Architektur ist en vogue (wie der Fußball) und erfreut sich also einer selektiven Aufmerksamkeit. Sie sei, so wird heute wieder gern betont, die Mutter der Künste.
Schreibt Robert Kaltenbrunner in der Frankfurter Rundschau. Wer auch immer das betont: Es ist Quatsch. Man muss doch einen ziemlich beschränkten Begriff von Kunst haben, vertritt man diese Meinung.
Kunst ist eine Mixtur aus interesselosem Wohlgefallen, gesellschaftlichem Resonanzraum und dem besonderen Empfinden, dem Blick, dem Genius. Architektur hat etwas mit einer Bauaufgabe zu tun, mit Funktion, mit Statik, mit der Auseinandersetzung mit Baufirmen und nicht zuletzt mit ökonomischen Restriktionen. Architektur hat etwas, wenn es gut läuft, mit Baukultur zu tun, mit Design, was schon eine Menge ist. Aber eben nicht mit Kunst.
Ich habe den Eindruck, diese Überhöhung von Architektur als Kunst ist eine Haltung, die in schlechten Zeiten Konjunktur hat. Statt sich als Architekt seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu sein, sich auch gerne auch um eine bessere Welt via Architektur zu bemühen, sich zu fragen, was die Gesellschaft eigentlich braucht, entledigt sich man diesen Verantwortungen und faselt etwas von Kunst. Architektur als Flucht. Architektur als das eine gebaute Prozent, das suggeriert, sich mit solch schnöden Dingen wie den unzähligen Bauregularien nicht abgeben zu müssen.
Gute Architektur entsteht nur, wenn sie sich des künstlerischen Anspruchs entledigt und schlicht versucht, gut zu sein. Ein baukünstlerischer Anspruch sollte da nicht fehlen, aber von Kunst zu reden, ist unangemessen. Dieses Gerede von Kunst überhöht den ohnehin zu großen Rummel um sogenannte Stararchitekten, die analog zu den Anchormen der Nachrichten und den politischen Führern ihre bürokratische Bedingtheit zu verschleiern versuchen.
Selbst wenn sich Leute wie Corbusier oder Van der Rohe als Künstler begriffen (ich bin mir bei letzterem nicht sicher), dann interessiert das die Nutzer einen feuchten Kehricht. Im Alltag – und genau das ist der notwendige Aspekt der Nutzung eines Gebäudes – muss das, was als Kunst verstanden werden will, gut sein. Es muss in einem positiven Sinn funktionieren.
Dazu kommt: Diese Debatte um den angeblichen künstlerischen Rang von Architektur findet in einer Zeit statt, in der haufenweise schlecht gestaltete und rein oberflächlich protzende Wohnungsbauten für teures Geld en masse produziert werden. Für einen sogenannten Markt, der keiner der Obdachsuchenden, sondern nur einer der Kapitalverwertung ist. Architekten sind in weiten Teilen Prostituierte des Kapitals, die angesichts des realen Schlamassels in höhere Sphären flüchten wollen. Die Architekturbegeisterung im Berlin der 90er Jahre führte auch nicht zu besseren Häusern, sondern zum Starkult und zum Aufblasen von Mythen, siehe Potsdamer Platz. Mit der intensiven internationalen Beobachtung durch eine neoliberale Öffentlichkeit entstand seinerzeit das banalste Neubaugebiet Berlins.
Kunst kann den Anspruch an gute Architektur nicht erfüllen. Less aesthetics, more ethics war vor einigen Jahren das Motto der Architekturbiennale in Venedig. Das war insofern missverständlich, als dass Architektur schon „schön“ sein sollte, aber das liegt im Auge des sozialisierten Betrachters und ist insofern nur eine zeitbedingte Scheißkategorie. More ethics hingegen ist eine konkret füllbare Forderung, die mit einem sozialen Anspruch zu tun hat. Und da sind es eben eher der Grundriss, die Flexibilität, die Detailversessenheit, die Unfertigkeit, die Regionalität, die Einbeziehung der Nutzer beim Entwurf und der Widerstand gegen baukapitalistische Verwertung, die den Anspruch erfüllen oder auch nicht.
Kunst muss nicht funktionieren, sie muss keinen Zeit- und keinen Kostenplan einhalten und sie muss niemanden begeistern außer den Künstler selbst. Ein Architekt, der sich als Künstler sieht, hat im günstigsten Fall nur keine Ahnung, was Kunst ist.
Man sollte jeden Architekten, der sich als Künstler betrachtet, mit lebenslangem Bauverbot ahnden. Sonst baut er wohlmöglich noch.
Ich glaube, Sie verwechseln Kunst mit Genie.
Der Genie-Kult wurde als schwacher Trost für den Wegfall solventer Auftraggeber in Kirche und Adel erfunden. Es gab und gibt Künstler, die darauf reinfallen und sich selbst für Genies halten. Das mag bei der Vermarktung helfen, nicht aber bei der eigentlichen Arbeit.
