Über Rückgrate

Nora Amin in der taz über den Umgang der deutschen Behörden mit Flüchtlingen:

Um zu verhindern, dass hier lebende Flüchtlinge in großer Zahl kriminell werden, muss der deutsche Staat ihnen erlauben, zu arbeiten. Angemessen bezahlt, und, wo immer es geht, in ihren erlernten Berufen.

Die Neuregelungen müssen schnell kommen. Wenn die Menschen ihre Zeit weiter mit Nichtstun verbringen, ohne Perspektive auf dem legalen Arbeitsmarkt, dann werden sie ziemlich sicher kriminell. Und man kann es ihnen kaum verdenken. Schon sehr bald kann die Gelegenheit zum Umsteuern verstrichen sein. Dann wird es so aussehen, als habe Deutschland seine Flüchtlinge absichtlich in die Kriminalität getrieben. Als hätte man sie vor dem Tod gerettet, nur um sie einer Laufbahn als Killer zu überlassen.

 

Ich habe zuerst geguckt, ob ich auf der Wahrheit-Seite gelandet bin. Bin ich aber nicht. Nora Amin meint also: Dass arbeitslose Menschen in großer Zahl kriminell – genauer: Killer – werden, ist so eine Art anthropologische Konstante. Insofern verständlich. Die können nicht anders.

Ein Dach einer Massenunterkunft über dem Kopf, genug zu essen und 143 Euro Taschengeld sind sicher keine angenehmen Umstände, aber wieso muss man deshalb kriminell werden? Um sich eine Eigentumswohnung kaufen zu können? Um sich „wertvoll zu fühlen“, wie Amin meint? Wenn das eigene Anerkennungsverfahren läuft und sich die Zustände ändern werden? Oder ist die Kriminalität Ersatz für einen Achtstundentag?

Ähnlich skurril schreibt Nora Amin über die angeblich hohe Zahl von Vergewaltigungen in den Unterkünften:

Die Politik muss auch handeln, bevor weibliche Flüchtlinge reihenweise in die Prostitution gezwungen oder von männlichen Mitinsassen in den Unterkünften vergewaltigt werden. Getrennte und abschließbare Schlafräume und Badezimmer müssen geschaffen werden […] Gemischte Schlafsäle sind nach arabischen Moralvorstellungen nicht zu verstehen. Sie werden als Einladung zur Unsittlichkeit missverstanden.

Isser so, der Araber? Gemischte Schlafsäle als Einladung zur Vergewaltigung? Vergewaltigungen sind nur Missverständnisse?

Wer sollte dem armen Mann sein Tun dann verdenken? Er hockt tagsüber rum und nächtigt in einem gemischten Schlafsaal, also wird er Killer und Vergewaltiger.

Und was soll dann dieser Passus:

Sind sich die Menschen, die über die Unterbringung entscheiden, bewusst, dass sie es mit einer Kultur zu tun haben, in der die einzige Art von erlaubtem Sex zwischen Mann und Frau in der Ehe stattfindet?

Irgendwie verwirrt, das ganze. Ich glaube, Nora Amin, gebürtige Ägypterin, Literaturwissenschaftlerin und Theaterfrau, hat ihrem Anliegen gerade einen Bärendienst erwiesen. Sicher hat sie recht, wenn sie darauf hinweist, dass schwierige Situationen Kriminalität fördern. Aber die beschriebenen Situationen sind nicht so schwierig, dass die genannten Taten in irgendeiner Weise notwendig, „geradezu normal“, wie sie schreibt, wären. Und selbst wenn es ein sofortiges Arbeitsrecht gäbe: Wenn nun eine halbe Million Leute, von denen kaum jemand deutsch spricht und die meisten keine verwendbare Ausbildung haben, einen Job suchten – die Vermittlungsquote wäre eher gering. Abgesehen von dem Gerangel um Jobs für Geringqualifizierte. Laut Andrea Nahles bringt nur jeder zehnte die Voraussetzungen mit, um direkt in Arbeit oder Ausbildung zu kommen.

Ich denke, es gilt das, was hier schon vor einem halben Jahr zu lesen war: Millionen von Flüchtlinge sind bei einem neoliberalen Staatsverständnis ein Problem. Baut der Staat auf den unteren Ebenen auf die totale Konkurrenz und weiter oben auf das Zurverfügungstellen neuer Verwertungsmöglichkeiten aus dem eigenen Fundus, verschärfen sich Klassendifferenzen. Man lässt den Markt, wie man das nennt, oder den amputierten Staat machen. In Berlin gibt es – um nur ein Beispiel zu nennen – aktuell keinen Termin, wenn man seinen Personalausweis verlängern will. Man kann theoretisch drei Monate im voraus buchen. Das gleiche gilt für das Anmelden einer Wohnung. Gibt man bei google „bürgeramt termin“ ein, wird einem direkt „termin kaufen“ vorgeschlagen. So geht das.

Man müsste auf die Schnelle 50 oder 100 Milliarden Euro lockermachen (wie das geht, zeigte die Bankenkrise und zeigen die zahlreichen durchgerechneten Vermögensnumverteilungsprogramme), baut damit Wohnungen, stellt Lehrer und Sozialarbeiter ein – auch für manche Deutsche -, sorgt für Qualifikationen,  sorgt für ein Klima der Solidarität, was eine Veränderung des Staatsverständnisses voraussetzte. Nicht nur finanziell, auch bürokratisch.

Natürlich gibt es in einer akzeptablen Gesellschaft zu letzterem Modell keine Alternative.

