Bauen in München: „Vom Gemeinwohlgedanken verabschiedet“

Die formidable Laura Weißmüller rezensiert in der Süddeutschen Zeitung (März 2018) eine Münchner Ausstellung zum „Wohnungsbau in Bayern 1918 – 2018“ im Architekturmuseum der TU München. Heraus kommt eine für die Süddeutsche ungewohnte Investorenschelte:

Will der Staat, dass seine Bevölkerung, also alle, die hier leben, ein würdiges Zuhause haben? Dann muss er selbst dafür sorgen und darf es nicht dem Markt überlassen.

Würdiges Wohnen, menschenwürdiges Wohnen ist demnach vom Markt nicht zu realisieren, zumindest nicht in attraktiven Städten.

Gerade die Genossenschaften, die in den Fünfzigern ihre Hochphase erlebten, halfen gegen die Wohnungsnot nach den Weltkriegen. Es ist kein Zufall, dass ihre Wohnungen heute gerade in teuren Städten wie München oder Regensburg für viele Menschen die Rettung sind, denn die Genossenschaften können etwas bieten, an dem die Privaten gar nicht interessiert sind: dauerhaft günstige Mieten.

Nicht kapitalistisch organisierte Genossenschaften sind die „Rettung“. Wovor? Vor Ausbeutung, kann man wohl schreiben.

Welche Chance auf eine gerechte Gesellschaft – denn darum geht es  – die öffentliche Hand vergab, indem sie sich in den vergangenen drei Jahrzehnten konsequent vom Gemeinwohlgedanken verabschiedet hat, zeigt das Beispiel Wien: Mehr als die Hälfte aller Wiener leben zu bezahlbaren Mieten in Wohnungen der öffentlichen Hand.

Die Chance auf eine gerechte Gesellschaft ist also vertan. Frau Weißmüller sollte bei der jungen welt anheuern, dann kann sie den Sachen noch besser auf den Grund gehen.

Weiter unten im Artikel fordert Weißmüller gar die Hauszinssteuer von 1924 zurück. Die hatten alle Besitzer von Wohneigentum zu entrichten und damit wurden Neubauten in erheblichem Umfang finanziert. Ob eine Hauszinssteuer heute noch nötig ist, weiß ich nicht, denn man kann heute billiger bauen als damals. Reale, faktische Preise, die auf den realen Baukosten beruhen und den Bodenpreis bei null belassen, wären wohl eine sinnvollere Antwort.

Die Antwort auf die Wohnungsfrage ist der sichtbare Beweis, wie der Staat es mit seiner Gesellschaft hält.

Dieser Staat hält es mit seiner Gesellschaft offenbar nicht gut. Nichts Neues, aber als Fundamentalkritik in einem bürgerlichen Blatt immer bemerkenswert. Nimmt man diesen Anspruch von Laura Weißmüller Ernst, so kommt man kaum umhin, diesen Staat in seinen jüngsten Umtrieben als gigantische Kapitalverwertungsermöglichung zu bezeichnen. Als Scheiß-Staat.

Es wird sich natürlich nichts ändern. Die Kapitalverwertung infrage zu stellen, ist eine Sünde, das ginge gegen Gott, es wäre quasi eine Todsünde des Systems, das seinen Mitgliedern seit 30 Jahren auf allen Kanälen fortwährend erzählt, dass Privatisierung die einzige Möglichkeit sei, die Verhältnisse zu verbessern.

So sieht kommunaler Wohnungsbau in Wien aus: Vier bis sieben Euro warm inklusive einem Schwimmbad auf dem Dach:

(Foto: genova 2015)

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29 Antworten zu Bauen in München: „Vom Gemeinwohlgedanken verabschiedet“

  1. dame.von.welt schreibt:

    Dieser Artikel, oder?

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  2. genova68 schreibt:

    O, ja, danke!

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  3. dame.von.welt schreibt:

    Es gäbe noch einen von ihr, mit mehr Bildern.

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  4. Leo Brux schreibt:

    Ich hab – als Abonnent der SZ – den Artikel mit viel Kopfnicken gelesen.

    Was den „Scheißstaat“ angeht, kombiniere ich mein Kopfnicken mit einem Kopfschütteln – das Blöde ist da ja, dass ich selber der Staat bin, und ich möchte mich nicht selber so einseitig (!) negativ bewerten.

    Mitgegangen – mitgefangen – mitgehangen

    Ok, das haben wir schon genug diskutiert. Vielleicht führt eine Frage weiter:

    Wer vertritt in Deutschland heute am ehesten eine Politik des sozialen Wohnungsbaus?
    Wen bzw. welche Partei würde Laura Weißmüller unter wohnungspolitischen Gesichtspunkten wählen können?

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  5. genova68 schreibt:

    Ich zumindest bin nicht der Staat, der die Ausbeutungslogik im Wohnsektor immer massiver ermöglicht. Ich habe damit nichts zu tun. Mitgehangen nur, weil ich dazu gewzungen werde, ich will nicht unter der Brücke leben. Du machst hier den gleichen Fehler wie im Nachbarthread. Statt diese Missstände zu benennen und radikale Abhilfe zu fordern, sagst du einfach: ja, das ist nicht gut, aber wir sind alle Schuld und außerdem liebe ich Deutschland, das ist doch so wahnsinnig lebenswert. Das ist die beste Methode, die Verhältnisse zu zementieren. Damit hätte es übrigens noch nie einen gesellschaftlichen Fortschritt gegeben. Falls du es genau wissen willst: ja, ich halte Deutschland sicher für lebenswerter als Somalia, aber was soll diese Aussage? Ob ich Deutschland für lebenswerter halte als andere, ärmere Länder, weiß ich nicht, wie soll ich das beantworten?

    Zu deiner Frage: Am ehesten vermutlich theoretisch die Linkspartei, aber die kriegen in der Praxis nichts zustande, eigentlich machen die eher das Gegenteil. Es geht auch nicht um Parteien, von denen kann man diesbezüglich nichts erwarten, die sind zu dämlich, zu korrupt, zu systemverwoben, zu unattraktiv mittlerweile für intelligente Menschen. Es ginge nur über massenhaften Widerstand der Bevölkerung, aber bevor die Deutschen das auf die Reihe kriegen, suchen sie lieber einen Feind außerhalb und beginnen einen neuen Krieg oder erhöhen den Export. Der Deutsche als Untertan ist nach wie vor Teil der kollektiven Identität. Der dadurch entstehende Triebstau wird auf der Autobahn entladen.

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  6. Leo Brux schreibt:

    „Statt diese Missstände zu benennen und radikale Abhilfe zu fordern, sagst du einfach: ja, das ist nicht gut, aber wir sind alle Schuld und außerdem liebe ich Deutschland, das ist doch so wahnsinnig lebenswert. Das ist die beste Methode, die Verhältnisse zu zementieren.“

    Dass ich die Missstände nicht benennen würde, müsstest du zurücknehmen. Du wirst mir zugeben, dass das zu plump ausgedrückt ist. Was du meinst, ist etwas anderes: Ich benenne die Missstände, kritisiere sie – und dann nehme ich die Luft aus der Kritik heraus, indem ich mich resignierend darauf beschränke, kleine Brötchen zu backen, und indem ich erkläre, dass es uns zurzeit alles in allem nicht schlecht gehe.

    Ich finde es nicht fair, dass du das so gegen mich drehst – also so tust, als ob ich der Kritik und dem Widerstand in den Rücken fallen würde.
    Es ist ja wohl eher das Gegenteil der Fall: Bei dir könnte man sich einfach wegdrehen. Warum soll man einem zuhören, der nur wütend kritisiert? Und dabei irgendwie hofft, es werde schon zu „massenhaftem Widerstand der Bevölkerung“ kommen? Sich selbst aber völlig von einer Bevölkerung abkoppelt, die er als blöde Untertanen verachtet.

    Möchtest du mir vorwerfen, dass ich die Menschen so mag, wie sie sind? Die Verhältnisse haben die Menschen so gemacht, wie sie sind. Sie sind also so, wie sie sein müssen. Ich werde sie so respektieren, wie sie sind. Dafür gibt es auch Grenzen, aber ich bemühe mich, diese Grenzen hinauszuschieben. Und Respektieren heißt nicht, auf Kritik, auch scharfe Kritik und ggfs. auf harte Gegenwehr zu verzichten.

    Ich möche meine Kritik hier nicht übertreiben. Deine Bitterkeit ist verständlich. Sie hat gute Gründe.

    Aber deine Art der Kritik bestätigt diejenigen, die an der rechten Revolution arbeiten. Wir haben einen „Scheißstaat“, und die einzigen, die da einen „massenhaften Widerstand der Bevölkerung“ hinbekommen, sind die Rechten. Also: Die AfD ist der Hoffnungsträger.

    So ist das nun: Die AfD ist der heute und bis auf weiteres Träger der revolutionären Hoffnung derer, die die gegebenen Verhältnisse unerträglich finden.

    Schon klar, dass diese Wende der Systemkritik nach rechtsaußen auch für dich ein Albtraum ist.

    Wie lange wird es noch dauern, bis ein relevanter Teil der Linken in Deutschland verstanden hat, worum es hier geht.

    Ich erlaube mir, auf Kandel zu verweisen:
    http://blog.initiativgruppe.de/2018/03/24/wir-sind-kandel/
    Linksradikale tun, was sie können, um der AfD zum Erfolg zu verhelfen.
    Von links und von rechts nehmen sie den „Scheißstaat“ in die Mangel. Weimar lässt grüßen.
    (Womit ich nicht gesagt haben möchte, dass ich dich zu der linksradikalen Pöbeltruppe zähle.)

