„Der Trump der Architektur“ (2)

[Das ist die Fortsetzung dieses Artikels]

Der Dekonstruktivismus wollte die Wahrheit hinterfragen. Er wollte das Ganze untergraben. In der Architektur ist das, zumindest was die Stars dieses Genres angeht, in weiten Teilen in die Hose gegangen. Sie sind nun Teil der Wahrheit und des Ganzen, und die ist eine kapitalistische und das ist ein kapitalistisches. Die Logik des Kapitalismus ist ideologiefrei und bemächtigt sich jeder Strategie, die Rendite verspricht. Stararchitektur, die kritisch daherkommt, lässt sich leicht ins Spektakuläre drehen, dem jede Kritik abhanden gekommen ist. Dies haben wir, wie man sagt, in Teil 1 unserer kleinen Serie plausibel dargelegt.

Wie radikal sich der Dekonstruktivismus in den Dienst des Kapitalismus stellen kann, zeigt der deutsche Architekt Patrik Schumacher:

schumacherDer 55-Jährige ist nicht irgendwer, sondern seit dem Tod der Gründerin vergangenes Jahr der Chef des Büros Zaha Hadid. Laut Guardian und dezeen will er den sozialen Wohnungsbau auf null herunterfahren, Bauregulierungen weitestgehend abschaffen und sogar Straßen, Plätze und Parks privatisieren. Bemerkenswerterweise sagte er das kürzlich bei einer Konferenz in Berlin. Auch gegen Zweitwohnungen in Metropolen hat er nichts einzuwenden. Seine Begründung:

„I know a lot of people that have second homes in London and I’m so glad they do,“ he continued. „Even if they’re here only for a few weeks and throw some key parties, these are amazing multiplying events.“

Amazing multiplying events, soso. Vermutlich dann, wenn er eingeladen ist. Klingt nach einem Egozentriker.

Genügend Wohnraum will er so schaffen:

„Housing for everyone can only be provided by freely self-regulating and self-motivating market process.“

Der Markt soll es richten. Angesichts der Verhältnisse in London eine mutige Behauptung. Der Neoliberalismus hat die aktuellen Verhältnisse geschaffen, aber egal: Wir erhöhen einfach die Dosis. Es ist völlig klar, dass mehr Markt bei naturgemäß begrenztem Boden zu höheren Preisen führt. Man mag nicht glauben, dass Mister Schumacher so dämlich ist, das nicht zu wissen. Er weiß es sicher.

In die Städte sollen, und hier zeigt Schumacher, was er eigentlich will, nur “the most economically potent and most productive users who serve us most effectively” einziehen. Wobei man erst einmal klären müsste, ob die economically Potentesten auch die sind, die us most effectively nutzen. Wie auch immer, in London sind doch schon lange nur noch die ökonomisch Potentesten in der City. Er trägt Eulen nach Athen.

Wenn gerade keine Party angesagt ist, sitzt Schumacher laut Guardian gerne bei Architekturkonferenzen in der ersten Reihe und bezichtigt die Redner, Teil einer „lefty liberal conspiracy“ zu sein.

Auf Facebook sind die Meinungen über Schumacher deutlich:

hadid1

hadid2

hadid3Die Engländer scheinen weitaus meinungsfreudiger als die Deutschen zu sein, wenn es um Architektur geht. In Berlin sind solche Auseinandersetzungen undenkbar. Hier macht die sogenannte intellektuelle Elite jeden Wunsch des Kapitals mit und will architektonisch entweder das Schloss oder gar nichts.

Wie auch immer: Von dekonstruktivistischer zu einer zeitgemäß faschistischen Architektur ist es offenbar nicht weit.

Interessant ist auch Schumachers politischer Werdegang: Er bezeichnete sich früher, kein Scherz, als  Marxist. Nun jedoch sei er desillusioniert. Vielleicht ist nicht nur der Trump, sondern auch der Jürgen Elsässer der Architektur. Nun liest Schumacher Ludwig von Mieses, Friedrich Hayek und Murray Rothbard. Leute also, für die die FDP eine sozialistische Partei ist.

Was sagte Zaha Hadid zu Schumacher, der seit den 1980er Jahren in Hadids Büro arbeitete? Sie hielt wohl nicht viel von seinen Überlegungen zur Architektur und laut Schumacher war sie Guardian-Leserin, was er keineswegs als Lob versteht. Konnte Schumacher nur durch den plötzlichen Tod Hadids den Laden übernehmen? Hat sie nicht aufgepasst?

Fade out

(Fotos: Facebook und dezeen)

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31 Antworten zu „Der Trump der Architektur“ (2)

  1. Jakobiner schreibt:

    Pol Pot wollte die Städte als Zentren von Intellektualität und dekadenten Reichtums auslöschen und die Stadtbevölkerung in militärisch-egalitäre Landwirtschaftskommunen umsiedeln, die Städte entvölkern, um den kommunistischen edlen Wilden ala Rousseau auf dem Lande zu züchten. Neoliberale sozialdarwinistische Pol Pots in der Architektenszene des Westens wollen nun den entgegengesetzten Weg gehen und die Städte von sozial schwachen und bildungsfernen Schichten und Klassen entvölkern, diese vertreiben und die Städte so zu wahren Zentren von einer Oberklassenelite der Exzellenz machen.

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  2. Jakobiner schreibt:

    Zu Dame von Welt: Was soll uns die Reaktion von Zaha Hadid zeigen? Dass sie die Öffentlichmachung dieser extremsten Gentrifizierungsidee fürchten, sich von der Person, aber keineswegs von seiner grundsätzlichen Libie distanzieren. Zaha Hadid MACHT UNAUSGESPROCHEN das an Gentrifizierung, was der Schumacher ausspricht. Von daher beweisen diese Distanzierungen gar nichts.

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  3. genova68 schreibt:

    Wie auch immer: Zaha Hadid macht gar nichts mehr, sie machte.

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  4. Jakobiner schreibt:

    Sie machte, aber das Architektur besteht ja noch weiter unter ihrem Namen und wird auch zu Prestigegründen genutzt. Ein selten dämlicher Einwand.