Entgegen landläufiger Meinung haben aber die meisten Künstler so exotische Hobbies wie Mietezahlen, Essen und Trinken, weswegen sie die Produkte ihrer Arbeit mehr oder minder erfolgreich zum Kauf anbieten also known as „Prostituierte des Kapitals„.
Kunst kann durchaus „funktionieren“. Sie kann zum Bezug des Sofas passen, erbauen, berühren, Denkprozesse anstoßen, der Kapitalvermehrung dienen, den Künstler nähren. Für dessen Arbeit ist es alles andere als schädlich, wenn er – ebenso wie u.a. Architekten – „schlicht versucht, gut zu sein„. Kunst muß aber – im Gegensatz zu Design, Architektur, angewandter Kunst – nicht nützlich sein. Sie darf, aber sie muß nicht.
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Ja, Kunst muss nicht nützlich sein, Architektur muss es. Das ist doch der Unterschied, den ich meine. Vor den „Genius“ in meinem Text können sie ein „eventuell“ setzen.
Ob ein Künstler Miete zahlt oder seine Kunst erfolgreich am Markt etabliert, hat mit der Kunst an sich nichts zu tun. Sehen Sie sich meine Fotos an: extrem gute Kunst mit einem ordentlichen Schuss Genius und keine Sau kauft das. Schlimmer: Ich habe mir noch nicht mal einen Preis überlegt.
Vielleicht sollte man von „baukünstlerisch“ sprechen. Wenn der aktuelle Diskurs aber von Architektur als der Mutter aller Künste redet, dann geht es da nicht nur um Kunst, sondern um Architektur als Vorreiterin, als Überlegene. Das ist meines Erachtens Teil eines herrschaftlichen Diskurses, in dem sich Architektur überhöhen will in Verbindung mit Machtausübung, die Architektur schon immer gerne war und die sich mit diesem „Mutter aller Künste“ versucht historisch zu legitimieren.
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Hihi, – ich hatte mal eine Nachbarin, die meinte, dass die Rosenzucht die Mutter aller Künste wäre. Ich selber glaube ja eher daran, dass es der Comic ist. Der Mütter gibt es viele und sicher hatten auch die Vorzeitmenschen ein Gefühl dafür, ob nu mit Hüttenbau oder ohne. Legenden lieben Mütter. Manch Literat sondiert sein Ding ja bei Papa Bilgamesh, was soll’s. Und wie die Dame von Welt schon schrub, – alles voller Genies. Legenden lieben auch Genies, oder Meister, Gurus etc. Das mit der Funktionalisierung der Kunst, ist mir aber speziell nach dem Millenium auch mal aufgestoßen. Da gab es plötzlich merkwürdig viele Bücher von Professoren von Privatschulen, die sich dem Thema „methodisch objektiver Betrachtung“ von Kunst widmeten und sich irgendwie, durch die Bank weg, wie Bedienungsanleitungen für Fernseher auf hohem Niveau lasen.
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„Das ist meines Erachtens Teil eines herrschaftlichen Diskurses, in dem sich Architektur überhöhen will in Verbindung mit Machtausübung, die Architektur schon immer gerne war und die sich mit diesem „Mutter aller Künste“ versucht historisch zu legitimieren.“
Hmnuja, wer bestimmt denn den wandelbaren Kunstbegriff? Selbst Grammatik galt mal als Kunst, ebenso Rhetorik und Mathematik, während Malerei zu Zeiten der holländischen Meister unter Handwerk fiel. Will sagen: ist sowieso und immer ein herrschaftlicher Diskurs.
Except Karl Valentin: „Kunst ist schön, macht aber auch viel Arbeit.“
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Den Kunstbegriff bestimmen wir alle. Er hat sich halt seit den holländischen Meistern ein wenig verändert. Es geht weniger um Geschick, um Handwerklichkeit, sondern mehr um die Idee. Grammatik, Rhetorik und Mathemaik als Teil der sieben artes ist wohl mit dem heutigen Begriff von Kunst nicht vereinbar. Ich würde in den Kunstbegriff heute schon in erster Linie die halbwegs bewusste Spiegelung der Welt als schöpferischen Akt sehen, möglichst reflektiert, möglichst auf dem Stand der Zeit. Ich bringe demnächst mal etwas, das ich kürzlich in einer Galerie sah, etwas Reizendes. Vielleicht können Sie das dann kommentieren :-)
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„Den Kunstbegriff bestimmen wir alle. Er hat sich halt seit den holländischen Meistern ein wenig verändert.“
Der Kunstbegriff verändert sich ständig, der aktuelle: bedeutende Kunst = viel verkaufte, hoch gehandelte Kunst – entspricht exakt dem kapitalistischen, neoliberalen Credo. Nicht mitspielen dürfen die, die kein Geld haben, um Kunst anzuschaffen und die vielen Künstler, die sich nicht besonders gut verkaufen, weil ihnen die Mittel zur Selbstvermarktung fehlen und das meine ich nicht nur in materieller Hinsicht.
