Andalusien zu Zeiten der Mauren und Europa heute

Verblüffend, wie sehr sich das westliche Bild des Islam gewandelt hat: Das Foto zeigt ein Plakat einer Ausstellung im Jahr 19oo in Paris über „Andalusien zu Zeiten der Mauren“. (Derzeit in einer interessanten Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum zu sehen.) Es geht um Körperlichkeit, um Tanz, um Haut. Das Religiöse spielt keine für uns sichtbare Rolle, es ist eher das Orientalische. Das Bild eines toleranten Islam, in den nordafrikanische und arabische Kultur eingebettet sind, ist dem einer intoleranten, neurotischen, regressiven Religion gewichen. Am Zustandekommen dieses Bildes sind viele beteiligt. Im Westen sind die Intoleranten, Neurotischen und Regressiven eifrig damit beschäftigt, ihre orientalischen Brüder im Geiste zu karikieren und als Feindbild zu etablieren. Hier die um das christliche Abendland, dort die um das islamische Morgenland Besorgten. Würden westliche und östliche Regressive ihre Gemeinsamkeiten sehen, sie wären zu einem effektiven Kulturkampf gegen die Liberalen fähig. Ob sexuelle Selbstbestimmung, Führeraffinität, konstruierte identitäre Werte, antiindividualistischen Kollektivismus, Feindbilder und gemeinhin Kontrolle: Es passt kein Blatt Papier zwischen AfD und Muslimbruderschaft. Dass sich die AfD nicht einmal einheitlich von einem Holocaust-Leugner oder -relativierer distanzieren kann, passt nur ins Bild. Ob ein Meuthen sich offen antisemitisch zeigt oder nicht, ist für solche Leute eine rein taktische Frage.

Diese völlige Verwirrung von Begriffen und Perspektiven läuft analog zur jener des Neoliberalismus. Eine Angela Merkel schafft es tatsächlich immer noch, ein Europa zu fordern, dessen „Wettbewerbsfähigkeit“ „endlich“ die aller anderen Kontinente übertreffen möge.  Die deutsche ist ja schon auf ihrem historischen Höchstpunkt angelangt, nun wird Europa von Deutschland aus hergerichtet. Merkel fordert das unterm Mantel des Fortschritts und redet doch nur einer weiteren Sozialdarwinisierung der Gesellschaft das Wort. Die EU hat in den vergangenen 20 Jahren, wie das gestern der formidable Europaparlamentsabgeordnete Sven Giegold im Deutschlandfunk bemerkte, die Einheit nur im Sinne von Kapital- und Menschenverkehrsaspekten verwirklicht, ist bei der Steuerharmonie aber keinen Schritt weitergekommen. Weil man da überhaupt nicht weiterkommen wollte.

Stephan Hebel fasste die Geschichte dessen gerade schön in der FR zusammen. Schäubles

Modell (und das der Kanzlerin) bestand von Anfang an darin, die nationalen Ökonomien ungehindert und ohne jeden Ausgleich für unterschiedliche Ausgangsbedingungen gegeneinander antreten zu lassen, und sei es mit den Mitteln des Lohn- und Steuerdumpings. Gleiches gilt übrigens auch für SPD-Kanzler Gerhard Schröder: Der von ihm durch die Hartz-„Reformen“ gepushte Niedriglohnsektor lief darauf hinaus, die Konkurrenzfähigkeit der Nachbarn zu schwächen.

Schäuble und Gesinnungsgenossen haben die EU diesem Modell inzwischen weitgehend unterworfen.

Dass einem der Laden nun um die Ohren fliegt, ist folgerichtig, auch wenn die fliehkraftproduzierenden Kräfte regressive sind. Der Nationalstaat als das vermeintliche Heil einer entsolidarisierten Gesellschaft war als Versprechen erwartbar. Die Religion als schlechtes Ersatzopium ebenso. Merkel und Co. als Förderer von Rechtsradikalismus. Das Neue ist das Schlechte, also zurück in die gute, alte Zeit.