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  5. Jakobiner schreibt:

    Korrektur: Architekturbüro unter diesem Logo besteht weiter, ist eine Institution und wird auch von diesen neoliberalen Gentrifizierungs-Pol Pots zur eigenen Förderung dieser Ideen unter diesem Namen des Dekonstruktivismusavangardisten genutzt.Und auch wenn sie sich von diesem Arsch in seinem Extremismus distanzieren, s sind diese ganzen Architekten doch großteils für die neoliberale Gentrifizierung oder haben alle menschlichen Bezüge gekappt.

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  6. genova68 schreibt:

    Jo, gut, dass du korrigiert hast. Eine Tote sollte man für Posthumes nicht verantwortlich machen.

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  7. dame.von.welt schreibt:

    @Jakobiner
    Was soll uns die Reaktion von Zaha Hadid zeigen?

    Die Reaktionen verschiedener Protagonisten der Zaha Hadid Architects sollen uns zeigen, daß Patrik Schumacher auch dort – vorsichtig formuliert – umstritten ist.

    Ihre Pol-Pot-Ausführungen sind im Zusammenhang mit Zaha Hadid btw. besonders schräg, bitte hier entlang. Falls Ihnen der Name Youk Chhang nichts sagen sollte: Überlebender der Killing Fields, Gründer und Leiter des Documentation Center of Cambodia, Auftraggeber der Architektur (in jeder Hinsicht) des Sleuk Rith Institutes. Youk Chhang hat ab den 90er Jahren noch bis in die entlegensten Dörfer nach Massengräbern gesucht und dokumentiert und die Zeugenaussagen Überlebender zu den Verbrechen der Khmer Rouge gesammelt und protokolliert, was allein schon ein wichtiger Schritt zur Heilung des gesamtgesellschaftlichen Traumas in Kambodscha war. Ohne seine Arbeit wäre auch das Tribunal gegen wenigstens einige der führenden Khmer Rouge undenkbar gewesen.

    Im von Zaha Hadid Architects entworfenen Sleuk Rith Institute soll diese Arbeit fortgesetzt und ausgeweitet werden. ‚Sleuk Rith‘ heißt ‚Kraft der Blätter‘, in Erinnerung daran, daß Aufzeichnungen während des Khmer-Rouge-Regimes nur auf getrockneten Blättern möglich waren. Youk Chhang hat das Architekten-Team nicht nur anhand der Dokumentationsorte wie u.a. Tuol Sleng (meist in erbärmlich schlechtem Zustand) geschult, sondern auch anhand der großartigen Khmer-Architekturen.
    Darauf nimmt der Entwurf geradezu vorbildlich Bezug.

    Über die Vorgeschichte der Khmer Rouge habe ich anläßlich des 40. Jahrestages des Einmarsches der Khmer Rouge in Phnom Penh einen Blog geschrieben, zu dessen Füßen Sie auch ‚Year Zero‘ von John Pilger finden. Vielleicht dämmert Ihnen anschließend, WIE schräg Ihr Pol-Pot-Vergleich ist.

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  8. Jakobiner schreibt:

    Warum sollte der Vergleich Patrick Schumachers mit Pol Pot denn so schräg sein? Dame von Weklt sagt, dass er schräg ist, aber begründet nicht warum? Der gute Mann möchte Städte von Prekariat und sozial Schwachen Mnexchen entvölkern. Das ist doch Pol-Potmäßig unter anderem Vorzeichen.Und was hat die Tatsache, dass Zaha Hadid Architest ein Khmer Rouge Institute architektonisch gestalete und der Freitagartikel nun mit den offensichtlichen Parallelen zu tun, bzw. soll diese widerlegen?

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  9. dame.von.welt schreibt:

    Warum sollte der Vergleich Patrick Schumachers mit Pol Pot denn so schräg sein? Dame von Weklt sagt, dass er schräg ist, aber begründet nicht warum? Der gute Mann möchte Städte von Prekariat und sozial Schwachen Mnexchen entvölkern. Das ist doch Pol-Potmäßig unter anderem Vorzeichen.

    Unter Pol Pot starben von 1975-78 rund 2 Millionen Menschen, am Welt- und Zeitrekord im Töten mit landwirtschaftlichem Gerät (erst in Ruanda eingestellt) und an Hunger, mit spürbaren Folgen bis heute. Patrik Schumacher ist nicht Pol Pot, sondern nur ein arrogantes Großmaul oder wie Genova meint: „Der Trump der Architektur“.

    Und was hat die Tatsache, dass Zaha Hadid Architest ein Khmer Rouge Institute architektonisch gestalete und der Freitagartikel nun mit den offensichtlichen Parallelen zu tun, bzw. soll diese widerlegen?

    Die links zum Sleuk-Rith-Institut und der Blog beim Freitag hätten Ihnen ein bißchen Wissen vermitteln können – bitte entschuldigen Sie, daß ich sie für Sie zusammengesucht hatte, soll nicht wieder vorkommen.

    Es gibt – außer in Ihrem Kopf @Jakobiner – keine offensichtlichen Parallelen zwischen ZHA und Pol Pot. Zaha Hadid Architects bauen kein Khmer Rouge Institut, sondern ein auf historische Khmer-Architekturen bezugnehmendes Gebäude im Auftrag des Documentation Center of Cambodia, in dem das DCCam-Archiv, historische Artefakte, eine Bibliothek usw. Platz finden, wo über Genozid/Autogenozid geforscht und der Millionen Toten gedacht werden soll.
    Sie @Jakobiner wissen vermutlich auch nicht, daß es bis heute aktive Khmer Rouge gibt, die (besonders an der Grenze zu Thailand) immer mal wieder für Konflikte sorgen.
    Institute geben sie m.W. aber nicht in Auftrag.

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  10. Jakobiner schreibt:

    Beste Dame von Welt. Ich habe nicht behauptet, dass Patrick Schumacher Millionen Menschen umbringen will, sondern die Parallele bezog sich auf die Entvölkerung der Städte und nicht auf mehr. Es bezog sich auf die Denkweise und nicht auf die Taten.Mal wieder typisch deutsch political überkorrekt. Dass der Typ wohl ein ziemlich sozialdarwinistisches und grausames Arschloch ist, dürften Sie ja auch nicht bezweifeln.Dazu war ich selbst zweimal in Kambodscha, habe auch den Tuol Sleng und die Killing Fields besucht, wie ich auch mit den ersten Bundeswehrkontingenten auf dem ersten deutschen out-of-area-Einsatz in Kambodscha war und die Geschichte des Landes gut kenne.Ihr Freitagblogbeitrag bezieht sich zudem auf die Zeit vor 1975, beschreibt also die Roten Khmer, ihr Denken und ihre Ideologie gar nicht. Von daher als Link völlig ungeeignet, es sei denn man will selbsteitel zeigen, wie belesen und gebildet man/frau doch sonst so ist.

