Die rote Ampel als „Nachrang“

Ein generelles Legalisieren des Rotfahren bietet übrigens das Idaho Stop Law (von 1982). Es erlaubt Radfahrern, Ampeln wie Stoptafeln und Stoptafeln wie Nachrangtafeln zu behandeln.“ Im US-Bundesstaat Idaho wurde das Gesetz erstmals 1982 verabschiedet.

Ein hervorragender Artikel in der FR zum Thema „Warum Radfahrer keine Ampeln brauchen“. Es geht darum, dass Ampeln für Radfahrer lediglich eine Empfehlung sein sollten. Laut FR gibt es „immer mehr Experten“, die das fordern.

Radfahrer und Fußgänger brauchen keine Ampeln, die gibt es wegen der Autos. Im Postnazideutschland ein naturgemäß unerhörter Gedanke. Deutsche Polizisten päppeln dennoch pflichtgemäß die Stadtsäckel auf, indem sie sich auf die Lauer legen. In Berlin gibt es jetzt sogar Zivibullen auf Fahrrädern, die sich um das Reinheitsgebot der deutschen Verkehrsordnung, was Radfahrer angeht, kümmern.

Die Berliner Zeitung zum Thema:

Die Ampel leuchtet rot, und weder Fußgänger noch Radfahrer halten an. In Frankreich ist das normal. „Ein Fußgänger, der in Paris an einer roten Ampel stehen bleibt, obwohl kein Auto kommt, ist ein Deutscher oder hat deutsche Eltern“, stellte Abel Guggenheim kürzlich fest. Für Fahrradfahrer gilt nach Meinung des Vorsitzenden diverser Radfahrverbände das Gleiche.

Und:

In Paris wird nun erlaubt, was nicht zu verhindern ist. An 1805 Kreuzungen dürfen Radfahrer künftig bei Rot rechts abbiegen. Die französische Hauptstadt wird damit fahrradfreundlicher und schafft sogar mehr Verkehrssicherheit.

Es zeigt sich nun in der Pariser Praxis, dass Ampeln für Radfahrer eher gefährlich sind, wenn die Signale beachtet werden. Etwas, das jeder Radler selbst schon längst erkannt hat:

Die Stadt hat bereits kreuzungsfreie Radschnellstraßen sowie diebstahlsichere Radparkplätze und wird so nicht nur fahrradfreundlicher, sie erhöht auch die Verkehrssicherheit. Drei bis fünf Radfahrer kommen auf den Pariser Straßen jährlich ums Leben. Die meisten tödlichen Unfälle ereignen sich an einer Ampel, wo Radler von anfahrenden Bussen oder Lastwagen erfasst werden.

Christophe Najdoski, Vize-Verkehrsbeauftragter der Stadt, bezweifelt, dass Ampeln entscheidend zur Verkehrssicherheit beitragen. Der Grünen-Abgeordnete verweist auf den sternförmigen Platz am Pariser Triumphbogen. Zwölf Straßen kommen dort zusammen, keine einzige Ampel regelt den Zustrom. Unfälle gibt es kaum. An der mit Ampeln bestückten Place de la Concorde hingegen seien die Unfallzahlen fünfmal so hoch.

In Deutschland undenkbar: Der Arc de Triomphe ist für die deutsche Volksseele das Urbild an Unübersichtlichkeit, an Verwirrung, an Chaos. Das deutsche Gegenstück, der Kreisverkehr am Berliner Großen Stern, ist mit 100 Ampeln bewehrt. Es zeigt sich hier die deutsche Neurose an einem kleinen Beispiel, dafür aber schön deutlich. Die Tatsache, dass die Masse der Menschen ein rotes Licht als verbindlicher betrachtet als ein Blick nach rechts und nach links, spricht Bände.

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6 Antworten zu Die rote Ampel als „Nachrang“

  1. hANNES wURST schreibt:

    Die These, dass es Ampeln nur für Automobile gibt, lebe ich als Radfahrer am Rhein ungestraft seit vielen Jahren. Dieser Artikel spornt mich zu weiteren Verstößen an.

    Zu bedenken gilt dabei, dass man seinem Kind beibringt, dass es sich bei grüner Ampel als Radfahrer oder Fußgänger immer noch genauso gründlich nach Autos umschauen muss, die das Signal übersehen haben oder auf Amokfahrt sind. Man bringt dem Kind aber auch bei, auf keinen Fall bei Rot die Fahrbahn zu überqueren, obwohl es dadurch manchem Amokfahrer entkommen könnte. Ich gehe davon aus, dass das Kind die Gefahr durch herannahende Fahrzeuge noch nicht gut genug einschätzen kann, was am unterentwickelten Verstand und Reflexvermögen, aber auch am bloßen Trotz der Kinder liegt (die sich mit einem Holzschild den Autos entgegenstellen). Daher meine ich, dass Ampeln für Kinder einen gewissen Schutz bieten, auch wenn man in Kauf nehmen muss, dass die Reflexe der Kinder dadurch weniger gut geschult werden.

