Merkel und Steinbrück sind alternativlos

Nennt man das Postdemokratie? Dieses wochenlange mediale Hypen einer Gesprächssendung, in der zwei nicht wählbare Kandidaten von zwei nicht genannten Parteien soldatenmäßig plappern?

Die Sprache, die Journalisten nutzen, um diese Form des Wahlkampfes zu beschreiben, ist entweder aus dem Fußball oder aus dem Krieg entlehnt: Ein Duell mit Sieger und Verlierer, jemand punktet und versenkt, ein Spiel dauert 90 Minuten. Mit Politik hat das nichts zu tun. Dann die vier Moderatorinnen und Moderatoren, die jeder einen Typus repräsentieren sollen: Die gewitzte Illgner, die charmante, weiche Will, der freche Raab und der seriöse Klöppel. Mein Gott, wie lächerlich.

Schließlich die Nachbetrachtung bei Günter Jauch. Alice Schwarzer und Paul Breitner erklären die Welt. In solchen Momenten zeigt sich, wie weit die Massenverblödung fortgeschritten ist. Es stellt sich die Frage nach der Möglichkeit des Entrinnens.

„Authentisch“ habe ich gestern Abend wiederholt gehört. Wer war authentischer? Wer sich mit diesem Begriff befassen will, schaue sich die Elefantenrunden aus den Siebzigern an: Vier bis fünf Teilnehmer, open end, ernsthaft, auch ernsthaft empört. Man vergleiche das mit dem Duell vom Sonntag und der Authentizität.

Das inhaltich einzig Interessante: Steinbrück erwähnt die Kommunistische Plattform, um eine Beteiligung der Linken an einer Regierung und damit die Umsetzung seiner eigenen Wahlversprechen unmöglich zu machen.

Das lustigste Argument für dieses Format: Die Sendung sei sinnvoll für die vielen Menschen, die sich nicht mit Politik beschäftigen und nun am Sonntagabend gezwungen seien, sich das Duell anzuschauen, mangels Alternativen. Diese Menschen wissen nun folgendes: Es stehen am 22. September zwei Kandidaten zur Wahl. Die eine heißt Merkel und hat volles Haar, der andere heißt Steinbrück und hat eine Halbglatze. Es gibt keine Parteien, es gibt auch sonst nichts. Es gibt nur Stimmvieh.

Merkel und Steinbrück sind alternativlos.

Man nennt es wohl wirklich Postdemokratie. Passt ins Konzept.

P.S.: Die Nachdenkseiten zum Duell:

In Wahrheit, war das gar kein Duell mit Argument und Gegenargument, es war keine Debatte in der Sache, sondern bestenfalls ein Austausch von zuvor auf ihre Wirkung auf den Zuschauer getesteten und auf bestimmte Wählergruppen abgestimmten Sprechformeln – eine Choreografie der Wahlkampfstrategen und Spin-Doktoren.

052(Foto: genova 2013)

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14 Antworten zu Merkel und Steinbrück sind alternativlos

  1. Motherhead schreibt:

    Ich stimme zu, verstehe aber nicht, was das mit den im Tierpark Hellabrunn überall aufgestellten Elefanten-Kondomen zu tun hat.

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  2. genova68 schreibt:

    Assoziationen. Kondome war eine von mir, man schützt sich vor etwas, beispielsweise vor schlechten Fernsehsendungen oder man schützt seine Wahlstimme vor der Urne. Dazu kommen die Farben, analog zum politischen Farbenspiel. Und natürlich die Assoziation Recycling-Mülleimer, hat auch was mit Wahlurnen zu tun.

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  3. Garfield schreibt:

    Es stellt sich die Frage nach der Möglichkeit des Entrinnens.

    es gibt eine: gar nicht erst einschalten…

    ich finde es schon einen Witz, daß sich da 2 Kandidaten „duellieren“, auf deren Wahl wir gar gar keinen Einfluß haben; soweit ich weiß stehn noch auch mehr als nur 2 Parteien zur Wahl.
    Allein daß mit so nem Format suggeriert wird, es gäbe nur diese 2 Möglichkeiten, ist eigtl schon unlautere Einflußnahme…

    als diese „Duelle“ vor ein paar Jahren aus den USA hierhin kopiert wurden, wurde sowas auch noch hinterfragt, wenn ich mich richtig erinnere… heute sind diese „Duelle“ schon selbstverständlich & zur Meinungsfindung scheinbar unverzichtbar.