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  7. Jakobiner schreibt:

    Genova zeigt ja mit dem Wiener Wohnungsbau eine gangbare Alternative, die sehr konstruktiv und recht einfach machbar ist, insofern man den politischen Willen dazu hat. Betrachten wir uns jetzt die GroKo und die jeweiligen Städte und Kommunen. Für die nächsten 4 Jahre sind 4 Mrd. Euro staatliche Wohnförderung geplant. 1 Mrd. Euro pro Jahr.Das ist kläglich, auch angesichts von 650 000 Obdachlosen in Deutschland, die bei dieser Eseskälte den Großteil ihrer Zeit draussen verbringen müssen.Kann man jetzt wie ein geneigter Kommentator dieses Blogs sagen, dass es Obdachlosigkeit, Wohnungsnot schon immer gegeben habe wie Prostitution und Korruption, aber das macht es sicherlich nicht besser, verewigt diesen Zustand erst und zementiert und toleriert ihn.Alles andere ist dann „linksradikal“–was auch mal die Frage stellt, von welchem politischen Standpunkt im links-rechts-Spektrum diese Positionierung vorgenommen wird.Gysi hat gestern im ORF etwas Richtiges gesagt. Die LInke leide einmal unter dem Zusammenbruch des Kommunismus und dann zweitens wegen der neoliberalen Politik der Sozialdemokraten und Grünen, die das Restvertrauen der links wählenden Bevölkerung in die Linke nachhaltig zerstört habe. Mit obigen affirmativen Argumenten für das „kleinere Übel“ befördert man diesen Trend erst richtig.

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  8. genova68 schreibt:

    Ich kann dir in allem zustimmen, Leo, und gleichzeitig widersprechen. Das liegt daran, dass das Thema so umfassend ist. Vielleicht kurz ein paar Gedanken dazu, auch in Verbindung mit der Diskussion im Nachbarthread:

    1. Du schriebst, dass Deutschland lebenswerter als die meisten anderen Länder sei. Ich kann dem nicht zustimmen, weil der Begriff problematisch ist. Das Gegenteil wäre lebensunwert, das hatten wir schonmal. Und wie soll ich dazu Stellung nehmen, wenn ich im Wesentlichen nur Deutschland kenne? Soll ich die Arroganz besitzen, Menschen in anderen Ländern zu sagen, dass ihr Land weniger lebenswert ist als Deutschland? Nur aufgrund irgendwelcher Kennzahlen? Die Oma, die mit Rente isoliert in ihrer deutschen Wohnung sitzt und die Oma ohne Rente in der Großfamilie in Ägypten: Wie soll man das vergleichen, was soll diese Werterei? Wir haben unterschiedliche Entwicklungen, wir haben die Moderne, wir haben die Kritik durch Leute wie Claude Levi Strauss usw. Das ist mir alles viel zu komplex, als dass ich so reden könnte.

    Außerdem ist der Begriff Deutschland uninteressant, der taugt meines Erachtens nur zum Bashen. Wo lebe ich, was will ich, wer bin ich? In Düsseldorf beispielsweise ist es in, die Lebensqualität herauszustellen. Wenn ich dort wenig Geld habe, sieht es allerdings nicht gut aus. Und wenn ich gerne Fahrrad fahre, auch nicht. Wenn ich gerne auf der Kö Ferraris angucke, sieht es dagegen gut aus. Kurzum: Das sind individuelle Fragen. Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, individuelle Freiheiten sind in D. vermutlich relativ gut ausgeprägt, aber auch da wäre ich mir nicht sicher, vor allem nicht, was die Entwicklung in den letzten 20 Jahren angeht. Da geht es bergab, und eine Reaktion sind die Rechten, die du kritisierst. Als Südländer in Bautzen sehe ich die Gesellschaft vermutlich anders, negativer. Dem kannst du ja gerne erzählen, dass es hier doch total lebenswert ist.

    2. Deinen Optimismus hälst du selbst nicht durch. Du liebst das Land und die Menschen angeblich und behauptest gleichzeitig:

    Es geht heute und in der nächsten Zeit nicht mehr darum, dass es besser wird; es wird alles schlechter werden. Wir können nur versuchen, den Abstieg zu bremsen. Wir haben jetzt eine Situation, in der bald eine Mehrheit der Leute diesen Staat und diese Gesellschaft gnadenlos schlecht machen wird. Damit gefährden sie unsere Lebensgrundlagen.

    Ja, was denn jetzt? Die Mehrheit in diesem Land ist offenbar scheiße. Ich entziehe mich dieser Situation, indem ich niemals ein Land und ein Kollektiv liebe. Ich finde meinetwegen eine Landschaft sympathisch und bestimmte Aspekte einer Stadt und ein Klima und ein Abendlicht. Aber bitte nicht alles. 80 Millionen sind zuviel, um sie zu lieben. Davon abgesehen finde ich in der Tat vieles hier unangenehm.

    3. Die Linksradikalen, schreibst du, betreiben (versehentlich) das Geschäft der Rechten. Gut möglich, die Auseinandersetzungen in Kandel mögen das bestätigen. Aber warum sollte mich das interessieren? Ich prügele mich nicht mit Polizisten, ich habe mit diesen Leuten nichts am Hut. Ich fände es ganz praktisch, wenn ich auch in 20 Jahren in diesem Land noch in Ruhe leben könnte, aber wenn es anders läuft, dann ist das eben so. Ich werde daran nichts ändern. Auch wenn ich ggfs. mitdemonstrieren würde gegen Rechte (und, wenn nötig, sogar Merkel wählen, um Gauland zu verhindern), so sehe ich mich als einer von 80 Millionen. Und dieser Blog hat überhaupt keine Verantwortung für irgendwas.

    Ich nehme Kritik in diesem Blog nicht zurück, weil irgendwelche Linksradikale in Kandel sich mit der Polizei prügeln. Ich liefere ihnen keine Munition, schon deswegen, weil ich keine habe. Wenn ich die etablierte Politik lächerlich mache und sie ablehne, dann geschieht das aus inhaltlichen Gründen. Scholz ist ein Arsch und Gauland auch, und für einen von beiden entscheiden tue ich nur bei absoluter Dringlichkeit. Du siehst, dass es natürlich einen graduellen Unterschied im Arschsein der beiden gibt, aber das muss ich nicht betonen.

    4.
    Für wen ist dieses gegebene – liberale, pluralistische, multikulturelle, rechtsstaatlich halbweg verlässliche, sozialstaatlich nicht ganz verkommene. außenpolitisch eher zurückhaltende und europaorientierte – Deutschland ein Gräuel? Für unsere rechten Revolutionäre. Sie werden mehr. Der Frust steigt. Die Wirklichkeit verunsichert immer mehr. Niemand hasst und verachtet das real existierende Deutschland mehr als die AfDler. Scheißstaat – das ist auch eine Parole der rechten Bewegung.

    Die einen kritisieren das Wetter, weil es ihnen zu heiß ist, die anderen, weil es ihnen zu kalt ist. So what? Die Unterschiede sind doch klar.

    Ich will mich nicht beteiligen an der Zerstörung der Demokratie, des Rechtsstaats, der Liberalität, der Multikulturalität.

    Einverstanden, ich auch nicht. Dazu gehört die aktive Kritik an desolaten Zuständen. Und ich bin in der Tat der Meinung, das vor allem ökonomisch in den vergangenen 20 Jahren vieles grundsätzlich schiefgelaufen ist, Stichwort neoliberale Politik.

    Hier komme ich auf

    6. Du hast mir hier irgendwo Idealismus vorgeworfen. Das ist in der Wirkung eine Lächerlichmachung (Das werfe ich dir nicht als Absicht vor.) Ein Idealist ist ein Träumer, ein Spinner, den man nicht ernst nehmen muss. Wenn ich lediglich faire Mieten fordere, bin ich also ein Träumer. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit, und wenn das eine Utopie ist, dann muss ich diesen Staat ablehnen. Wenn ich, anderes Beispiel, fordere, dass wir in Sachen Vermögensverteilung auf die Zustände der 1970er Jahre zurückgehen, dann wäre das vom Ergebnis her nach wie vor ein bürgerlicher Sozialstaat, nur mit gerechterer Verteilung. Es müssten vermutlich viele hundert Milliarden Euro umverteilt werden. Deiner Meinung nach bin ich da also Idealist, du bist Realist und backst kleinere Brötchen. Sorry, das ist mir zuwenig. Zumal als Forderung in einem Blog. Diese Brötchenbackerei entkernt Politik, macht sie wehrlos, lächerlich, zahm. Die französische Variante gefällt mir da besser: Radikale Forderungen, ähnlich wie die Italiener in den 1970ern. Firmen besetzen, Gesellschaft blockieren, zeigen, dass man es ernst meint. Dass die Deutschen das nicht hinkriegen, ist zu befürchten und wir laufen in der Tat eher auf eine rechte Revolution hin, aber ich möchte meine Forderungen klar formulieren. Und die laufen nicht mal auf die Abschaffung des kapitalismus hinaus, sondern auf seine menschenfreundliche Zähmung. Das soll idealistische Träumerei sein? Utopie? Wenn das so ist, dann zeigt das nur die Perversität unseres Systems, das offenbar nicht reformierbar ist und sich damit irgendwann selbst abschafft, da braucht es keinen Gauland.

    Spätestens wenn das Kapital eine Technik entwickelt haben wird, mit der Luft abgepackt und an den Höchstbietenden verkauft wird, wird es soweit sein.

    Jakobiner schreibt das ja dankenswerterweise: Ich zeige mit Wien ein gangbares Beispiel. Ich idealisiere gerade nicht, ich fordere kein Schlaraffenland, kein Paradies, sondern ich fordere das, was man früher sozialdemokratische Politik nannte.

