Mussolini und das Metaphysische

Über Architektur lässt sich bekanntlich einiges an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen visualisieren, besonders, wenn die Gebäude noch stehen. Ein Beispiel dafür sind die Städte und Städtchen, die von Mussolini in vielen Gegenden Italiens errichtet wurden. Es ist dort weithin moderne Architektur entstanden, Bauhaus-like, was den ahnungslosen Betrachter aus Deutschland nicht an Faschismus denken lässt, sondern schlicht ans Neue Bauen.

Der immer lesenswerte Architekturkritiker Niklas Maak schrieb schon 1999 in der Süddeutschen Zeitung (14.8., S. 13) über den Ort Sabaudia, gelegen zwischen Rom und Neapel, den Mussolini in eine sumpfige, dann trockengelegte Landschaft setzen lies. Sabaudia war ein Symbol für den Fortschritt: Einst malariabringende Feuchtigkeit, jetzt eine Ordnungsvision. Maak schreibt: In Sabaudia

„sollte es nichts als gerade Linien und Reinheit und leere weiße Räume geben. Wäre man je auf die Idee gekommen, de Chiricos Schattenwelten in Lebensgröße zu bauen, sie hätten ausgesehen wie Sabaudia. Nirgendwo spürt man den desinfektorischen Furor der Moderne so sehr wie hier. Die verworrenen Gassen von Rom, schrieb er französische Architekt Auguste Perret 1940 in seinem Werk ´Mussolini Batisseur`, seien nur Abbild einer sozialen Krankheit, und Mussolini habe diese Krankheit zerschlagen mit seinen großen, großartigen Achsen.“

Interessant, dass de Chirico und Perret genannt werden, die noch niemand der Faschismusnähe bezichtigt hat. Wieso auch? DeChirico malte reine, klare, ans Metaphysische erinnernde Stadtansichten, Perret hat frühe und großartige Gebäude aus Stahl- bwz. Eisenbeton errichtet. Dass die verworrenen römischen Gassen eine soziale Krankheit seien, wirkt heute überaus befremdlich, aus der damaligen Zeit heraus verständlich.

Faschistische Orte weiter im Norden, in der Poebene, von denen es dort einige gibt, sehen nicht so gerade und rein und weiß aus, wohl auch, weil der Zahn der Zeit, wie man sagt, an ihnen nagte und nagt, sind aber immer noch gut als in der Moderne entstandene erkennbar. Beispielsweise in Tresigallo, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Ferrara und der Po-Mündung. Tresigallo war die Heimat Edmondo Rossonis, der unter Mussolini eine Weile Landwirtschaftsminister war. Vorher war er interessanterweise Mitglied der Sozialistischen Partei. Er hatte offenbar großen Ehrgeiz, den Ort komplett umzugestalten. Heraus kam ein Museum des italienischen Rationalismus:

Es erinnert ein wenig an das, was man in Deutschland „Neues Bauen“ nannte. Fenster über Eck, dynamische, runde Ecken, in- und übereinandergesetzte Kuben, fehlende Sockel, Bullaugen, schmale Gesimse, die als Ornamente fungieren, schmale Laibungen, Flachdächer und ein Kreisverkehr, dem die anliegenden Gebäude sich mit Schwung anpassen. Kein Vergleich zur NS-Architektur, mit Ausnahme vielleicht des Campo-Sportivo-Gebäudes.

Es soll hier naturgemäß nicht um eine Relativierung der Mussolini-Diktatur gehen, dennoch ist der Unterschied zum Nationalsozialismus enorm, politisch wie ästhetisch. Der Anschluss Hitlers an moderne Architektur war ideologisch nicht möglich: nicht deutsch genug, zu elegant, zu wenig bodenbezogen, zu wenig Sockel, zu sensitiv. Die casa del fascio von Terragni gilt als Paradebeispiel der Verbrüderung oder Verschwesterung von rationaler Architektur und Faschismus. Stimmt, der Rationalismus war offenbar an den Faschismus anschlussfähig, aber eben nicht an den Nationalsozialismus. Nazis haben sehr begrenzt in abgelegenen Industriebauten moderne Attribute verwendet, einfach, weil es praktischer war. Es gab aber keine ästhetische Annhäherung. Moderne Architektur war entartete Baukunst.

In Deutschland ist Nazi-Architektur entweder das Gigantomane – so als italienisches Pendant vielleicht und mit großen Abstrichen der römische Stadtteil EUR genannt werden kann – oder Heimattümelei: kleine Fenster, massive Sockel, lächerliche Details,  abstoßend und langweilig zugleich. Siedlungen, bei deren Betrachtung man sich die Geisteshaltung seiner Bewohner vorstellen kann. Blogwarte. In Italien gibt es diese Entwicklung nicht.

