Über eine Provinzzeitung und irreparable Fehler

Beim Aufräumen gefunden: Ein Kommentar aus der Tageszeitung Mannheimer Morgen vom 13. April (S. 2), also dem Wochenende, an dem die SPD in Augsburg ihren Parteitag abhielt. Ein Steffen Mack schreibt über Steinbrück, die SPD und ihre Wahlchancen:

Wenigstens können sich die Genossen damit trösten, mit ihrem Thema soziale Gerechtigkeit den Nerv der Zeit zu treffen. Allerdings wirken sie da nur bedingt glaubwürdig, weil Teile der Partei mit der Agenda 2010 auch nach zehn Jahren noch hadern. Dabei ist sich abseits der deutschen Linken die Menschheit weitgehend einig, dass die Reformen – trotz der einen oder anderen Ungerechtigkeit – bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit recht hilfreich waren. Dieses Erbe sollte die SPD im Wahlkampf nicht verschleudern. Das könnte ein wirklich irreparabler Fehler sein.

Glaubhaft für soziale Gerechtigkeit eintreten geht nur mit einem lupenreinen Bekenntnis zur Agenda 2010. Ich habe an diesem Wochenende noch mehrere andere süddeutsche Zeitungen gelesen, die sich mit der SPD befassten. In allen standen ähnliche Meinungen.

Die SPD steht in den Umfragen also deshalb so schlecht da, weil sie sich nicht ohne Wenn und Aber zur Agenda 2010 bekennt. Eine mutige Einschätzung. Die SPD schaffte 1998 im Bund noch 43 Prozent, dann ging es bergab. 2009, am Ende ihrer Regierungszeit, lag sie bei 23 Prozent. (1972 erreichte die SPD unter Brandt sogar 46 Prozent.)  Nach Meinung von Steffen Mack hätte sie sich also nur ohne interne Diskussionen zur Agenda bekennen müssen, dann läge sie jetzt auch noch bei 43 Prozent. Die „Linke“ ist schuld. Die Nörgler sind schuld.

Die SPD steht demnach nicht deswegen schlecht da, weil sie jahrelang aktiv Politik gegen ihre eigenen Wähler betrieb, weil die Realeinkommen sinken, weil die Einkünfte aus Kapitalvermögen massiv zugenommen haben, weil es Millionen Niedrigverdiener gibt, Leiharbeiter mit 30 Prozent Lohneinbuße, sinkende Renten, sinkende Gesundheitsleistungen, sinkende Leistungen des öffentlichen Dienstes, weil irgendwelche Bonzen sich damit rühmen können, Tafeln zu unterstützen, weil Deutschland unter einer SPD-Regierung zum drittgrößten Waffenexporteur weltweit aufgestiegen ist, weil die mächtigen Konzerne mit SPD-Hilfe noch mächtiger geworden sind, weil die Lohnquote zwischen 2000 und 2006 von 72 auf 67 Prozent gefallen ist (was bedeutet, dass jährlich viele Milliarden Euro mehr vom Kuchen nun auf der Kapitalseite landen), weil sie eine aggressive Politik des billigen Exports auf Kosten der Lohnabhängigen hierzulande und anderswo betrieb, mit allen nun bekannten Effekten, weil eine aggressive deutsche Politik des Sonderwegs auf Veranlassung der SPD eingeführt wurde, wovon Kohl nur träumen konnte; kurz: weil die SPD seit mehr als zehn Jahren real die Politik der FDP betreibt. Nein, das alles kommt in der Welt des Herrn Mack nicht vor. Grund für das schlechte Abschneiden ist, dass sich der linke Flügel der SPD nicht genauso eindeutig wie der Seeheimer Kreis zu dieser FDP-Politik bekennt. Die bösen Linken, die das „Erbe“ der Agenda einfach nicht anerkennen wollen.

Wobei ich mich frage, wen konkret Mack denn meint? Wo sind denn die Linken in der SPD, die sich alle Nase lang beschweren?

Lustig auch die Gegenüberstellung von „deutschen Linken“ und der „Menschheit“. Deutsche Linke sind offenbar etwas Aussätziges, etwas Anstößiges, etwas, das nicht zur Menschheit gehört, sondern fremd ist, am Rand steht. Und die sind schädlich, bitte nicht beachten. Die Menschheit ist universal, und die weiß Bescheid.

Lustig darüber hinaus, dass irgendwer in der SPD noch als links betrachtet wird.

Also, liebe SPD: Bekennt euch bitte ab sofort und zumindest bis September zu eurer Politik, die Reichen reicher und die Armen zahlreicher gemacht zu haben: Dann werdet ihr sicher den nächsten Bundeskanzler stellen. Sagt Experte Steffen Mack.

Schrottzeitungen wie den Mannheimer Morgen lesen, wenn man sich informieren will: Das könnte ein wirklich irreparabler Fehler sein.

035(Foto: genova 2013)

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7 Antworten zu Über eine Provinzzeitung und irreparable Fehler

  1. Jakobiner schreibt:

    Als wäre diese Sichtweise der Begrenztheit einer Provinzzeitung geschuldet: FAZ, Welt, SPIEGEL, FOCUS, SZ und taz erzählen doch dasselbe.Wie zahlreich sind denn die Kritiker der Agenda 2010 in diesen Mainstreammedien oder bei den Grünen und der taz?Da habe ich auch noch nichts wesentliches gehört.

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  2. genova68 schreibt:

    Zweiter Satz: Du solltest genauer lesen. Ich habe nicht von Kritikern der Agenda gesprochen, sondern von der Sichtweise, dass die Linken in der SPD die Schuld tragen, sollte Steinbrück nicht Kanzler werden.

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  3. Jakobiner schreibt:

    Nun wird nicht nur die Linke verantwrotlcih für den Zustand der SPD gemacht, sondern auch die Sozilistische Internationale.Die SPD möchte sich auch von dieser distanzieren und mit New Labour, US-Demokraten und 68 anderen sozialdemokratischen Parteien die sogenannte „Progressive Allianz“ gründen.Damit möcht man sich endgültig vom Sozialismus verabschieden und jede Namensähnlichkeit vermeiden.Die PA dürfte wohl ein Seeheimer Kreis global werden.

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  4. genova68 schreibt:

    Progressive Allianz: Der Name klingt nach Werbeagentur. Am meisten freut die SPD vermutlich, dass das hässliche Wörtchen „sozialistisch“ verschwunden ist. Als nächstes sollten sie sich daran machen, das Ziel des demokratischen Sozialismus aus ihrer Präambel zu streichen. Diese Partei ist wirklich komplett im Arsch.

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  5. Jakobiner schreibt:

    Na, dann warten wir einmal ab, bis der Seeheimer Kreis und jüngere Jusos auch noch fordern werden, daß das Wort „sozial“ auch schon zu sozialistisch links und dazu zu wenig progressiv klingt.

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  6. Jakobiner schreibt:

    ZUr Gründung der Progressiven Allianz jubelt Springers WELT auch noch:

    „Erleben wir ein Ende des linken Antiimperialismus?
    Unter Führung der SPD wandelt sich die europäische Linke: Sie distanziert sich von antiwestlichen und oft antisemitischen Kräften und will eine Alternative zur Sozialistischen Internationale gründen. “

    Also Antiimperialisten, vorsichtig–bald werdet ihr alle als Antisemiten und neue Nazis verunglimpft.

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  7. genova68 schreibt:

    Dass die Welt von Sozialismus nicht hält, hätte ich mir jetzt fast gedacht ;-)

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