    Wieso man seine Stadt, sein Volk, seine Nation, Europa oder die Menschheit nicht lieben können soll, ich mir ein Rätsel. Du siehst doch, dass es das gibt, genova. Die Menschen sind verschieden, und Menschen wie ich denken und fühlen immer grundsätzlich kollektiv. Indem ich mich als Individuum fühle, fühle ich mich als Teil von kollektiven Einheiten. Individuum bin ich nur im Rahmen von Gemeinschaften. Das Gemeinschaftliche ist primär.

    Ich schlage vor, du machst den Anfang mit der Liebe zu Herrn Gauland. Liebe ist ein zu starkes Geüfhl, als das ich das kollektiv verwenden würde. Liebe zu einem Hund finde ich schon komisch. Aber das ist vielleiht nur die Frage der Definition von Liebe. Wobei du da die Unterschiede zu Rechtsradikalen herausarbeiten müsstest. Die lieben doch auch ihr Volk, auch wenn sie Liebe vermutlich ganz anders definieren.

    7. Der individualistische Extremismus führt dazu, dass sich die Individuen von den Gemeinschaften, denen sie angehören, abkoppeln, entfremden. Das ist vermutlich der Kern der Krise des Westens überhaupt.

    Richtig, aber ich will keine Nationen, die sollen weg. Die deutsche zuerst. Mir ist die deutsche Geschichte in der Tat unangenehm, ich halte die Deutschen im Ergebnis für aggressiv und zu vermeiden. Früher wars Hitler, heute ist es der Export. German Angst, aber wir bauen gute Maschinen. Wir gehören auf die kollektive Couch. Ich meine mich da immer auch mit.

    Nationen sind kaum reformierbar, sie sind ein Quell des Unfriedens. Von mir aus Regionen plus Europa. Aber nicht-territoriale Kollektivitäten sind mir lieber und ich glaube, dass das eine allgemeine Entwicklung ist. Gut so. Je weniger das Bewusstsein einer Nation existiert, desto besser für den Frieden, fürs Zusammenleben. In Kreuzberg spielt die Nation keine Rolle mehr, Gott sei Dank.

    8.
    Dass ich die Missstände nicht benennen würde, müsstest du zurücknehmen. Du wirst mir zugeben, dass das zu plump ausgedrückt ist.

    Nehme ich gerne zurück, wenn dich das störte. Da du auf deinem Blog monothematisch agierst, kriege ich von deinen Haltungen nicht so viel mit.

    Man könnte provokativ sagen, dass ich dieses Land mehr liebe als du, weil ich die Verhältnisse entschiedener kritisiere. Weil ich rote Linien sehe: Beispielsweise bei Gentrifizierung. Aber das wäre in der Tat provokativ.

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  9. Jakobiner schreibt:

    Diese Privatisierungen wirken sich nicht nur auf den Wohnungsbau aus. Heute war ein interesanter ZDF-Bericht, der zeigte, wie die Digitalisierung in Deutschland und der Ausbau mit Glasfasernetzen im letzten Jahrzehnt nicht zustande kam, weil der Staat die Netze und Infrastruktur privatisiert hat und auch kaum Fördermittel dazugegeben hat. Jetzt kriegen sie das große Muffensausen, da Deutschalnd im Vergleich mit China, Japan, Südkorea, den USA und den anderen europäischen Staaten meilenmweit abgehängt ist und es lange Zeit brauchen wird, bis sie das aufholen können, falls sie das überhaupt noch schaffen.Da ist sogar die Rede davon, dass der Wirtschaftsstandort gefährdet sei.Aber wird als nächstes im selben Atemzug gleich wieder gefordert? Die Privatisierung der Telekom.Scheinbar sind diese Neoliberalen solche Triebtäter, dass sie sichj nicht ändern können, auch wenn ihr eigener Kapitalismus dadurch dysfunktional wird.

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  10. Leo Brux schreibt:

    Ich antworte abschnittsweise, genova.

    Zu 1

    Ersetzen wir das Adjektiv „lebenswert“ mit dem Nomen Lebensqualität. Messbar auch im Gesundheitsstandard, Lebenszeit, der Chance, unversehrt durchs Leben gehen zu können, auch kaum Gewalt und Terror ausgesetzt zu sein, frei die Meinung sagen zu können, und dergleichen.

    Stimmt dann meine Einschätzung? Es würde mich wundern, wenn du das verneinen würdest.

    Ich gebe dir jederzeit zu, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die verzweifelt sind, in seelischem Elend leben, Selbstmord begehen. Alles in allem meine ich aber, haben wir es gut getroffen hier bei uns.

    Ich möchte nicht, dass wir das aufs Spiel setzen. Vor allem bin ich dankbar. Es gibt nicht viele Länder, mit denen ich tauschen möchte. In Bezug auf die Vergangenheit gibt es keine Epoche, mit der ich tauschen möchte.

    Dass dir der „Begriff Deutschland“ uninteressant erscheint, muss ich hinnehmen, auch wenn mir das schwer verständlich erscheint. Du bist frei. Genauso könntest du sagen, dass der „Begriff Familie“ für dich uninteressant ist, oder der „Begriff Europäer“, oder der „Begriff Mensch“, oder der „Begriff Berliner“. Meine Einschätzung ist: Wenn jemand so völlig Zugehörigkeiten abwehrt, leidet er. Es ist nicht gesund. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen, also überhaupt nur verständlich und lebensfähig im Rahmen von sozialen Voraussetzungen und Bindungen. Zu denen sollte man sich also bekennen können. Wenn das nicht (mehr) klappt, dann ist die Folge, dass man leidet.

    Außerdem würde ich sagen, ist deine Absage an gemeinschaftliche Zugehörigkeiten (wenn sie so allgemein ist, wie ich aus deiner Bemerkung schließe) kaum politikfähig. Ich kann politische Aussagen von jemand, der sich außerhalb aller politischen Gemeinschaft stellt, nicht so ganz ernst nehmen.

    Zu 2

    Was du da schreibst, zeigt mir, dass du das Konzept der Zugehörigkeit und der diesbezüglichen Bindung und Liebe nicht verstehst.

    Meine Mutter würde mich lieben, selbst wenn ich der Mörder ihrer Tochter wäre. Einfach deshalb, weil sie meine Mutter ist. Diese natürliche Liebesneigung muss man nicht rechtfertigen. Sie ist einfach gegeben. Bei mir jedenfalls. Diese Liebe ist bedingungslos. Ich liebe meine Eltern, weil sie
    meine Eltern sind. Meine Eltern lieben mich, weil ich ihr Kind bin. Und WEIL das so ist, können wir uns auch gegenseitig hart kritisieren. Wir wissen, das bricht die Liebe nicht.

    So ist das auch mit meinem Deutschsein.

    Ein etwas anderes Beispiel: Sigmund Freud war Jude und Atheist. Er hat keinerlei jüdische Traditionen gepflegt. Und dennoch hat er sich immer und demonstrativ als Jude bekannt. Warum? – Er hat seine Herkunft nicht verraten. Er hat sich zu seiner jüdischen Prägung bekannt, zu seiner jüdischen Familie. Er hat sich zu sich selbst bekannt. Ein ehrlicher, gerader Mensch, der auch weiß, dass man seine Prägung nicht selbst wählen kann.

    Fortsetzung folgt.

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  11. Leo Brux schreibt:

    Noch eine Ergänzung zwischendurch:

    Ich spreche deutsch. Ich denke deutsch, indem ich deutsch spreche. Damit bin ich von vorne herein Teil der deutschen Kultur, der deutschen Kulturnation. Das wähle ich nicht, das ist einfach vorgegeben. Und ich bekenne mich dazu. Mit Vergnügen. Ungeachtet aller deutscher Katastrophen. Warum? Weil ich ich bin. Ich will kein anderer Mensch sein als ich bin. Und ich bin, indem ich deutsch spreche, ein Deutscher.

    zu 3

    Es geht um das Kaputtmachen des „Scheißstaats“. Da wirkst du mit, ob dir das nun so ganz bewusst wird oder nicht. Ob du das so beabsichtigst oder nicht.

    Unsere politische Aufgabe ist es – wie es die zur Zeit der Weimarer Republik war – die Mitte gegen die Extremisten von rechts und links zu verteidigen.

    Das machst du nicht – und ich äußere dazu mein Bedauern und meine Kritik.

    zu 4

    „Ich will mich nicht beteiligen an der Zerstörung der Demokratie, des Rechtsstaats, der Liberalität, der Multikulturalität.“ –
    Einverstanden, ich auch nicht. Dazu gehört die aktive Kritik an desolaten Zuständen. Und ich bin in der Tat der Meinung, das vor allem ökonomisch in den vergangenen 20 Jahren vieles grundsätzlich schiefgelaufen ist, Stichwort neoliberale Politik.

    Da sind wir ja nun einer Meinung. Und ich finde, du machst deine Sache gut.
    Ich würde jedem, der deine Totalablehnung („Scheißdeutschland“) zum Anlass nimmt, dich zu ignorieren, raten, das nicht zu tun, sondern großzügig über diesen Fehler hinwegzusehen.

    Dass du allerdings die Parole „Scheißstaat“ ebenso pflegst wie die Rechten, muss ich dir vorwerfen. Siehe mein „Weimar-Argument“.

    zu 8

    Diese Kritik kommt ausführlich in den Debatten unter den Artikeln. Solche Debatten bewegen sich oft weg vom Blogthema.

    Aber zum Blogthema gehören unbedingt auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Fragen zum imperialen Wirtschaftsregime. Dazu gibt es viele Artikel – die Kategorie Wirtschaft umfasst immerhin 155 Artikel:
    http://blog.initiativgruppe.de/category/wirtschaft/
    Besonders nahelegen möchte ich meine Artikel über das Buch von Lessenich:
    http://blog.initiativgruppe.de/?s=Lessenich
    und Landgrabbing
    http://blog.initiativgruppe.de/?s=landgrabbing
    und Münkler, Die neuen Deutschen (3 Artikel)
    http://blog.initiativgruppe.de/2016/09/17/die-neuen-deutschen-1/

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  12. Leo Brux schreibt:

    zu 6 und 7

    Hier nur kurz, weil ich gleich weg muss.

