„Wir sind alle gemeinsam da drin“

Was sagen zu dem Occupy-Ding? Ich sage erstmal was zu Wolfram Siener, dem neuen Star der Bewegung. Er scheint mir symptomatisch für das, was da läuft.

Siener ist (bzw. war bis er sich gestern wegen anonymer Morddrohungen gegen seine Familie zurückzog)  der Sprecher von Occupy Frankfurt, 20 Jahre alt, sieht aus wie 15 und wie ein Mitglied der Jungen Union und ist empört. Er saß vergangenen Donnerstag bei Maybrit Illner und plapperte drauflos ohne jeden Zusammenhang.

(Screenshot: ZDF)

Ein Auszug:

„Der Steuerzahler rettet sich doch irgendwann selbst, da müssen wir hinkommen. Wir selbst als Volk haben eine Stimme, wir können etwas verändern … Ich denke, man muss verstehen, dass die Berichterstattung und das, worauf gezeigt wird, das, was gerne verteufelt wird, nicht das ist, was uns wirklich zurückhält …. Wir bieten dem Volk eine Plattform, wo es sich ausdrücken kann … Ich muss da mal ganz ehrlich die Frage stellen: Sind die Leute, die uns führen, diejenigen, die unsere Häuser bauen, sind das die, die sich  in Stromkraftwerken, in Wasserkraftwerken und auf dem Bauernhof tagtäglich abschuften? Das sind sie nicht. Das sind wir.“

Auf die Frage, ob Siener, wie in den USA geschehen, auch „vor die Villen der Reichen“ gehen würde, antwortet er:

„Ich denke nicht. Ich denke, die Reichen sind auch ein Teil des Systems. Wir sind alle gemeinsam da drin, es hat sich über eine lange Zeit entwickelt. Machen wir das gemeinsam als die gesamte Menschheit.“

Und, besonders erwähnenswert:

„Es ist die Verantwortung der Banken, dafür zu sorgen“, dass die Zocker nicht mehr zocken können.“

Kein Wunder, dass selbst der anwesende Standard & Poor´s-Chef Deutschlands, Torsten Hinrichs, auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, in Frankfurt auch mit auf die Straße zu gehen, antwortete: „Im Grundsatz ja“. Angela Merkel findet ihn auch gut. Siener, meine ich. Den Hinrichs wohl auch.

Mit diesen Bemerkungen ist Siener über Nacht zum Medienstar geworden. Die Financial Times schreibt:

Mit einfachen, präzise gewählten Bildern kann er aber im nächsten Atemzug die Schwächen des Finanzkapitalismus darlegen und zeigen, dass er versteht, wovon er redet. Er sucht die Schuld nicht allein in der Upperclass.

Der Spiegel hält ihn für den „Hoffnungsträger der Generation Occupy“. Ist das die gleiche wie die Generation Wodka?

Dazu passt auch, dass der ebenfalls bei Frau Illner anwesende Ulrich Wickert „den Leuten“ empfahl, die Piratenpartei zu wählen. Warum? Weil die etablierten Parteien dann wüssten: „Jetzt wird es gefährlich“. Aha.

Was will ich damit sagen? Es herrscht Konfusion. Es herrscht Empörung. Es herrscht Sprachlosigkeit. Siener wird zum Medienstar, weil er genau dafür steht. Weil er nichts zu sagen hat außer Plattitüden, die er aber authentisch und mit den Armen rudernd rüberbringt.  Im Moment scheint jeder toll zu sein, der kein Politiker einer etablierten Partei ist und sich authentisch empört. Die Piraten kommen bundesweit auf acht Prozent, obwohl oder gerade weil sie kein Programm haben. Acht Prozent für eine Partei, die als einzige Merkmale „nicht-etabliert“ und „für´s Internet“ hat. Die Financial Times freut sich über soviel Harmlosigkeit und darüber, dass sich kritisches Potenzial medial in dem unkritischen Hampelmann Siener fokussieren lässt.