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  11. dame.von.welt schreibt:

    Ich habe nicht behauptet, dass Patrick Schumacher Millionen Menschen umbringen will, sondern die Parallele bezog sich auf die Entvölkerung der Städte und nicht auf mehr.

    Im Gegensatz zur Deportation und häufigen Ermordung der Städter unter den Khmer Rouge entvölkern die Schumachers dieser Welt Städte nicht, sondern begünstigen den Austausch nichtwohlhabender Bürger gegen wohlhabende. You name it: ein ziemlich sozialdarwinistisches … Arschloch. Kein Pol Pot.

    Dazu war ich selbst zweimal in Kambodscha, habe auch den Tuol Sleng und die Killing Fields besucht, wie ich auch mit den ersten Bundeswehrkontingenten auf dem ersten deutschen out-of-area-Einsatz in Kambodscha war und die Geschichte des Landes gut kenne.

    Umso erschreckender ist Ihr schräger Vergleich. Mir ist es aber auch ein stinkendes Rätsel, warum die UNTAC-Mission stets als großer Erfolg gefeiert wird, nachdem sie die Ziele – von der Überwachung der Wahlen ’93 einmal abgesehen – sowas von nicht erfüllt hat. Ausgerechnet die Khmer Rouge wurden nicht entwaffnet noch erwähnenswert viele Minen geräumt noch wurde die kambodschanische Justiz so unterstützt, daß Prozesse gegen führende Khmer Rouge vor deren überwiegendem Ableben stattfinden konnten usw.usw. Aber angewandte Prostitutionsförderung, HIV-Verbreitung, Vervielfachung der Lebenshaltungskosten in Phnom Penh sind vermutlich auch eine Leistung. #lasttweet

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  12. Jakobiner schreibt:

    Seltsam, dass Dame von Welt sich über meinen Pol Pot-Vergleich so leidenschaftlich empören und erregen kann, aber zu dem Faschismusvergleich von den Facebookkommentaren (siehe oben) „Arbeit macht frei! Patrick Schumacher Architect of Fascism“ gar nicht erregt.Also, wenn schon Empörung, dann aber auch bitte gleiche Maßstäbe!

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  13. Chinook schreibt:

    Naja, über nen Architekten zu diskutieren und Pol Pot als wie auch immer geartete Meßlatte in die Diskussion einzubringen, das ist schon stark.

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  14. Jakobiner schreibt:

    Noch als Lesetip zu den Khmer Rouge und Pol Pot für Dame von Welt:
    https://www.global-review.info/2011/11/14/kambodscha-pol-pot-und-der-agrarkommunismus/

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  15. dame.von.welt schreibt:

    Okay, Jakobiner – Sie bewegen sich allmählich in eine interessantere Richtung, geht doch…

    Auch aus Global-Review-Artikel und -Kommentaren geht hervor, was ich Ihnen schon mit der Verlinkung zum Vorgeschichte-Blog vermitteln wollte: die Khmer Rouge waren weniger kommunistisch als ultra-nationalistisch, reaktionär und auf „Superiorität der Rasse“ der Khmer bedacht. Deswegen wurden zuerst die in Kambodscha lebenden Vietnamesen verfolgt/vertrieben/ermordet, die gleiche Sprache sprechen die zahlreichen Überfälle auf Südvietnam.
    Den Khmer Rouge zielten auf Wiedererrichtung des historischen Khmer-Reiches in halb Südostasien ab, das ab 9. Jhdt durch ausgeklügelte Bewässerungssysteme-> mehrere Reisernten/Jahr-> Bevölkerungsexplosion militärisch erkämpft und später auch verwaltet werden konnte. Deswegen wurden die Städter aufs Land deportiert, der zweite Grund war eine Art initiierter Klassenkampf der unterprivilegierten Landbevölkerung gegen das kambodschanische Königshaus und gegen alle, die damit in Verbindung standen – Adel, Stadtbürger, Intellektuelle, Künstler, Kunsthandwerker, Mönche usw. (mir dabei wichtig: die Khmer Rouge wären ohne französischen Kolonialismus und vor allem: ohne die us-amerikanischen Flächenbombardements ein erfolgloses Dissidenten-Trüppchen im Dschungel geblieben)

    Im Gegensatz dazu: den Schumachers dieser Erde ist es völlig gleichgültig, welche Kultur, Herkunft, Hautfarbe, Profession, Bildung, religiöse/politische Konfession ihre Besserbürger haben.
    Das einzig wichtige ist Geld.

    Sprich: mit Ihrem Pol-Pot-Vergleich relativieren Sie nicht nur die Khmer-Rouge-Verbrechen und deren bittere Folgen bis heute, Sie sind auch inhaltlich auf einem mehr als schmalen Brett.
    (bevor ich mich über Ihre oder gar noch über Facebookkommentare leidenschaftlich empöre und errege, friert die Hölle zu. Falls Sie sich aber in Zukunft mit mir austauschen möchten, fände ich direkte Anrede und weniger Unterstellungen einen erfreulichen ersten Schritt)

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  16. genova68 schreibt:

    Mit der direkten Anrede hat der Jakobiner Probleme, warum auch immer.

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  17. Jakobiner schreibt:

    Also, die Unterschiede zwischen Pol Pot und Schumacher sehe ich durchaus und auch gut, dass Dame von Welt das so nochmals ausführlich darstellt.Der Vergleich bezog sich ja vor allem auf den Vorgang der Entvölkerung, den Schumacher in aller Radikalität eben mittels neoliberaler Marktgesetze und Deregulierungen und Privatisierungen in Gang setzen will.Wobei aber Profession und zumeist auch Bildung mit dem Geld korrespondieren, diese Schumacher also nicht egal sind. Ihm schwebt eher Großstädte als kosmopolitische Eliteorte eines quasi geldaristokratischen Adelhofstaats vor.