Ein positiver Aspekt der aktuellen Debatte ist, dass Merkels Entmystifizierung läuft, wenn auch beim falschen Thema. Diese Frau ist seit 25 Jahren Bundespolitikerin und hat seit 25 Jahren keinen einzigen politischen Satz von sich gegeben. Nur PR-Jargon. Sie gibt einmal im Jahr ein Interview, vorzugsweise Bettina Schausten oder Leuten wie diesem youtube-Heini, ansonsten lässt sie sich wie eine Königin behandeln. Die Medien machen freudig mit. Machten

Merkel war 2003 für eine deutsche Beteiligung am Irakkrieg, sie wollte die Kopfpauschale im Gesundheitswesen, sie hielt 2005 die Finanzmärkte für überreguliert, sie verlängerte die Laufzeit der Atomkraftwerke, sie ist verantwortlich für die Griechenlandpolitik des Kapitals, ihr ging die Agenda-Politik der Regierung Schröder nicht weit genug, sie sagte 2000 (immerhin aus heutiger Sicht ein politischer Satz, gar ein brisanter):

„Der Staat muss sich zurückziehen im Bereich von Wirtschafts- und Sozialpolitik.“

Dagegen geht die FDP als ein sozialistische Partei durch.

Übrigens kann man aus diesem Satz Merkels unpolitische Sprache herauslesen. Eigentlich zieht man sich aus etwas zurück, sie aber sagte im, was suggeriert, dass der Staat sich nicht zurückzieht, sondern nur innerhalb des Bereichs ein wenig herumjustiert. Solches Verhalten läuft bei ihr vermutlich nicht bewusst ab. Die ist so.

Merkel ist die verbal unpolitischste Politikerin aller Zeiten, deshalb ist sie beliebt. Sie ist biegsam bis zum Rückgratsbruch. Es wunderte mich nicht, bisse sie sich mittlerweile auf die Zunge, weil sie im September vorigen Jahres sich nicht auf Orbans Seite stellte, sondern die politisch in diesem Moment vermutlich einzig richtige Entscheidung ihrer Laufbahn traf: Die Grenze für Flüchtlinge zu öffnen.

Insofern hat sie das Zeug zu einer tragischen Figur. Einmal die objektive Notwendigkeit einer Entscheidung gesehen, einmal nicht taktiert – und schon geht´s schief.

Vielleicht gibt es ja in den Reihen der Neubürger eine akzeptable Nachfolgerin.

(Foto: genova 2015)

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17 Antworten zu Über Rückgrate

  1. altautonomer schreibt:

    Da ist sie wieder auferstanden aus den 90er Jahren, die vulgärmarxistische Erklärung (damals für Rechtsradikalismus) für Gewaltätigkeit und Kriminalität = Arbeitslosigkeit, Langeweile, materielle Armut. Mit dieser Behauptung müßten, gemessen an den Aktivitäten von rechten Brandstiftern etc. Asybewerber in einen regelrechten Blutrausch verfallen. Anstelle einer Forderung wie z. B. „BGE weltweit für alle“ kommt das Arbeitsangebot als Allheilmittel.

    Zu Merkel iswt noch hinzuzufügen, dass sie im Wahlkampf auf die explizite Frage von Stefan Raab anwortete: „Eine Pkw-Maut wird es mit mir nicht geben!“ Interessiert heute keine Sau mehr. Vorher verkündete sie zusammen mit Peer Steinbrück vor laufenden Kameras: „Die Sparguthaben der kleinen Anlager sind sicher!“ Gegenwärtig beträgt der Zinssatz je nach Raubinstitut zwischen 1,0 und 0,01 Prozent. Inflationsrate Januar 2016 0,5 bzw. je nach Warenkorb 0,7 %. Sie liegt seit Jahren über dem Sparzins. Folglich schmelzen die Sparguthaben ab.

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  2. dame.von.welt schreibt:

    Christine Rölke-Sommer hat in dem taz-Fred jede Menge kluger Kommentare hinterlassen, zum Beispiel und unter anderen:

    statt „Nichtstun“ „Rechtlosigkeit“ denken, dann klappt’s auch mit dem verstehen.


    oder

    … die erklärung dafür, dass eine gesellschaft genau die kriminellen bekommt, die sie verdient.
    am beispiel der so gern bemühten clans in neu-kölln läßt sich das gut veranschaulichen. die papas+mamas+kinderlein durften jahre- bis jahrzehntelang alle 3-6 monate die duldung verlängern lassen. was bedeutete: sie waren rechtlos. die kinder hatten dann, wenn die ausländerbehörde oder das sozialamt meinten, sie als kostenlose sprachmittler heranziehen zu dürfen, nicht mal das recht auf schule. hätten die kinder auf ihrem recht auf schule bestanden, hätte es die verlängerung von was auch immer nicht gegeben, sondern stattdessen probleme.
    dabei hätte staat sich dies theater sparen können, denn es war eh klar, dass kein staat dieser welt die staatenlosen kurden, palästinenser und anderen leutz aus misch-ehen aus dem Libanon (zurück-)haben wollte.
    mann hätte sie also arbeiten und wohnen und lernen und sparen und hin+wieder urlaub in häusern für kinderreiche familien machen lassen können.
    wär am ende kostengünstiger gewesen als der aufbau der abteilung intensivtäter bei der staatsanwaltschaft.
    aber darum ging’s nicht, sondern um die aufrechterhaltung der fiktion, dass der zu- und wegzug von ausländern sich in ’schland geordnet vollzieht.
    also haben die eher jungs als mädchen sich ihre teilhabe anders hergestellt. was nur deshalb auffiel, weil arme eher zu offener gewalt zuflucht nehmen müssen als die white-collar-täter und deren brut, denen man als joy-riding durchgehen läßt, was armen als autodiebstahl um die ohren fliegt. so etwas ähnliches stellt die bundesregierung mit ihren asylpaketen und der aufteilung in solche mit und ohne bleibeperspektive grade wieder her. also wird sie, werden wir wieder die kriminellen ernten, die sie, die wir verdient/verdienen.

    Ihrem Themensprung zu Merkels Entmystifizierung kann ich nicht ganz folgen. Das „freundliche Gesicht“ gegenüber den Flüchtlingen ist keineswegs ihre erste nicht-taktierte Impulsentscheidung. Denken Sie mal an Fukushima und ihr nachfolgendes Überholen der Grünen in Sachen Atomausstieg.