Wie aufgeheizt die Atmosphäre ist, sieht man schon daran, dass die Forderung nach einem islamischen Feiertag in Deutschland den fordernden Politiker derzeit wohl den Kopf kosten würde. Das Zuckerfest als Feiertag, dafür einen christlichen Feiertag weniger: eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Angst vor den Reaktionen der Idiotie, derzeit „Volk“ genannt, lässt die Vernunft verstummen.

Wie extrem der Hass arbeitet, sieht man aktuell an dem Elsässer-Magazin Compact. Deren – und nicht nur deren – neue Hassfigur ist der Justizminister Heiko Maas. Warum? Weil er Facebook aufgefordert hat, Hasskommentare zu löschen. Compact macht daraus einen neuen Goebbels: „Wollt ihr den totalen Maas?“ Maas, der sich in diesem Fall schlicht für die Bewahrung von Rechtsstaatlichkeit einsetzt, wird als deren Zerstörer skizziert. Wer rechtsradikale Hasskommentare kritisiert, ist der neue Volksfeind. Die Abschaffung der Rechtstaatlichkeit und Demokratie setzen sich an die Spitze ihrer vermeintlichen Unterstützer. Die intellektuelle Skrupellosigkeit dieses Vorgehens ist mir neu.

Diese totale Umwertung von Werten erinnert in der Tat an die Nazis.

Bemerkenswert vielleicht noch das hier: Eine Studie fand heraus, dass die Attentäter jüngst in Bangladesh wie auch viele Terrorsympathisanten in England jung, reich und gebildet sind:

Die Studie, veröffentlicht im März 2014, untersuchte rund 600 Männer und Frauen mit pakistanischem, Bangladescher oder muslimischem Hintergrund, die in London und Bradford leben und zwischen 18 und 45 Jahren alt sind. 2,4 Prozent, also 14 Teilnehmer, drückten Sympathien für gewalttätige Proteste und Terrorismus aus, mehr als sechs Prozent blieben gegenüber solchen Handlungen neutral. Die Anzahl der Sympathisanten stieg allerdings bei den Teilnehmern an, die noch keine 20 Jahre alt waren, studierten oder sich ausbilden ließen, in Großbritannien geboren waren und mehr als 75.000 Pfund im Jahr verdienten.

Erinnert an Clockwork Orange.

(fade out)

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6 Antworten zu Andalusien zu Zeiten der Mauren und Europa heute

  1. dame.von.welt schreibt:

    Am Plakat ist auch bemerkenswert, daß es eine zweite spanische Beutekultur zeigt, ohne sie zu nennen: Flamenco ist eine Melange aus arabischer und indischer Stimmführung und Tanz und 12toniger Roma-Musik, die ihre Wurzeln in Rajasthan und ägyptische Einflüsse hat.

    Die gesellschaftliche Position der spanischen Gitanos war zu keiner Zeit privilegiert, heute sind sie (fast wie in Osteuropa) an den äußeren räumlichen und ökonomischen Rand der Gesellschaft gedrängt, während ihre Musik und ihr Tanz spätestens seit Franco als spanisches Nationalerbe betrachtet wird.

    Die maurische Kultur/Architektur galt in Spanien bis weit ins 19. Jhdt nichts. In der Alhambra in Granada wohnten Ziegenhirten, bis Washington Irving sie mit den Tales of the Alhambra weltberühmt machte. Ohne ihn stünde wahrscheinlich nichts mehr davon, durch ihn setzte ein Renovierungsboom und die kulturelle Aneignung ein.

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  2. Jakobiner schreibt:

    Ja, die Theorie, dass vor allem nur unterpriviligierte, bildungsferne Unterschichten sich zum Islamismus radikalisieren, hielt ich schon immer für den Sozialdarwinismus der Mittel- und Oberschicht. Dazu weiterführend ist auch der Artikel „Die Ban Lieus und der Islamismus“, der sich gegen diese sozialpädagogische Sichtweise richtet. Als ich ihn zitierte, wurde ich vom Bruxblog rausgeschmissen:

    http://www.global-review.info/2015/11/22/die-ban-lieus-und-der-islamismus/

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  3. genova68 schreibt:

    Danke für die Hinweise, liebe dame von welt. Man hat also bei den Mauren nicht das islamische betont, sondern die nicht-islamische Kultur, die sie mitgebracht hatten. Offenbar spielte das islamische Element bei der Betrachtung der Epoche, die tausend Jahre zurück lag, um 1900 keine Rolle. Heute läuft die Betrachtung mit umgekehrter Gewichtung.

