Potsdam: Hauptstadt des hässlichen Deutschen

In Potsdam regiert die Reaktion. D0rt wird seit rund 20 Jahren der deutsche Rechtsschwenk sichtbar, viel mehr als in Berlin und anderswo, auch wegen des generalstabsmäßigen Umbaus von Teilen der Innenstadt ins Autoritäre. Leute wie Günter Jauch stehen dafür und natürlich der SAP-Mitgründer Hasso Plattner. Geradezu erschreckend schnell haben die Kaisertreuen das Potsdamer Stadtschloss wiederaufgebaut.

Besonderer Clou: Einziehen wird dort Anfang kommenden Jahres der brandenburgische Landtag. Den Ausschlag für das Schloss gab Herr Plattner, der 20 Millionen Euro spendete (sein Gesamtvermögen: 7,2 Milliarden Euro), aber nur unter der Bedingung, dass die originalgetreue Fassade an den Betonkasten geklebt wird. Der rechte Architekturkritiker Dankwart Guratzsch, in Diensten Springers, schrieb 2009 in dankenswerter Offenheit:

Mit seiner Zusage, zur Rekonstruktion der Hohenzollernresidenz zwanzig Millionen Euro beizusteuern, wenn der Bau in seinen historischen Fassaden wiederersteht, setzte er die brandenburgischen Volksvertreter unter Druck.

Jauch wollte beim Unter-Druck-Setzen nicht zurückstehen und gab, zusammen mit anderen, 3,5 Millionen Euro für die Rekonstruktion eines Tores, dem Fortunaportal.

Man kann dankbar sein für die Lektion, wie Demokratie unterm Kapital funktioniert: Es entscheidet der mit dem meisten Geld. Dagegen erscheint das Dreiklassenwahlrecht fast radikaldemokratisch.

087 Auf dem Gerüst stehen Vertreter der Arbeiterklasse. Sie arbeiten für die Restaurierung typisch deutscher Verhältnisse.

Nebenbei: Die „Original-Rekonstruktion“ ist keine, beispielsweise wurden aus seinerzeit sieben unterschiedlichen Fenstermaßen nun zwei. Deshalb kann nur etwa ein Drittel der noch vorhandenen Fassadenfragmente verwendet werden. Das ist bemerkenswert angesichts der Überhöhung des Architekten Knobelsdorff durch die Schlossbefürworter. Um exakt nachgestellte Raumwirkungen und Atmosphären geht es offenbar doch nicht, schon gar nicht um eine kritische und authentische Vermittlung von Geschichte. Vereinheitlichung ist halt ökonomischer, außerdem sind Attrappen im Walt-Disney-Stil einfacher zu vermarkten.

Der Architekturhistoriker Plattner fuhr übrigens kürzlich an der neuen Schlossfassade vorbei und war laut Märkischer Allgemeiner (Print, 24. August) begeistert:

Die durch ihn ermöglichte Fassade wirke so echt, dass Unkundige glaubten, hier sei ein bestehendes Schloss lediglich saniert worden.

Schön, wenn man sich über die Täuschung Unkundiger so freuen kann. Vielleicht kam er ja mit der Täuschung Unkundiger auch zu seinen sieben Milliarden. Es erinnert an den Neumarkt in Dresden, wobei man dort noch unkundiger sein muss als in Potsdam, um auf die Täuschung hereinzufallen.

Der Schlossbau in Potsdam ist auch deshalb interessant, weil mit Macht die Tilgung aller DDR-Zeichen betrieben wird. Für das Schloss und diverse noch zu errichtenden alten Paläste werden drei moderne und respektable DDR-Bauten abgerissen, in denen derzeit die FH Potsdam untergebracht ist.

