Europacity Berlin: Wie der Staat uns verramscht

Es ist ein schönes Lehrstück über die kapitalistische Logik einerseits, die Auswirkungen auf das Grundrecht auf Wohnen andererseits, und schließlich die ästhetisch katastrophalen Konsequenzen, die die Gemengelage mit sich bringt – die derzeit im Entstehen befindliche „Europacity“ rund um den Berliner Hauptbahnhof. Dort werden nun 2.800 Wohnungen sowie Büros für angeblich über 10.000 Arbeitsplätze gebaut. Von den 2.800 Wohnungen sollen exakt 42 mit einer Nettokaltmiete von 7,50 Euro angeboten werden, der, ähm, Rest für 4.500 Euro pro Quadratmeter und mehr als Eigentumswohnungen verkauft werden. Die übliche neuberliner Mischung also. Die Berliner Politik hat mit den Investoren vertraut hart verhandelt und ein tolles Ergebnis erzielt. Kapitalistische Verwertungszwänge.

Interessant ist, wie es dazu kam. Das Gelände gehörte ursprünglich komplett der Deutschen Eisenbahn, also der öffentlichen Hand, dem Staat, uns allen. Das Gelände lag in unmittelbarer Mauernähe und deshalb jahrzehntelang brach. Die Bahn übertrug in 1990er Jahren in Form der Tochter EIM große Teile der bahneigenen Liegenschaften dem Bund. Der Bund hatte nun die einmalige Chance, auf vielen innerstädtischen Flächen die bauliche Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen. Stattdessen verkaufte er die mittlerweile in Vivico umbenannte Bahntochter 2007 an die österreichische Immobiliengesellschaft CA Immo, und zwar für exakt 1,03 Milliarden Euro. Naturgemäß holt CA Immo nun raus, was rauszuholen ist und sie bekommen baurechtlich auch das genehmigt, was sie sich wünschen. Das Ergebnis sind die 42 Wohnungen und die 4.500 Euro plus die wesentlich höheren Erträge aus den Bürobauten.

Es steht zu vermuten, dass die eine Milliarde, die der Bund für Vivico bekam, ein erstaunlich niedriger Preis war, wenn man sich ansieht, was CA Immo alleine in der Europacity an Geldern bewegt. Sie verkaufen die Grundstücke mittlerweile munter weiter. Die neuen Eigentümer sind selbstredend Lokalpatrioten, so der Investor Inholte:

„Ich bin seit 25 Jahren mit Berlin verbunden. Ich mag die Stadt“, sagt Inholte. Es sei sein Wunsch, in einer Top-Lage direkt am Hafen zu bauen.

Genau. Wer die Stadt mag, mag vor allem in Top-Lagen Geld verdienen.

Neoliberale Politik und ihre Auswirkungen: Man könnte auf diesem Riesengelände preisgünstige Wohnungen bauen, mit Kaltmieten von fünf Euro und weniger, mit anspruchsvoller Architektur und guter Ausstattung, man könnte generationenübergreifendes Wohnen testen oder autofreies oder ökologisches oder etwas jenseits vom Kleinfamiliären oder sonstwas. Man könnte mit Hirn und Herz drangehen, aus dem Filetgebiet etwas sinnvolles zu machen. Sinnvoll jenseits zweckrationaler privater Renditebestrebungen. Dem Staat ist das alles scheißegal. Er ist fickerig auf die eine Milliarde, soll der Pöbel doch sehen, wo er bleibt.

Die Europacity wird architektonisch so öde, wie renditeträchtige Architektur in den meisten Fällen ist. Gebaut wird für die Kleinfamilie in modisch-banaler Form. Angepriesen wird das natürlich, wie in Berlin immer, als Luxuswohnbau, der vermutlich in weiten Teilen nicht als Wohnung dienen wird, sondern als Geldanlage. Und das in bester Lage, mitten in Berlin. Laura Weißmüller schrieb vor einer Weile in der Süddeutschen Zeitung, dass in entsprechenden Nobelvierteln in London kaum jemand wohnt, es geht nur um Betongold. Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau schrieb vor ein paar Tagen in der Berliner Zeitung zum Thema eine Vernichtung. Es werde einer der ödesten Orte Berlins. (Leider habe ich die Zeitung verlegt und kann nur noch aus dem Gedächtnis zitieren.)

Es ist andererseits doch eine Merkwürdigkeit. Berlins Ruf hat viel mit dem kreativen Potenzial, wie man sagt, zu tun, mit einer gewissen Coolness, die anderen deutschen Städten offenbar abgeht. Selbst aus kapitalistischer Perspektive könnte man dies für formal bewahrenswert halten. Stattdessen wird der Berlinbesucher in ein paar Jahren aus dem Hauptbahnhof in ein komplettes Nonameviertel stolpern.

So sieht es dort unter anderem schon aus:

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Ein Gebäude in der mittlerweile üblichen Schießschartenarchitektur. Die kann durchaus funktionieren, wenn die Liebe zum Detail vorhanden ist, wenn die Scharten einen kleinen Dreh bekommen, wenn die Materialien sorgfältig ausgesucht sind. Oben ist das alles nicht der Fall. Bezeichnend, dass der Architekt nicht mal den Schneid hatte, durchweg den gleichen Granit zu verwenden. Das würde er vermutlich als fad empfinden, also wird aufgepeppt. Dafür sind im ersten Stock goldfarbene und vermutlich überflüssige Fensterstreben eingezogen, vielleicht als Reminiszenz an die konservative 50er Jahre Moderne. Es klappt nur im Kontext nicht. Derartige Spießereien sind generell die schlimmste Eigenschaft eines jeden Kreativen.