    Und was meint ihr eignetlich mit direkter Anrede? Duzen? Oder wie soll ich Dame von Welt denn sonst anreden–ich kenne ihren/seinen Klarnamen ja nicht.

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  18. genova68 schreibt:

    Ehrlich gesagt hat genova auch keine Ahnung, was dame von welt mit direkter Anrede meint. Wie sollte Jakobiner das bewerkstelligen?

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  19. Jakobiner schreibt:

    Sind wir doch froh, dass es in unserer „entzauberten Welt“(Max Weber) noch solche Rätsel und Reservate des Geheimnisses gibt wie der „direkten Anrede“von Dame von Welt! Es leben die weißen Flecke auf unserem Globus!

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  20. dame.von.welt schreibt:

    Der Vergleich bezog sich ja vor allem auf den Vorgang der Entvölkerung, den Schumacher in aller Radikalität eben mittels neoliberaler Marktgesetze und Deregulierungen und Privatisierungen in Gang setzen will.Wobei aber Profession und zumeist auch Bildung mit dem Geld korrespondieren, diese Schumacher also nicht egal sind. Ihm schwebt eher Großstädte als kosmopolitische Eliteorte eines quasi geldaristokratischen Adelhofstaats vor.

    Schumacher ist gar nichts ohne Auftrag- und Geldgeber und er braucht eine Politik, die seine Besserbürger will und den Austausch der Armen gegen sie durchsetzen kann. Schumacher ist alles andere autonom mit dem, was ihm so alles vorschwebt. Es macht nix besser, aber er ist auch nicht der erste Architekt, der sich mit üblen Politikern und Geldgebern ins Bett legt, um überhaupt bauen zu können. Bauen ist bekanntlich eine ziemlich kostspielige Angelegentheit – einer der Gründe, warum ich Architekten null beneide. Ein weiterer Grund sind die Abweichungen vom ursprünglichen Entwurf, der auch bei „Stararchitekten“ nicht selten zur Unkenntlichkeit pervertiert wird – z.B. bei Kleihues, der in Berlin nur alberne Stummel bauen durfte, die allesamt aussehen wie eine Karre Mist.

    Das ist ein Aspekt, den Sie @Genova in beiden Blogs außen vor lassen. Ich find’s ein bißchen drüber, den gesamten Dekonstruktivismus in die Tonne zu kloppen, weil es a) großmäulige Sozialdarwinisten wie Schumacher gibt, b) Architekten immer von solventen Auftraggebern und ihren Vorgaben abhängen und c) Gehry und Hadid in Mode sind und erst damit renditeträchtig wurden. Gehry tun Sie in Bilbao m.M.n. Unrecht, der hat das Museum bewußt in eine unwirtliche, zuvor kaum von Passanten frequentierte Gegend gebaut (ihm wurde m.W. zuvor ein anderes Areal nahegelegt), die durch den Gehry-Bau sehr gewonnen hat. Zaha Hadid arbeitete jahrzehntelang, bevor sie ihr allererstes Gebäude bauen konnte (Vitra-Feuerwehrhaus), keine Ahnung, wie sie das ausgehalten hat.

    Den Dekonstruktivismus hatte ich bisher weniger als politisches Statement, sondern als gestalterische Bewegung zur Dekonstruktion gewohnter Sichtweisen, Formen, Materialien und Räume verstanden. Na klar ist es bedauerlich, daß diese Dekonstruktionen nicht auch die des Neoliberalismus beinhaltet haben. Ich halte aber diesen Anspruch an Architektur für überzogen, erinnert mich an den Anspruch, mit Gestaltung aller Art Menschen moralisch zu bessern. Eigentlich weiß man spätestens seit dem Bauhaus, daß das nicht klappt.

    (auf die Gefahr hin, Ihre Welt weiter zu entzaubern, verehrter Jakobiner: mit direkter Anrede meine ich, daß Sie mich gern mit Sie @dame.von.welt ansprechen dürfen…;-)…
    Sie kommentieren meistens in der 3. Person – dame.von.welt hat, tut oder läßt – als wäre ich nicht vorhanden und würde mich nicht um Kommunikation mit Ihnen bemühen: das ist unhöflich.
    Überflüssig ist auch, was Sie mir so alles zu unterstellen belieben, Beispiel: ich wolle nur selbsteitel zeigen, wie belesen und gebildet ich sei. Hä?
    Mit beidem wirken Sie ausgesprochen feindselig, ich habe keine blasse Ahnung, womit ich Ihnen dazu einen Anlaß geboten hätte. Aber vielleicht meinen Sie das nicht so, merken es selbst nicht und vielleicht geht’s ja in Zukunft auch mal ein bißchen freundlicher. Oder wenigstens höflich und sachlich, tät mich freuen)

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  21. genova68 schreibt:

    Dame von Welt,
    ich hoffe, nicht den gesamten Dekonstruktivismus in die Tonne gekloppt zu haben. Ich nehme den Anspruch ernst, und da ist es öfter als einmal passiert, dass nicht dekonstruiert wurde, sondern nur formal ein wenig auf die Pauke gehauen. Das Museum in Wolfsburg oder das Mercedes-Museum würde ich auf alle Fälle als gelungen bezeichnen, das liegt vielleicht auch an der Bauaufgabe. Der Soziale Wohnungsbau von Hadid in Wien hat nie funktioniert, weil erstens die Bewohner mit den Grundrissen nicht zurecht kamen. Da könnte man die Frage nach Partizipation gerade bei dekonstruktivistischen Wohnbauten stellen, Und weil zweitens die Kosten zu hoch wurden. Da könnte man fragen, inwieweit ein dekonstruktivistischer Bau nicht zwangsläufig enorme Auskragungen haben muss, die die Überwindung der Schwerkraft vortäuschen, aber um den Preis gigantischer Stahlmengen, die verbaut werden müssen, damit das Ding nicht zusammenkracht.

    Zaha Hadid hat übrigens in Berlin schon vorm Mauerfall gebaut, Stresemannstraße/Ecke irgendwas.

    Habe ich Gehry in Bilbao hier mal kritisiert? Möglich, aber da würde ich Ihnen recht geben: Er war damals Vorreiter, das war ok. Ich habe, glaube ich, kritisiert, dass Gehry danach das immergleich baute, er nur eine Marke seiner selbst wurde:

    „Der Trump der Architektur“ (1)

    Generell ist Gehry natürlich problematisch, weil sich die Hülle zu ernst nimmt und den Inhalt nicht respektiert. Gerade in Bilbao interessiert es niemanden, was das Museum eigentlich ausstellt. Als im mal drin war, sah ich fast keinen Besucher.