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  4. hANNES wURST schreibt:

    Ich fands auch grottig, habe mir aber alles reingezogen, inkl. Talk und erneuter Zusammenfassung in den Tagesthemen. Danach ein Gefühl tiefer Agonie und Leere, es hatte etwas für sich. Heute Abend die Fortsetzung mit den Parteien aus der zweiten Reihe, bedauerlicherweise ohne Piraten (ich habe beschlossen ihnen auch die Erststimme zu geben), aber ich schaue es mir an, diesmal verstärke ich die Wirkung mit Alkohol. Hoffentlich holen sie Alice Schwarzer für eine Nachbesprechung wieder aus dem Aquazoo, herrlich, wie diese Frau weiterzetert auch wenn Sie gerade erwiesenermaßen Unsinn abgegeben hat (Betreuungsgeld).

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  5. besucher schreibt:

    In der Nachbetrachtung habe ich noch die lose Kanone Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Stern-Chefredaktion gesehen. Immer dieselben Gesichter dort.

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  6. genova68 schreibt:

    garfield,
    meine Rede.

    HannesWurst,
    du wählst die Piraten? Ich schwanke noch zwischen FDP und NPD, mal sehen, was die Wahlspots hergeben.

    besucher,
    der Jörges, ja, wenn er nur ein wenig mehr Tiefgang hätte in seinen Betrachtungen. Aber das ist immer direkt Stammtisch.

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  7. Der Wahlberliner schreibt:

    Auch gestern, als das Thema aufkam, hat interessanterweise niemand darauf hingewiesen, dass die im hiesigen Beitrag angesprochenen „Elefantenrunden“ nicht vor, sondern nach der Wahl abgehalten wurden. Das macht einen großen Unterschied. Die Wahlkämpfe waren aber damals auch peppiger ;-).

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  8. Jakobiner schreibt:

    Das Ganze ist noch viel abgründiger. Nicht einmal auf die wenigen politischen Statements wird eingegangen–nein, das (weibliche) Deutschland redet jetzt nur noch über die Schlandkette Merkels.Und diese Nachbetrachtungen sind auch immer derselbe Scheiß: Wer ist besser rübergekommen, wie war die Körpersprache,wer war offensiver, wie war die Rhetorik, wer hatte mehr Tweeterfollower–um Inhalte geht es da kaum noch. Und richtig ist: Zweierduelle erwecken den Eindruck man habe iohnehin nur die Wahl zwischen zwei Alternativen.

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  9. Garfield schreibt:

    ich muß meinen ersten Kommentar übrigens korrigieren:
    nicht nur SPD & CDU kriegen ein „Duell“ – mit Der „TV-Dreikampf“ bekommen auch FDP, Grüne & Linke noch ihre „Chance“.

    wenn ich das Motto „Die kleineren Parteien begehren auf“ mit den Umfragen der SPD vergleiche, frag ich mich aber ob Steinbrück in der richtigen Sendung war … und auch wenn man sich dazu herabgelassen hat, sogar mal Vertreter der Linken einzuladen, fehlen da mWn trotzdem noch ein paar Parteien

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  10. Chinook schreibt:

    Das Format ist mit Sicherheit nicht ideal. Allerdings war es die einzige Möglichkeit Kontrahenten in direktem „Austausch“ zu sehen. Grundsätzlich keine schlechte Idee. Insbesondere, wenn selbst in Zeiten des Wahlkampfes eine inhaltliche Auseinandersetzung ausbleibt, gerade Merkel könnte dadurch wenig gewinnen, ginge jedoch ein Risiko ein. Im grunde sehe ich darin ein Abwenden althergebrachter demokratischer Spielregeln, was dadurch erleichtert wird, daß die SPD zu blöd ist und war, einen inhaltlichen Wahlkampf zu führen. Für eine soziale Profilschärfung haben sie ohnehin den falschen Kandidaten aufgestellt und ein paar Wochen vor der Wahl braucht man das Kaninchen nicht versuchen aus dem Zylinder zu zaubern.
    Das große Problem bei solchen Formaten sehe ich auch darin, daß es nur mit Moderatoren funktionierte, die das Risiko eingehen hinterher als unverschämt und respektlos dazustehen, weil sie eben nachhaken, darauf bestehen daß die Kandidaten die gestellten Fragen beantworten und diese strikt unterbrechen, wenn diese anstatt der Frage irgendwas ausführlich erzählen, weil sie wissen – wenn man sich nicht unterbrechen läßt und noch zwei Minuten draufpackt, bleibt nicht genug Zeit für andere Themen, die eigentliche Frage ist dann vom Tisch und es geht weiter im Themenprogramm. Aber ob dann überhaupt noch ein Kandidat an einer solchen Veranstaltung teilnehmen würde? Die heutigen „Größen“ der Politik haben, meiner Ansicht nach, schlicht nicht das Format in einer direkten, offenen, tieferen, öffentlichen Auseinandersetzung zu bestehen. Das sind eben Professionals die wissen wie man in einer Partei nach oben kommt, weshalb sie sich für in wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, innen- und außenpolitischen Themen für bewandert halten. Die Realität ist, die sind noch zu blöd sich vernünftige Berater auszusuchen, in anderen Bereichen als Eigenmarketing. Das eigentlich erschreckende ist, daß dies mittlerweile ausreicht. Politik als Schaulauf der Eitelkeiten und eben nichtmehr als Raum für demokratische Austausch- und evtl. Ausgleichsprozesse. Für viele Bürger sichtbare und nachvollziehbare demokratische Prozesse sind immer weniger zu sehen – trotzdem wundert man sich, daß unter der Voraussetzung immer weniger Bürger deren Wert schätzen und daran teilnehmen wollen.
    Das Problem des Formats ist, daß die Moderatoren es eben nicht schaffen eine offene Auseinandersetzung zu erzwingen, die von einer Dynamik gekennzeichnet ist, in der Standardfloskeln nichtmehr funktionieren – auch weil die Moderatoren jene zur Not selbst aufdecken und gut vorbereitet nachhaken.