090Links das Jauch-Tor, aufgebaut, daneben der DDR-Strukturalismus, demnächst abgebaut

„Wer DDR-Architektur sehen will, soll nach Schwedt oder Eisenhüttenstadt fahren.“

Sagt die mittelalte Aufpasserin in der temporären roten Informations-Box „Schaustelle Landtag“. Sie repräsentiert den preußisch-dumpfen Untertan. Sie gibt zwar zu, dass die DDR-Architektur heute genauso geshreddert wird wie nach dem Krieg die monarchistische, aber „die ist halt schön.“ Sie kommt schnell ungefragt auf einen politischen Aspekt der Sache: „Die Ausländer haben keine Probleme mit Nationalstolz, nur wir haben die.“ Seien wir also stolz auf den König.

Die doch recht aggressive und ungefragte Verteidigung des Schlosses lässt den Rückschluss zu, dass in der Schaustelle schon öfter kritische Besucher vorbeikamen.

Es ist die simple Rekonstruktion visuell-monarchistischer Verhältnisse, es ist ein halbes Stadtviertel, das dort wieder aufgebaut wird. Unter anderem wird direkt neben den Landtag ein altes Palais hochgezogen, in dem König Plattner I. seine private Kunstsammlung zeigen darf. Seine Machtprobe mit der Stadt – er wollte seine Bilder ursprünglich in einem Neubau zeigen, der aber nur exakt dort hätte errichtet werden dürfen, wo heute noch ein schickes DDR-Hochhaus steht – hat er verloren.

(Es wäre nebenbei einmal interessant, sich mit Plattner unter psychologischen Aspekten zu befassen: In seiner Heimat, der Rhein-Neckar-Region, ist er ein kleiner, umtriebiger Gott, ein sozialer Übermensch, ohne den wenig geht. In Potsdam sind schon Straßen nach ihm benannt, obwohl er noch lebt. Einzigartig in Deutschland, vermute ich.)

Potsdam entwickelt sich also seit Jahren „zur strahlenden Preußen-Metropole mit rapide wachsender Bevölkerung und geringer Arbeitslosigkeit“. Die Kehrseite ist halb so wild:

Das Zentrum wird herausgeputzt, doch die Menschen in den Plattenbau-Bezirken fühlen sich abgehängt. Steigende Mieten und fehlende Kitaplätze sind der Preis in einer Stadt, die zum begehrten Wohnort von Prominenz und Bürgertum geworden ist.

In gewisser Weise spielen Jauch, Plattner und Konsorten die Rolle der ostelbischen Junker, aber zeitgemäß aufpoliert.

Locker, innovativ, wissbegierig, neugierig, transparent, nachhaltig, wissensgesellschaftlich, so wie man heute halt zu sein hat. Dabei aber reaktionär bis auf die Knochen. Unvergessen die ersten 20 Minuten (weiter kam ich nicht) von Jauchs Sonntags-Talkshow vom vergangenen Herbst, als Steinbrück der einzige Gast war und Jauch nur Stichwortgeber. Jeder Schülerzeitungsredakteur hätte bessere Fragen gestellt.

So geht Machtausübung in Preußen heute. Da braucht es keine riesigen Ländereien mehr und kein Spießrutenlaufen. Man präsentiert einem Millionenpublikum am Abend einen möglichen Statthalter des Kapitals, dieses Mal mit SPD-Parteibuch, aber das ist egal.

Andererseits: Das Schloss ist eine im Prinzip ehrliche Architektur. Politiker haben immer weniger zu sagen, die kapitalistische Kraft des Faktischen regelt das, was es zu regeln gilt. Ein Schloss ist ein bisschen Guttenberg: Glamour, Stilsicherheit, schön formal. Via Yellow Press kann man so das Volk mitnehmen auf dem weiteren Weg in die komplette Kapitalisierung. Der Demokratie fehlt es an diesem Glamour. Eiermann oder Behnisch, da wird kein Auge feucht.

