Was noch? IV

1. Buckminster Fuller ist Patenonkel der Kinder des thailändischen Architekten Sumet Jumsai. Wie nett. Passt ein wenig, wenn man sich dessen Architektur anschaut.

2. Felix Klopotek schreibt in der konkret vom Januar über Köln:

„Eine Stadt, in der der politisch-ökonomisch-kommerzielle Komplex immer noch liebevoll Klüngel genannt wird.“

Und nennt Distelmeyer wegen seines Romans einen „Sprachrohrkrepierer“. Und bezeichnet ihn unausgesprochen als Neoliberalen, weil er sich in seinem Roman offenbar fragt, ob Gesellschaft noch existiere. Sie ist nicht verschwunden, meint Klopotek, aber Distelmeyer habe sich „häuslich in ihr eingerichtet“. Friede mit dem System bei einem, der mal anders drauf war. Immerhin betreibt Distelmeyer den Stilwechsel seit Jahren so offensiv, dass man weiß, woran man ist. Die neue Ehrlichkeit. Und sein neues Outfit hat was. Gerade in Deutschland sind Leute wie Distelmeyer sympathisch, weil sie mit Kitsch kokettieren. Distelmeyer ist der neue Udo Jürgens. Insofern ist es auch nur ein Zeichen von unreflektierter Härte, Distelmeyers Soloalbum Heavy (2009) als gesellschaftskritisch irrelevant runterzuputzen, wie das Klopotek auch tut. Man könnte behaupten, dass das Gegenteil der Fall ist. Außerdem ist es sehr sorgfältig produziert, ist doch auch was.

3. Klopotek meint im selben Artikel (was man alles in einem Artikel verhandeln kann!), dass rechte Demagogen wie Jebsen, Elsässer oder Pirincci zwar nervig seien, aber ihr Erfolg

„ohne die Vorarbeit von Sarrazin, Sloterdijk und Broder“

nicht möglich sei. Exakt so ist es. Der angesagteste Philosoph Deutschlands ist Vordenker des rechten Mobs. So geht Deutschland 2015.

4. Dieser Klopotek könnte lesenswert sein, wenn ich sehe, dass er sich ausgiebig mit dem Freejazz von Coleman beschäftigt hat und auch mit den Ideen zur Ästhetik von Michail Lifschitz, dessen Buch zur Marxschen Ästhetik hier rumsteht. Wobei ich beim flotten Reinlesen in Klopotek den Eindruck gewinne, dass er gerne drauflosbehauptet und der Leser vor der Alternative steht, zu fressen oder zu sterben.

Ich fordere für mich einen Lottogewinn plus Sabbatjahr. Wir werden sehen.

5. Der Tagesspiegel spricht sich für eine Olympia-Bewerbung Berlins aus. Im Teaser eines Kommentars zum Thema steht, dass Berlin „keine Angst“ haben muss und „sich nicht verstecken“ braucht. Das ist die übliche spätbürgerliche Argumentation, notwendig dumm. Hinter der Bewerbung stecken Verwertungsinteressen des Kapitals, sonst nichts. Es wäre schon mal viel gewonnen, wenn sich Menschen gegen Beleidigungen ihres Intellekts wehren würden. Denn nur mit dummer Argumentation lassen sich mittlerweile überhaupt noch neue Renditemöglichkeiten fürs Kapital durchsetzen.

Der Linkspopulist Gregor Gysi ist auch für Olympia. Warum? Weil er andere Bilder aus Berlin sehen möchte als die von Sechsundreißig.

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6 Antworten zu Was noch? IV

  1. einer von jenen schreibt:

    Ja, Klopotek ist definitiv lesenswert – „How They Do It“ ist ein ziemlich gutes Buch mit Texten aus seiner Spex-Zeit, hauptsächlich über Free Jazz und Improvisierte Musik, das ich nur empfehlen kann.
    Und ja, er zieht gern weitreichende Schlüsse aus begrenztem Material, was ein wenig wie „friss oder stirb“ wirken kann. Ich würde aber behaupten, dass er dabei meistens recht hat, bin da aber auch ein wenig fan-mäßig voreingenommen…
    Im Gegenzug bin ich auch gegen Distelmeyer ein wenig voreingenommen. Und „gesellschaftskritisch irrelevant“ ist an sich kein besonders hartes Urteil (Madonna hat auch nie relevante Gesellschaftskritik verbreitet, aber anhören kann man sie sich trotzdem). Ich würde das weniger als Kritik an Distelmeyer verstehen – eher als Kritik an Klopoteks alten Poplinken-Journalisten-Kollegen, die in jedes Pop-Produkt unbedingt irgendeinen subversiven Gehalt reinlesen müssen, der in den allermeisten Fällen schlicht nicht drinsteckt.

