Teil 1 hat sich mit dem Äußeren dieses Pankower Hauses beschäftigt, Teil 2 schaut sich das Innenleben an.
Das Haus ist innen in Teilen im Rohbau belassen. Das sorgt einerseits für niedrigere Kosten, andererseits ist es die Basis für ein work in progress. Man muss nur die Ahnung zulassen, dass eine nichtverputzte Wand nichts zwangsläufig „ungemütliches“ oder unwohnliches hat.
Ziegel, Stahl, Beton: Standardbaumaterialien, die genau deshalb Verwendung finden. Vom Material her gibt es wenig zu bemerken, außer eben, dass ein jedes Material zu seinem spezifischen Recht kommt.
Der Sichtbeton ist von durchschnittlicher Qualität, was kein Problem ist, wenn die statischen Eigenschaften ausreichen. Perfekte Schalung wie bei den Stars ist haptisch cool, aber teuer. Unebenheiten, grobe Porung und suboptimale strukturelle Beschaffenheit sind das Ergebnis konsequenter Anwendung von Baustoffen auf den Zweck hin. Und es zeigt sich hier, dass Zweckmäßigkeit immer richtig ist.
Wer sich darauf einlässt, der spürt hier ein Zusammenspiel, eine Materialpräsentation, die herkömmliches Sehen nervös macht. Daran ist aber nicht das aktuelle Beispiel schuld, sondern es zeigen sich nur die pervertierten Anforderungen einer spätbürgerlichen, verlogenen Gesellschaft ans Material. Jeder scheinstützende Holzbalken im Neubau sollte uns mehr Magengrimmen bringen als der Anblick einer drittklassigen Sichtbetonwand, die ihre Arbeit tut.
Dabei läuft das Haus nicht Gefahr, als zweckinstrumentell betrachtet zu werden, denn die verputzte Wand ist kein No go, der Ölschinken an der Wand genauso wenig. Es ist eine Weiterentwicklung des Funktionalismus der 1920er und 30er Jahre, indem seine Relativierung ihn über sich hinaus weisen lässt. Das Haus genügt vermutlich allen funktionalistischen Ansprüchen, widersteht aber ihrer Zweckrationalisierung.
Die Bad-Kacheln sind wiederverwendete Berliner U-Bahn-Fließen.
Die Übergänge zwischen rohbelassen und behandelt sind unvermittelt, nicht kaschiert, direkt.
Das einzige, was ich vorwerfen könnte: Das Haus ist insgesamt eine Spur zu originell. Wenigstens EIN banales Ikea-Regal würde dem in der gesellschaftlichen Regressivität Verhafteten Sicherheit geben.
Das Haus gefällt mir außerordentlich gut. Schöne Atmosphäre. Wirkt unfertig und dadurch so interessant.
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Freut mich, geht mir genauso. Unfertig und deshalb interessant und jederzeit weiterentwickelbar. Schön ist auch, das Wissen zu haben über die Geschichte der verwerteten Materialien und über die Konstruktion. Auf diesen Aspekt ist unsere Gesellschaft ja eigentlich stolz: Selbst das Ruhrgebiet hat seine Geschichte entdeckt und man führt stundenlange Führungen durch, in denen die Geschichte von Werkzeugen und Materialien bewusst gemacht wird. Bei alten Gemäuer und alten Burgen ist man ganz versessen darauf, die Herkunft und die vorherige Verwendung von Baustoffen zu analysieren. Nur beim eigenen Haus ist es völlig wurscht, wo der Krempel anonym hergestellt wird, da wird bewusst alles verkleidet. Eine Form von Entfremdung, der sich dieses Haus entzieht.
Der heutige Hausbau ist, ähnlich der Produktion fast aller Alltagsgegenstände, völlig anonymisiert. Man kennt das Innenleben nicht mehr. Was beim Auto wegen der Komplizierheit noch nachzuvollziehen ist – man kapituliert und verkleidet – ist beim Haus unnötig.
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Vielleicht musst Du mal beim Herrn Schneck vorbei schauen (in meiner Blogroll). Der steigt in alte Türme, oder erforscht in alten Häusern ihre Geschichte durch schichtweises Abtragen. Sehr interessant, immer wieder.
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Den Schneck werde ich mir bei Gelegenheit zu Gemüte führen, danke. Wahrscheinlich noch in diesem Jahr. Länger als aus heutiger Sicht kann das Jahr ja nicht dauern. Ganz im Gegensatz zu gestern.
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Schön roh. Der Badschrank muss ein Fundstück sein (lach)
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