    Idealismus meine ich ganz philosophisch: Die Verabsolutierung der idealen Vorstellung, an der dann gnadenlos die natürlich schändlich versagende Realität gemessen wird. Platon.

    Gauland: Ich gehe immer und von vorne herein davon aus, dass jeder Mensch so ist, wie er sein muss. Darin liegt mein Respekt – vor JEDEM Menschen.

    Ich habe nicht gesagt, dass ich jeden Menschen liebe. Aber dass ich die Gemeinschaften, denen ich nun mal von vorne herein zugehöre, liebe, und dass ich mich ihnen nicht zu entziehen versuche. Genauer gesagt, ich suche durchaus Distanz. Ich weiß, dass ich verschiedenen Gemeinschaften zugehöre, die sich durchaus unterschiedlich gestalten, differierende Interessen haben. Also muss ich mich als gesellschaftliches Individuum in eine Position bringen, in der ich die manchmal konkurrierenden Ansprüche unter einen Hut kriege.

    Politischer Träumer:
    Politik findet statt in der politischen Arena. In dieser agieren Menschen, in dieser kämpfen Mächte umd Einfluss und Durchsetzung.
    Wenn sich ein politischer Theoretiker nicht auf das tatsächliche Machtgeschehen bezieht, sich theoretisch heraushalten will und einfach mal nur von oben bestimmt, was politisch richtig sein soll, nenne ich das einen politischen Träumer. Einen Elfenbeintürmler.

    POLITISCHE Kritik ist nur dann wirklich politische Kritik, wenn sie sich in die politische Realität begibt.

    Das soll Grundlagenforschung nicht ausschließen. Die kann politische Kritik über ihre Voraussetzungen informieren.

    Aber bei jeder POLITISCHEN KRITIK frage ich mich, wie fügt sie sich ins aktuelle politische Machtgeschehen ein.

    Nationen:
    Du willst sie weg haben. Ich nicht. Ich will auch nicht die Kommunen weghaben. Ich bin Münchner, ich bin Deutscher, ich bin Europäer, ich bin Weltbürger. Ich sehe nicht ein, warum eine dieser Dimensionen wegsoll.
    Ich kann also Deutscher sein ohne Nationalismus, so wie ich Münchner sein kann ohne Provinzialismus, und Europäer, ohne Eurozentrismus.
    Es ist politisch unklug, den Nationenbegriff aufzugeben. Damit macht man sich von vorne herein politikunfähig.

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  13. Leo Brux schreibt:

    Ergänzung:

    Ich spreche deutsch. Ich denke deutsch, indem ich deutsch spreche. Damit bin ich von vorne herein Teil der deutschen Kultur, der deutschen Kulturnation. Das wähle ich nicht, das ist einfach vorgegeben.

    Da fehlt ein wichtiger Punkt: die deutsche Geschichte. Ich bin Teil der deutschen Geschichte – anders als ein Schweizer oder Österreicher, der auch Deutsch spricht. Die deutsche Geschichte ist in mir. Sie ist Teil meiner Identität.

    Es ist die Geschichte einer politischen Nation, jedenfalls seit 1871.

    Aus dieser historischen Verantwortung möchte ich mich nicht herausmogeln.

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  14. genova68 schreibt:

    Hi Leo,
    die messbaren Kriterien, die du einführst, ok, da steht Deutschland vermutlich gut da. Das hat aber nur bedingt mit Lebensqualität zu tun, das ist eine individuelle Geschichte. Man könnte beispielsweise der Meinung sein, dass man lieber mit 65 im Kreise einer liebenden Familie stirbt statt mit 85, nachdem man zehn Jahre alleine im Altersheim lag und an Schläuchen hing. Du siehst, deine Lebensqualität kannst du noch so sehr hinbiegen, es klappt nicht.

    Alles in allem gut getroffen: Ja und nein, ich finde, wie gesagt, solche Urteile schwierig, weil sie das Individuum außer acht lassen. Länder mit Terrorregimen und Hunger usw. sind in der Tat zu meiden, aber was sollte ich mit einem Vergleich anfangen, der D mit Somalia vergleicht und zu dem Schluss kommt, dass in D. mehr Lebensqualität herrscht?

    Meine Einschätzung ist: Wenn jemand so völlig Zugehörigkeiten abwehrt, leidet er. Es ist nicht gesund. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen, also überhaupt nur verständlich und lebensfähig im Rahmen von sozialen Voraussetzungen und Bindungen. Zu denen sollte man sich also bekennen können. Wenn das nicht (mehr) klappt, dann ist die Folge, dass man leidet.

    Du begehst einen Kategorienfehler. Der Mensch als soziales Wesen hat nichts mit der Nation zu tun. Eher im Gegenteil: Je mehr Nation, desto asozialer wird er. Familie und Freund etc. sind sinnvolle Kategorien des Sozialen, die Nation ist es nicht. Die kann ich realisieren, kann es aber auch bleiben lassen. Die Menscheit hatte in 99 Prozent ihrer Geschichte keine Nationen. Haben die deswegen gelitten?

    Nationen, vor allem die deutsche, haben in den vergangenen hundert Jahren extrem viel Leid über Menschen gebracht, haben sie oft zu komplett asozialen Handlungen animiert. Was du nun machst, ist problematisch: Du pathologisiert meine Ansicht. Wer die Nation nicht will, leidet, ist also krank. Wer die Nation will, ist demnach gesund. Volksgesundheit oder sowas. Die hunderte Millionen von Toten wegen diesem Nationenkrempel existieren plötzlich nicht mehr.

    Nationen sind fakt, vor allem ökonomisch, die Sozialversicherungen und Steuern sind auf dieser Ebene organisiert. Aber das kann man auch anders organisieren. Und Nation und Deutschland ist komplett verkrampft, und zwar, je mehr man so tut, als sei das normal. Ich möchte damit nichts zu tun haben.

    Von einer Absage an gemeinschaftliche Zugehörigkeiten habe ich nichts geschrieben. Meine Zugehörigkeiten ergeben sich aber nicht aus der Nation. Es wird immer unwichtiger, welche Nationalität jemand hat, und das ist gut so.

    Was du unter Punkt zwei schreibst, ist übel, entschuldigung. Dein Versuch, mit zu pathologisieren, geht munter weiter:

    Was du da schreibst, zeigt mir, dass du das Konzept der Zugehörigkeit und der diesbezüglichen Bindung und Liebe nicht verstehst.

    Wer kein Nationalist oder, pardon, Patriot ist, ist krank. Da gehe ich nicht mit.

    Elternliebe, Mutterliebe etc. mit Deutschsein in Verbindung zu bringen, ist absurd. Das ist massiver Nationalismus, Leo, das sage ich dir so deutlich. Wer sein Land nicht liebt, kann auch seine Mutter nicht lieben. Und du zeigst, wie nationalistische Abwertung funktioniert, ganz klar: Wer das anders sieht, kann nicht lieben, ist krank, er leidet. Deine Abwertung meiner Person ist direkt mit deinem Nationenbegriff verbunden. Danke für dein unfreiwilliges Beispiel.

    Ich bekenne mich natürlich zu meinem Deutschsein, was denn sonst? Ich bin hier sozialisiert. Es ist mir auch nicht peinlich, Deutsch zu sprechen. Und gegenüber einem verrückten islamistischen Araber verteidige ich die Werte, die hier mehr oder weniger gelten. Aber das ist nicht deutschtypisch, das ist Aufklärung, von mir aus Westen, Gewaltenteilung und mehr. Da brauche ich kein Deutschsein und die deutsche Nation. Du bringst permanent Begriffe durcheinander.

    Ich will kein anderer Mensch sein als ich bin. Und ich bin, indem ich deutsch spreche, ein Deutscher.

    Ich bin sozialisiert in meinem Umfeld, meiner Klasse, meiner Region, meinen Genen. Deutschland als Kategorie ist da von unterschwelliger Bedeutung. Ich habe mit einem oberitalienischen Akademiker mehr zu tun als der mit einem kalabresischen Bauern. Alles andere ist nationalistisch hingebogen.

    Unsere politische Aufgabe ist es – wie es die zur Zeit der Weimarer Republik war – die Mitte gegen die Extremisten von rechts und links zu verteidigen.

    Unsere Aufgabe existiert nicht, da müsstest du mich erstmal fragen, ob ich einverstanden bin. Deine Hufeisentheorie mache ich auch nicht mit und von linken Extremisten sehe ich nichts.

    Nochmal zur Klärung: Wenn ich „Scheißstaat“ sage, dann ist das hingerotzt, das kannst du auch ignorieren. Ich will damit nur sagen, dass ich vor dem Staat keinen Respekt habe, solange der sich so entwickelt, wie er sich entwickelt. Es ist ein gesundes Misstrauen, das ist in Ordnung. Mir ist eine menschliche Gesellschaft wichtiger als ein Staat und am Staat übe ich lieber Kritik, und da gibt es haufenweise Ansatzpunkte.

    Vor jedem Menschen Respekt haben: Ok, gerne auch vor Gauland. Wenn jemand mit dem Nationenbegriff Schwierigkeiten hat, wird es bei dir aber mit dem Respekt schon schwierig. Der ist dann liebesunfähig und muss in die Psychatrie.

    Es ist mir manches von dem, was du schreibst, zu selbstgefällig.

    Deutsch denken? Was soll das denn sein?

    So, das reicht erstmal.