    „Den Dekonstruktivismus hatte ich bisher weniger als politisches Statement, sondern als gestalterische Bewegung zur Dekonstruktion gewohnter Sichtweisen, Formen, Materialien und Räume verstanden.“

    Ja, klingt gut, ist aber in neoliberalen Zeiten Augenwischerei. Alles scheinbar dekonstruierte wird vom Kapital sofort in die Mangel genommen. Dem muss Architektur sich stellen, gerade wenn sie radikal Neues will. Das rein formale Andersmachen wird dann schal. Es geht IMMER um Form UND Inhalt, ob einem das passt oder nicht. Und wenn Sie von der Dekonstruktion gewohnter Sichtweisen sprechen: Was sind Sichtweisen? Das ist keine l´art pour l´art.

    Erziehung, naja. Das Bauhaus, unter anderem unter Meyer, hatte da schon interessante Ideen, Törten, serielle Fertigung, Volksbedarf, wie man das nannte. Das Bauhaus war nicht nur Erziehung, sondern der praktische Versuch einer Verbesserung. Architektur sollte die Bedingungen des Wohnens verbessern, durch bessere und flexiblere Grundrisse, Materialien, Ausloten der Möglichkeiten partizipatorischen Bauens undundund. Das ist deren Job, wenn sie ihn Ernst nehmen. Und wenn Sie bedenken, dass der Quadratmeter Neubau in Berlin-Innenstadt kaum unter 4.000 Euro zu kriegen ist, dann sollten Sie den Anspruch an Architekten eher hoch- als runterschrauben. In der Szene geht es derzeit, auch bei denen, die sich für fortschrittlich halten, nur um Modethemen, um weiche Begriffe. Aber man könnte auch sagen, dass Architekten da überfordert sind, zumal die eh nur noch Bauvorschriften auswendig lernen und sich mit bürokratischen Mechanismen auskennen müssen.

    Generell würde ich den Dekonsruktivismus schon als eine auch politische Haltung verstehen. Nicht umsonst gab es die Verbindung zwischen Architektur und Philosophie. Ich vertrete halt nach wie vor die Auffassung, dass Architektur keine Kunst ist, sondern bestenfalls einen künstlerischen Anspruch haben kann, der ins Gebäude einfließt. Das reale Funktionieren im besten Sinn ist aber der zentrale Aspekt. Den könnte man dann, wenns klappt, auch als „eine Kunst“ bezeichnen. Man sollte eher von Baukultur sprechen, finde ich.

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  22. dame.von.welt schreibt:

    Sie haben ja recht, alles ist politisch.
    Aber.

    Das Bauhaus war nicht nur Erziehung, sondern der praktische Versuch einer Verbesserung. Architektur sollte die Bedingungen des Wohnens verbessern

    Auf die praktischen Verbesserungsversuche des Bauhaus folgte der Nazi-Rückgriff auf klassische Architektur in Übergröße, zur Menschenkleinmachung. Direkt auf das Bauhaus bezogen sich die Ödnisse der 70er-Jahre-Sozialbauten und -Kahlschlagsanierungen. Viele Original-Bauhaus-Architekturen lassen sich im Winter kaum bewohnen, bzw. nur von abgehärteten Reichen, weil sie kaum gedämmt und kaum zu heizen sind. Wenn heute irgendwer zuviel Geld und null eigene Idee zur Inneneinrichtung hat, können Sie Ihre Tugend darauf verwetten, daß der Bauhausmöbel und -lampen kauft. Die allesamt einen Arm und ein Bein kosten und – Beispiel Wagenfeldleuchte – oft erbärmlich fehlkonstruiert sind – richtet das Licht nicht und funzelt entweder oder blendet.

    Generell ist Gehry natürlich problematisch, weil sich die Hülle zu ernst nimmt und den Inhalt nicht respektiert.

    Rolf Fehlbaum/Vitra hatte etwa zeitgleich mit Hadid auch Gehry mit einem Bau für seine Stühlesammlung beauftragt, vor Bilbao, das war Gehrys erster Bau in Europa. Das ist kein ganz einfacher Ausstellungsbau, der vermutlich leer ebensoviel großartiger ist wie Libeskinds Jüdisches Museum ohne Ausstellung großartiger und eindrücklicher war. Was aber weder die Vitras noch das Jüdische Museum davon abhält, obergroßartige Ausstellungen zu realisieren.

    Den Bewohnern des Wiener Zaha-Hadid-Sozialbaus könnte man also die Frage stellen, ob sie sich überhaupt Mühe gegeben haben, sich mit Hadids Grundrissen zu befreunden. Die Werkfeuerwehrmänner der Vitra jedenfalls liebten ihr Feuerwehrhaus heiß und innig (ich habe gefragt) obwohl es ihnen allerhand an Gewöhnung abverlangte. Der Berliner Hadid-Bau (Degewo, Stresemann/Ecke Dessauer) kam erst später und der superinteressante Entwurf mit keinen 3m Fassadenbreite am Kudamm wurde gar nicht erst realisiert, oder? Zaha Hadid wurde, obwohl sie Statik lehrte, ewige Zeiten mißtraut, ob das Ding nicht zusammenkracht.

    Und wenn Sie von der Dekonstruktion gewohnter Sichtweisen sprechen: Was sind Sichtweisen? Das ist keine l´art pour l´art.

    Ich meinte die Dekonstruktion unserer Seh- und anderer Gewohnheiten, ähnlich, wie Memphis die Sehgewohnheiten von Proportionen, Farbkombinationen, Mustern usw. im Design veränderte und zwar mit Hilfe ihrer ausdrücklich kommerziellen Absicht und zu gesalzenen Preisen, die ihnen aber im real existierenden Kapitalismus erst zu Prominenz, damit zur Sichtweisenveränderung verhalf.