„Es geht weniger um Geschick, um Handwerklichkeit, sondern mehr um die Idee.“
Blöd, wenn Geschick und Handwerklichkeit fehlen, um besagte Idee verständlich zu machen und zwar so, wie es noch nie gesagt, gespielt, gemalt, gefilmt, gewasweißicht und eben auch gebaut wurde. Es kann Betrachter/Käufer sehr überfordern, wenn ihnen der Künstler gedanklich voraus ist – hat ja Gründe, daß der Impressionismus unter moderne Kunst fällt und alles nach den Seerosenteichen als riskant betrachtet wird – es sei denn, der Anlageberater sagt kaufen.
Ist nicht so, daß ich Ihre Kritik an der allermeisten Architektur nicht teilen würde. Nur eben nicht Ihre enge Auslegung von Kunst, die alles ausschließt, was *auch* mit guter Materialkenntnis gemacht wird. Definiere: „schlicht gut“ – ist das sowas wie Porno, das man auch nicht genau definieren kann, aber sofort erkennt, wenn man’s sieht?^^
„Ich bringe demnächst mal etwas, das ich kürzlich in einer Galerie sah, etwas Reizendes. Vielleicht können Sie das dann kommentieren :-)“
Schon gut, bin ja schon still…;-)…
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Ja, ok, Auslegung des Kunstbegriffs ist eben Auslegung. Die aktuelle Definition, die Sie als kapitalistische beschreiben: Das Feuilleton hat dafür fairerweise immerhin den Begriff „Kunstmarkt“ etabliert. Da kann man dann nachlesen, wie viel gerade wofür bezahlt wird. Welche Kunst also monetär am meisten respektiert wird und anerkannt ist. Unser beider Kunstbegriff schert sich darum nicht, vermute ich.
Ich würde den Kunstbegriff eng fassen, vielleicht in Annäherung an Adorno, weil er dann brauchbarer wird. So fällt nicht jeder, der gerade hip sein will und in Neukölln vor sich hinmalt, unter die Rubrik des Kunstschaffenden. Es ist dann eher Kunstgewerbe. Und die Übergänge sind da fließend. Leute, die extra Berlin-Perspektiven fotografieren und sie an Touristen verkaufen: Teilweise wirklich angenehme, gute Bilder, aber keine Kunst, meines Erachtens. Zu zielgerichtet auf den Markt bezogen, für den Markt geschaffen. Eine Mischung aus Kant und Adorno fände ich als Definition brauchbar: interesselos, was die konkrete Verwertung angeht, auf dem Stand der Zeit, notwendige Spiegelung der Gesellschaft, aber nicht eins zu eins, eben Kunst und keine Kulturindustrie. Und da eben auch eine Aufgabe des Widerstands in der Kunst, wie auch immer die aussieht, kreativ, also selbsterschaffend.
Materialkenntnis: Sie meinen wohl nicht Material im Sinne des bloßen Gegenstands, so wie Adorno vom aktuellen Stand des Materials redet, also meinetwegen bei der Kompositionstechnik, sondern Sie meinen das greifbare, pysische Material wie der Holzblock, aus dem ich eine Skulptur forme? Tja, was ist gute Materialkenntnis? Ich weiß es nicht. Ich kannte mal die angestellte Mitarbeiterin eines weltbekannten Düsseldorfer Fotografen. Deren Job war es, am Computer via Photoshop und anderem Bilder zu bearbeiten, nach mehr oder weniger lockeren Anweisungen des Künstlers. Dann kamen die Spezialisten von der Druckerei. Irgendwann hängt ein vier mal vier großes Bild an der Wand.
Wer ist da jetzt der Künstler?
„schlicht gut“: Sie beziehen sich auf meine Definition von Architektur oben im Artikel? Ja, eben nicht Kunst, sondern gut im Sinnes des Benutzers, sie soll handwerklich solide sein, sie soll seinen Bedürfnissen entgegenkommen, in jeder Hinsicht, rein funktional, ästhetisch, materiell, die Steckdose an der richtigen Stelle, flexibel, was auch immer: ein im positiven Sinne interpretierter Funktionalismus, vielleicht auch als partizipatorische Architektur. Lucien Kroll hat das einmal gesagt, der in Leuven in Belgien dieses interessante Unigebäude in den Siebzigern gebaut hat: Architektur ist dann eine funktionalistische, wenn der künftige Bewohner mitplant, denn nur dann kann sie die Funktionen erfüllen, mit denen der Bewohner konfrontiert sein wird.
Sie sehen, dass Kroll sich um den Kunstbegriff sicher nicht geschert hat.
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