht mehr geredet und diskutiert wird, sondern sich nur noch in Geblödel, Karriere, Fitness- und Markenangeberei und Smalltalk ergangen wird oder man sich taubstumm mit lautstarker Musik, bei Jüngeren mit Technomusik volldröhnt und einem nur noch Tanzen, Buffettstürmen und Sichbesaufen bleibt.

    Umgekehrt wird diese neue Humorigkeit auch wieder eingebremst durch eine überbordende Political Correctness, die zwar den positiven Effekt hat, dass rassistische Negerwitze und herrenmenschwitzige Frauenzoten ein wenig eingedämmt wurden, aber dann auch jedes Spielen mit Mentalitäten, Stereotypen, Archetypen und Klischees verunmöglicht wird, die eben auch Grundlage der meisten Witze und eines guten Teils des Humors sind. Aber diese genderfeministisch-ökopostkolonialen Neoautoritären werden durch ihre zensorische Strenge und Hyperkorrektheit selbst wieder zum Objekt humoriger Witze, ja machen sich selbst zu Witzfiguren und Zielscheiben breiten Gespötts–von Dieter Nuhr bis hin zu Switch. Anderes Beispiel:

    Auch ein Indikator für jungen deutschen Humor: Zum einen jetzt die europaweiten Schülerdemos für Klimaschutz, deren Anführer recht weltmissionarisch und ernst für die ökologische Wende eintreten. Gleichzeitig kursieren auf den Schulhöfen Ökowitze, wie mir mein Neffe berichtete, etwa:

    Wie nennt man eine übergewichtige Vegetarierin?
    Wie nennt man eine Demonstration von Veganern?

    Biotonne und Gemüseauflauf.

    Ein Bekannter kommentierte den Artikel noch wie folgt:

    „Lieber Jakobiner
    da kann ich nur zustimmen, der berühmte britische Humor wird überschäzt oder von der Spitze, die wirklich gut ist, herunter-extrapoliert. Und die Legende von der deutschen Humorlosigkeit stammt wohl noch aus den feindseligen Zeiten in den Weltkriegen.
    Am Anfang habe ich die Heute-Show von Welke noch ganz lustig gefunden, der hat sich aber überlebt und merkt es nicht, das ist zu viel slapstick. Sein ehemaliger Mitstreiter Ehring (xtra3) dreht ganz schön auf.
    Und small talk kommt ganz auf die Umstände und die beteiligten Menschen an. Da geht auch oft genug Politik, Soziologie, Philosophie, zum Glück. Aber die ÖRlichen Fernsehserien sind nicht für uns gemacht, obwohl von uns mitfinanziert.
    Nettes Thema, machen Sie weiter!
    Gruss aus Singapur,
    Wolfgang Sachsenröder“

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  19. Jakobiner schreibt:

    Ich versuche ja gerade diese angeblichen nationalen Unterschiede aufzulösen in ander eKategorien, aber gleichzeitig: Ist es eine Frage der Klasse, des Alters oder einfach der politischen Einstellung, die trotz gemeinsamen Alters und gemeinsamer Klasse durchaus unterschiedlich sein kann?

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  20. Jakobiner schreibt:

    Und wenn man diese nationalen Unterschiede versucht aufzulösen, weil sie in dieser Absolutheit und vermeintlichen Spiegelhaftigkeit niemals existierten und existieren noch existieren werden: Ist die Form und der Inhalt des Humors eine Frage der Klasse, des Alters,der Hautfarbe (Rasse darf man ja nicht mehr sagen) des Geschlechts (man sollte Gender sagen) oder einfach der jeweiligen politischen Einstellung, die trotz gemeinsamen Alters, Geschlecht, Hautfrabe, gemeinsamer Klasse und/oder eben gemeinsamer Nation durchaus unterschiedlich sein kann? Darf man dann keine Witze mehr über diese Kateogorien der Unterschiedlichkeit und Klischeses oder eben auch partiellen Unterschiede machen, die aber die Basis der meisten Witze sind und auch von den jeweiligen Gegenübers solcher Unterschiede als witzige Frotzeleien angesehen werden, die die Unterschiedlichkeit akzeptieren, aber die Gemeinsamkeit trotz dieser Unterschiedlichkeiten propagieren und mehr als witiziger Appell von Toleranz und Zusammenleben in Einigkeit bei aller Diversität angesehen werden und alle Unterschiede nicht zu ernst zu nehmen.