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  3. genova68 schreibt:

    Rölke-Sommer schreibt zu Neukölln sicher kluges, aber was hat das mit meinem Artikel zu tun? Da geht es um Leute, die seit ein paar Monaten hier sind und deren Asylverfahren gerade laufen. Rechtlos sind die auch nicht.

    Der Atomausstieg war m.E. rein taktisch begründet. Kurz zuvor verlängerte sie die Laufzeiten, vermutlich auf Druck der Industrie. Fukushima sah sie als Chance, ein Problem aus der Welt zu schaffen: Die große Mehrheit der Bevölkerung ist schon lange gegen unendlich laufende AKWs. Es hätte sie dauerhaft ein paar Prozentpunkte gekostet.

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  4. El_Mocho schreibt:

    “ Millionen von Flüchtlinge sind bei einem neoliberalen Staatsverständnis ein Problem.“

    Ich denke im Gegenteil dass die Massenzuwanderung eben ein neoliberales Projekt ist. Forderungen, den Mindestlohn für Flüchtlinge außer Kraft zu setzen, hat es ja schon gegeben, und angesichts von 400.000 neunen hartz-Iv -Beziehern wird da auch bald die Leisutngen senken müssen, es kommen ja nur wenige neue Beitragszahler nach. Und die Kölner Ereignisse zeigen ja, das die Menschen sich immer weniger Sicher fühlen im öffentlichen Raum und sich zurückziehen. Es gibt da eine interessante Untersuchung von einem amerikanischen Politologen, nach der mehr „Diversität“ in einer Gesellschaft den Zusammenhalt der Menschen („Social Capital“) vermindert.

    “ In the short run, however, immigration and ethnic diversity tend to reduce social solidarity and social capital. New evidence from the US suggests that in ethnically diverse neighbourhoods residents of all races tend to ‘hunker down’. Trust (even of one’s own race) is lower, altruism and community cooperation rarer, friends fewer.“

    http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1467-9477.2007.00176.x/full

    In der Konsequenz sind die Menschen dann natürlich auch weniger fähig, sich zu organisieren und ihre Interessen zu vertreten. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das alles gewünscht ist.

    Der Text von dieser Ägypterin ist übrigens extrem rassistisch. Wer davon ausgeht, dass die Flüchtlinge grundsätzlich unfähig sind, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen und zu organisieren und deshalb immer Hilfe von den weißen Männern brauchen, weil sie selber nichts auf die Reihe bekommen, erklärt sie zu Menschenm zweiter Klasse.

    Ich denke die könnten ihr Leben durchaus selber in die hand nehmen (und z.B. die Diktatoren in hiren Ländern zum Teufel jagen und dort etwas vernünftiges aufbauen), aber es sit ja viel leichter, nach Europa zu gehen und dort von der Stütze zu leben oder zu klauen.

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  5. genova68 schreibt:

    El Mocho, el Mocho,
    dein erster Gedanke ist eine Verschwörungstheorie, der letzte Absatz der Gipfel der Ignoranz.

    Die Massenzuwanderung ist kein neoliberales Projekt, die passiert einfach aufgrund von Umständen. Dieses „das ist gewünscht“ zeigt deine bedenkliche Nähe zu den VT-lern.

    Diversivität und Gruppenbildung: Ja, da ist wohl was dran. Nur würde ich das Problem nicht grundsätzlich ethnisch sehen. Ich meine, dass wir in den 80ern schon weiter waren, da traten Türken massiv als Gewerkschaftler auf, bei Ford und sonstwo, und stritten zusammen mit Deutschen und anderen für die Rechte ihrer Gruppe, ihrer Klasse. Mittlerweile reden alle nur noch von den Moslems. Die haben da offenbar eine andere Gruppe aufgemacht, in der sie sich wohler fühlen, nicht ausgegrenzt werden, was auch immer. Es ist doch eher so, dass neoliberale Politik zu Ausschlussverfahren führt, und die laufen, speziell in Deutschland, immer noch völkisch ab. Ohne Zuwanderung hast du dann Gruppenbildungen wie bei Bepida und in den nationalen Kameradschaften.

    Auch in Bezug auf diversity ist die Wohnungs- und damit die Bodenfrage eine Entscheidende. Ohne massenhafte Enteignungen scheint es nicht zu gehen. Dann klappt es auch wieder mit der Solidarität.

    Beim deinem letzten Absatz fällt dir hoffentlich selbst auf, dass das schon an Unverschämtheit grenzt, oder?

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  6. dame.von.welt schreibt:

    @Genova, Sie meinen: „Rölke-Sommer schreibt zu Neukölln sicher kluges, aber was hat das mit meinem Artikel zu tun? Da geht es um Leute, die seit ein paar Monaten hier sind und deren Asylverfahren gerade laufen. Rechtlos sind die auch nicht.

    Rölke-Sommer schreibt zu Rechtstexten und Rechtspraxis aus ihrer Erfahrung als Fachanwältin jede Menge Kluges und wie wir alle wissen: Neukölln ist überall.
    Das hat das mit Ihrem Artikel zu tun.

    Ihren Sprung von Amin zu Merkel verstehe ich nach wie vor nicht.
    Mein Eindruck: Merkels Stärke liegt in erster Linie in der Moderation. Die Frau ist komplett uneitel und legt auch auf andere männliche Formen der Machtausübung (Brustgetrommel, Basta-Aussagen) null Wert. Könnte es sein, daß Sie sie kollossal unterschätzen (und ihre Macht damit festigen, so wie das auch jedes „Mutti“ tut), indem Sie ihr in 25 Jahren keine einzige politische Aussage zubilligen wollen? Ich staune.
    (Disclaimer: null Sympathien für ihre sonstige Politik)

    Mein Eindruck von Amin: in Ägypten sozialisiert, weswegen es keine allzu große Überraschung ist, daß sie sexualisierte Belästigung und Gewalt als eine Art Naturgesetz betrachtet. Im Grunde macht sie wahrscheinlich den gleichen Fehler wie Hamed Abdel-Samad, nämlich ihre anekdotischen Erfahrungen für absolut zu halten.