Wozu gibt es seit 170 Jahren Kapitalismuskritik, wenn sich im Ernstfall keiner dafür interessiert? Warum besetzen genau dann, wenn Analyse gefragt wäre, die Unpolitischen, die Gefühligen, die jungdynamisch Authentischen die Bühne?

Es sind meines Erachtens immer noch die Nachwehen der politisch grauenhaften 1990er Jahre bis weit in die Nuller hinein. Wer in diesem Zeitraum politisch sozialisiert wurde, ist zwangsläufig sprachlos. Man wuchs auf mit dem Bewusstsein, dass der Kapitalismus das Ende der Geschichte darstellt und dass Deutschland aufgeteilt ist in Ossis und Wessis und ein paar Nazis und man doch jetzt endlich wieder stolz aufs Land sein müsse. Neoliberales Denken war en vogue, es gab keine Alternative.

Jetzt ist klar, dass etwas nicht stimmt, aber es fehlen die Begriffe. In dieser desolaten Situation sind Bekenntnisse wie dieses (vergangenen Samstag bei Occupy Berlin) bezeichnend:

Lustig, authentisch, ehrlich. Und jetzt? Vielleicht sollte man auch von einem neoliberal-medialen Komplex sprechen, der diese Form des Unpolitischen hypt. (Interessant in dem Zusammenhang: Das Versagen des Wirtschaftsjournalismus in der Finanzkrise. Auch systemisch bedingt.) Es herrscht Unzurfriedenheit im „Volk“, es herrscht Empörung über die da oben und die Banken. Da ist es doch praktisch, wenn sich nette junge Menschen vor die EZB in Frankfurt stellen und demonstrieren. Was die EZB für den Schlamassel kann, weiß wohl niemand so genau, aber egal. Man ist empört, das reicht. Und man nimmt damit jeder ernsthaften Kritik den Wind aus den Segeln. Was besseres kann Merkel und Co. nicht passieren.

Lustigerweise meldete sich jetzt Joachim Gauck zu Wort, er findet die Occupy-Bewegung „unsäglich albern“. Gauck war ja ebenfalls ein von den Medien Gehypter, seinerzeit als Bundespräsidentschaftskandidat. Ein Mann von gestern, reaktionär, ohne Durchblick, aber ein rot-grüner Volksheld. Eine schon wieder vergessene anti-emanzipatorische Katastrophe.

Kann eine Bewegung etwas erreichen, die niemandem wehtut? An die sich Gabriel, Merkel, die FDP und überhaupt alle dranhängen können?

Die Situation ist kompliziert, sicher, und niemand fordert finale Lösungen hier und jetzt. Doch wer ein wenig PR-affin ist, weiß, dass es Symbole braucht, die eine Richtung ausdrücken. So wie in Wackersdorf der Bauzaun wichtig war, an dem man rütteln oder sägen konnte, bräuchte man auch jetzt etwas Griffiges. Beispielsweise den Hinweis auf Vermögensverhältnisse. Es ist ja viel von den 99 Prozent die Rede. Wie wäre es, man wiese konzentriert darauf hin, dass in Deutschland ein Prozent der Bevölkerung über ein Finanzvermögen von 2,2 Billionen Euro verfügt, zufälligerweise fast exakt die Summe der Staatsverschuldung? Und dann Namen nennt? Köpfe zeigt? Deren Enteignung fordert? Das ist sicher keine genuine Kapitalismuskritik, aber es ist plastisch, nachvollziehbar, und es drückt konkrete Verhältnisse aus.

Das Plakat hier könnte auch weiterführen, weil es, gerade vor dem Reichstag, auf die innere Logik des Kapitalismus verweist:

In einer Gesellschaft, die sich nicht in jeder Ritze von kapitalistischen Zumutungen zurichten lässt, geht es und es geht gleichzeitig nicht, wenn man sich die Mechanismen nicht klarmacht, also auch die Abhängigkeit des Parlaments vom Kapital. Parteispenden sind da nur die offensichtlichste Form der Korruption, obendrein noch legal.