    Insgesamt stimme ich Deinem Kommentar also zu, lieber genova, mit der Einschränkung, dass das Ampelfeuer erst für Fußgänger und Radfahrer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr vom Gebot zur Empfehlung werden sollte. Das war ja auch zu erwarten, da ich ja meine, dass Erwachsene Menschen alles tun dürfen sollen, was für andere Menschen nicht schmerzhaft oder über die Maßen eklig ist.

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  2. genova68 schreibt:

    Mit Kindern ist das vielleicht problematisch, aber ich glaube, die können herannahende Autos besser einschätzen als mancher Erwachsene. Meine ich mich aus meiner Kindheit erinnern zu können. Ich lief schon auf dem Schulweg als 7jähriger über eine stark befahrene Hauptstraße ohne Ampel und Zebrastreifen.

    Eigentlich wollte ich den Artikel aus der FR thematisieren: Die Art, wie dort Straßenverkehr beschrieben wird, hat nur am Rande mit roten Ampeln zu tun. Es geht um den einfachen Einsatz von Vernunft.

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  3. hANNES wURST schreibt:

    Ja, im Allgemeinen können schon Grundschüler den Verkehr gut einschätzen, aber es reichen schon geringe Mengen Alkohol und sie sind komplett verkehrsuntauglich. Und wer will gerade den Kindern eine 0-Promille Grenze im Straßenverkehr vorschreiben? Das wäre Erziehung unter unrealistischen Bedingungen. Übrigens war der fehlende Zebrastreifen über die stark befahrene Hauptstraße wohl Dein Glück, so musstest Du den Fußgängerüberweg benutzen. Zebrastreifen verführen zu Hüpfspielen, die für Kinder sehr leicht böse enden.

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  4. genova68 schreibt:

    Das ist alles sehr richtig, sehr bedenkenswert und nachdenklich stimmend.

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  5. karpfen27 schreibt:

    Bei gewissen innerstädtischen Kreuzungen finde ich die Idee gar nicht schlecht, ist bzw. wäre sicher einen Versuch wert.

    Die in dem FR-Artikel genannten Argumente des Forschers scheinen aber zum Teil eher der Tatsache geschuldet, dass er ein Radlfreund ist. Ist völlig legitim und finde ich selbst, als Radfahrer gut, ob das aber empirisch fundiert werden kann, bezweifle ich jedoch. Beispiel: „Radfahrer sind aufmerksamer“ und „Radler nehmen Umgebung besser wahr“. Naja. Sehe hier (Frankfurt/M.) jeden Tag zahlreiche RadfahrerInnen, die wirklich unsicher mit ihren Rädern unterwegs sind, die sitzen da echt wackelig drauf. Mit Aufmerksamkeit ist es dann nicht so weit her (Meine Theorie: Die sind in Ihrer Kindheit- und Jugend wenig Rad gefahren). Finde ich dann schon gut, wenn die durch Ampeln – überspitzt gesagt – etwas in Zaum gehalten werden. Denn: Aus meiner Sicht der größte Vorteil von Ampeln ist, dass so das Verhalten der Anderen vorhersehbar(er) wird.

    Und Verweise auf andere Länder, in denen das trotz geringerer Regelungsdichte viel entspannter zugeht, würde ich ja immer mit Vorsicht genießen. Und würde zuerst fragen, wie stark das Verkehrsmittel Fahrrad wirklich genutzt wird.

    Aber wie gesagt, bin da neuen Ansätzen grundsätzlich aufgeschlossen.

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  6. genova68 schreibt:

    Na, wer möchte, soll natürlich auch künftig bei rot anhalten. Es gibt ja keine Missachtungspflicht :-) Bei den Verweisen auf andere Länder geht es nicht nur ums Radfahren, sondern um Straßenverkehr allgemein. Ich kenne das von Rom: kaum Ampeln, kaum Fahrbahnmarkierungen, Plätze mit fünf oder sieben Zufahrten, wo man die anderen beachten muss, sonst gibt es Unfälle. Man kümmert sich aus Eigeninteresse ums Ganze. Das ist positives Sozialverhalten. Shared space heißt das Modell nun offiziell, es gibt derzeit ein paar Testgebiete. Vermutlich wird das in Deutschland nicht eingeführt, weil die Obsession zu totaler Verregelung in Deutschland Tradition hat. Obwohl shared space kaum etwas anderes ist, als der Straßenverkehr vor der Massenmotorisierung.

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