    (Haben Sie die Antwortknöpfe verschwinden lassen oder bin ich bloß zu blöd, um sie zu finden?)

    ————————————————————————————–

    @El_Mocho, Sie glauben: „Der Text von dieser Ägypterin ist übrigens extrem rassistisch.
    Ihr Text „es sit ja viel leichter, nach Europa zu gehen und dort von der Stütze zu leben oder zu klauen“ ist natürlich nicht im mindesten „*extrem rassistisch*“^^

    Laut lachen mußte ich aber bei „Und die Kölner Ereignisse zeigen ja, das die Menschen sich immer weniger Sicher fühlen im öffentlichen Raum und sich zurückziehen.

    Hm, am heutigen Rosenmontag liegt Köln da wie ausgestorben^^

    ————————————————————————————–

    Ich bekomme hier langsam erste Allergieerscheinungen gegen Ihrer beider Formen von „Neoliberalismus-Kritik“. Bei Ihnen beiden scheint schon die ablehnende Erwähnung von „Neoliberalismus“ dazu zu führen, weiteres Denken einzustellen und sich mit Grund- und Menschenrechten gar nicht mehr auseinander zu setzen.

    Mehr als 60 Millionen Flüchtlinge weltweit (von denen ein kleiner Bruchteil bis nach Deutschland kommt) geraten zu einem neoliberalen Projekt, um die Rechte des DeutschenArbeiters™ zu schleifen.

    Weil eine runde Million Flüchtlinge hier sind und einige von ihnen doch tatsächlich kriminell sind oder werden, müssen „grenznahe Abschiebelager“ her. Der Asylbewerber-Fernbefund „rechtlos sind die auch nicht“ wird erst gar nicht mehr hinterfagt, geschweige denn, überprüft.

    Klingt für mich beides nach einmal zu oft links abgebogen und in einer Art nationalbolschewistisch inspirierter Komfortzone gestrandet.

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  7. dame.von.welt schreibt:

    Um Mißverständnissen vorzubeugen: ich hatte Ihre Antwort @Genova an El_Mocho beim Schreiben nicht gesehen, würde also gern ein bißchen zurückrudern, Sie jedenfalls nicht in denselben linksabgebogenen Komfortzonentopf werfen.

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  8. El_Mocho schreibt:

    „Die Massenzuwanderung ist kein neoliberales Projekt, die passiert einfach aufgrund von Umständen.“

    Aber dass man die Flüchtlinge massenhaft nach Deutschland einreisen lässt, ist kein Ergebnis von Umständen, sondern von politischen Entscheidungen, und ich glaube nicht, dass diese Entscheidungen getroffen wurden, weil Frau Merkel plötzlich ihr Herz für die Armen und Unterdrückten entdeckt hat, wie es den Griechen und den jungen Spaniern geht, war ihr doch auch völlig egal.

    Mehr Arbeitssuchende bedeutet geringere Löhne, mehr Sozialleistungsempfänger bedeutet leere Sozialkassen und damit tendenziell geringere Zahlungen, mehr Menschen, die nur noch in Gruppen ausgehen und Pfefferspray dabei haben bedeutet mehr Misstrauen und weniger Bereitschaft, spontan mit anderen zu kooperieren. Alles Phänomene, die vom Kapital sicher nicht ungerne gesehen werden. Dass das ganze aktuell offenbar aus dem Ruder läuft, ist noch eine andere Sache.

    Ansonsten habe ich bisher noch keine Überzeugende erklärung dafür gehört, warum die Bundesregierung sich auf ein solches Abenteuer eingelassen hat.

    Und natürlich ist es rassistisch, einen Menschen für unfähig zu erklären, sein Leben selber organisieren zu können. „Wenn die Menschen ihre Zeit weiter mit Nichtstun verbringen, ohne Perspektive auf dem legalen Arbeitsmarkt, dann werden sie ziemlich sicher kriminell.“ So ein Unsinn; ein Leben in einer deutsche Flüchtlingsunterkunft ist wesentlich konfortabler als das eines Straßenkindes irgendwo im Maghreb, da muss niemand kriminell werden, und mit Deutschlernen ist man auch ganz schön beschäftigt (wenn man es wirklich lernen will), so dass von Nichtstun keine Rede sein kann. Aber bei Arabern ist das Teil ihrer Identität, auszuticken wenn sie nicht ständig betüddelt werden, lachhaft!

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  9. genova68 schreibt:

    Und natürlich ist es rassistisch, einen Menschen für unfähig zu erklären, sein Leben selber organisieren zu können.

    Nö. Ein Mensch ist keine Rasse. Die Autorin redet von Arbeitslosen, das ist in dem Fall eine soziologische Kategorie.

    Mit Deutschlernen ist man nur dann beschäftigt, wenn man in einem Deutschkurs ist. Kaum jemand ist in der Lage, sich das selbst beizubringen. Das völlig überforderte Bamf ist auch für die Organisation von Integrationskursleitern zuständig.

    Ansonsten brauchen wir keine Verschwörungstheorie: Die meisten Flüchtlinge wollen nach Deutschland, deshalb wurden die Grenzen geöffnet. Was hätte man denn deiner Meinung nach tun sollen, El Mocho?

    Griechen und Spanier kommen in großer Zahl hierher, um zu arbeiten. In dem Fall agiert Merkel neoliberal. Im Fall der Flüchtlinge halte ich es für eine ziemlich gewagte Theorie zu meinen, eine Million Flüchtlinge werden angelockt, damit die Sozialstandards geschleift werden. Das funktioniert finanziell auf keiner Ebene.

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  10. El_Mocho schreibt:

    „Was hätte man denn deiner Meinung nach tun sollen, El Mocho?“

    Das gleiche was man vor dem September 2015 getan hat, die Gesetze anwenden.

    Hier ist übrigens ein interessanter Artikel über die Motivation der Flüchtlinge:
    http://www.wsj.com/articles/young-men-in-senegal-join-migrant-wave-despite-growing-prosperity-at-home-1434127244

    Die Syrer fliehen sicher auch vor dem Krieg, aber inzwischen dürften immer Mehr Flüchtlinge kommen, weil es einfach noch nie so einfach war wie heute, nach Deutschland zu kommen und dort dauerhaft zu bleiben.