Und so ist an dieser zufällig festgehaltenen Verbindung zweier Plakate wohl was dran:

Gut möglich also, dass das Occupy-Ding zumindest in Deutschland als große Lachnummer in Erinnerung bleiben wird. Als ein Versuch, die Verhältnisse zu ändern, der sich als die Visualisierung der realen Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen erweist. Ein Beleg dafür, dass die gesellschaftliche Totalität im kapitalistischen System weiter fortgeschritten ist, als man es vielleicht glaubt. Wir sind sprachlos.

(Fotos: genova 2011)

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66 Antworten zu „Wir sind alle gemeinsam da drin“

  1. tom-ate schreibt:

    „…Versuch, die Verhältnisse zu ändern, der sich als die Visualisierung der realen Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen erweist.“

    Guter Beitrag zu den Occupyern. Ich sehe das ähnlich.

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  2. genova68 schreibt:

    Jo, danke.

    Auch interessant, wie Kapitalismus ganz konkret mordet, wenn man ihn laufen lässt:

    http://foodwatch.de/e10/e45260/e45263

    Auszug:
    Etwa eine Milliarde Menschen auf der Welt hungern. Allein 2010 stiegen die Nahrungsmittelpreise um ein Drittel, nur dadurch wurden mehr als 40 Millionen Menschen zusätzlich in absolute Armut gestürzt. Es gab aber auch einen anderen Rekord: Bis Ende März 2011 haben Kapitalanleger wie Versicherungen und Pensionsfonds 600 Milliarden Dollar in die von den Investmentbanken und Hedgefonds aufgelegten Papiere für Wetten mit Rohstoffen, darunter Mais und Weizen, investiert.

    Bis zur Jahrtausendwende wurde das Gros der Future-Verträge von Produzenten und Verarbeitern geschlossen, um sich dadurch gegen Preisschwankungen abzusichern. Nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ haben Banken spekulative Rohstoffe-Papiere forciert und massiv beworben. Sie gelten als sichere Anlage, da das Angebot begrenzt ist und die Nachfrage angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung zunimmt. Die große Deregulierung um die Jahrtausendwende hat den Rohstoff-Handel für institutionelle Anleger wie Index-Investoren attraktiv gemacht. Sie haben kein Interesse an Preisstabilität für den physischen Rohstoffhandel, sondern nur an langfristiger Rendite. Gleichzeitig wurden dadurch die Rohstoffbörsen an die Entwicklung der Finanzmärkte gekoppelt: Faktoren wie Zinshöhe, Risikobereitschaft oder fallende Aktienkurse treiben die Preise für Rohstoffe, unabhängig von Angebot und Nachfrage der physischen Ware.
    Der Anteil der zu rein spekulativen Zwecken gehaltenen Weizen-Kontrakte an der Chicagoer Börse (CBOT) lag bis 1999 noch bei 20 bis 30 Prozent – heute beträgt er bis zu 80 Prozent.

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  3. Observator schreibt:

    Auch die Occupanten in den USA sind da nicht anders:
    „Das ist symptomatisch: Sobald jemand eine Frage stellt, wollen die Leute gleich die Antwort hören. Darum lassen wir Konzerne und Institutionen entscheiden, weil sie effizienter sind.“ antwortet einer in diesem Interview. Lassen wir also die entscheiden, die uns in den Schlamassel reingeritten haben! Gute Nacht!! kann man da nur sagen.

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  4. meryemdeutschemuslima schreibt:

    Also ich bin ganz froh, dass überhaupt mal wieder jemand auf die Straße geht. Denn die Generation meines Sohnes, so um die 30, hat sich bislang wenig gerührt und das trotz einer politisch interessierten und Demofreudigen Mutter. Es war so, wie Du die 90er beschrieben hast, eigentlich ging es schon in den 80er los, mit der zunehmenden Entsolidarisierung und der Hoffnungslosigkeit. Immerhin es bewegt sich was.