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  2. genova68 schreibt:

    Danke für die Ermunterung für den Klopotek. Ich sehe aber gerade mit Erstaunen, dass es in keiner einzigen öffentlichen Berliner Bibliothek auch nur ein Buch von ihm gibt. Das Freejazzbuch ist fü 13,90 Euro allerdings bezahlbar.

    Distelmeyer: Die Latte hat er mit den frühen Blumfeld-Sachen hoch gehängt, da konnte er nur drunter durchrutschen. Insofern finde ich es überzeugend, dass er nach einer Weile mit der Revoluzzer-Attitüde aufgehört hat, ähnlich wie Tocotronic. Distelmeyers Sachen finde ich wirklich vor allem gut produziert, sehr sorgfältig, da weiß man noch, wieso man so große Boxen im Wohnzimmer stehen hat. Es ist übrigens sinnlos, sowas in einem Live-Konzert zu hören. Es kommt nur Brei rüber, typisch für gut produzierte Alben: Die Halle ist kein Tonstudio. Und ansonsten ist es halt nicht so wahnsinnig interessant, was der Distelmeyer musikalisch macht.

    Gut möglich, dass ich Kopoteks Kritik an Distelmeyer zu scharf interpretiert habe.

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  3. Archivar schreibt:

    Korrektur zur Information: Das Buch ist in Berlin in den UBs der HU und der UdK verfügbar. In der HU auch in der online-Version. Beide Bibliotheken sind öffentlich.

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  4. genova68 schreibt:

    Danke, sehr freundlich, ich habe nur bei den Berliner Stadtbibliotheken geguckt. In den Katalogen von HU-UB und UdK gucke ich nie, da ist mir die Ausleihe als Nicht-Student zu kompliziert. Und online schaffe ich es nicht, ein ganzes Buch zu lesen.

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  5. Archivar schreibt:

    Das ist ganz unkompliziert, nur Mut. Online anmelden, dann Personalausweis mitnehmen, registrieren und ausleihen. Ganz genau wie bei den Bibliotheken des VÖBB, nur dass die HU im Gegensatz zu denen sogar völlig kostenlos ist. UdK kostet für Nichtstudenten 20,- pro Jahr.

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  6. genova68 schreibt:

    In der HU-UB schreckt mich schon ab, dass man gerne mal eine halbe Stunde oder mehr anstehen muss, um ein Schließfach zu ergattern. Die haben die Architekten vergessen und wurden nachträglich eingebaut. Und es gibt keine Leseplätze, auch nicht in den Abteilungen der Orchideen-Fächer, weil dort fast ausschließlich Juristen und Mediziner sitzen und lernen. Aber diese Erfahrungen sind schon zwei Jahre alt.

    Mir graut es auch vor der Architektur. Max Dudler, ein Architekt, den man im Berliner Establishment für seine Banalitäten feiert. Die UB wird auch gefeiert, aber es ist der übliche Berliner bzw. deutsche Schrott: Hochwertige oder pseudohochwertige Materialien, Gediegenheit, Seriosität, alles Materielle so schwer wie im Historismus, der Lesesaal versteckt, in vielen Details unpraktisch. Es soll was hermachen, aber nicht mehr so aufplusternd wie noch vor 100 Jahren. Heute tut man seriöser.

    Die UB ist der Ausdruck fürs aktuelle regressive Berlin und Deutschland. Eine Architektur, die materiell bei Wilhelm II hängengeblieben ist, alles leichte, luftige, menschenfreundliche ist ihr ausgetrieben. Das, was in Deutschland in den 50ern unter amerikanischem und englischem Einfluss gebaut wurde, ist heute nicht mehr drin. Heute dominiert wieder das reaktionäre, rechte Deutschland.

    Wie scheiße dieses Land ist, sieht man an der HU-UB.

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