Vielleicht sieht man hier einen Unterschied zwischen dem aktuellen Erfolg der Lega Nord in Italien und der AfD in Deutschland. Was in Italien nur halb so heiß gegessen wie gekocht wird, kann in Deutschland naturgemäß anders ausgehen. Kein deutscher Faschist ohne das „Wir sind die Besten“, ohne die Erhebung über alle Nichtarier, was ansatzweise schon im deutschen Durchschnittsbürger steckt und aktiviert werden kann. Vielleicht sollte Deutschland in dem Moment, in dem eine rechtsradikale Partei im Parlament sitzt, unter UNO-Verwaltung gestellt werden. Blauhelme und so.

Einigermaßen vergessen ist ja, dass im Zweiten Weltkrieg haufenweise norditalienische Städte bombardiert wurden – nach der italienischen Kapitulation. Warum? Weil Deutsche es für nötig hielten, auch dort nach 1943 ihren Widerstand zu leisten. Das Gedenken an die italienischen Partisanenopfer ist nach wie vor lebendig, nicht in Deutschland, aber in Norditalien. Ein Besuch im Resistenza-Museum in Bologna lohnt.

(Fotos: genova 2017)

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10 Antworten zu Mussolini und das Metaphysische

  1. neumondschein schreibt:

    Kein deutscher Faschist ohne das „Wir sind die Besten“, ohne die Erhebung über alle Nichtarier, was ansatzweise schon im deutschen Durchschnittsbürger steckt und aktiviert werden kann. Vielleicht sollte Deutschland in dem Moment, in dem eine rechtsradikale Partei im Parlament sitzt, unter UNO-Verwaltung gestellt werden. Blauhelme und so.

    Nein nicht AfD, Reconquista Germanica und so, sondern Monopolpresse, öffentlich-rechtlicher Rundfunk eingeschlossen: Hitler wollte ja ein einiges Deutschland in einem vereinten Europa, das allerdings Rußland einschließt. Dasselbe will die Monopolpresse. Unsere hiesigen Rechtsparteien dagegen wollen egoistische Politik, also Scheißdrauf-Politik, Hauptsache-uns- geht’s-gut-Politik. Die Monopolpresse meint, Deutschland sowie das deutsch gewordenen Europa vertrete Werte. Deutschland müsse jetzt über andere kommen, damit auch die anderen unsere Werte teilen. Das sieht Hitler ähnlicher aus als die Herumkrakeelerei hiesiger Rechtsparteien.

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  2. Jakobiner schreibt:

    Der italienische Faschismus war im übrigen durch die Bewegung der Futuristen sehr geprägt, was sich auch in der Architektur widerspiegeln dürfte. Im Januar 1914 schrieb Enrico Prampolini das erste futuristische Manifest zur Architektur (L’atmosferastruttura. Basi per una architettura futurista). Der wichtigste Vertreter der Architektur war bis in den Krieg hinein allerdings Antonio Sant’Elia. Seine Entwürfe waren originell und eindrucksvoll, sein Kriegstod 1916 verhinderte jedoch eine Umsetzung

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  3. Jakobiner schreibt:

    Der Futurismus (von lat. futurum = Zukünftiges ) war die erste radikale Bewegung der Avantgarde, die mit den als veraltet empfundenen Traditionen brach und eine Kunst zu schaffen suchte, welche den Anforderungen des modernen (technisierten und dynamisierten) Lebens gerecht werden sollte. Der Begriff der künstlerischen Avantgarde taucht zum ersten Mal im Gründungsmanifest von 1909 auf. Zentrales Anliegen war dementsprechend die Abbildung von Bewegung und Simultaneität (Gleichzeitigkeit). Initiiert wurde der Futurismus von Filippo Tommaso Marinetti, der im Pariser Figaro vom 20.2.1909 das Gründungsprogramm „Manifeste du futurisme“ veröffentlichte. Die Bewegung des Futurismus ist die Erste die sich auf die Straße begibt und sich zu den Massen bekennt ( Moderne Massenkultur) und entschiedener Gegner der Bürgerlichkeit ist.
    Dem folgte eine wahre Flut weiterer theoretischer Schriften. Der Futurismus revolutionierte die Darstellungsmodelle von Literatur, Musik, bildender Kunst (Manifesto dei pittori futuristi, 1910) und Architektur. Zwischen 1910 und 1920 griff er – wenn auch unter anderer Akzentuierung – auf Russland über. Deutlich spürbar war auch sein politischer Impuls, teils mit faschistischen Implikationen (Beispiel hierfür ist Marinettis Schrift Futurismus und Faschismus von 1924).

    Die Bewegung des Futurismus war überaus einflussreich auf die Entwicklung von Strömungen der Moderne wie Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus, Konstruktivismus und Fluxus. Namentlich Alfred Döblin, Marcel Duchamp, Fernand Léger und El Lissitzky verdanken dem futuristischen Kunstmodell entscheidende Anregungen.