    Mit den erwähnten zu hohen Baukosten bin ich gespalten, mich würde interessieren, wie hoch die im Verhältnis zu heute zwischen 1880 und 1930 waren und welche Rolle dabei die heute absurd hohen Grundstückspreise, die z.T. idiotischen deutschen Bauvorschriften (daß z.B. Kabel immer unter Putz müssen) und die sehr viel kürzer terminierte Lebensdauer heutiger Architekturen spielen.

    Über sich nützlich machende Kunst sind Sie und ich unterschiedlicher Meinung, an dieser Stelle waren wir schon. Immerhin konnten Edmund de Waal und ich Ihre Sichtweise von Porzellan verändern…;-)…

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  23. genova68 schreibt:

    Danke für den Beitrag, liebe dame von welt. Ich möchte gerne darauf antworten, aber erst die Tage.

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  24. genova68 schreibt:

    Bauhaus und Bauwirtschaftsfunktionalismus: Es gibt ja immer und überall diese Gratwanderung zwischen einer selbstreflexiven Aufklärung bzw. Moderne und der instrumentellen Vernunft. So auch beim Bauhaus. Corbusiers geniale Villen und die späten organischen Sachen wie Ronchamp müssen auch im Kontext seiner absurden Stadtplanungen, beispielsweise für Paris, gesehen werden. Das Bauhaus ist da keine Ausnahme. Dennoch sehe ich nicht so richtig den Zusammenhang zwischen dem, was im Bauhaus in Dessau gemacht wurde (und dem, was in Weimar gemacht wurde, noch weniger) und den Trabantenstädten der 50er und 60er Jahre. Man hat die Möglichkeit der seriellen Produktion zum bloßen Stapeln degradiert, aber da lässt sich das Bauhaus doch nur begrenzt verantwortlich machen, oder?

    Bauhaus und Technik: Die Siedlung Törten beispielsweise experimentierte mit vorgefertigten Bauelementen, mit kostengünstigen Baumethoden, mit serieller Massenproduktion. Ich bin nicht genau im Bilde, aber ich denke, dass die Heizmöglichkeiten da besser waren als in den Berliner Mietskaserenen. Lichtverhältnisse und Grundrisse sowieso. Dazu Gärten für Selbstversorgung.

    Heute ist das Bauhaus zu einer Distinktionsmaschine verkommen, zur Marke für Leute, die die Steigerung ihres Marktwertes nicht über einen SUV beziehen, sondern über cleanes Design. Das ist alles pervertiert, aber kann ich dafür Gropius oder Meyer verantwortlich machen?

    Das Bauhaus – vom Politikum zur Distinktionsmaschine

    Die Bauten von Gehry, auch das von Ihnen erwähnte Stuhlmuseum, sind einzeln betrachtet sicher fast immer gut. Ich finde es nur öde, dass er das Einzelwerk immer wieder als einzigartiges Architekturphänomen inszeniert, aber doch nur streng seiner Markendynamik folgt und diese Architektur sich wenig für das Innenleben interessiert, sondern nur für sich selbst. Und Städte benutzen das als Marketing. Dekonstruktion soll eine Sichtweisenänderung bewirken, aber wenn das mit Gehry so kontrolliert passiert, wie das in der x-ten Wiederholung der Fall ist, dann hat das mit einer Sichtweisenveränderung nicht mehr viel zu tun. Es ist dann mehr die schnelle Befriedigung des Auges, dass da etwas Besonderes steht, etwas Auffälliges, das sich gut ablichten lässt, mit dem sich gut werben lässt, völlig unabhängig für welchen Zweck. Es ist dieses vom Ort losgelöste, irgendeine Globalisierung repräsentierende Ding, das allen, die sich damit wohlfühlen signalisiert, dass sie auf der Höhe der Zeit sind. Das ist eine Sichtweisenveränderung, die eigentlich keine ist, sondern nur affirmativ mit dem Bestehenden umgeht. Da ist spätestens seit dem Aufkommen von Fertigessen kein mutiger Impuls mehr drin. Wir beide sind doch auch der Meinung, das ein Zumthor wesentlich gehaltvollere Architektur hinstellt.

    Eine Sichtweisenveränderung muss mehr sein als die bloße Veränderung der Form. Den Anspruch sollte ein ernstzunehmender Dekonstruktivismus haben. Den hat er bei Gehry nicht mehr. Hadids Sachen sind meist angenehmer, aber bei dem Sozialwohnungsbau ist das so eine Sache. Sie sagen, die Bewohner sollen sich mit Hadids Architektur mehr auseinandersetzen. Eine irgendwie gute Forderung, aber vielleicht wäre es umgekehrt geschickter. Hadid hätte mit denen kommunizieren sollen, die da wohnen sollen. Neue Wohnverhältnisse, neue Grundrisse, neue Wohnformen sollten schon von den Architekten angeschoben werden, sie sind die Fachleute. Aber Hadid und neue Wohnformen: irgendwie weiß ich darüber nichts. Neue Formen schon eher. Gute Beispiele für neue Wohnformen sind beispielsweise Moshe Safdie und die Habitat 67, alle möglichen Terrassenhäuser, die hier schon besprochene Großsiedlung von Alois Glück im südlichen Wien (https://exportabel.wordpress.com/2016/05/07/glueck-in-wien/) und unzählige andere Sachen. Sie werden dabei feststellen, dass die Architekten sich da mit vielen kleinen Details beschäftigt haben, den Bewohner ernst genommen haben. Gerade Safdie zeigt in die richtige Richtung, weil die Fassade da von innen nach außen gewachsen ist, weil die Form dem Inhalt zu folgen hat. Bei Hadids Wohnungsbauten kommt mir das als reine Spielerei vor, als Vortäuschung. Ein gefaktes Von-innen-nach-außen-Wachsen, was in Wirklichkeit ein Abchecken der Außenwirkung ist. Vielleicht ist das Urteil aber auch zu streng.

    Die gesalzenen Preise: Man kann sicher die Haltung vertreten, dass es eine Avantgarde gibt, die später auf alle abstrahlt. Aber funktoniert das in der Praxis? Ikea würde ja sagen, der Bauwirtschaftsfunktionalismus sagt nein, der Altbauhype, bei dem Leute die übelsten Grundrisse hinzunehmen bereit sind, bloß weil an der Fassade Stuck drangeklatscht wurde, ebenfalls.