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  5. hanneswurst schreibt:

    Guter Artikel. Ich empfehle „Paul the Octopus“ als Symbol der Bewegung. Allerdings kommt zumindest eine allgemeine Wut gegen Banken durch, das ist zu begrüßen. In diesem Kontext wird politisch über die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking geredet. Das ist gut. Merkel empfiehlt Obama die Finanztransaktionssteuer, das Ur-Ziel von ATTAC. Das ist sehr gut. Hoffentlich kommt etwas dabei herum.

    Dass Die teilweise dösigen Fürsprecher der Anti-Banken Bewegung so viel Aufmerksamkeit bekommen, kann ich noch (oder zusätzlich) anders erklären:

    1) Die Thematik ist schwer und jeder Experte redet etwas anderes. Da hört man gerne jemandem zu, der keine Ahnung hat, aber sich ehrlich empört.

    2) Die herkömmlichen Kapitalismuskritiker stehen immer noch im Generalverdacht der stalinistischen Umtriebigkeit.

    3) Die Politikverdrossenheit lässt den Wunsch nach unpolitischen oder zumindest politikuntypischen Akteuren mit gesellschaftlicher Wirkung wachsen. Auf die gleiche Art punktet John McCain bei der Tea-Party – er kommt politikuntypisch daher, scheint leichter einzuschätzen und für etwas einzustehen, was ihm einfach am Herzen liegt. Dass er nur Stuss redet, fällt da kaum noch auf. Ich möchte aber die „Occupy dies und das“ Aktivisten nicht auf die gleiche Stufe stellen, deren Anliegen sind im Prinzip berechtigt und ich bin froh über jede Aufmerksamkeit, die sie bekommen.

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  6. genova68 schreibt:

    Observator,
    ich glaube, man kann den Satz aus dem Interview auch anders lesen: Der Aktivist kritisiert gerade dieses Effizienzdenken, was für ihn bedeutet, keine fertigen Antworten zu haben.

    Meryem,
    ja, dass etwas passiert, ist ok, aber es geht schon auch um die Qualität. Ich habe gerade in einem Buchladen eine Neuerscheinung über den Pragmatismus der Jugend gelesen. Alle checken rational und ichbezogen ihre Karrieremöglichkeiten ab und sind da offenbar wirklich viel pragmatischer als viele früher. Nur bringt das den Effekt mit sich, dass man sich nicht mehr mit grundsätzlichen Fragen beschäftigt, schon gar nicht mit Systemkritik. Schröder Vorwurf an Visionäre klingt da noch in den Ohren.

    Hannes, Punkt 3:
    dann los auf die Straße. Es gibt ein Camp auf dem Martin-Luther-Platz.

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  7. Pingback: Occupy « Kritik und Kunst

  8. willi schreibt:

    Schöner Artikel, dessen Schlusssatz es perfekt auf den Punkt bringt. Die Bewegung passt prima in die bestehende politische Kultur, die längst nicht mehr danach fragt, wie wir eigentlich leben wollen, sondern sich in domestizierten, talkshowtauglichen Diskussionen erschöpft, die alle Tabus sauber umschiffen und in die den Fragen nach den Eigentums- und Produktionsverhältnissen konsequent ausweicht.
    Schönes aktuelles Beispiel jenseits des Bankenspektakels: Die Diskussionen über den Hunger in den armen Ländern. Kein Wort darüber, dass es der fehlende Profit für die Produzenten ist, der die Leute hungern lässt -hätten sie das Geld um zu bezahlen, wäre alles gut. Stattdessen redet man über verfrüht weggeworfene Lebensmittel und verschiebt den Blick so wieder in die gewünschte Richtung, in die ja auch der Shootingsstar der Occupy-Bewegung blickt, wenn er Sätze sagt wie „wir stecken da alle mit drin“ und dann doch lieber nicht bei den Profiteuren vorstellig werden möchte. So liegt dann wieder der Ball in der Hälfte der Masse, die „ihren Betrag leisten“, „den Gürtel enger schnallen“ oder sonst etwas tun muss, damit das hirnverbrannte System weiter funktioniert.
    Die perfekte Maschinerie der medialen Massenverblödung bastelt munter weiter am perfekten Stockholmsyndrom.