Zurück zur Scheißstadt Potsdam: Überall Sanssouci, überall Fritz the Great, überall der Versuch, die Monarchie in gute Geschäfte zu übersetzen, überall hochwertiges Eis und hochwertiger Tand als Distinktionsangebot fürs Kleinbürgertum. Es ist diese Verbindung von banalem Tourismusgeschäft und politischer Entmündigung via historischer Klitterung, spürbar auch in den anderen sogenannten Leuchttürmen der Ex-DDR. Dresden ist nicht besser. Dazwischen das NPD-Meer. Dort, wo der ostdeutsche Bürger stolz auf sich ist, ist er es in seinem Rechtsdrift, der sich architektonisch und anders ausdrückt. Gedemütigt und entmündigt, seiner Wurzeln beraubt, passt er sich hektisch dem West-Establishment an und eröffnet italienische Lokale, wo er löslichen Espresso serviert oder er applaudiert eben dem Schlossbau. Unvergessen, dass eben dieser Ostbürger vor ein paar Jahren Sarrazin zujubelte wegen seiner These vom dummen Südländer, wo jener doch auch geschrieben hatte, dass der Ostdeutsche ebenfalls dumm ist und hinderlich für die Auslese.

Hauptsache nach unten treten. Der hässliche Deutsche in seinem Element. Spätestens ab kommendem Jahr hat er eine neue, alte Heimstatt.

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10 Antworten zu Potsdam: Hauptstadt des hässlichen Deutschen

  1. alphachamber schreibt:

    „…seit rund 20 Jahren der deutsche Rechtsschwenk …“
    Ja, und zwar so sehr, dass den Linken die Programmpunkte ausgegangen sind. Auf welchem Meridian befinden Sie sich?
    Falls Sie die Richtungen verwechseln: Rechts ist da, wo der Daumen links ist!

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  2. Peleo schreibt:

    Danke für die Info, in der Provinz erfährt man sonst wenig davon. Funktionsfähige Gebäude abzureißen, nur um DDR-Spuren zu beseitigen, ist schon krass.

    Andererseits: Auch in Polen wurden Städte wie Danzig wieder „originalgetreu“ aufgebaut. Reaktionär? Nostalgisch? Oder doch was anderes?

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  3. genova68 schreibt:

    alphachamber,
    zwischen Parteiprogrammpunkten und der realen Welt gibt es meist Unterschiede. Die realen Ergebnisse der Politik der vergangenen 20 Jahre sind eindeutig. Kurz: Die Reichen werden reicher, die Armen zahlreicher. Hätte es den von dir angedeuteten Linksschwenk gegeben, würden die Ergebnisse anders aussehen. Praktische Politik muss an den Ergebnissen in der Praxis gemessen werden. Aber ich weiß, es gibt die von rechts gestrickte Legende der „Sozialdemokratisierung“ der CDU, vermutlich, weil die aktuell Schwule nicht mehr als krank bezeichnen. Immerhin, ein Erfolg.

    Peleo,
    zu Danzig und analog Warschau habe ich einmal das hier geschrieben. Dort findet sich der Versuch einer Antwort auf deine Fragen:

    Rekonstruktion und Geschichte (1): Warschau

    P.S.: In Bezug auf meine im Artikel gemachte Bemerkung, dass jeder Schülerzeitungsredakteur kritischer fragen könne als Jauch, eine aktuelle Meldung bei Spiegel-Online:

    „Armutsfalle“, „Klientelpolitik“: Daniel Bahrs Idee einer privaten Krankenversicherung für alle Bürger stößt auf massive Kritik der Opposition. Schülerreporter hatten dem FDP-Minister den Vorschlag entlockt.

    Es braucht offenbar tatsächlich Amateure, um auf solch fundamentale Fragen zu kommen.

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  4. walterfriedmann schreibt:

    Hat dies auf walterfriedmann rebloggt.

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  5. Chris(o) schreibt:

    Gibt es auch große Stiftungstafeln, die die edlen Spender ins rechte Licht rücken.Ich find, das müsste sein.

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  6. genova68 schreibt:

    Kommt bestimmt noch.