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  11. genova68 schreibt:

    Gesetze anwenden? Das heißt: Grenzen schließen, Schießbefehl?

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  12. Chinook schreibt:

    „Gesetze anwenden? Das heißt: Grenzen schließen, Schießbefehl?“

    Du machst es dir sehr einfach. Du besetzt den „moral highground“ von dem aus konträre Ansichten leicht abzuwehren sind, von dem aus solche leicht oberflächlich „stillgelegt“ werden können. Oberflächlich, weil die Probleme weiterkochen und letztendlich sich in irgendeiner Form Bahn brechen werden. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung beteiligt sich eben nicht mehr an gesellschaftlichen Diskussionen, weil sie wissen, dass sie darauf ohnehin keinen Einfluss haben. „So what ist democracy good for“ – wird zur „nachvollziehbaren“ Einstellung breiter Bevölkerungsanteile. Ein Teil geht in die innere Emigration, extreme Positionen kommen stärker zum tragen, weil man eh alles vertreten kann, solange die Leute es nicht bekämpfen, weil „nicht alles falsch ist“ was Extremisten sagen.
    Ich will hier für niemanden sprechen, außer für mich selbst – aber ich sage dir, wie ich die Situation sehe. Eine kleine Bestandsaufnahme.
    Merkel hat einen riesengroßen Fehler gemacht, deshalb ist der Zustrom an Flüchtlingen massiv angewachsen – nicht nur deswegen, aber aufgrund ihres Handelns in dieser kurzen Zeitspanne. Der nächste Fehler ist, dass plötzlich Geld für alles da ist (was es zukünftig nicht sein wird), Wohnungsbau/Krankenkasse etc., nachdem man den Menschen jahrelang im Aufschwung erzählt hat, für solcherlei Ausgaben sei kein Geld da. Eine Demütigung sondergleichen und das ist der Punkt, ab dem es gefährlich wird, insbesondere unter Umständen einer ungerechter sich entwickelnden Einkommens- und Vermögensverteilung – und durch das Bildungssystem nicht zu leugnenden ungleichen Chancenverteilung. Natürlich kosten die Flüchtlinge einen Arsch voll Geld und auch, wenn sie zu Migranten werden, sehr langfristig. Und das wird das untere Drittel der Gesellschaft durch steigende Mieten, niedrigere Löhne, gestiegene Job-Konkurrenz, relationale Steuerbelastung direkt/indirekt letztendlich bezahlen – vor allem auch durch veränderte gesellschaftliche Verhältnisse in den Regionen, welche ohnehin nicht zu den präferierten Lebensräumen gehören. Das Demographieproblem wird durch Einwanderer nicht gelöst werden.
    Zukünftig wird die gesellschaftliche Kooperation abnehmen, der Sozialstaat Leistungen kürzen (das ist im Grunde aktueller Forschungsstand).
    Während ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung überhaupt nicht damit einverstanden ist, dass sich gesellschaftliche Verhältnisse ändern sollen – vor allem, ohne das sie darauf einen Einfluss haben. Und sie wurden nicht gefragt, auch das Parlament wurde nicht gefragt. Merkel hat es von oben angeordnet, dass „wir das schaffen“ (solange es eine europaweite Verteilung der Schutzsuchenden gibt). Nun die gibt es nicht – und es war schon im August letzten Jahres klar, dass es diese nie geben würde.

    Das alles ist jetzt nicht mehr zu ändern. Und selbst das würden viele Bürger noch akzeptieren, solange irgendwelche Anzeichen bestünden, dass man mit den Flüchtlingen zurande komme. Die Realität ist jedoch, dass die Regierung keine Ahnung hat, was sie machen soll. Außer sich Erdogan anzubiedern, der eigene Interessen hat, welche unseren entgegenstehen.

    Deutschland befindet sich in einem moralischen Dilemma, welches nicht eben dadurch vereinfacht würde, dass jeder zugewanderte tatsächlich Kriegsflüchtling wäre – ein echter syrischer Pass (auf den eigenen Namen) kostet in der Türkei teilweise nur ein paar hundert Euro.
    Ohnehin, wo liegt die Grenze? Ein Syrer ist Kriegsflüchtling und ein Afghane nicht? Jemand aus Nord-Kivu, Darfur, Mali, Burma, etc.? Zukünftig wird es wahrscheinlich eher mehr Menschen geben, die nach den Deutschen Regularien subsidiären Schutz in Anspruch nehmen könnten. Realistisch nicht leistbar – auch jetzt schon nicht leistbar, ohne massive gesellschaftliche und politische Verwerfungen, dies zeigt die Realität.

    Das moralische Dilemma ist, dass man nach humanitären Gesichtspunkten kaum jemandem in wirklicher Not Hilfe verweigern kann.
    Realität ist aber auch, dass man die eigenen humanitären und moralischen Grundthesen nicht pauschal anwenden wird können. Aber wie findet man die richtiger Balance?

