Architektur und Dogma 9 (2) – Rossi und der Rationalismus

Forsetzung dieses Artikels.

„Im Grunde sind alle Bauten Rossis Denkmäler“, schrieb der Architekturhistoriker Heinrich Klotz und beschrieb damit, eher unfreiwillig, das Problem: Es geht nicht um Architektur für Nutzer, für Menschen, sondern es geht um Denkmäler für den Architekten selbst, für seine Vision von Stadt und, ähem, Leben. Diese Visionen kreisten bei Rossi vornehmlich um Monumentalität, Kunst und Autonomie. Bei diesen Begriffen wird es schnell problematisch, wenn sich ein Architekt um sie kümmert.

Rossi tappte in alle Fallen.

Monumentalität

Architekten fühlen sich gern zu Großem berufen, da macht es etwas her, wenn die Passanten der kommenden 100 Jahre an einem Bauwerk nicht vorbeikommen, ohne ihm Aufmerksamkeit schenken zu müssen – alleine wegen seiner Größe und seines fordernden Auftretens. Rossi besuchte in November 1961 Ostberlin und war voll des Lobes für die Stalinallee. Selbst nach Mauerbau und auch nachdem Stalin öffentlich auch in der DDR schon diskrediert war, kam er nicht auf die Idee, das Gebaute in einen politischen Zusammenhang zu stellen: Die Stalinallee als Absage an die Moderne, als Nachahmung feudaler, herrschaftlicher Strukturen, die bei extrem hohen Kosten nun ein paar Arbeitern zu Verfügung stehen sollten. Eine Entindividualisierung wie später in der Platte, ein Rahmen für Massendemonstrationen, für gelenkte Aufmärsche des Staates.

All das war für Rossi kein Problem. Er lobte den Umgang der DDR „mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und das allgemein hohe Niveau von Architektur, Städtebau und Kultur in der DDR“, wie Carsten Ruhl in seinem lesenswerten Buch über Rossis „Bildarchitektur“ schreibt.

Pikant ist das auch deshalb, weil Rossi auf Einladung Hans Schmidts nach Ostberlin kam. Schmidt war ein linker Schweizer Architekt, der schon in der Sowjetunion der 1920er mitbaute, wie so viele, die sich damals berechtigerweise auf grundlegend Neues Hoffnung machten. Schmidt verließ allerdings wegen Stalins regressiver Politik das Land wieder. Erst Mitte der 1950er Jahre, also nach dem grundsätzlichen Wechsel der Baupolitik in der DDR nach Stalins Tod ging er nach Ostdeutschland. Rossi ist voll des Lobes für Stalins Baupolitik. Klar, es war ja monumental, es setzte Marken, und der neoklassizistische Zierat war irgendwie geschichtsbezogen, das muss reichen. Man kann diese Architektur sicher dafür loben, dass sie sich am historischen Stadtgrundriss orientierte – ein Grund, weswegen sie heute beliebt ist, vielleicht immer beliebt war. Aber das ist eben nur ein Kriterium. Man kann sich vorstellen, wie Rossi staunend die Karl-Marx-Allee entlangspazierte. Konsequenterweise hat er ein paar Jahre später einen ganz ähnlichen Entwurf für Mailand vorgelegt.

Kunst

Die Frage, ob und inwieweit sich Architekten als Künstler verstehen sollten, ist eine von Dauer. Vielleicht ist die Antwort ganz einfach. Wäre ein Architekt ein Künstler, dann würde er sich so nennen. Tut er aber nicht, insofern gibt es einen Unterschied. Und der ist der Aspekt des Nutzens und der des Bedarfs. Male ich als Künstler ein Bild, dann sollte es mir egal sein, ob es sich an einer Wand gut macht, wie man sagt. Baue ich als Architekt ein Haus, sollten mich die Folgen im gesamten Bauprozess vom Entwurf bis zum Einzug der Nutzer zuvorderst interessieren. Und entsprechend problematisch kommen alle Architekten daher, die sich als Künstler verstehen. Laut Rossi ist nicht nur ein Haus ein Kunstwerk, sondern gleich die komplette Stadt. Logischerweise kommen in Rossis Städten keine Menschen vor. Die, die eine Stadt überhaupt erst ausmachen, existieren in Rossis Universum nicht. So eine Haltung ist wohl auch nötig, um Stalin zu lobhuldigen. Da geht es dann nur um Sichtachsen, um die richtige Typologie, um Reinheit, um die möglichst unantastbare Konsequenz eines theoretischen Gedankens in der praktischen Umsetzung. Es ist ein grundsätzliches Missverständnis von Stadt, will man sie ganzheitlich fassen. Speers Germania war da nur die Spitze des Eisbergs. Rossi fühlte sich diesbezüglich seinem Freund, dem ähnlich gestrickten Oswald Mathias Ungers verbunden, der auch auf eine andere Art Rossi glich: Er baute zu Beginn ein paar gute Sachen und driftete dann ins Banale ab.