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  4. schlingsite schreibt:

    Ach so, Adi wollte also gar nicht die Herrschaft einer angeborenen Weltanschauung mittels Rassezucht, sondern nur ein friedliches Europa.

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  5. neumondschein schreibt:

    Adi wollte Frieden. Immer hat Adi nur Frieden gewollt. Hat er jedenfalls gesagt. Natürlich nicht jeden x-beliebigen Frieden sondern den Frieden zu seinen Bedingungen.

    Aber das, was Adi trotz großen Anstrengungen nicht gelang, fiel Deutschland nach 1989 einfach so zu. Abgesehen von Jugoslawien ging es dabei nicht so häßlich zu.

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  6. genova68 schreibt:

    Ja, der Futurismus. In der Architektur spielt der keine große Rolle, glaube ich. Ich wüsste kein Gebäude, das damit in Zusammenhang gebracht würde. Wobei es in der Tat Antonio Sant´Elia gab, mit dem ich mich noch nie beschäftigt habe. Kurzes googeln ergibt ganz interessante Zeichnungen, die ihrer Zeit runde sechzig Jahre voraus sind, es erinnert an Strukturalismus und Brutalismus. Man könnte auch Bezüge zu John Portman herstellen, zu seinem bekannten Hotel irgendwo in Amerika. Städtebaulich ist es wohl in vielem die Verwandtschaft mit Corbusier und anderen Megalomanen.

    Ich habe das futuristische Manifest nie ernstgenommen, weil es mir zu pubertär, zu gewollt aggressiv erschien. Pro Krieg, Aggression, und das 1914. Konsequenterweise sind seine Vertreter dann auch im Krieg gefallen, wie man sagt.

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  7. Jakobiner schreibt:

    Ich weiss ja nicht, wie der italienische Faschismus und der Futurismus ästehtisch zusammenpassten. Ihre Anbetung von Krieg, Maschinen, Machokult und Heldentum, Geschwindigkeit passt ja noch zusammen. Zum anderen wollte der Futurismus, wie der Name schon sagt weg von der nostalgischen Vergangenheit hin zur modernen Zukunft während der Faschismus ja gerade das Römische Reich wiederbeleben wollte.Die von Genova gezeigten Bauten weisen aber keine nostalgischen Elemente auf. muten eher modern und nach Bauhaus und eben Neuem Bauen an, was dann wiederum doch der Einfluss des Futurismus sein könnte. Vielleicht unterscheidet sich hier der italienische Faschismus vom deutschen Nationalsozialismus, der Anleihen am Klassizismus und Monumentalismus ala Germania nahm.

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  8. genova68 schreibt:

    Soweit ich weiß, hat Mussolini sich später deutlich am Klassizismus orientiert, der römische Stadtteil EUR zeigt das deutlich. Vermutlich ging moderne Architektur und Futurismus eine Zeitlang miit dem Faschismus zusammen, später dann nicht mehr. Mir sind auch nur solche modernen Gebäude aus Italien bekannt, die noch in den 1920ern gebaut wurden. Aber es stimmt schon, die Anbetung von Maschinen, Machos und Geschwindigkeit ist mit Faschismus natürlich ohne Weiteres kompatibel.

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  9. Jakobiner schreibt:

    Man sollte auch nicht vergessen, dass Mussolini anfangs auch die Montessorischulen förderte, bevor er der Reformpädagogik ihrer Gründerin überdrüssig wurde. Vielleicht experimentierte und improvisierte der iotalienische Faschismus auch am Anfang etwas, um sich dann wie der Bolschewismus vom Konstruktivismus und anderen progressiven Kinustrichtungen, bei denen er Anleihen anfangs nahm zum dogmatischen Sozialistischen Realsimus wurde. Vielleicht unterscheiden sich ja da auch die Phasen des Faschismus in der Architektur und vielleicht auch regional–ob es nun symbolisch um die römische Hauptstadt samt EUR ging oder um die Urabrmachung und Moedernisierung ehemaliger Sumpfgebiete.Die CSU würde vielleicht sagen: Lederhose und Laptop!

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  10. Jakobiner schreibt:

    Was vielleicht auch ein Faktor sein dürfte: Mussolini beschäftigte sich anders als der gescheiterte Kunststudent Adolf Hitler selbst kaum mit Kultur, Kunst, Architektur und Musik. Anders als Hitler hatte er kein feststehendes Kulturbild im Kopf, während der vermeintliche Alleswisser und – könner schon ein Konzept von Monumentalarchitektur bis hin zu Wagner und germanischer Kunst samt unentarteter Kunst im Kopf hatte. Von daher dürfte Mussolini anfangs offener gewesen sein als der schon mit einem hermetischen Weltbild ausgestattete GröFaZ.

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