    Darüber bräuchte es eine gesellschaftliche Diskussion! Diese gibt es jedoch nicht und deshalb werden sich die Menschen zunehmend den Kräften zuwenden – oder diese gewähren lassen – welche die reale Situation ansprechen (egal auf welche Weise) – und eine „Alternative“ anbieten.
    Das wird genau solange gehen, bis die eingesessenen Parteien untergehen oder selbst Alternativen zu bieten haben, dann jedoch zwangsweise gangbare.
    Und die einzig gangbare Alternative ist das Schließen der Grenzen, was letztendlich auf die ein oder andere Weise geschehen wird. Es wird zwar behauptet, dies sei nicht möglich – aber das ist Quatsch. Natürlich kann man illegale Einwanderer an den Grenzen abfangen, insbesondere auf Gewässern und in den Anlandungsregionen und diese in das angrenzende Land zurück verbringen. Welches dies ebenfalls tun wird usw. usf. – bis die Flüchtlinge wieder am Ausgangspunkt sind oder in Nahost bei Verwandten unterkommen – weshalb der Flüchtlingsstrom nach Europa versiegte. Nicht wegen eines Schießbefehls, sondern wegen mangelnder Chancen der Lebensstandardverbesserung in Europa (siehe Australien). Vereinfacht ausgedrückt ähnlich wie z.B. bei den vietnamesischen Boat People. Dafür braucht es keinen Schießbefehl, es reicht vollkommen, jedem illegalen Einwanderer jedwedes Recht auf Aufenthalt in Europa zu streichen und evtl. Flüchtlingslager in Syrien an der türkischen Grenze zu sichern. Das Asylrecht bliebe davon unberührt, dies steht jedem zu, aber es wird nur in unerheblicher Anzahl gewährt. Subsidiärer Schutz funktioniert nach der Genfer Flüchtlingskonvention – aber in dem Rahmen sollten eigentlich UN-Institutionen in geordnetem Verfahren entscheiden, wer am vulnerabelsten ist und Aufnahme in den UN-Mitgliedsstaaten finden sollte. Nach diesem Recht steht Flüchtlingen Schutz zu, keineswegs jedoch ein Anspruch der Teilhabe am europäischen Wohlstandslebensmodell. Oberflächlich moralisch gesehen, aus humanistischen Gesichtspunkten, denen Deutschland sich in der UN-Menschenrechtserklärung verpflichtet hat, ist diese Sicht sicher schwierig bis falsch. Letztendlich ist Moral die Differenz zwischen Können und Sollen – aber gerade darüber muss in einer Demokratie offen debattiert und gestritten werden – es ist nichtmal ratsam grundlegende Entscheidungen in der Hinsicht einfach durch mögliche 51% Mehrheitsentscheidungen der 49% Minderheit aufzudrängen. Aber ohne jede Diskussion und einen gesellschaftlichen Grundkonsens (der sich allein an 51% Mehrheit nicht festmacht) ist solcherlei die Gesellschaft verändernden Entwicklungen nicht konstruktiv zu begegnen.
    Natürlich bricht die Welt wegen 1 Millionen Flüchtlinge aus vornehmlich dem arabischen Raum und Nordafrika nicht zusammen, aber für einen guten Teil der deutschen Bevölkerung wird sie sich verändern – und nicht zwangsweise zum Guten. Was tatsächlich großen Teilen der Bevölkerung vorerst „egal sein“ kann, da sie sich schlicht nicht in Milieus und Arealen bewegen, wo sie aktuell groß mit den Nebenwirkungen starker Einwanderung konfrontiert wären.
    Es wird aktuell keine offene Debatte geführt, darin sehe ich das wirkliche Problem. Anders übrigens in allen anderen europäischen Ländern, mittlerweile auch Schweden – wo allerdings kaum noch eine objektive Debatte möglich ist, da die Extremisten mittlerweile zu stark sind.

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  13. genova68 schreibt:

    Ich hatte nur die Frage gestellt, was es konkret bedeutet, Gesetze anzuwenden. Und was heißt denn, es werde keine offene Debatte geführt? Die Debatte ist doch auf allen Ebenen am laufen.

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  14. Chinook schreibt:

    „Ich hatte Ich hatte nur die Frage gestellt, was es konkret bedeutet, Gesetze anzuwenden.“