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  9. altautonomer schreibt:

    Diese Bewegung muss höllisch aufpassen, dass sie Dank derartiger Sprecher wie Siner nicht im Harmoniesumpf untergeht.

    Es tut ja schon gut, neben „Duckhome“ hier einen zweiten Blog zu finden, der sich kritisch mit Occupy auseinandersetz. Mich beschlich von Anfang an ein sonderbares Gefühl für diese „Empörung“! Was wird sein, wenn der Protest dem Einzelnen ein höheres Risiko abverlangt, als an einem betriebsfreien Wochenende vor der EZB in Frankfurt zu zelten und zu frieren? Typen wie Siner sind ganz schnell wieder bei Mutti, wenn die Wasserwerfer auffahren. Denn auf Widerstandsformen wie bei Stuttgart 21 und Dresden bzw. Dortmund stellt sich quer legt der Geschniegelte angesichts seiner inhaltlichen Blutleere anscheinend weniger Wert.

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  10. Shock schreibt:

    Ich möchte noch was zu hanneswurst ergänzen:
    „2) Die herkömmlichen Kapitalismuskritiker stehen immer noch im Generalverdacht der stalinistischen Umtriebigkeit.“
    Nicht nur das, eine aus dem Browser tropfende Arroganz der überpolitisierten spaltet hier, wo man Versöhnen, Unterstützen und Zusammenarbeiten sollte. Ihr schaut herab auf diese „Lachnummern“, die „ganz schnell zu Mutti rennen, wenn der Wasserwerfer kommt“. Das eine jüngere Generation Dinge anders macht, daran haben sich schon einige in der Geschichte gestört.

    Und zum Artikel:
    “ Wie wäre es, man wiese konzentriert darauf hin, dass in Deutschland ein Prozent der Bevölkerung über ein Finanzvermögen von 2,2 Billionen Euro verfügt, zufälligerweise fast exakt die Summe der Staatsverschuldung?“
    Ja mach es doch! Auf der Demo in Frankfurt durfte jeder reden, der wollte. Und auch das Internet bietet genug Raum dafür. Die Occupy-Bewegung ist noch so jung und strukturlos, dass es m.M.n. noch viel zu früh ist, sich hinzustellen und solche Forderungen zu stellen. Wer soll es denn machen, soll Anneliese Müller deine Forderung umsetzen? Am besten noch, während sie von nem Wasserwerfer weggeputzt wird?

    Eure Reaktion auf die erste Kommune back in the good old days hätte ich auch gerne mal gelesen. ;)

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  11. Manul schreibt:

    @Meryem @ Genova:

    Ich bin um die 30 und ich bin überhaupt nicht darüber verwundert, dass meine hirngewaschene Generation sprachlos wird, wenn es darum geht die Kritik mit Argumenten zu unterfüttern. Uns wurde nämlich nicht nur eingebläut, dass Kapitalismus das beste System der Welt ist, sondern auch, dass die Finanzindustrie ein wichtiger Zweig der Wirtschaft wäre und es wäre daher vorteilhaft für die Finanzbranche zu arbeiten. Ich glaube Viele haben damals die Finanzbranche für genauso innovativ und modern gehalten wie die auch damals groß gewordene IT-Branche mit ihren zahlreichen Zweigen. Viele meiner Bekannten und Freunde haben sich daher auch für eine Ausbildung im wirtschaftlichen Bereich entschieden.

    Nicht zu vergessen auch, dass wir eigentlich keine anderen Reformen kennen, als Sparpakete, gegen die wir noch Anfang der 90er protestiert haben und die trotzdem als ‚alternativlos‘ durch sämtliche Landtage und durch den Bundestag durchgewunken wurden. So bekommt man aber schon mit ca. 16 beigebracht, dass eine wirtschaftsfreundliche Politik das A&O ist und es lohnt sich noch nicht mal dagegen ernsthaft zu protestieren.