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  15. Leo Brux schreibt:

    Ich sage ja nun nicht, dass jemand, der in vor-nationalen Verhältnissen lebt, am Mangel an nationaler Zugehörigkeit leidet; oder wenn er in nach-nationalen Verhältnissen lebt. Ich sage: Wenn jemand generell Zugehörigkeiten verweigert, leidet er. Es wäre zu fragen, wie das hier und heute bei uns – bei dir, bei mir, bei vergleichbaren Personen aussieht. Da meine ich, dass wir uns von der Nation noch nicht verabschiedet haben. Geschichte und Sprache, Grenzen und politische Verantwortung erlauben das nicht.

    Wiederum sage ich damit nicht, dass NUR die Nation die Gemeinschaft ist, nicht einmal, dass sie die VORRANGIGE Gemeinschaft ist. Das lehne ich auf meinem Blog immer wieder gegenüber den Rechtspopulisten und Rechtsradikalen ab. Aber es ist eine der Gemeinschaften, denen wir angehören und denen wir ohne Schaden nicht entkommen.

    Seltsam, dass du meine Aussagen über unsere menschliche Gemeinschaftsnatur so einseitig auf die Nation beziehst, da ich doch ausdrücklich auch andere Gemeinschaftsbereiche genannt habe.

    Generell würde ich sagen: Unser Lebenssinn ergibt sich daraus, dass wir uns für die Gemeinschaft nützlich erleben; dass wir etwas – kompetent, anerkannt – für die anderen tun. Dazu gehört, wenn man politisch zu denken versucht und politisch kritisieren will, natürlich AUCH die Nation.

    Jemand, der gern für andere etwas tut, aus Liebe, dürfte als Gegenstand der Kritik weniger naheliegend sein als jemand, der sich verweigert. (Auch wenn das Verweigern in vielen Situationen Sinn macht. Das Negative aber erfordert höheren Rechtfertigungsaufwand. Darum ging es bei meinen Hinweisen auf den familiäre Bereich.)

    Auf meinem Vorwurf, dass du zu Weimarer Verhältnissen beiträgst, beharre ich. Die Linke versagt heute nicht damit, dass sie sich in Form einer KPD verweigert; das sieht heute anders aus. Es hat heute hauptsächlich damit zu tun, dass wir als Menschen überfordert sind, noch ein politisches Gegenkonzept zu den realen Machtverhältnissen und den realen Entwicklungen zustandezubekommen. Das frustriert und führt bei vielen zu fundamentalistischer oder privatistischer Totalkritik, die politisch unfruchtbar sind, manchmal auch gefährlich werden.

    Wenn du keinen Respekt vor dem Staat hast, bedeutet das für mich: Du hast keinen Respekt vor dir selbst; weil wir Bürger der Staat sind. Was du natürlich vehement abstreitest.

    Welchen Gemeinschaften fühlst du dich verpflichtet? Du sagst es uns nicht.

    Welche politische Kraft ist in Deutschland konstruktiv wirksam, um Deutschland als Nation generell als Gemeinschaftsverhältnis zu streichen? Mit welchem Ersatz?

    Als Europäer und Weltbürger strebe ich – vielleicht wie du? – in die übernationale Richtung. Das geht aber nur MIT den Menschen, nicht gegen sie.

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  16. Leo Brux schreibt:

    Deutsch denken? – Na, in deutscher Sprache denken. In deutscher Kultur denken. (Die multikulturell und kosmopolitisch angelegt ist.)

    Mit der Sprache läuft Kultur. (Und Kulturen unterscheiden sich.) Mit der Sprache steckt man in Geschichte. (Und die Geschichten verschiedener Kulturen unterscheiden sich.) Mit der Sprache lebt man Bindungen. (Die fallen in kommunikativ nicht unwichtigen Nuancen unterschiedlich aus.)

    Sinn formuliert sich in Sprache. Da ist es interessant, in welcher Sprache das geschieht. Wenn man eine Fremdsprache lernt, gerät man implizit und explizit in eine andere Kultur. Was ja das Wunderbare am Eintauchen in eine Fremdsprache ist.

    Ich denke „deutsch Deutsch“. Wenn ich auf Englisch umschalte, läuft im Hintergrund, mir kaum bewusst, ein Übersetzungsprogramm. Ich bleibe an meine Muttersprache gebunden. (Es gibt auch Menschen, die in zwei Sprachen aufwachsen, u. U. über Mutter- und Vatersprache verfügen.)

    Die Begegnung mit Fremdsprachen macht mir die eigene Sprache bewusst. Macht mir zum Beispiel bewusst, dass ich „deutsch Deutsch“ denke.

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  17. genova68 schreibt:

    Hi, Leo,
    Ich sage: Wenn jemand generell Zugehörigkeiten verweigert, leidet er.

    Ok, aber das hat nichts mit dem Thema zu tun.

    Blogdiskussionen sind immer mühselig, da man nur die Sprache hat, ein künstliches und unbeholfenes Kommunikationsmittel, auch wenn der Gebildete das gerne anders sieht.

    Der Ausgangspunkt war ja das Bauen für die Gemeinschaft, in Bayern. Der Gemeinschaftsbegriff liegt mir schon am Herzen, aber eben nicht die Nation. Das ist etwas Willkürliches und die 40 Prozent Migranten in München zeigen das deutlich. Es sollte nicht mehr interessieren. Sämtliche Nationalismen erzeugen Klischees, Türken in Kreuzberg, beispielsweise. Lerne ich welche kennen, muss ich mich davon gleich wieder befreien.

    Klischees pflege ich nur in Bezug auf die eigene Nation, da kenne ich mich halbwegs aus und Nestbeschmutzer sind mir immer sympathisch. Von denen kann man nur lernen.

    Da meine ich, dass wir uns von der Nation noch nicht verabschiedet haben. Geschichte und Sprache, Grenzen und politische Verantwortung erlauben das nicht.

    Geschichte ist so vieles. Arbeiterbewegung, Klassen, Geschlechter finde ich als Kategorien viel interessanter. Nation auch, aber eben nur untergeordnet.

    Weimarer Verhältnisse: Vielleicht habe ich ein grundsätzliches Problem damit, diesen Blog hier Ernst zu nehmen. Das ist ein privates Unternehmen, damit fördere ich keine neue Weimarer Republik. Und Scheißstaat: Den Ausdruck kannst du meinetwegen streichen. Mir geht es nur um Dampfablassen, es gibt unzählige Gründe, diesen Staat scheiße zu finden, und zwar von links. Ich kann das Wort streichen und Kritik üben, mache ich hier ja auch ständig.

    Wenn Weimar kommt, dann wegen der Scheiß-SPD, unter anderem. Da sind die Verantwortlichen. Dazu braucht es nicht mich. Zerstörer des Erreichten, korrupt und unfähig. Wer die Neoliberalisierung der Gesellschaft zugelassen hat, ist Teil dieses Konglomerats. Bitte wende dich mit deiner Kritik an die.

    Ich könnte auch den Spieß herumdrehen und dich für Weimar verantwortlich machen, wegen deiner Verwässerung von Kritik. Kritisiere ich, kommst du mit dem Argument, dass wir in einem der lebenswertesten Länder der Welt wohnen. Das beschädigt die Kritik. Aber das hatten wir schon.

    Wenn du keinen Respekt vor dem Staat hast, bedeutet das für mich: Du hast keinen Respekt vor dir selbst; weil wir Bürger der Staat sind. Was du natürlich vehement abstreitest.

    Welchen Gemeinschaften fühlst du dich verpflichtet? Du sagst es uns nicht.

    Genau diesen Schritt kann ich nicht mitgehen. Ich mache einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Staat und mir. Ich bin nicht der Staat, meine Güte. Der Staat ist eine Vielzahl an Institutionen, an Strukturen, über längere Zeit erschaffen, Behörden, Ämter, Versicherungen, Gesetze. Das bin doch nicht ich, ich bin ein Mitglied des Staates, ungefragt. Und der bekommt gerne meine Solidarität und meine Unterstützung, mir ist an einem guten Staat gelegen. Aber das ist nicht der in seiner gegenwärtigen Entwicklung. Kritik bedeutet ja immer, dass einem die Sache grundsätzlich angenehm ist, sonst würde man sich nicht damit beschäftigen.

    Natürlich sind wir Bürger des Staates, aber eben nicht der Staat. Du schreibst den Unterschied ja selbst.

    Gemeinschaften: Invdiduellen und selbstgewählten. Die Familie spielt eine Rolle, vielleicht das Heimatdorf, Freunde. Das sind die wesentlichen Strukturen, die sich teilweise ändern, deren Bedeutungen sich ändern. Ich kann die Familie näher an mich ranziehen oder sie verlassen, das Dorf verlassen, Freunde neu konstituieren, Familie gründen. Die Nation spielt da eine sehr untergeordnete Rolle. Wir leben in kulturellen Bezügen.

    Würde ich politisch etwas verändern wollen, würde ich in einer Partei oder BI mitarbeiten. Ich halte Deutschland aber im wesentlichen für pseudodemokratisch, für kapitalistisch. Dazu noch für bürokratisch. Die Berliner Entwicklungen sind sehr typisch. Man hat als Bürger keine Chance, etwas zu verändern. Das ist der DDR ähnlich. Das liegt an der neoliberalen Gehirnwäsche. Hier eine Radstraße von 500 Meter durchzusetzen wäre eine Lebensaufgabe. Nein, danke. Verwaltete Welt plus deutscher Untertanengeist.

    Ich habe gestern ein interessantes Interview mit einer Münchner Stadtplanerin gelesen, Vergleich zwischen früher und heute, schreibe ich vielleicht demnächst etwas dazu.

    Nation streichen? Keine Ahnung, mir egal. Du solltest nicht alles, was ich hier schreibe, als Meinungsäußerung des Bundespräsidenten betrachten. Ich bin das nicht.

    Deutsche Sprache: Da halte ich deine Ausführungen für nicht ganz richtig. Eine Fremdsprache zu lernen bedeutet, man kann sich nicht mehr richtig ausdrücken. Wenn du englisch lernst, ist das ein Behelf. Interessant ist die Frage, ob ein Englischmuttersprachler anders denkt als du. Das halt e ich für vernachlässigbar, da sind Klassenfragen viel entscheidender.