    Die realen Probleme sind andere: Es wird nach wie vor konventionell gebaut, was Grundrisse und Methoden angeht, Architekten sind einerseits Garanten für Architektur, die nur der Renditeerhöhung dient und andererseits Garanten für spießige Kitschbefriedigung einer unbefriedigten, regressiven Klientel.

    Die Baukosten waren vor 100 Jahren relativ höher, was schlicht der damals schlechteren produktiven Entwicklung geschuldet ist. Ein Durchschnittsverdiener kommt heute billiger an eine Wohnung, was allerdings immer weniger für die Ballungsräume gilt und generell würde ich da die Frage stellen, was heute eigentlich möglich ist, wenn man die kapitalistischen Zumutungen weglässt. Unnötige Bauvorschriften gibt es sicher, aber auch schöne Gegenbeispiele. Gehen Sie einmal in die Bibliothek am Kottbuser Tor. Da liegt alles über Putz :-)

    Sich nützlich machende Kunst könnte man als einen Widerspruch in sich bezeichnen. Kunst kann nützlich sein, würde ich sagen. Aber sie sollte nicht darauf hinarbeiten. Es ist aber nur eine Frage der Definition von Kunst.

    Hadid am Kudamm kenne ich nicht, ist vielleicht nicht realisiert worden.

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  25. dame.von.welt schreibt:

    Sie sagen, die Bewohner sollen sich mit Hadids Architektur mehr auseinandersetzen.

    Na ja, jede/r sollte sich wenigstens mit dem eigenen Wohnraum auseinander setzen – jedenfalls, bevor er als untauglich verworfen wird. Viele kriegen ja schon die Pippilotten, wenn mal irgendwo ein nicht rechter Winkel oder eine Rundung auftaucht oder eine amtliche Farbe oder eine ungewöhnliche Deckenhöhe oder die Fenster keine Fensterbretter für die Topfblumen haben.

    Wir beide sind doch auch der Meinung, das ein Zumthor wesentlich gehaltvollere Architektur hinstellt.

    Sind wir. Zumthors Beiträge zum Wohnen, gar zum sozialen Wohnungsbau sind aber extrem übersichtlich oder habe ich was verpasst? Der Zumthor ist ohnehin ein Ausnahmearchitekt – der erfindet ja jedes Mal das Rad neu, damit seine Bauten besonders einfach wirken, ohne das je zu sein. Würde der sich für sozialen Wohnungsbau interessieren, kann man fest davon ausgehen, daß seine Architekturen von innen nach außen und von außen nach innen wachsen und zwar so lange, bis sie in jede Richtung und in jeder Hinsicht besser nicht zu machen sind. Das braucht einen Haufen Zeit (und der Zumthor Auftraggeber, die lieb zu ihm sind) weswegen er als vergleichsweise teuer gilt, also für den sozialen Wohnungsbau kaum in Frage kommt. Was schade ist.

    Frank Gehry ist in Mode, DAS macht ihn so vermarktbar. Moden zielen meistens eher auf die äußere Form ab.

    Es gibt ganz generell unterschiedliche Sorten Gestalter – die einen arbeiten ihr ganzes Leben an einem Thema oder in einer Formensprache und scheitern darin möglichst immer besser, die anderen erfinden sich alle paar Jahre neu. Ich mag nicht pauschal werten, welche die besseren Gestalter sind. Weil: das ist wie bei der Musik – es gibt nicht U oder E, sondern gute und schlechte.

    (Hadid am Kudamm wurde gegen einen langweiligen Jahn ausgetauscht, der Bauherr mochte Hadids Entwurf nicht mehr)

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  26. genova68 schreibt:

    Man setzt sich wohl am liebsten mit dem auseinander, auf dessen Gestaltung, auf dessen Werden man Einfluss hat. Wenn es beispielsweise flexible Grundrisse gibt, ist man zur Auseinandersetzung gewzungen und macht das dann sicherlich gerne. Ich weiß nichts von der Praxistauglichkeit des Hadidschen Sozialwohnungsbaus in Wien (in meine, dass er mittlerweile aus der Sozialbindung rausgenommen wurde, wegen der Kosten vielleicht, und weil man einen Hadidbau immer vermarkten kann), aber mir fällt gerade der Sapphir von Libeskind gegenüber des BND ein:

    Daniel Libeskind und das „radikale Umdenken“ in Berlin

    Warum sollten sich die Bewohner mit solch absurden Balkons auseinandersetzen? Da hat Liebeskind sich nur für seine angeblich so dynamische Fassade interessiert, die Praktikabilität der Balkone ist um Lichtjahre schlechter als bei jedem Sozialwohnungsbau der 50er Jahre.

    Zumthor und sozialer Wohnungsbau, nun ja :D Aber eigentlich könnte er doch wie geschaffen sein für die Planung von gutem seriellen Wohnungsbau. Also einen Haufen Zeit in die Planung investieren und dann in großer Stückzahl herstellen.

    Gehry ist in Mode, aber er hat da auch kräftig mitgewirkt. Er bedient seine Marke. Kann man ja alles machen, ist dann aber uninteressant und ich will ihm nur jeden radikalen Duktus absprechen. Und die Sehgewohnheiten ändert man mit solch einer konstruierten und vorhersehbaren Architektur auch nicht mehr.

    Gute und schlechte Architektur und Gestaltung: Fragt sich nur, was ist was?

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  27. dame.von.welt schreibt:

    Der Soziale Wohnungsbau von Hadid in Wien hat nie funktioniert, weil … die Bewohner mit den Grundrissen nicht zurecht kamen.“ vs „Ich weiß nichts von der Praxistauglichkeit des Hadidschen Sozialwohnungsbaus in Wien“ Was denn nun?

    Ich finde es nicht ganz fair, Architekten im Grunde vorzuwerfen, daß sie auf das Geld ihrer Auftraggeber angewiesen sind – andernfalls müßten sie sich auf Lego- oder Modellbau und auf die Teilnahme an Wettbewerben beschränken und zum Broterwerb Taxi fahren. Erfolg, damit auch möglicher politischer Einfluß, gehen im real existierenden Kapitalismus damit einher, daß ein Name zu einer Marke gemacht wird. Ohne Verknüpfung einer Handschrift mit einem Namen kein Wiedererkennungswert, kein Erfolg, keine Aufträge. Wie schon gesagt: ich beneide Architekten nicht mal ein bißchen.