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  21. Jakobiner schreibt:

    Die Unterteilung junger Leute nach Nationen ist real längst passé. Das sind alles Klassenfragen.

    Haben die Jungen in China, Nordkorea, Zentrasien, und Restasien denselben Humor wie die europäischen Jugendlichen? Wie sieht es unter Trump- und Hillary-Jugend aus? CDU/CSU/AdD und SPD/Grünenjugend aus?

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  22. genova68 schreibt:

    Wie gesagt, DEN chinesischen Jugendlichen gibt es nicht mehr. Alles fließt. Ich kenne Südkoreaner, die wegen des Drills dort auf keinen Fall in ihr Land zurückwollen und hier studieren und einen Job suchen. Und Ägypter, die dort freizügig herumlaufen, aber quasi in gated communities leben, inklusive Taxis und Privatclubs. Je mehr eine Nation ihre Nationalität betont, desto kaputter ist die dortige Gesellschaft, vermute ich. Ob Ägypten, USA oder Russland: Der Kitt bröselt immer mehr, und das ist gut so.

    Es ist alles Soziologie, und die dahinterliegenden Mechanismen sind schon oft beschrieben worden.

    Du „darfst“ übrigens von Rasse reden und was eine „rassistischer Negerwitz“ ist, mir nicht klar. Meinst du einen rassistischen Witz? Ehrlich gesagt: Diese Behauptung angeblicher Verbote sind ein beliebtes Stilmittel der Rechten. In Wahrheit haben sich sämtliche Verbote gelockert. Wir dürfen alles sagen. Ich darf hier auch einen rassistischen Witz machen, wenn mir danach ist.

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  23. Jakobiner schreibt:

    Dass es nicht völlig homogene Völker und Kollektive gibt, richtig. Dennoch dürfte es so eine Art Mainstzreamwitz geben, der weder von politischen Autoritäten noch sonstigen Leuten als störend empfunden wird und der grossen Bevökerungsmenge entspricht. Und politische Witze: Selbst zu Zeiten des Nationalsozialismus gab es Hitler- und andere subtile Witze in der Bevölkerung, die penibel von der GeStaPo registriert und als Indikator für die Befindlichkeit im Volk aufgefadt wurden. Analoges in der DDR und der Sowjetunion.Kann man auch im Film „Das Leben der anderen sehen“, wo selbst der Stasimann einen Honneckerwitz macht, bei dem er dessen Aufhängen am Telefon fordert. Oder heute in China. In den sozialen Medien wurde Xi Jinping aufgrund seines Lächelns mit Winnie Pooh, dem Bären dargestellt, weswegen dies jetzt in China verboten ist. Ich würde da nochmals unterscheiden in Witze in autoriären und liberalen Ländern. Bei ersterem ist der politische Witz verboten. In Nordkorea stände darauf Umerziehungslager und KZ.In Südkorea ist dies wieder anders. In Nordkorea und China wie auch Russland oder der Türklei gibt es keine Satiresendungen im Fernsehen.Bestenfalls ging ein solch unpolitischer Blödelcomedian wie Mario Barth.Autoritäre Herrscher verstehen keinen Spass.

    Im Gegensatz zu dir finde ich schon, dass es in linken (wie wohl auch in rechten) Kreisen schon so etwas wie Political Correctness gibt. Zeigt sich auch an der Gendersprache und da reagieren diese Leute recht hyperkorrekt. Von Verboten habe ich nichts geschrieben, das legst du mir in den Mund.Ich habe auch nicht einmal behauptet, dass das Mainstream ist, da diese Leute nicht die Macht dazu haben . Aber hätten sie diese, wäre Schlimmeres zu befürchten.

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  24. genova68 schreibt:

    Du hast geschrieben „Rasse darf man ja nicht mehr sagen“. Daraus schließe ich, dass das jemand verboten hat. Wer wie reagiert, ist wieder eine andere Frage.

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  25. Jakobiner schreibt:

    Du legst aber wirklich jedes Wort wirklich auf die Goldwaage, um dir weas zusammenkonstruieren zu können..

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