    Sprache trennt aber real, das stimmt schon. Und so gesehen habe ich mit Deutschen etwas gemeinsam. Das ist ein Fakt, der langsam relativiert wird, Englisch als Weltsprache finde ich da die richtige Richtung.

    Vielleicht könnte man auch sagen: Ich möchte Probleme lösen, zumindest theoretisch. Da ist mir sowas wie Nation im Weg. Aber andererseits bin ich natürlich Realist: Wir haben die Sozialversicherungen und die Steuern komplett auf nationaler Ebene organisiert. Insofern ist das realpolitisch eine wichtige Kategorie. Eine Schwächung des Nationalen und eine Stärkung des Regionalen plus Europa wäre mir lieber. Schon, weil Nationen künstlich sind, im Unterschied zu Regionen. Bayern und Tirol haben mehr gemeinsam als Bayern und Friesland. Und Frankfurt/Oder und Kreuzberg: Inland und Ausland.

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  18. Leo Brux schreibt:

    Im politischen Ziel sind wir uns nah. Genau wie du weiß ich, dass wir ZUVIEL Nation und ZU WENIG Europa haben – und ZU WENIG Menschheit, ZU WENIG kosmopolitisches Bewusstsein überall auf der Welt.

    Da können wir beide also an EINEM Strang ziehen.

    Der wichtige Unterschied – den wir hier herauspräpariert haben – ist:
    Ich denke, dass wir VORGÄNGIG und ohne Wahlfreiheit soziale, kollektive, auch verpflichtende Bindungen haben, und dass die nationale Bindung dazugehört – natürlich relativiert durch vielfältige andere Bindungen und durch die Notwendigkeit, diese alle individuell (!) unter EINEN Hut zu bekommen.

    Du hingegen siehst eigentlich nur die freie Wahl der Gemeinschaften. Das einsame Individuum sucht sich nachträglich mal, was ihm passt.

    Das halte ich für ein grundlegendes Selbstmissverständnis.

    Ich versuche es wieder einmal mit einem Vergleich:
    Wir Menschen sind auch SEXUELLE Wesen. Dass wir das sind, können wir uns nicht aussuchen. Wir können es unterdrücken – die Geschichte des Christentums liefert uns da eindrucksvolle Beispiele, aber Unterdrücken ist dann ja nötig, WEIL wir das Sexuelle in unserer Natur haben, und die Unterdrückung hat ihren (horrenden) Preis.
    Aber nicht nicht insofern sind wir SEXUELLE Wesen – dieses Faktum kommt auch mit einigen unvermeidlichen biologischen Erscheinungsformen, die wir nicht wählen können. Die wir einfach mal nehmen müssen, wie sie sind. Die jeweils besondere kulturelle und individuelle Ausformung kommt dann erst im nächsten Schritt, und da gibt es dann – je nach Kultur, je nach Individuum – auch Spielräume.

    Mich interessiert nun genau der Bereich, in dem ich nicht wählen kann; der mir vorgegeben ist. Denn dieser Bereich beleidigt sozusagen unser modernes Ego. Weshalb wir ihn zu ignorieren versuchen.

    Das ist nicht einfach eine anthropologische Marginalie. Es ist hoch politisch.
    Dafür kurz ein (nur EIN!) Aspekt.

    Was ist (für einen Menschen) wahr? Was ist ein Fakt?
    Es gehört zu unseren intellektuellen Irrtümern, dies nur bzw. primär OBJEKTIVIEREND zu sehen. Als sachliche Realitätsprüfung.
    Aber für einen Menschen, der ein soziales Wesen ist, ist die soziale Zugehörigkeit oft (nicht immer!) so wichtig, dass wahr, dass ein Fakt nur sein kann, was von den Angehörigen der Gruppe gemeinsam als wahr, als Fakt anerkannt wird. Man will nicht aus der Gruppe fallen. Man darf nicht aus der Gruppe fallen. Die Gruppe ist zu wichtig dafür. Denn Sinn gibt es nur in der Gruppe und im Leben mit der Gruppe und für die Gruppe.

    Ob uns das gefällt oder nicht, genova, so läuft das real ab. Wahr ist, was „meine Gruppe“ für wahr hält.

    DEM möchten wir beide uns bewusst und so gut wie möglich entziehen. Damit sind wir Ausnahmen. (Darin liegt auch ein Verrat an der Gemeinschaft. Ein notwendiger. Aber ein Verrat bleibt es, und er hat Kosten.)

    Ein Grund, warum die Linken in den letzten Jahrzehnten so schwach geworden sind, liegt darin: Wir sind wengier als die fantisch Rechten und weniger als die (leidenschaftlich) Religiösen fähig, Gemeinschaft zu bilden. „Wahrheit“ bildet sich dann massiv (und pervers) innerhalb dieser heißen Gemeinschaften, „Wahrheit“ verbunden mit politischer Energie, Missionsenergie. Da kommen dann wir mit unserer skeptischen Wahrheit … und machen keinen Stich.

    Ich suche Wege für uns. Wie kann man Gemeinschaft bilden im Rahmen der individuellen Freiheit – aber in Anerkennung der Grenzen dieser Freiheit und in Anerkennung der vorgängigen sozialen Bindungen?

    Man muss erst einmal diese Grenzen und ebenso die vorgängigen sozialen Bindungen und ihre Unvermeidlichkeit ERKENNEN.

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  19. Leo Brux schreibt:

    „die fantisch Rechten“ (3. Absatz von unten) gibt es nicht; ich meinte die fanatisch Rechten.

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  20. Jakobiner schreibt:

    Wenn Wagenknecht, Lafontaine, Palmer mal auf die nationalstaatliche Dimension der Willkommenskultur eingehen und diese berücksichtigen, erstere beide auch internationalistische Auswege suchen, wird dies seitens Brux und Genova gleichermassen abgelehnt.

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  21. Jakobiner schreibt:

    Wenn Wagenknecht, Lafontaine oder Palmer auf die nationalstaatliche Dimension der Willkommenskultur eingehenm (Kapazitätsgrenzen, Integrationsmöglichkeiten; überforderung der Sozialsysteme), wird ihnen dies ja seitens Brux und Genova gleichermassen als Nationalismus ausgelegt, obgleich Brux ja auch immer die Nationalstaatsebene anders als Genova einbeziehen will. Macht also von der Logik bei Genova Sinn, bei Brux eigener Logik aber eben nicht. Zumal Wagenknecht und Lafontaine EU-/UNO-Fonds für internationale Flüchtlingslager vor Ort fordern, also durchaus internationalistisch denken , während ein Brux seine OPffenen Grenzen zwar einschränlt, aber beider Vorschläge ablehnt mit dem Slogan „Aus den Augen aus dem Sinn“.

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  22. genova68 schreibt:

    Das einsame Individuum sucht sich nachträglich mal, was ihm passt.

    Naja, das klingt so nach Beliebigkeit. Suchen bedingt ja auch etwas. Freunde, Familie, Frau, Kinder, all das ist keine einfache Suche. Was soll ich da noch mit der nationalen Komponente? Die ist eher einfach zustande gekommen, weil automatisch da.

    Die Moderne hat den Individualismus erst ermöglicht, und der ist mir sehr recht, wobei ich dessen Probleme sehe und diese Entwicklung (50 Prozent Singlehaushalte) nicht gut finde.

    Aber all das war hier nicht das Thema, das ist auch nicht mein Thema. Ich halte die individuelle Entscheidungsmöglichkeit für wichtig: Familie, alleine, Kommunestrukturen etc. Da braucht es eine verantwortliche Politik, die die Möglichkeiten bietet. Auch darum ging es in dem Artikel um Weißmüller. Die Menschen kriegen die Detaillösungen schon selbst hin. Der Staat muss sich um den Rahmen kümmern. Das tut er schon lange nicht mehr. Dieser Staat zerstört Gemeinschaft und Individuum gleichermaßen.

    Wir sind sexuelle Wesen, dem können wir uns nicht entziehen, ja. Das Austarieren von Gemeinschaft und Individualismus ist auch ein Dauerproblem, ja. Aber die Nation ist etwas künstliches, das hat nichts damit zu tun. Die Nation ist der Begriff, der in den vergangenen 200 Jahren unermessliches Leid über Menschen gebracht hat. Es ist ja kein Zufall, dass Nationalismus negativ besetzt ist, im Gegensatz zu Regionalismus oder Provinzialismus oder „Kommunalismus“ oder anderen geographischen Bezeichnungen.

    Die Nation ist so eine Art Helene Fischer: Es graust einem vor dieser objektiven Scheiße, und man weiß gleichzeitig, dass man gegen diese Art des gesunden Menschenverstandes kaum anargumentieren kann, ohne anzuecken.

    Aber es ist klar, dass du das anders siehst, und ich glaube, dass bei solchen Themen die Schrift an ihre Grenze stößt. Diese Form der Kommunikation klappt einfach nicht. Man sollte akzeptieren, dass man sich nur ein bisschen austauschen kann. Oder man bleibt konkret beim Thema, also hier: Wohnen in Bayern.

    Wie kann man Gemeinschaft bilden im Rahmen der individuellen Freiheit – aber in Anerkennung der Grenzen dieser Freiheit und in Anerkennung der vorgängigen sozialen Bindungen?

    Eigentlich gar nicht schwer. Auf den Wohnungsbau bezogen, und darum ging es hier: Preisgünstige Wohnungen, vielleicht genossenschaftlich, unterschiedliche Größen, Experimentieren mit WG-ähnlichen Strukturen, Kommunestrukturen, Alternativen zur Kleinfamilie, flexible Grundrisse, Containerarchitektur, die erweiterbar ist, ökologisches Bauen, keine Bodenverwertung: All das ist schon längst in der Pipeline, es fehlt der politische Wille der Umsetzung. Wir müssen den Feind benennen, das ist der Kapitalismus, zumindest im Baubereich. Von mir aus funktoniert der Kapitalismus anderswo, das kann man getrennt diskutieren.