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Eine solche Architektur, die unbedingt Solidität suggerieren möchte, muss im Detail sauber verarbeitet sein, sonst wird das nichts. Hier sind die untersten vertikalen Fassadenelemente naturgemäß normiert, und da das Gebäude auf leicht abschüssigem Gelände steht, hätte es Detailarbeit bedurft. Es ist eine unglaubliche Lächerlichkeit, die sich da präsentiert.

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Ich frage mich, ob sowas vor 20 oder 30 Jahren überhaupt abgenommen worden wäre. Heute muss es nur schnell gehen. Zynisch betrachtet könnte man das als Offenlegung preußischer Verlogenheit begrüßen: Die vermeintlichen Pfeiler, auf denen das Gebäude ruht, reichen nicht bis zum Boden. Unter dem Pfeiler liegen Lüftungsgitter. Da hatte das CAD-Programm wohl einen schlechten Tag.

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Auch nicht schlecht: Die nackte Betonsäule, eines der wenigen Elemente, die durchgehen könnten, wird unten mit diesem schlecht sitzenden goldfarbenen Ring umrankt, damit sie nicht so nackt aussieht. Die Reaktion brauchte schon immer ein Fundament. Man muss ja wissen, wo man herkommt.

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Oben war man nicht einmal in der Lage, aus der Verbundplatte ein kreisrundes Loch auszuschneiden. Wäre die Architektur stilistisch in der Lage, zu solcher Unzulänglichkeit zu stehen, es wäre in Ordnung. Aber durch den vermeintlichen Anspruch, neupreußische Solidität zu liefern, hängt die Messlatte hoch. Das in den 90ern von Präfaschisten herbeigelobte steinerne neue Berlin lässt grüßen.

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Es ist billige Kommerzarchitektur, die naturgemäß teuer wirken will. Dazu gehört natürlich auch das Kopfsteinpflaster, zu schlichtem Teer, zu klaren Formen oder auch nur zu irgendeiner vertretbaren Aussage reicht es hier genausowenig wie im Schrebergarten am Stadtrand.

Irgendeine Berliner Wohnungsbaupolitikerin ist ja vor ein paar Monaten mit viel publizistischem Getöse nach Wien gereist, um sich dort über sozialen Wohnungsbau zu informieren. Dort hat man, genau wie in Berlin, einen neuen Hauptbahnhof gebaut und die Fläche drumherum auch bebaut. Aber mit gefördertem Wohnungsbau auf kommunalen Flächen. Dort wohnt man genossenschaftliche für 6,50 Euro warm in attraktiven Wohnungen. Massenhaft. Von Büros sieht man nichts.

Könnte man diese Nonamepolitikerin ernst nehmen, würde sie sich jetzt zu Wort melden.

In Wien funktioniert sozialer Wohnungsbau, in Berlin ist er abgeschafft. Abgeschafft, um den Renditebedürfnissen des Kapitals nicht im Wege zu stehen.

Man könnte auch die Frage stellen, welche Bedürfnisse der Kapitalismus denn befriedigt. Exakt eines: das nach Rendite. Der Rest ist Kosmetik.

Eine solche Geschichte lässt sich aus vielen Städten erzählen. In Düsseldorf war es ein großer stillgelegter Güterbahnhof, der auf ähnliche Weise veräußert wurde. Entstanden ist dort ein Shopping-Center.

Die Tatsache, dass ganze Stadtviertel in zentraler Lage an den elementaren Bedürfnissen der Menschen ohne Widerstand hochgezogen werden können, zeigt das ganze Ausmaß der Gehirnwäsche, der wir ausgesetzt sind. Es läuft gut.

(Was macht eigentlich die kritische Theorie der Stadt jenseits von oder seit Tafuri und Behrens?)

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5 Antworten zu Europacity Berlin: Wie der Staat uns verramscht

  1. m schreibt:

    „also der öffentlichen Hand, dem Staat, uns allen“

    Und wie das dann so aussieht, wenn es uns allen, also dem Staat gehört, ist im Osten teilweise immer noch gut zu sehen. Nach vierzig Jahren hat das Ganze dann aber auch schon eine schicke Patina. Auch schön, nicht?

    Ansonsten: ja. Hässlich. Sehr unangenehm.

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  2. genova68 schreibt:

    Oh Gott, die Leier von der einzigen Alternative, nämlich DDR…

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  3. Yossarian schreibt:

    In Düsseldof ist es übrigens nicht nur ein Bahnhof, sondern eben auch ein riesen Gelände mitten in der Stadt mit genau der gleichen toten Architektur.

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  4. genova68 schreibt:

    Hinter diesem toten Gebäude sollten übrigens Wohnungen entstehen. Der Investor, damals mfi, baute sie nicht und sollte stattdessen mehr als 100 Millionen Strafe zahlen. Wobei ich nicht auf dem aktuellen Stand bin,aber die Wohnungen,die auf dem Gelände hinter den Arkaden entstanden sind, sind vermutlich extrem teuer, einfach den Grundrissen und der Anmutung nach zu urteilen.

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