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  11. Chinook schreibt:

    Im Rahmen dieses Formats und seiner Ausrichtung haben Raab und Will sich ganz gut geschlagen. Gut finde ich Raabs Verweise auf den Wahl-o-mat. Wobei es nun nicht der Idealzustand ist eine Wahlentscheidung von 20+X Ja/Nein Fragen abhängig zu machen. Aber wenn es dazu führt, daß Leute sich fragen warum sie welches Ergebnis haben und sich die ein oder andere Parteienposition genauer ansehen – warum nicht.

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  12. genova68 schreibt:

    Wahlberliner,
    die Elefantenrunden wurden bis in die 1980er Jahre meines Wissens vor den Wahlen abgehalten. Was du meinst, sind vermutlich die Runden mit den Parteivorsitzenden am Wahlabend, nach Schließung der Wahllokale.

    Die Sendung mit den drei kleinen Parteien vom Montag: Absurd, dass sich da drei Leute miteinander streiten müssen, nur weil die beiden Großen nicht kommen.

    Diese Diskussionsteilung ist typisch für den neueren Umgang der Medien mit der Kanzlerin: Sie wird behandelt wie eine Königin, Ungemach dringt nicht mehr zu ihr vor. Merkel würde in einer finanzpolitischen Diskussion mit Fachleuten keinen Stich machen. Schon mit einem Gegenüber wie Lafontaine wäre sie geliefert. Man würde merken, dass sie nur floskeln kann, inhaltlich nicht weiß, wovon sie redet. Deshalb kommt es nie zu solchen Gegenübertstellungen. Merkel geht nur ins TV, wenn sie Statements halten darf. Die Journalisten machen es mit. Auch das ist Teil von Postdemokratie.

    Chinook,
    bei der SPD nennt man diese neuen Parteivertreter, die vor allem an ihre Karriere denken, Netzwerker. Andere gibt es dort vermutlich nicht mehr.

    Ich finde schon, dass die SPD einen inhaltlichen Wahlkampf führt: Mieten, Betreuungsgeld, Mindestlohn, Vermögensabgabe und mehr. Nur nimmt dem Steinbrück das niemand ab.

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  13. Jakobiner schreibt:

    Bezeichnend, worüber alle Parteien zur Zeit nicht sprechen und auch nicht die Duellmoderatoren: Über die Schattenbanken.So erfährt man beiläufig, dass dieses Thema ein wichtiger Punkt bei dem G-20-Treffen ist, da sich hier wieder 67 Billionen Euro akkumiliert haben und dieser Bereich nun schnell reguliert werden soll–wogegen sich wieder City of London und Wallstreet stellen. Das bedeuet, falls diese Regulierung nicht bald geschieht, dass wir aus diesem Bereich eine noch viel gigantischere Finanzkrise als 2008 in Bälde zu erwarten haben.

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  14. genova68 schreibt:

    Es fällt ja derzeit generell auf, dass alles via Wahlkampf läuft. Für grundsätzlichere Betrachtungen ist dies die falsche Zeit. Es wird vermutlich ganz interessant, wenn nach dem 22. September der Euro, Griechenland und hohe Geldbeträge in die Medien zurückkehren.

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