Wenn ich von einem Kunstbegriff ausgehe, der etwas mit einem interesselosen Wohlgefallen und einer konsequenten Realisierung einer Idee ohne Rücksicht auf irgendwie geartete Bedürfnisse, dann sollte sich ein Architekt tunlichst entscheiden: Will er Architekt oder Künstler sein.

Baukünstler könnte vielleicht noch als akzeptabler Begriff durchgehen, wenn ich ihn von dem Kunstbegriff als solchem abgrenze und damit nur betone, dass Bauen keine rein technische und statische Angelegenheit ist. Vielleicht sollte man eher von Design sprechen.

Und dann müsste man die Frage der Beziehung von Form und Inhalt aufgreifen. Welche Aufgabe hat ein Gebäude und wie wird das formal umgesetzt? Rossi scheint eher die Frage beschäftigt zu haben: Wie kann ich die drei Grundtypen Kubus, Zylinder und Pyramide in einem Gebäude zusammenbringen? Und zwar so, dass ein Bild entsteht. Ein Bild für Betrachter, für die Rechtfertigung des reinen Idealen, ein Bild, das sicherstellt, dass sich keine Abkehr von der reinen Lehre feststellen lässt.

Autonomie

Wie die Frage nach dem Künstlerarchitekten stellte sich die nach seiner Autonomie erstmals, soweit ich das sehe, im 18. Jahrhundert. Danach immer wieder mal, auch um 68 herum. Auch hier scheint mir schon die Fragestellung absurd, denn Architektur ist notwendig Teil von Gesellschaft. Ökonomisch sowieso, denn zur Realisierung von Entwürfen braucht es Geld, und jeder Teil einer Stadt, jedes Haus, ist Teil der Gesellschaft. Von Autonomie in Zusammenhang mit Menschen zu sprechen, scheint sowieso ähnlich sinnentleert wie der Gebrauch der Begriff Freiheit und Gott. Sie sind für den Arsch, der Missbrauch ist ihnen inhärent.

Wenn Architekten Autonomie beanspruchen, dann läuft das, wie im Fall Rossi, meist über die Schiene des Allwissenden. Der Architekt weiß um das Wahre, und das möge er ungestört umsetzen. Rossi setzte auf angeblich allgemein- und zeitlos gültige Typen, in denen sich Geschichte manifestiert – Kubus, Pyramide, Zylinder. In Wahrheit sind diese Typen erst einmal nur banal, Legolevel, sie müssen mit Leben erfüllt werden, und das besorgt der jeweilige Bezug zur Umgebung, zum Denken, zum Handeln, zu allem, was so passiert. Das wollte Rossi wohl theoretisch auch. Wenn ich hier irgendwann noch einmal konkret auf seinen Komplex in Gallaratese zu sprechen komme, kann die Realisierung dieser Absicht überprüft werden.

Und schließlich: Das Thema Autonomie eines Architekten kann ohne den ökonomischen Aspekt nicht behandelt werden. Wer zahlt, wer bestimmt? Nichts davon bei Rossi, zumindest sehe ich nichts. Die Kapitalismuskritik des selbst ernannten Marxisten erschöpfte sich darin, seine Typologie als etwas scheinbar nichtkommerzielles darzustellen, als nur der ewigen Geschichte und irgendetwas Ursprünglichem verpflichtet. Der italienische Architekturtheoretiker und Zeitgenosse Rossis, Manfredo Tafuri, hatte für Rossis Haltung wenig übrig.

Rossi scheint auch deshalb derzeit populär, weil er im Zuge des momentan diskutierten Neuen Realismus als Pate der Klarheit steht. Man will keine Unübersichtlichkeit mehr, keine Zweideutigkeiten, keine Verwirrung. Da kommt jemand mit einem autoritären Konzept gerade recht: Die Urformen versprechen das Urwissen, das Tiefengründige, das über allem Stehende. Es geht hier um einen angeblichen gesellschaftlichen Geist, der aber gleichzeitig negiert wird. Gesellschaftliche Relevanz hat das keine, auch wenn das Gegenteil behauptet wird. Würde diese Architektur auf ihre geistige Umwelt eingehen, würde sie die Typen erst einmal beiseite legen und zuhören.

Vielleicht sollte man bei Rossi einfach von autoritärer Architektur reden.

Bei Rossi geht es um Lesbarkeit, um Bildhaftigkeit, nicht um Nutzbarkeit. Es dürfte den Nutzern der Wohnsiedlung in Gallaratese wurst sein, welche kunsthistorischen Bezüge Rossi abstrahiert ins Gebäude eingebaut hat. Die Stütze als extrem dicker Zylinder ist nicht mehr als ein Gag, der in überdies unpraktisch ist, wenn er Raum verschwendet. Der Bezug auf sonstwas ist nur in Verbindung mit einer akzeptablen Funktion überhaupt überlegenswert.

Das höchste der Gefühle ist bei Rossi der kollektive Geist, der sich über die Urtypen ausdrückt. Es kommt mir vor, wie ein diktatorisch Beseelter, der Städte bauen will wie Kinder mit Lego. Es geht um Typen und um Morphologie, um Analogien und um einen angeblichen Realismus. Es geht ums Starre, ums Kontrollier- und eindeutig Bestimmbare. Es geht um das Gegenteil von Stadt.