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  7. alphachamber schreibt:

    Hallo!
    Danke für Ihre Stellungsmahme.
    „…Die Reichen werden reicher, die Armen zahlreicher. Hätte es den von dir angedeuteten Linksschwenk gegeben, würden die Ergebnisse anders aussehen…“ Das ist die sophistische Logik von Poppers „weißen Schwänen“. Links/rechts sind Richtungsangaben, keine Kompetenzskala. Schauen sich sich im „linken“ China um. Hier geht es eben nicht mehr um einfaches links vs. rechts, sondern um chaotische, eben richtungsLOSE Strukturen. Der Altruismus und unsere verdammte Mischwirtschaft fordern Ausgaben für Sozialprogramme die doch real sind. Aber sie funktionieren nicht, eben WEIL sie kollektivistischen Idealen folgen.
    Grüße

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  8. genova68 schreibt:

    Ein weites Feld, alphachamber. Unsere Sozialsysteme funktionieren nicht, weil sie kollektivistischen Idealen folgen? Was heißt das denn? Jeder HartzIV-Fall wird einzeln geprüft, nur mal als ein Gegenargument. Und was ist eine Mischwirtschaft?

    Popper und die Schwäne: Es geht hier nicht um EINEN schwarzen Schwan, der die These widerlegte, sondern es geht um Tendenzen. Im gesellschaftspolitischen Diskurs wäre die Aussage, dass alle Schwäne weiß sind, praktisch richtig, denn da bestätigen Ausnahmen die Regel.

    Dass China links ist, hat meines Wissens seit Dekaden niemand mehr behauptet.

    Sie können der CDU oder überhaupt den Konservativen anrechnen, dass sie einige Positionen aufgegeben haben. Man nennt das Zeitgeist. Eine tiefere Analyse brächte da aber Interessantes zum Vorschein. Beispielsweise wurde das konservative Ideal der zuhausebleibenden und die Kinder erziehenden Mutter ad acta gelegt, weil es der Kapitalverwertung im Wege steht. Diese armen Konservativen haben gegen die Neoliberalen wie März oder Opportunisten wie Merkel keine Chance.

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  9. Anselm Weidner schreibt:

    Wer über Potsdam als ‚Hauptstadt der häßlichen Deutschen‘ schreibt,
    sollte über den geplanten Wiederauf der Garnisonkirche und den
    in den letzten Monaten zunehmend stärkeren Widerstand dagegen nicht
    schweigen! In 9 Wochen wurden über 11.000 der für den Bürgerentscheid benötigten 13.500 Unterschriften gegen dieses wahrscheinlich reaktionärste Wiederaufbauprojekt der Republik gesammelt! Manches spricht dafür, dass die Gegner dieses Projekts (die Garnisonkirche u.a. als das Symbol der fatalen Einheit von Staat und Kirche/Thron und Altar) stärker sind als die unselige Kolaition von Wirtschaft, Politik, Militär und Kirche (s. Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche!), die den Wiederaufbau betreibt. Die AktivistInnen von ‚Für ein Potsdam ohne Garniusonkirche‘ rufen gerade zum Endspurt auf; bis Ende Juni sollen die nötigen Unterschriften gesammelt sein.
    s.website: http://buergerbegehrengarnisonkirche.wordpress.com/
    Mehr Demokratie wagen – PotsdamerInnen fragen. Es stünde der Stadt und der Republik gut an, das 100-Millionen-Projekt aus dem Geist des deutschen Rekonstruktionswahns, zu verhindern.
    Anselm Weidner
    http://anselm-weidner.de/ruf-und-widerruf-der-streit-um-den-wiederaufbau-der-garnisonskirche-in-potsdam/

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  10. genova68 schreibt:

    Bei der Garnisonskirche kommt der Rechtsdrall der aktuellen Eliten und ihres kleinbürgerlichen Gefolges besonders deutlich zum Ausdruck. Viel Erfolg für eure Initiative!

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