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  4. dame.von.welt schreibt:

    Man hat also bei den Mauren nicht das islamische betont, sondern die nicht-islamische Kultur, die sie mitgebracht hatten. Offenbar spielte das islamische Element bei der Betrachtung der Epoche, die tausend Jahre zurück lag, um 1900 keine Rolle.

    Hmnuja, jein. Im Rahmen der katholischen Reconquista wurden zunächst muslimische Künstler, Handwerker, Bauern als Mudejares geduldet, kurz darauf wurden sie und die spanischen Juden zur Konversion und später zur Auswanderung genötigt. Folge war die Blüte der jüdisch-muslimischen Kultur in Nordafrika, die Mitte des 20. Jhdts zerstört wurde.

    Man hat in Spanien zunächst versucht, sich muslimische Kunst, Architektur, Landwirtschaft, Bewässerung, Gartenbau etc. mit Hilfe der Mudejares anzueignen (oder sie zerstört oder Ensembles verschlimmbessert – Baubespiele dafür wären der spuckehäßliche Palast von Karl V. in der Alhambra oder die Kirche, die mitten in den Säulenwald der Mezquita in Cordoba geklotzt wurde).

    Das war alles ultra-katholisch, nationalistisch überhöht und ausdrücklich gegen alles Muslimische und Jüdische gerichtet, das man zum "Fremden" und zum Feind umdefinierte. Zu Beginn des 17. Jhdts folgte dann der Ariernachweis auf spanisch, das Edikt von der ‚limpieza de sangre‘, der Reinheit des Blutes, auf dessen Basis Hunderttausende der Nachkommen von zwangschristianierten Muslime und Juden nach Nordafrika deportiert wurden. Damit wären wir mitten in der spanischen Inquisition und von da ist der Weg nicht mehr weit zum Francofaschismus und zum auch heute ziemlich ausgeprägten Nationalchauvinismus in Spanien. Das Ende der muslimischen Epoche in Spanien lag um 1900 gut 400 Jahre zurück, nicht tausend Jahre und das Mittelalter war sehr viel besser als sein schlechter Ruf. Umgekehrt verhält es sich mit der Neuzeit, nicht nur in Spanien.

    Roma kamen m.W. erst im 16./17. Jhdt nach Spanien (via Ägypten), als Mauren und Juden z.T. schon vertrieben waren. Das Plakat halte ich für einen Teil des neu erwachten Interesses am „Fremden“ und Exotischen im 19., frühen 20. Jhdt, ähnlich der nordeuropäischeren Vorlieben für den „Orient“ oder auch die nordeuropäische Vorliebe für Spanien. Bizet schrieb Carmen und Rossini den Barbier von Sevilla in dieser Zeit, ebenso fallen Lessings Nathan der Weise und auch Washington Irvings Erfolg mit den Alhambrageschichten in diese Zeit.
    Interessant finde ich, daß Roma und Mauren im Plakat gleichgesetzt werden, das „Fremde“ eben.

    Ich bin nicht so sicher, ob es unter den Nasriden allzu viel Haut bei Tänzen zu sehen gab. Es erscheint mir wahrscheinlicher, daß der „Orientalische Tanz“ erst wesentlich später in Spanien bekannt wurde. Im Gegensatz zum Flamenco, der mit ziemlich wenig gezeigter Haut auskommt, zugunsten streng kontrollierter Körperlichkeit. Was ich ja extrem faszinierend finde: daß sich Elemente wie z.B. die weiblichen Handbewegungen beim Flamenco in der Kultur der heutigen Kalbeliya in Rajasthan wiederfinden und sie demnach wahrscheinlich Jahrtausende überdauert haben.

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  5. dame.von.welt schreibt:

    Keine blasse Ahnung, warum jetzt der ganze Kommentar kursiv gesetzt erscheint, eigentlich wollte ich nur den ersten Absatz blockquoten, grmpf.
    Tut mir leid!
    Ob der liebe genova das eben reparieren würde?

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  6. genova68 schreibt:

    blockquote ist das alte i

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