Über ungeklärte Identitäten und Flüchtlingsblut

Die Blut-und-Boden-Logik ist in Deutschland wohl nicht erst seit 1871 en vogue und nach wie vor ist dieses Land in seinen Rahmenbedingungen völkisch-nationalistisch.

Übertrieben? Was ist dann von folgendem Fall zu halten, der gestern im WDR-Fernsehen gezeigt wurde: Ein Zwanzigjähriger ist in Essen geboren, hat immer dort gelebt, wird von den Behörden aber als „geduldeter Flüchtling mit ungeklärter Identität“ kategorisiert. Grund: Sein Vater flüchtete in den 1980er Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon und verheimlichte seine „türkischen Wurzeln“, um hierbleiben zu dürfen. Nach der Logik der Behörden fließt in den Adern des Vaters offenbar Flüchtlingsblut, das er seinem Sohn qua Zeugung weitergibt.

Wir haben also einen Menschen, den man faktisch als Uressener bzeichnen kann, dessen „Identität“ aber „ungeklärt“ ist. Das behauptet nicht etwa die NPD, sondern die Essener Ausländerbehörde. Kann man sowas staatlich garantierten Rassismus nennen?

Der ungeklärte Essener spürt die Folgen dieser Logik täglich: Er darf keinen Führerschein machen (was er für seinen Job braucht, weswegen er dort jetzt rausfliegt), darf laut eigener Aussage NRW nicht verlassen, kriegt einen Job nur, wenn sich kein „Deutscher“ dafür findet, und  ist von Abschiebung bedroht. Nochmal: Das erlebt ein zwanzigjähriges Essener Urgestein, der außer Essen wohl noch nicht viel gesehen hat von der Welt. Ein nichtgeflüchteter Flüchtling. In der Logik einer staatlichen Behörde offenbar nicht unlogisch.

Die Geschichte erzählte der WDR übrigens in einem Film über Sarrazin, eineinhalb Jahre später.

Nils Minkmar empfahl in der FAZ kurz vor Weihnachten Sarrazins Buch als erneute Lektüre für die Feiertage: Man sähe, so Minkmar aus meinem Gedächtnis zitiert, aus dem zeitlichen Abstand heraus klarer, was für eine dämlicher Rassist Sarrazin sei und es sei geradezu schauderhaft, dass dieses Buch eines sozialdarwinistischen Technokraten allen Ernstes monatelang öffentlich diskutiert wurde.

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9 Antworten zu Über ungeklärte Identitäten und Flüchtlingsblut

  1. Peleo schreibt:

    „dämlicher Rassist“
    Das zeigen auch die Rede-Ausschnitte in dem WDR-Beitrag überdeutlich (Analogien zu Pferderassen!) . Unfassbar die Zuhörer-Massen und die Schlangen beim Signieren.

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  2. genova68 schreibt:

    Ja, vor allem die Schlangen in einem ausländerfreien Ort namens Döbeln in Sachsen. Es ist so eine offensichtliche Ersatzhandlung für irgendwelche psychologischen Probleme, die die da haben: Herabsetzung durch Wessis, ökonomische Probleme, Arbeitslosigkeit, unkritisches Medienverhalten. Und dann sitzen die zu hunderten in der Halle und hören sich die Pferderassengeschichte (wenn ein rassiges Pferd mit einem belgischen Ackergaul gekreuzt wird, meint Sarrazin da) des schlauen Doktors aus der Hauptstadt an. Gruselig.

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  3. Kehraus schreibt:

    Es ist eine Schande, wie in D mit diesem Thema umgegangen wird. Wer in Frankreich, in Italien, in den USA geboren wird, ist Franzose oder Italiener oder Amerikaner basta. Nur wir leisten uns so eine vorsintflutliche Einstellung zur (imaginären) „Blutlinie“. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass wir eine zusammengewürfelte Nation sind und dies damit vertuschen wollen.

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  4. Observator schreibt:

    Die deutsche Staatsbürgerschaft ist so geregelt und führt zu den im Artikel beschriebenen Auswüchsen. Die Behörde handelt gesetzeskonform – hier trifft zu: Rechtlich einwandfrei, aber moralisch höchst bedenklich (bzw. verwerflich). Das Staatsbürgerschaftsrecht müsste inswoeit der Wirklichkeit angepasst werden.

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  5. genova68 schreibt:

    Ja, rechtlich ist das sicher einwandfrei. Vor rund zehn Jahren war das ja mal Thema, doppelte Staatsbürgerschaft etc., angeschoben von rot-grün. Damals war ja auch Thema, dass ein in Deutschland geborenes Kind automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt. Ist aber wohl nicht so, oder vielleicht hat sich das ja seitdem geändert.

    Wobei: Es ist Sippenhaft, insofern vielleicht rechtlich doch nicht einwandfrei.

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  6. wasp schreibt:

    white power rules… Yeaahhhhh…let’s rock ist, baby

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  7. genova68 schreibt:

    Soviel zum Thema Blut-und-Boden. wasp ist übrigens ein Mitarbeiter der Kölner Firma pixelpark und kommentiert unter der IP-Adresse 81.173.202.162.

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  8. InitiativGruppe schreibt:

    Ob es wirklich stimmt, dass das Ausländeramt Essen keine andere Möglichkeit hatte in diesem sehr speziellen Fall?

    Hat man da nicht gewisse Ermessensspielräume? In so einem eklatanten Fall, in dem das Recht jeder Vernunft ins Gesicht schlägt, wird sich die Amtsspitze den Fall vornehmen müssen, ihn mit dem Oberbürgermeister der Stadt bzw. seinem Büro besprechen – und dann feststellen, dass man irgendwie über das Ermessen eine andere Lösung findet als die, einen 20jährigen, der in Essen geboren und aufgewachsen ist, auszuweisen.

    Seit 1999 gilt in Deutschland meines Wissens das ius solis, nicht mehr das ius sanguinis. (Mit der Einschränkung u. a. der Optionsregelung und einiger Kriterien, die die Eltern erfüllen müssen.) Der Junge ist zu früh geboren worden …

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  9. genova68 schreibt:

    Ich schätze mal, dass die „Amtsspitze“ über diesen „Fall“ seit exakt 20 Jahren informiert ist, und das ist ja kein Einzelfall.

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