    Und der Feind ist jeder, der diese Entwicklung forciert. Jetzt kannst du dich über den Begriff Feind aufregen, aber klare Worte sind mir mittlerweile lieber, sonst rutscht man womöglich in die PR-Schiene ebendieses Feindes rein und redet so wie die.

    Der Artikel von Weißmüller ist so klar und die Katastrophe ist, dass sich trotzdem nichts ändert. Da brauchen wir nicht mehr von Demokratie zu reden, da ist es sinnvoller darüber zu reden, warum es so ist, wie es ist.

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  23. Jakobiner schreibt:

    „Was soll ich da noch mit der nationalen Komponente? Die ist eher einfach zustande gekommen, weil automatisch da.Die Moderne hat den Individualismus erst ermöglicht, und der ist mir sehr recht, wobei ich dessen Probleme sehe und diese Entwicklung (50 Prozent Singlehaushalte) nicht gut finde.“

    Problematisch, wenn man pränationalstaatliche und postnationalstaatliche Zustände so romantisiert und unbedenklich hält zum einen und den Nationalstaat zum anderen so einseitig dämonisiert. Der Nationalstaat war gegenüber seinem Vorgänger des Kleinstaaterei des Mittelalters und des 30jährigen Kriegs zuerst einmal ein historischer Fortschritt. Das sah selbst Marx so, wenngleich er wie Lenin und Trotzki die Perspektive internationalistisch in einem Weltsowjet sah.

    Zum anderen ist die Frage, ob die Globalisierung und Moderne letztendlich nicht alle gesellschaftlichen Strukturen lockert bis hin zur Auflösung, denn man hat nicht nur die Entwicklung vonn der Großfamilie zum Singlehaushalt, sondern auch die zunehmende Bindungslosigkeit in nahezu allen gesellschaftlichen Beziehungen–Ehe, Vereine, Parteien,Nationalstaat, der immer mehr durch Seperatismus; regionalsums und Provinzialismus infrage gestellt wird.

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  24. genova68 schreibt:

    Ich glaube nicht, dass ich etwas romantisiere. Ich frage mich mittlerweile vielmehr, warum der Kommentarbereich unter diesem Thema so abgedriftet ist. Es ging um die Ausstellung in München und um Laura Weißmüllers Rezension dazu. Da geht es um massive Kritik am Staat, weil der fundamentale Aufgaben nicht mehr wahrnimmt. Jetzt geht es ständig um den Nationenbegriff, der gerettet werden soll, warum auch immer. Wenn diese Nation die Kapitalverwertung aus dem Immobilienbereich rausdrücken würde, wäre ich ihr dankbar. Stattdessen macht diese Nation und dieser Staat weiter mit seiner unsozialen Politik und ich soll mich dazu bekennen und ihn lieben.

    Ich glaube, es hackt.

    Gut möglich, dass die Nation durch Globalisierung unbedeutender wird. Aber nicht einfach durch Globalisierung, sondern weil unsere Politiker und unsere Eliten das so betreiben. Das ist das Problem, und war dann, wenn die Nation durch Konzernmacht abgelöst wird. Nur: Wenn ich gegen Konzernmacht bin, bin ich nicht zwangsläufig für ein Wiedererstarken des Nationalstaates. Der besteht aus verschiedenen Ebenen. Steuerpolitik, Währung, Sozialversicherung: Das sollte einheitlich organisiert werden, wenn es sein muss, auf nationalstaatlicher Ebene. (Von mir aus lieber auf europäischer Ebene.) Aber da gehe ich inhaltlich lieber präzise ran: Staaten (Nationen) treten mittlerweile in Konkurrenz, Konzerne können sich die günstigsten Bedingungen raussuchen. Es sind absurde Verhältnisse entstanden. Und zwar auf Verantwortung der Nationen, nicht gegen sie.

    Marx hatte schon recht mit diesem Fortschritt, aber wir sind mittlerweile weiter.

    Also: Ich habe auf diese Nationendiskussion keine Lust, es war auch, wie gesagt, nicht das Thema. Von Staatskritik zu Staatsaffirmation, und zwar, ohne dass man irgendwelche Leistungen des Staates fordern würde. Ich soll ihn lieben, weil ich Deutscher bin oder sowas. (Fiel mir gerade auf, als ich mir den Hauptartikel nochmal durchgelesen habe.)

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  25. Leo Brux schreibt:

    genova,
    du möchtest irgendwie politisch wirken – stellst politische Behauptungen auf – und dann weigerst du dich, wirklich politisch zu werden, dich also gedanklich (!) zu beteiligen an der realen Politik (die natürlich eine Politik der Parteien ist, eine Politik der professionellen Politiker, eine Politik der Bürger und Wähler, so, wie die nun mal drauf sind, dazu eine Politik der Medien und der Wirtschaft …)
    Da kommt dir nur das Kotzen.
    Womit du dich selbst politikunfähig machst.

    DAS gehört ganz zentral zu deinem Artikel über München und Laura Weißmüllers Artikel.

    Wir haben also über etwas diskutiert, was zum Kern der wohnungspolitischen Debatte gehört: die Politik nämlich, und wie man unter den gegebenen Verhältnissen (!) Politik macht.

    Und: Ohne Nation ist (bis auf weiteres) kein Staat zu machen. Auch keine Politik. Wer Politik machen will, muss Anschluss finden an die Überzeugungen derer, mit denen er Politik machen kann, machen muss.

    Du bist da – von meiner Warte aus gesehen – auf einem Egotrip. Boshaft ausgedrückt: Es ist linker Elitarismus. Linker Elfenbeinturm. Kotzt auf das Volk (so, wie es ist). Zeigt den realen Verhältnissen mal den Stinkefinger, und das war’s dann. Nächste Runde!

    Ich kann es auch positiv wenden, indem ich es negativ toppe: Wahrscheinlich ist es 5 NACH 12, es ist ohnehin alles verloren, also was soll’s. Ich hab auch keine politische Konzeption, für die ich missionieren könnte. Ich plädiere im wesentlichen für Schadensbegrenzung, und sogar dies mache ich pessimistisch. Dein Ausstieg aus der realen politischen Welt ist insofern egal. Sogar rational zu verteidigen, irgendwie.

    Aber:

    Ist es etwa keine gute Sache, solche Dinge klar auszusprechen?

    So kommt man wenigstens beim Nachdenken weiter. Man lernt sich und andere besser kennen. Als Teil der Denk-Elite Deutschlands empfinde ich einen Lustgewinn selbst dann, wenn ich Frustrierendes erkenne. Insoweit bin ich auch elitär – und kicke dir oder dem Volk oder wem immer gegen das Schienbein, nur um mal wieder eine (meines Erachtens) feine Wahrheit von mir geben zu können. Dass das die von mir Verletzten eher nervt und wütend macht, nehm ich in kauf.

    Also: Anders als du denkst war unsere Debatte hier keine Themaverfehlung, sondern ein Versuch, tiefer in einen wichten Aspekt des Themas einzudringen.

    Anmaßende Anmerkung:
    Darf ich mich – ähem – mit Sokrates vergleichen? Die notorische Stechfliege? Immer komme ich auf Aspekte, die den anderen stören. Genau das reizt mich. Warum sollte ich sonst schreiben? Ich bin vom Typ her kein Opportunist und Schmeichler. Sondern wie, nun ja, Sokrates, einer, dem das Fragen und Bohren Spaß macht. Die Schwächen des anderen ziehen mich magisch an. – Die Stärken natürlich auch: Ich schätze deinen Blog – genauso (obgleich aus anderen Gründen), wie ich Angela Merkel schätze und wie ich die deutsche Nation und die Deutschen schätze … Aua! – Das hat man davon, wenn man mal positiv zu sein versucht …

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  26. genova68 schreibt:

    Wir haben wohl einfach unterschiedliche Ansätze, Leo. Ich bin ein politischer Mensch, will aber nur theoretisch politisch wirken. Jedenfalls nicht mit diesem Blog, das wäre illusorisch. Wollte ich das Thema Wohnen angehen wollen, hätte ich die Alternativen a) in einer BI mitarbeiten, b) in die Linkspartei eintreten und dort ackern und c) militant werden. a) bringt erkennbar keinen Erfolg, das ist kleinklein, b) ist eine illusorische Ochsentour ohne Aussicht auf Erfolg und c) ist vermutlich auch ohne Erfolg und zudem nicht mein Ding. Mir geht es eher um den Versuch des Erkennens und das Schreiben bringt mir eine Klärung eigener Gedanken. Ich freue mich, wenn sich dazu Leute in den Kommentaren äußern, aber ohne den Anspruch, damit etwas zu verändern.

    Ich würde sagen, dass ich mich sehr wohl gedanklich an der realen Politik beteilige. Wenn ich sage, dass man den Boden der Verwertung entziehen müsste, den GG-Artikel, wonach Eigentum verpflichtet, ernst nehmen müsse, Bestandsmieten gesetzlich senken müsste und mehr: Das ist alles machbar, aber nicht in den aktuellen politischen und ökonomischen Verhältnissen. Wir leben im neoliberalen Zeitalter.

    Was soll ich deiner Meinung nach tun?