    Auch darüber findet ja eben keine Debatte statt. Der Punkt ist, wir werden nicht jedes Jahr große Zahlen an Flüchtlingen aufnehmen können. Diesem Fakt widerspricht niemand – und weil dem so ist, müsste offen darüber debattiert werden, wie man Menschen davon abhält nach Europa zu reisen. Wenn man semantische Spielchen auslässt, bedeutet dass; wie kann man derart „abschrecken“, dass Menschen aus armen Regionen, die kaum eine Perspektive im eigenen Land zu haben glauben, nicht versuchen nach Europa zu kommen – vor allem, nachdem Deutschland sie eingeladen hat ihr „Glück zu versuchen“? In diesem Themenkomplex müssten vielerlei Aspekte besprochen werden, natürlich auch, wie man die Grenzen sichert. Die AfD Anwandlungen sind da sicher kein diskutabler Vorschlag. Es ist letztlich beschämend für alle Bürger, dass Politiker einer Partei, die aktuell gut in Umfragen vertreten ist, sich derart äußern -und dass Politiker jeglicher Couleur darauf mit den üblichen Platitüden antworten, ohne eine Storch oder Petry in öffentlicher DIskussion stellen und zerlegen zu wollen/können, spricht Bände bzgl. der Kompetenz deutscher Politiker aktuell.
    Dass es andererseits jedoch keinen Verstoß gegen die Menschenrechte bedeutete, eine Grenze (und hier vornehmlich die EU-Außengrenzen) mit Sicherheitskräften und auch baulichen Maßnahmen zu schützen, das ist eigentlich keiner besonderen Erwähnung wert. Ganz abgesehen davon, dass es einen Zaun gar nicht bräuchte. Rückführung und verwehrte Unterstützung für illegal Eingereiste würde die Zuwanderung massiv begrenzen – ohne jedwede Anstrengung an den physischen Grenzen selbst.
    Ein solches Handeln wäre effektiv, aber es stellte das moralische Bild, welches viele Deutsche von sich und ihrem Land/Europa haben stark infrage. Es wäre nämlich notwendig, Hilfe denjenigen gegenüber abzulehnen, denen Hilfe gebührte. Das ist zwar überhaupt kein Problem für den deutschen Sankt Pauli/Prenzlauer Berg/Schwabing/Anti-Atom/Bio -Heini, solange die „Drecksarbeit“ Marokko macht, oder Erdogan oder Gaddafi, etc., aber wenn man selbst akzeptieren muss, dass falsche Anreize gesetzt und deshalb Probleme teilweise erst generiert werden – dann möchten viele Deutsche lieber nicht über unangenehme Themen debattieren/nachdenken, zumindest nicht offen. Das spiegeln die Medien letztendlich wieder und doch grenzt die hohlen Politikerphrasen folgende und deshalb ideenlose sowie einseitige Berichterstattung an Arbeitsverweigerung. Die „alten“ Medien verlieren zunehmend die Fähigkeit selbst Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die alternative Impulse setzen könnten, durch eine offen geführte Debatte. Sie bieten zunehmend keinen Raum mehr für offene Debatten und hinterlassen ein Vakuum, welches online auf vielfältige, oft panische Weise sich verselbständigt.
    Das eigentliche Problem indes ,(oder besser, der erste Dominostein) ist sehr einfach erklärt. Es gibt viele Bürger, die lange in das Gemeinwesen eingezahlt haben (in vielfältigen Kapitalformen, nach Bourdieu z.B.) und jetzt kommen andere, die nehmen etwas raus, stellen eine soziale, ökonomische und kulturelle Belastung dar, wodurch sich die Gesellschaft verändern wird. Und es kommen so viele, dass es nicht tragbar ist.
    Erstens wird man also den Zustrom beenden müssen.
    Zweitens, wird man Ideen entwickeln müssen, wie man die Migranten/Flüchtlinge integriert, Ehrenamt ist gut gemeint, jedoch selten gut genug gemacht.
    Drittens, wird man zukünftig einen Weg finden müssen, wie man mit denjenigen verfährt, die ökonomisch/sozial/kulturell nicht integrierbar sind.
    Punkt eins stellt aktuell das größte moralische Dilemma dar, weil es für viele Bürger bedeutet, Menschen in Not vom Wohlstand ganz direkt und sichtbar zu exkludieren.
    Solange Punkt eins nicht gelöst ist, können die Punkte 2/3 in der gesellschaftlichen/politischen Sphäre kaum sinnvoll diskutiert werden, aber man verschwendet ja nicht mal einen realistischen Gedanken daran, was ein großer Fehler ist. Eigentlich müsste man alle drei Punkte diskutieren und dann im Kompromiss eine Lösung finden – „bevor man an den gedeckten Tisch lädt“. Was man getan hat, denn wie anders hätten Menschen in Not das Handeln Deutschlands und Schwedens interpretieren sollen?
    Wir können jetzt ja nicht böse auf Menschen sein, die der Einladung unserer Regierung folgten – in einer Demokratie zeichnen alle Bürger für solcherlei Themen kollektiv verantwortlich. Aber dass die Politik en gros in 6 Monaten nicht wenigstens Lösungsansätze präsentieren konnte, dies spaltet die Gesellschaft in diejenigen, welche sich aus dem etablierten System dann entfernen und jene, die in diesem das andere Extrem der faktischen Aufgabe des durch Grenzen (physische/staatsbürgerliche) definierten Nationalstaats (oder auch der EU) einnehmen. Ein großer „Rest“ schwankt orientierungslos umher und wartet darauf, dass Papa Seehofer oder Mutti Merkel was machen, weil sie Angst vor den Extremen haben.
    Die Probleme werden größer werden, selbst wenn der Zustrom begrenzt würde, das ist absehbar. Es ist Sache von Politik und Medien, eine Vorreiterrolle einzunehmen, den Raum für ehrliche, offene und ideologiefreie Debatten offen zu halten und zuallererst anzubieten. Dann „Debatten-Ergebnisse“ in eine „juristische“ Struktur zu bringen. Aktuell geht die Richtung in ganz Europa dahin, dass der Raum schwindet. Die europäischen Gesellschaften manövrieren sich aktuell fast alle (aus unterschiedlichen Gründen) in eine schwierige Position.
    Deutschland befindet sich zunehmend in der „Coffin Corner“. Ein Begriff aus der Luftfahrt, der meiner Ansicht nach jedoch die aktuelle Situation gut beschreibt. Wenn man sehr hoch fliegt, wird die Luft irgendwann so dünn, dass das Flugzeug bei ein paar kmh zu schnell an die kritische Machzahl kommt, bei ein paar zu wenig die Tragflächen zu wenig Auftrieb generieren. So oder so, die lebensnotwendige Strömung reißt ab. Es ist wichtig, dass wir gesellschaftlich nicht eine Situation erzeugen, in welcher es nur noch die Wahl gibt zu wählen, auf welcher Seite man abschmieren will. Deutschland ist euphorisch aufgestiegen, hat sich an seiner moralischen Superiorität gelabt und jetzt fliegen wir so hoch, dass nur noch wenig realer Handlungsspielraum übrig bleibt.

    Ich verlinke dir mal eine Diskussion mit Precht. Ich weiß, den magst du nicht. Aber was er ab ca. Minute 46 sagt, ist für mich eine schlichte Aussage, die ich mir von deutschen Politikern wünschen würde. Nicht weil ich die Ansicht teile, sondern weil sie eine Basis für den intellektuellen Gedankenprozess bilden könnte, der notwendig sein wird, der Flüchtlingskrise so gut wie möglich zu begegnen. Aktuell versuchen Politiker und Medien der Bevölkerung eine offene Debatte zu ersparen – klar – weil sie wissen, das Alteingesessene mit dieser oft keine Wählerstimmen gewinnen würden. Aber in den heutigen Zeiten, können wir es uns nicht leisten, in einer Situation wie zu Zeiten von Weimar zu sein und über Politiker wie bei Friedrich des Großen zu verfügen.

    http://www.srf.ch/sendungen/sternstunde-philosophie/richard-david-precht-denken-als-experiment

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  15. genova68 schreibt:

    Ich sehe nicht den Bezug zwischen Precht und der Flüchtlingsdebatte. Precht sagt in dem Ausschnitt, dass wir unser Leben immer mehr den Maschinen anvertrauen, wir werden immer weniger autonom, vertrauen immer mehr wie Kinder einem Glücksversprechen. Aber auch das halte ich, nebenbei gesagt, für qualitativ nichts neues. Wir fliegen, fahren Auto und Zug und Fahrstuhl und vertrauen immer auf Maschinen. Es wird intensiver werden, und wenn Precht davon redet, das wir über Messstellen künftig einen automatischen Serotoninzuschub erfahren, wenn die Maschinen einen entsprechenden Mangel feststellen, haben wir heute mit Psychopharmaka schon ähnlich.