    Bei Gehry habe ich den Eindruck, daß er einer dieser Gestalter ist, die sich ihr ganzes Leben mit einem Formenkanon beschäftigen, während mir Hadid als wesentlich variantenreicher erscheint. Beide werden von Auftraggebern und Politik als Marken mißbraucht, an deren Werdung sie aber selbst kräftig mitwirken mußten, da sie andernfalls nie so weit gekommen wären. Ist ein Dilemma (und der Libeskind wäre besser beraten, keine Interviews in Immo-Poesie zu geben, gute Güte, wasn Gelaber).

    Gute und schlechte Architektur und Gestaltung: Fragt sich nur, was ist was?

    Naja, etwas so lange von innen nach außen und von außen nach innen durchzuarbeiten, bis alle Erfordernisse bedacht und gestaltet sind und es dann so umzusetzen, daß es besser nicht gemacht werden kann – beinhaltet bei Architektur auch Bezugnahme auf umliegende Gebäude. Das ist ein extrem hoher Anspruch an Gestaltung und einer der Gründe, warum ich angewandte Kunst so wertschätze. Gestaltung hat auch mit Mündigkeit zu tun – einesteils mit dem Mut, einem überschaubaren Teil der Welt den eigenen Stempel aufzudrücken, anderenteils mit den damit verbundenen Zweifeln, mit Scheitern und mit sehr viel Arbeit.

    Man setzt sich wohl am liebsten mit dem auseinander, auf dessen Gestaltung, auf dessen Werden man Einfluss hat. Wenn es beispielsweise flexible Grundrisse gibt, ist man zur Auseinandersetzung gewzungen und macht das dann sicherlich gerne.

    Ja, aber. Ich würde mich liebend gern irren, aber ich fürchte, daß genau davon viele überfordert wären. Was auch damit zu tun hat, daß für Normalbürger das (weitgehend ohne Architekten) geplante eigene Haus, dessen Gestaltung und Bau als erstrebenswerte Etappe im Leben praktisch nicht mehr vorkommt, ebensowenig wie maßgeschneiderte Kleidung oder gute einfache Küche. Kaum jemand schöpft die vorhandenen eigenen Gestaltungsspielräume aus, zugunsten der Inanspruchnahme von outgesourctem Spezialistentum und möglichst einfachem Konsum – beides hat einen auch monetären Preis. Auch die Ziegerts dieser Erde fallen nicht vom Himmel, sie erhalten nicht nur von Politikern und Architekten, sondern auch von Konsumenten die Erlaubnis zur Geldvermehrung durch den Mißbrauch von Wohnraum.

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  28. genova68 schreibt:

    Also, ich habe nur gelesen, dass die Bewohner des Hadidbaus in Berlin mit den Grundrissen nicht klarkamen. Ob die nur einfach sehr konservativ waren oder dort WGs statt Familien einzogen oder spitze Winkel der Grund für die Ablehnung waren, weiß ich nicht.

    Gestaltung, Kunst: Ich denke, man sollte als Künstler einen hohen Anspruch an sich selbst haben. Neues machen, was immer in eine andere Sphäre als die des Gewohnten gehen muss. Gehrys frühe Ideen, sein eigenes Wohnhaus, war sowas. Danach wurde es eben banal und marktförmig. Er muss sich nach Auftraggebern richten, ja, aber wenn er das in dieser Art macht, nur noch seine Marke verwerten, dann wird er halt zum Depp. Gehry würde sicher auch Aufträge bekommen, wenn er sich weiterentwickeln würde. Siehe Zumthor. Es ist wohl auch die Gier, die da eine Rolle spielt. Es ist wie bei Walter White in Breaking Bad. Beide haben ihre Seele verloren. Gehry weiß vermutlich nicht mehr, warum er baut.

    Ihr letzter Absatz: Ja, schön gesagt. Das wäre also die systematisch anerzogene Unmündigkeit. Mündigkeit nur noch da, wo sie die Rendite erhöht, beispielsweise Ikeamöbel selbst zusammenbauen. Man kauft aus dem Katalog, keine eigene Idee. Niklas Maack hat das in „Wohnkomplex“ gut beschrieben, dazu wollte ich mal was schreiben. Er meint, dass die Bewohner zu viel mehr in der Lage wären, würde man ihnen die Möglichkeit bieten. Auch was die ästhetische Erziehung angeht. Die Katastrophen in Neubaugebieten sind ja nichts anderes als der visuelle Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen. Ich denke, man könnte mit künftigen Bewohnern schön planen, wie ein Grundriss aussehen sollte.

    Ziegert erhält die Erlaubnis von Renditejägern, also von dir und mir, stimmt. Aber das sind die Verhältnisse und eine auch nur halbwegs verantwortungsvolle Politik würde jeden Ziegert aus der Stadt werfen und könnte das dir und mir auch gut vermitteln. Den Anspruch, mit Wohnraum Rendite zu erzielen, kann man in Diskussionen schnell ad absurdum führen.

    Zur Kunst nochmal: Wir haben einfach eine leicht differierende Definition von Kunst. Ich halte es da mit Adorno und Kant und sehe das interesselose Wohlgefallen, weil nur das der Kunst ermöglicht, alle Fesseln abzulegen. Gebrauchsgegenstände sind dann Gestaltung mit künstlerischem Anspruch oder so ähnlich, was ja keineswegs einen geringeren, äh, Wert haben muss. Aber die Unterscheidung halte ich für notwendig.

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  29. dame.von.welt schreibt:

    Ich halte es da mit Adorno und Kant und sehe das interesselose Wohlgefallen, weil nur das der Kunst ermöglicht, alle Fesseln abzulegen.

    Interesseloses Wohlgefallen hielte ich für eine sogar mächtige Fessel, denn so würde Kunst auf Erbauung schon beim Kunstmachen reduzieren. Einem interesselosen Künstler würde überdies jedes Anliegen fehlen.

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  30. genova68 schreibt:

    Ich glaube, interesselos meint hier eher, dass man den Gegenstand, um den es geht, nicht begrifflich auffasst, dass man ihn nicht instrumentatlisiert, mit irgendeiner Identität bepackt. Ein Künstler sollte Interesse an seiner Kunst, an seinem Gegenstand haben, ohne ihn begrifflich zu besetzen, sondern ihn arbeiten lassen. Irgendwie.

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