Rossi stellt unnötige Fragen und gibt unnötige Antworten. Er geht an so ziemlich allem vorbei, was für Architektur Relevanz haben sollte. Dass der Mann sich Kommunist nannte, macht die Sache geradezu tragisch.

Ein paarmal spricht Rossi vom genius loci, was ein sinnvoller Ansatz wäre, nähme er ihn ernst. Sich den Bauplatz anschauen, aber in allen Facetten. Dazu gehören auch ökonomische. Stattdessen stülpt er ein imaginiertes Typus-Denken drüber. Um Grundrisse – eigentlich ein ganz wesentlicher Aspekt bei Architektur – ging es ihm offenbar nie, man liest fast nichts dazu. Heinrich Klotz spricht in einer Besprechung von Gallaratese von einer „gelungenen Grundrissteilung“ ohne jede Erklärung, ohne Abbildung. Es interessierte nicht. Hauptsache, das Bild von außen stimmt, die Fassade. Der Typus ersetzt keinen Grundriss, keine Raumgedanken, keine Atmosphäre.

Was interessiert der Bewohner, der drinnen wohnt. Es gibt Wichtigeres.

Vielleicht kann man den Reiz an Rossi erklären, wenn man sich dieses wunderbare Foto anschaut. Wir haben hier den Typus des Kubus, der so abgebildet ist, dass das Foto ins Abstrakte übergeht. Wir wissen, dass es sich hier um einen realen Stadtraum handelt. Bis auf das Grünzeug, das zwischen dem Pflaster hervorlugt, ist die Komposition wesentlich abstrakt. Reizvoll, aber vermutlich nur als Kunst. Stadtbezüge fotografisch zu verfremden, dass ein Abstraktum übrigbleibt, ist eine schöne Sache für jeden, der zu sehen weiß. Für einen Architekten ist dieses Sehen eine Bankrotterklärung. Den im ersten Teil erwähnten Friedhof von Modena kann man so lesen, und da, wie gesagt, wohnt niemand.

Rossi wird gerne als Antagonist der radikalen Modernen gesehen. Man weiß nicht so genau warum. Hilberseimer fand er ja offenbar ok. Klotz meint, für Rossi

ist die Geometrie das Mittel der architektonischen Reinigung, für ihn sind die abstrakten Formen der primären Körper die idealen Annäherungswerte, denen alles Gebaute möglichst weitgehend nahezukommen habe, um das Überflüssige und Unwesentliche abzustreifen und sich dem Elementaren, Typischen und damit auch dem Idealen zu nähern.

Hört sich nach einer Religion an.

Wenn zu dem Idealen das Monumentale tritt, wird es bedenklich. Idealismus und Monumentalismus führen in den Abgrund, in welchen auch immer, nicht nur architektonisch. Barock, organische Architektur, Jugendstil, Metabolismus, Dekonstruktivismus, die aktuellen Blow-Sachen: alles Geschwungene ist demnach falsch. Warum? Weil es nicht rein ist. Und warum soll das Elementare das Ideale sein? Von dem, was Rossi von sich gegeben hat, ist unglaublich viel Bullshit.

Man könnte zu Rossis Verteidigung anführen, dass es ein paar Entwürfe gibt, die das Typologische in einem angenehmen postmodernen Sinn umsetzen. Sein Entwurf für ein Verwaltungsgebäude in Triest von 1974 ist ein Beispiel dafür. Es wurde nur nicht gebaut.

Der Wohnblock in Gallaratese, um den es hier eigentlich geht, ist es nicht. Ein 180 Meter langer Riegel, eine Scheibe. Rossi berief sich hier unter anderem auf Ludwig Hilberseimer, was so einleuchtend wie problematisch ist. Überhaupt könnte man hier auf eine Form der Unübersichtlichkeit zu sprechen kommen, die Rossi in seiner Architektur unbedingt vermeiden wollte: Er bezog sich einmal auf Hilberseimer, ein anderes Mal auf Ungers, dessen Schüler wiederum Rob und Leon Krier heißen. Man hat mit der Beschäftigung mit all diesen Leuten manchmal den Eindruck, es habe eine große Verwirrung geherrscht: Alle wollten zu Lebzeiten Gott sein und jeder versuchte es auf seine Weise. Ein Hilberseimer mit einem so radikalen wie platten Modernismus, mit einer totalen Auslöschung der bestehenden Stadt; die Kriers mit der Flucht in die vormoderne heile Welt. In dieser ganzen Verwirrung ist es kein Zufall, dass man alles und nichts machen kann.

Ich bin zuversichtlich, im nächsten Teil dieser sympathischen Serie für die ganze Familie tatsächlich zum gallarateseschen Wohnblock vorzustoßen.

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2 Antworten zu Architektur und Dogma 9 (2) – Rossi und der Rationalismus

  1. stadtauge schreibt:

    sehr sehr interessant. danke für diesen post. sehr gute gedanken.
    lg daniel

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  2. genova68 schreibt:

    Danke für das Foto :-)

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