    Ansonsten, chinook, machst du meines Erachtens den Fehler, den du immer machst. Du stellst deine Meinung als eine objektive Tatsache dar (weniger Flüchtlinge etc.), die du dann als eine unbequeme Wahrheit verkaufst.

    Debatten finden derzeit zu Flüchtlingen en masse statt, in alle Richtungen. Und die Frage oben war eigentlich eine konkrete an Mocho: Wie soll man die Flüchtlinge aufhalten.

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  16. Chinook schreibt:

    „Ich sehe nicht den Bezug zwischen Precht und der Flüchtlingsdebatte.“

    Da hättest du noch einige Sekunden länger reinschauen sollen, da hat er sich zur Flüchtlingsfrage geäußert.

    „Du stellst deine Meinung als eine objektive Tatsache dar“

    Also da zeigst du schon das typisch deutsche Harmoniebedürfnis, welches oft Probleme mit scharf und deutlich formulierten Ansichten hat. Ich bewundere an den Briten ja nicht viel, aber von der Debattenkultur könnten wir uns ne Scheibe abschneiden. Ich stelle gar nichts als allgemein gültige Wahrheit dar, sondern äußere halt meine Meinung. Vollkommen legitim, wenn jemand eine andere vertritt. Aber eine solche sollte dann eben auch unterfüttert werden können. Genau dies passiert in den aktuellen Debatten nicht. Niemand versucht konkret zu erklären, wie und warum wir plötzlich 1,2 Millionen Flüchtlinge aus Nordafrika und Nahost integrieren können sollten. Oder was – nach aktuellem Forschungsstand – eine heterogener werdende Gesellschaft mit Zuwanderern aus Regionen, in denen kaum gesellschaftliche Kooperation besteht, sich auf den Sozialstaat auswirken könnte. Oder wie sich ein demographischer Faktor in jungen Altersgruppen, mit einem Überhang an jungen Männern aus Nahost auswirken kann. Oder allein die Frage, wie das alles finanziert werden soll, wenn der nahende Abschwung einschlagen sollte. All dies in einer Situation, in der Russland die Flüchtlinge als interessanten Nebeneffekt zur Destabilisierung Europas entdeckt. Das sind Diskussionen die geführt werden müssten, denn nur wenn man sich den vielfältigen Problemen stellt, kann man Konzepte entwickeln, die Negativszenarien so gut wie eben möglich etwas entgegensetzen. Aber geschieht das? Meiner Ansicht nach nicht. Es gibt (zunehmend verstummende) euphorische Refugee-Kreischer und das zivilisatorische Niveau verlierende (zunehmende) Refugee-Hasser. Die Masse zwischendrin schaut sich das Theater an und fragt sich, was es eigentlich damit zu schaffen hat. Und in den vielfältigen medialen Talkshows wird praktisch seit sechs Monaten darüber debattiert, ob man über eine Obergrenze debattieren sollte. Das ist doch ein seltsames Schauspiel unfähiger Politikerdarsteller, die eine Obergrenze nicht debattieren wollen, weil sie dann erläutern müssten, woran sie jene festmachen. An Schlafplätzen, Zeltplätzen, am Absorptionspotenzial der Gesellschaft etc. Vernünftig betrachtet liegt das Aufnahmepotenzial etwa so hoch, wie das Integrationspotenzial der Gesellschaft. Falls darüber innerhalb Deutschlands debattiert wurde, so muss mir dies entgangen sein.

    „Und die Frage oben war eigentlich eine konkrete an Mocho: Wie soll man die Flüchtlinge aufhalten.“

    Die hat er ja indirekt beantwortet: Dublin II in Kraft lassen, die Flüchtlinge an den Rand der EU zurücksenden, durch die überforderten Staaten und daraus resultierende Verhältnisse wird ein Abschreckungseffekt generiert. So wie es übrigens davor ja auch gemacht wurde, durch Gaddafi, Marokko, Bulgarien etc. Es war halt nicht sichtbar in den Medien, was für die Leute aber wohl keinen Unterschied macht.

    Die Frage die mich interessiert ist, wie siehst du das? Wieviel ist wodurch leistbar und was sind die Auswirkungen?

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  17. genova68 schreibt:

    Das Flüchtlingsthema wird doch seit Monaten rauf und runter diskutiert, und zwar in allen Facetten. Wie wird das finanziert, funktioniert Integration, kulturelle Probleme, Sprache, Arbeitsmöglichkeiten undundund. Du kannst dich mit den Themen unter allen Perspektiven auseinandersetzen, von links über grün bis AfD. Dass es keine endgültigen Antworten gibt, heißt nicht, dass das nicht breit diskutiert würde. Gerade im Tagesspiegel gelesen: Jugendliche Flüchtlinge, 16 und 17 Jahre alt, werden in Rosenheim betreut, schaffen aber weder Spracherwerb noch Praktikum, weil sie keine Schulen besucht haben, und schaffen kein Praktikum, weil sie kein Konzentrieren gelernt haben.

    Was soll denn noch alles diskutiert werden?

    Ich habe dazu schon vor rund einem Jahr geschrieben, dass die vielen Flüchtlinge mit einem neoliberalen Staatsverständnis nicht kombinierbar sind. Wir bräuchten massive Vermögensabgaben, massive Erbschaftssteuern, und aus diesen zweistelligen Milliardenbeträgen jährlich könnte man alles finanzieren. Durchgeknallte Moslems, extreme Patriarchen und gewöhnlich Kriminelle sollte man abschieben, wenn es irgendwie geht.

    In Berlin gibt es unhaltbare Zustände, nicht nur im Lageso, auch in den Erstunterkünften. Dass es da zu Stress kommt, ist klar.

    Aber was durch zuwenig Ausländer passiert, sieht man gerade in Sachsen. Durchmischung tut not.

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