Athen IV

Nach drei Nächten mit massiven Kämpfen zwischen Polizisten und Anarchisten/Autonomen/Kindern/whatever liegt eine wabernde Tränengaswolke über weiten Teilen der Innenstadt von Athen. Auch weit entfernt von den Orten der Auseinandersetzung brennen die Augen, das Gift ist selbst am nächsten Tag in den Cafés von Exarchia, dem Zentrum der Proteste, unüberriechbar. Als belangloser Tourist weiß man erstmal nichts von den Demos und denkt an einen Unfall in einer nahegelegenen Giftgasfabrik.

Nein, es war keine Giftgasfabrik, sondern die Staatsgewalt.

Am Morgen nach der dritten Nacht sind die Spuren unübersehbar, obwohl die Müllabfuhr sauber arbeitet. Ausgebrannte Läden, aus Treppen herausgebrochene Marmorplatten, Scherben: Man schenkt sich nichts.

Eine recht skurrile autonome Aktion habe ich nachgelesen: Die  jungen und athletischen Menschen schnappten sich einen herumstehenden Smart, warfen ein Molotowcoctail hinein und lösten die Handbremse: Die Straße war abschüssig, weiter unten standen Polizisten. Was macht man als Polizist in solch einer misslichen Lage? Einfach einen Schritt zur Seite gehen und das lodernde Auto vorbeirollen lassen? Geht nicht, die Polizei ist ja dazu da, solche Situationen zu entschärfen. Leider gibt es kein youtube-Video von der Szene.

Auslöser der Krawalle war übrigens der Aufruf eines wegen Raubes inhaftierten Aktivisten, „der Mittelklasse den Krieg zu erklären“. Klingt cool, aber warum ausgerechnet der Mittelklasse? Und Frieden mit denen darüber?

Die Krawalle schienen sowieso kaum jemanden zu interessieren. Ein paar hundert Meter weiter sind die Cafés und Restaurants voll wie immer, die allermeisten ziehen sich auch in der Krise schick an. Griechen gehen abends raus, ob mit oder ohne Geld.

Krawall als Folklore, jeder reagiert sich mal ab. Um mehr geht es nicht, vermute ich.

Es gibt nach wie vor immer wieder Generalstreiks in Griechenland, diverse politische Aktionen, auch gewalttätig, allerdings scheint das mit dem Glas Wein danach zusammenzugehen. Essen ist wichtig, weil Kommunikation. Vermutlich checken die Griechen mittlerweile auch, dass sie systemisch verarscht werden: Gegen eine aggressiv-neurotische Macht wie Deutschland und das Kapital überhaupt und als solches ist kein Kraut gewachsen.

Andererseits: Direkt neben dem Athener Krawallbezirk Exarchia liegt Kolonáki, wo die Porsches gewienert werden. Ein paar Kilometer weiter am Meer liegen die Luxusjachten. Man hat beim rein empirischen Vergleich Berlin-Athen in weiten Teilen nicht das Gefühl, dass Griechenland der failed state ist, sondern Deutschland. Die nach wie vor unsagbar dummen Deutschen lassen es sich bieten.

(Foto: genova 2015)

Athen III

Athen II

Athen I

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5 Antworten zu Athen IV

  1. altautonomer schreibt:

    „Nein, es war keine Giftgasfabrik, sondern die Staatsgewalt.“

    Linke Mehrheitsregierungen können es eben besser. So auch meine Erfahrungen und die Jutta Ditfurths: In den Bundesländeren mit rot-grüner Merheit wurde am härteten gegen Demonstranten geknüppelt. An der Spitze der für die Sicherung der Castor-Transporte nach Ahaus 1998 zuständige Polizeipräsident von Münster, Hubert Wimmer (Grüne NRW),

    Folklore ist in meinen Augen, wie Du Dir denken kannst, etwas anderes: http://narrenschiffsbruecke.blogspot.de/2015/12/advent-advent-ein-lichtlein-brennt.html

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  2. genova68 schreibt:

    Ich kenne die aktuellen innergriechischen Diskussionen nicht, aber ich schätze, dass diese Demonstranten sich noch nie für Syriza interessiert haben. Generell sind in Athen die Auseinandersetzungen auf der Straße härter als hier, auf beiden Seiten. Wie krass die Polizei dort drauf ist, weiß ich nicht. Ich habe das jedenfalls bei einem Aufenthalt vor drei Jahren mitbekommen (hier unter Athen II dokumentiert), da wurde die Polizei massiv angegangen, und die haben damals massiv zurückgeknüppelt und einfach das ganze Stadtviertel unter Tränengas gesetzt. So wie aktuell)

    Folklore nenne ich das deswegen, weil ich diesen aktuellen Protest lächerlich finde: Es ist von vornherein klar, dass es zu Gewalt kommen soll, dazu ausgerechnet in diesem linken Viertel, dort werden Scheiben eingeschlagen, Läden brennen, kleine wohlgemerkt, keine Ketten. Das hat keinerlei sinnvolle politische Relevanz. Wenn ich Militanz in mein politisches Konzept miteinbeziehe, dann muss ich mir schon gut überlegen, was ich tue.

    Diese Lichterkette ist ein weiteres absurdes Event, in der Tat. Dahinter steht offenbar eine Person, die sich wichtig tuen will. Und es gibt keinerlei politische Aussage. Es ist wohl nur der übliche Facebook-Schwachsinn.

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  3. altautonomer schreibt:

    Stimme insofern zu: Irgendwann war uns klar, dass Auseinandersetzungen mit den nach und nach aufgerüsteten und daher hoch überlegenen Polizeieinheiten, anders, als früher in Wackersdorf und in der Hafenstrasse, „militant“ nicht mehr zu gewinnen sind. Vermummungsverbot, Demoauflagen und Provokationen durch V-Leute taten ihr übrigers.

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  4. altautonomer schreibt:

    Nachtrag:
    https://www.jungewelt.de/2015/12-15/047.php

    Teaser:
    „Heute findet im Düsseldorfer Kulturzentrum ZAKK die Premiere von »Mein Einsatzleiter« statt. Das Ganze ist als »unterhaltsam-lehrreicher Abend mit der Polizei« angekündigt. Was soll man darunter verstehen?

    Erst einmal nervöse Darsteller. Wir spielen mit acht Personen verschiedene Szenen nach, die sich bei der Anmeldung und Durchführung von Protesten gegen rassistische Aufmärsche in Düsseldorf mit der Polizei zugetragen haben. Mal hat die Polizei das Verteilen von Flugblättern verboten, dann hat sie Zivilbeamte eingeschmuggelt oder mit ihren Einsatzfahrzeugen unseren Kundgebungsplatz zugestellt, aber auch Rednernamen erfasst und die An- und Abreise zu unseren Kundgebungen verhindert. Die Begründungen dafür und die Rechtsauslegung durch die Polizei war an so vielen Stellen so absurd und skurril, dass wir sie aufgeschrieben haben, weil wir immer herzlich lachen mussten.“

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  5. genova68 schreibt:

    Der Laubenburg ist unverwüstlich :-)

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