    Wie mache ich mich also selbst politikunfähig? Politikfähigkeit wäre demnach, nur in minimalen Dosen irgendwas zu fordern. Das ist mir zu blöd, dafür würde ich auch nicht in die Politik gehen. Der Immobilienmarkt funktioniert nicht, also muss er weg. Und es ist tausendmal bewiesen, dass die Verhältnisse nicht so sein müssten, wie sie sind. Das wissen viele und es wird ja immer wieder über neue Machtaneignungsperspektiven geredet. Aber da sieht es im Moment düster aus. Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde kürzlich über das Aktivierungspotenzial diskutiert. Ergebnis: Völlige Ratlosigkeit. Ich hatte auch den Eindruck, dass die jüngeren Teilnehmer schon eine dermaßen weichgespülte, vorsichtige, theoretische Sprache haben, so wird das nie was. ein Alt-68-er konnte jedenfalls noch klar reden, aber der wusste ansonsten auch nicht weiter.

    Da ist ja theoretisch alles ausformuliert und wir sitzen hier im Täterland, das durch den Euro massiv profitiert, immer mehr exportieren will, andere Länder an die Wand fährt usw. Ich sehe die Möglichkeit, dass die aktuellen Parteien massiv beschädigt werden, es ist ja kaum noch einer von denen überzeugt. Die AfD ist das Negativbeispiel, aber vielleicht kommen andere Formen schneller, als man denkt, wer weiß. Leute wie Sanders oder Corbyn zeigen, wie es gehen könnte.

    Ich hoffe, dass ich nicht aufs Volk kotze, wobei mir ein gewisser Elitarismus eigen ist, zugegeben, aber da versuche ich mich immer zu korrigieren. Mir ist gerade gestern bei einem Ausflug in ein Kleingartenlokal wieder aufgefallen, dass das sehr angenehm sein kann. Diese Leute dort verursachen keine Gentrifizierung. Bei mir um die Ecke kann man in coole Läden gehen, aber ohne jedes politische Bewusstsein, und da wird, genau durch diese Leute, gentrifiziert. Man macht sich im Kleingartenlokal nicht schuldig und muss dafür zweifelhafte ästhetische Details in Kauf nehmen.

    5 vor oder nach 12 würde ich nicht sagen, das gibt es nicht, das ist Überschätzung der eigenen Situation. Selbst wenn der Klimawandel massiv kommt, wird der Mensch weiterleben. Die Deutschen neigen zur Apokalypse.

    Die Nation hilft uns bei der Gentrifizierung nicht weiter, die verhindert nichts Unerwünschtes. Es geht ums Denken, um Kategorien. Die ändern sich nicht über Nacht.

    Sei Sokrates, geht in Ordnung :-)

    Und nochmal Weißmüller:

    Die Antwort auf die Wohnungsfrage ist der sichtbare Beweis, wie der Staat es mit seiner Gesellschaft hält.

    Nach alldem, was sie in diesem Artikel (und in anderen auch schon) geschrieben hat, würde sie meinem hingeworfenen Brocken, wonach der Staat scheiße ist, zustimmen, zumindest inhaltlich.

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  27. Jakobiner schreibt:

    „Aber da sieht es im Moment düster aus. Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde kürzlich über das Aktivierungspotenzial diskutiert. Ergebnis: Völlige Ratlosigkeit. Ich hatte auch den Eindruck, dass die jüngeren Teilnehmer schon eine dermaßen weichgespülte, vorsichtige, theoretische Sprache haben, so wird das nie was. ein Alt-68-er konnte jedenfalls noch klar reden, aber der wusste ansonsten auch nicht weiter.“

    Naja, zugegeben die Sprache der jungen Identitätspolitiker ist zugegenermassen recht akademisch, blutleer, formelhaft und zumal sehr political correct. Deftigeres, Polarisierenderes ist da rhetorisch nicht zu erwarten. Aber vergessen wir nicht, dass den 68ern auch vorgeworfen massenfremdes Soziologendeutsch zu verwenden–so neu ist das also nicht. Zweitens gibt es sehr wohl noch Aktivierungspotentiale, zum Beispiel der Arbeiterklasse, die sich zwar gewandelt hat, aber der Großteil der Bevölkerung lebt immer noch von Löhnen und Gehältern und nicht von Zinsen, Kapitalerträgen oder Immobilien und Dividenden und Aktienbesitz–daran ändert sich auch nichts, wenn man sich Arbeiter nur als Stahl- und Kohlearbeiter oder eben nur als Industriearbeiter vorstellen will, die es so und in diesen Massen nicht mehr gibt, aber eben breite Schichten von neuen Lohn- und Gehaltempfängern dazu gekommen sind. Wenn man aber sich nur noch auf LGBT-Minderheiten- und Identitätspolitik und zugleich die saturierte „Mitte“konzentriert, wird dies auch nichts. Dazu gab es auch 250 000 Demonstranten gegen TTIP, zuletzt die IG Metallstreiks, die zu Verkürzung der Arbeitszeit und 4% mehr Lohn führten, nun die Verdistreiks–also so hoffnungslos und so sozial tot ist die Republik auch nicht.

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  28. Jakobiner schreibt:

    Als Lesetip zum Thema Aktivierungspotentiale: Die neueste Ausgabe des Freitag stellt die Forderung wieder eine Friedensbewegung zu fomrieren, wie sie auch der Frage nachgeht, warum es eigentlich keine trotz all der Kriege und der Konflikte ziwschen NATO und Putin-Rußland gibt.

    „Da hätte die Friedensbewegung, die es geben müsste, ihre Aufgabe. Sie würde eine andere Regierungspo-litik fordern und dafür zu Hunderttausenden auf die Straße gehen. Um Klarheit zu schaffen, dürfte sie den Konflikt auch innerhalb der Linken nicht scheuen. Denn die Forderungen, die zu erheben sind, wer-den nicht allen Linken gefallen. Gegen alle Kriegstreiber! Auch die unbewussten, die schlafwandleri-schen. Solche waren es einst, die den Ersten Weltkrieg zu verantworten hatten. Heute treibt jeder und jede unbewusst zum Weltkrieg, der oder die sich weigert, zur Willy Brandt’schen Entspannungspolitik zurückzukehren. Zur Entspannungspolitik zurückzukehren heißt, der Realpolitik in internationalen Bezie-hungen wieder den Vorrang vor jedem ehrlichen oder unehrlichen Moralismus zu geben. Wenn es sich nicht von selbst versteht, muss es laut gesagt werden: dass Gaddafi, Saddam und Assad weit besser regie-ren als der IS – dass man sie nicht stürzen darf, wenn das nur mit Mitteln gelingt, kriegerischen nämlich, die zur Destabilisierung und damit zum Aufstieg immer schrecklicherer Terroristengruppierungen führen. Nichts ist verbrecherischer als Destabilisierung, sei es die einer Gesellschaft oder gar der Weltordnung.
    Und wenn gesagt wird, ein Teil dieser Forderungen, etwa wenn es um Entspannung Russland gegenüber geht, werde auch von rechtspopulistisch bis neofaschistisch orientierten Kräften vertreten, dann gibt es darauf eine einfache Antwort: Alle genannten Forderungen richten sich gegen Krieg. Wer aber wirklich den Krieg ablehnt, der lehnt Kriegsflüchtlinge nicht ab, die seine logische Folge sind. Niemand, der die solidarische Aufnahme von Flüchtlingen verweigert, kann zu einer Friedensbewegung gehören, denn es ist offenkundig, dass er lügt.
    Ostermarsch-Route
    Kriege und Kriegsgefahr betreffen immer mehrere Staaten gleichzeitig. Deshalb kann eine Friedensbewe-gung nicht national, sie muss internationalistisch orientiert sein – wie es Lenin in seinem Kampf gegen den Ersten Weltkrieg gewesen ist. Die Erinnerung an Lenin ist auch deshalb nützlich, weil sie den Einwand entkräftet, Deutschland sei ja kapitalistisch und deshalb werde seine Regierung in einem Weltkonflikt um die Frage, wer der nächste kapitalistische Hegemon sein wird, sowieso nichts gegen drohende Kriegsge-fahren tun, vielmehr gewollt oder ungewollt an der Entfesselung des Weltkriegs beteiligt sein. Ja, das ist die Gefahr, die ganz konkret besteht, und eben um sie sichtbar zu machen, stellt man Forderungen auf. Es geht darum, möglichst viele Menschen, die sich mit kapitalistischer Regierungspolitik identifizieren, von dieser Identifikation abzuziehen. Nebenbei gesagt, könnten hier die Jusos eine gute Rolle spielen. Wenn ihr Aufstand gegen die Regierungsteilnahme ihrer Parteiführung kein Strohfeuer war, könnte der nächste Schritt in dem Versuch bestehen, die neue Friedensbewegung vorzubereiten, auch gegen ihre „eigenen“ Mitregierer, wie es ja die Jusos zur Zeit der Kanzlerschaft Helmut Schmidts nicht anders gehalten haben.
    Wer auch immer den ersten Schritt tut, er wird vorerst selbst im Erfolgsfall allenfalls auf etwas wie ein Komitee hinwirken können, an dem auch hinreichend viele Prominente beteiligt sind. Politiker und Künst-ler. Wer weckt die Künstler aus ihrem Dornröschenschlaf, die doch während des Kalten Krieges wacher waren als alle anderen? Es wäre nur ein Anfang, aber es wäre viel.“

    https://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/auf-der-strasse-zum-krieg

    Naja,das ist schon klarer formuliert, als jene schwammige Querfrontfriedensbewegung vor ein poaar Jahren unter Lars Mehrholz, bei der sich dann solch krude Gestalten wie Elsässer, Jebsen, Prinz Chaos und ähnliches rumtrieb. Aber ob sie dann größer würde? Vielleichtz interessiert die Jüngeren doch mehr ihr Smartphon als der nächste Krieg oder gar Weltkrieg.

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  29. Jakobiner schreibt:

    Ken Jebsen und Anhang werden wieder aktiv–diesmal rufen sie zu einem Generalstreik auf:
    http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_83486290/rechtsextreme-und-putin-fans-im-generalstreik-fieber.html

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