Neues aus Scheißland (2)

Samstags Vormittags bei der Post in Berlin-Kreuzberg, Hallesches Ufer: Eine Kundenschlange in S-Form durch die große Schalterhalle bis raus auf die Straße. Von neun Schaltern sind drei besetzt. Alle warten geduldig, schätzungsweise mindestens eine halbe Stunde, vielleicht auch eine ganze.

Die Deutsche Post 2012: Dividendenzahlung 846 Millionen Euro. Gewinn nach Steuern: 1,7 Milliarden Euro.

In einem vernünftigen Land würde man in solch einer Situation zumindest mal die Schalterhalle zerlegen. Im Täterland Deutschland warten alle brav. Selbst in Kreuzberg.

Während das deutsche Kapital dem Rest Europas gerade mal wieder klarmacht, an wessen Wesen die Welt zu genesen hat, wartet der Kreuzberger eine Stunde lang bei der Post, um ein Päckchen oder ähnliches abzuholen. Es ist diese Haltung, die irgendwann zuschlägt.

Man muss sich nicht wundern.

253 (2)(Foto: genova 2013)

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12 Antworten zu Neues aus Scheißland (2)

  1. tikerscherk schreibt:

    Nein, man muss sich nicht wundern.

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  2. neumondschein schreibt:

    … nein, muß man nicht. Wer aber so drauf ist wie Hans-Werner Sinn, der denkt sich nun, daß man jetzt in Deutschland die Marktwirtschaft einführen müßte, weil es die in Deutschland eben immer noch nicht gibt. Sonst würde ja direkt neben dem Postamt ein zweites aufmachen.

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  3. kadekmedien schreibt:

    »Es ist diese Haltung, die irgendwann zuschlägt.«
    Wirklich? Ich finde, diese Haltung ist bereits das Zuschlagen ;)

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  4. silberfink schreibt:

    Hast Du fein wieder alles in einen Topf geworfen und kräftig geschüttelt und gerührt. Somit verblöden selbst berechtigte Kritik und radikalste Forderungen zu nicht mehr als Reaktionen. DAS ist (leider noch immer) die Haltung die zuschlägt! Und wer sich darüber wundert merkt nichts mehr.

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  5. genova68 schreibt:

    silberfink,
    ich verstehe deinen Beitrag leider nicht, ich würde ihn aber gerne verstehen. Was habe ich zusammengerührt? Wie geht das: Kritik und Forderungen verblöden zu Reaktionen? Vielleicht drücke ich mich auch unverständlich aus, ich schreibe sowas nach einem Postbesuch in fünf Minuten, das ist für mich bloggen. Wolltest du lesen, dass ich fordere, die anderen sechs Schalter auch zu besetzen? Ok, dann hast du das hiermit getan. Mich hat mehr das konkrete Gefühl in dieser Situation interessiert. 50 Lemminge, die sich hinten anstellen und die Möglichkeit eines kurzen, unkontrollierten Ausbruchs.

    kadek,
    schön, dass du dich mal wörtlich meldest :-) Mit Haltung, die irgendwann zuschlägt, meinte ich nicht das spontane Zerlegen der Filiale, sondern die Regression, die irgendwann eintritt, wenn Anspruch und Wirklichkeit dauerhaft auseinanderklaffen. Das Ärgern, die Ohnmacht und das Dennoch-Anstellen. Die quälen dann vermutlich Tiere oder hauen ihr Kind grün und blau. Oder, wenn sie ein wenig konstruktiver sind, werden sie Terrorist. Statt einfach mal die Filiale zu zerlegen. Es würde auch Spaß machen, schätze ich.

    neumondschein,
    die Forderung von Sinn wäre ganz interessant. Jedes Kind im Vorschulalter könnte bei der Story eine Lösung bieten: Neun Schalter öffnen statt drei. In diesem Fall hätte eine Marktwirtschaft offenbar die Funktion, dass der Mensch sich selbst dieses simple Kombinieren, das Einfach-Abhilfe-Schaffen, das Verantwortung-übernehmen spart und stattdessen der unsichtbaren Hand all das überträgt.

    Wir leben offenbar wirklich in einer perversen Zeit.

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  6. „In einem vernünftigen Land würde man in solch einer Situation zumindest mal die Schalterhalle zerlegen. Im Täterland Deutschland warten alle brav. Selbst in Kreuzberg.“

    Gut gebrüllt! Im Täterland darf nämlich, vermutlich aus „demokratischen Gründen“ nichts mehr zerlegt werden, seien es AKWs oder die NPD.

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  7. niklgramm schreibt:

    Ich wundere mich schon seit Jahren, wenn ich wieder einmal auf einen 60 Minuten verspäteten ICE warten darf, dass dieser dann nicht schnell ‚mal in Kleinteile zerlegt wird… Man käme dann freilich noch später am Ziel an, aber ein solcher spontaner Akt wäre wenigstens ein eindeutiger Kommentar zu den „Leistungen“ dieses verprivatisierten Beinahe-Monopolisten! Deutschland ist, wie mir scheint, immer noch (oder wieder) das „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“, als das es Ulrich Sonnemann 1963 beschrieb.

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  8. kadekmedien schreibt:

    Ich hab Dich schon verstanden. Wollte mit meinem Kommentar nur ausdrücken, dass Das Ärgern, die Ohnmacht und das Dennoch-Anstellen das Zuschlagen resp. die Reaktion auf die Verhältnisse ist.

    Im Übrigen kommentiere ich nur deshalb so selten, weil Du immer exakt auf den Punkt kommst. Was bedarf es da meines Senfes? — Freut mich aber, dass es Dich freut :))

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  9. Chris(o) schreibt:

    Wenn ich nach meiner Auffassug zu lange in einer Schlange im Supermarkt stehe, frage ich gewöhnlich nach, ob noch eine weitere Kasse öffnen könne.Das hat bislang noch immer geklappt.
    Der Post traue ich allerdings zu, dass sie die Personaldecke so dünn hält, dass jede Bitte ohne Folgen bliebe. Dann würde ich meinen Unmut deutlich machen und den „Saftladen“ demonstrativ verlassen.Es gibt aber auch sicher weitere schöne Möglichkeiten, der Post auf die Nerven zu gehen?
    Eine „Systemkritik“ anstelle von Sofortbereinigung bleibt eben nur eine Systemkritik,die Du in unendlichen Varianten wiederholen kannst, ohne das geringste zu ändern.Wie heißt es so schön:“Keep your powder dry.“
    Soll heißen, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren und seine Kräfte nicht sinnlos zu verschleudern, wo ein einziger Satz schon die Lösung bringen kann.

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  10. genova68 schreibt:

    Nun ja. Ich habe ja gefragt, aber wie du, Chris, ganz richtig siehst, hat das nichts gebracht, die können ihre sechs weiteren Schalter nicht spontan besetzen. Und was ist denn verhältnismäßig? Die Schlange steht für eine neoliberale Politik, so gesehen ist die Zerlegung einer Filiale nicht verhältnismäßig, weil viel zu läppisch.

    Den Saftladen habe ich auch verlassen, aber der Brief lagert immer noch da.

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  11. Chris(o) schreibt:

    „aber der Brief lagert immer noch da…..“
    Ja, das ist der Preis des Widerstands…….

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