    Woher sollen also diese Leute überhaupt wissen wie man richtig protestiert und wie man eindeutige Forderungen dabei stellt?
    Man könnte sogar mit etwas ganz Einfachem anfangen und nach ernsthaften Reformen verlangen, die das Gleichgewicht zwischen arm und reich wieder herstellen.
    Ich würde mich allerdings nicht mehr trauen ‚Reformen‘ zu fordern, denn damit verbinden einfach zu viele nur Spardiktat und Hartz4. ….

    Die Suche nach den richtigen Begriffen ist schon also kompliziert, wenn man sich auch von dem ganzen Neusprech der neoliberalen Elite abheen möchte.

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  12. genova68 schreibt:

    Shock,
    danke für deinen Kommentar und du hast völlig recht: Auch in Berlin konnte jeder reden, ich kann mir deinen Vorwurf da zueigen machen. Im Internet habe ich ja jetzt zumindest ein bisschen was geliefert.

    Aber wenn eine Bewegung strukturlos ist, dann ist es wohl (noch) keine. Eine Bewegung muss ein Ziel haben, sie muss wissen, wohin sie sich bewegt. Empörung ist zuwenig. Und wenn ich etwas besetzen will, die Wall Street oder die Börse Frankfurt, dann muss ich sagen, warum. Und da geht es nun mal nicht ohne fundierte Kapitalismuskritik.

    Es ist alles immer komplizierter geworden, und gleichzeitig war Kapitalismuskritik bis vor ein paar Jahren passé. Ich will ja niemandem eine Schuld geben an der derzeitigen Sprachlosigkeit, ich weise aber daraufhin und mache ja immerhin einen konkreten Gegenvorschlag.

    Und noch was konkretes: Ich finde es frappierend, wenn die Demo in Berlin direkt am Hotel Adlon vorbeigeht, und nichts passiert. Keine Aktion, nicht mal ein faules Ei auf die schwarzen Limousinen, die zuhauf davor geparkt waren. Aber auch da, ja: Auch ich hatte kein faules Ei in der Tasche.

    Manul,
    ja, volle Zustimmung. Gerade dein Hinweis darauf, dass Begriffe besetzt sind: Reform war mal was positives, man kann das jetzt nicht mehr fordern. „Vorsorge“ ist auch sowas, eigentlich positiv besetzt, aber mittlerweile nur noch im Sinne der privaten Altersvorsorge, was bedeutet, den Finanzmärkten jeden Monat 100 Euro hinterherzuwerfen.

    Deshalb würde ich halt mit dem Konkreten, vermittelbaren anfangen: Die ein Prozent Reichsten, Parteispenden, die mediale Elite, die in weiten Teilen belegbar korrupt ist. Das ist vermittelbar, und darauf kommt es an. Und dann wäre auch die Empörung konkret.

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  13. genova68 schreibt:

    willi,
    jo. Diese Tendenz, die Verantwortung auf jeden Einzelnen zu fokussieren, halte ich auch für ein Grundübel, vor allem, weil sie so scheinbar emanzipiert daherkommt. Der mündige Verbraucher soll sich gefälligst informieren und kritisch auswählen, ist ja auch so toll demokratisch. Diese Argumentation beinhaltet die neoliberale Logik implizit: Jeder ist seines Glückes Schmied, Gesellschaft gibt es nicht. Der Verbrauche habe die Macht, ist dann die conclusio dieses antiemanzipativen Blödsinns. Nicht zufällig schreibt Broder heute, dass die Kritiker doch einfach ihre Bankkonten kündigen, dann hätten sie den von ihnen gewünschten Zusammenbruch des Systems.

    Da hängt auch diese ganze Ökologiebewegung mit drin, nach der man sich ja bei jedem Schritt überlegen soll, ob man ihn auch umweltgerecht zurücklegt.

    altautonomer,
    ja, aber vielleicht sollte man den Siener nicht überbewerten, auch wenn ich das selbst initiiert habe. Der ist jetzt weg, mal sehen was kommt.

    In Griechenland und demnächst in Portugal läuft es schon markanter.

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  14. tom-ate schreibt:

    @genova68 @willi und @alle: Widerspruch. Natürlich liegt die Verantwortung bei jedem Einzelnen! Sich da rausdiskutieren wollen im Stil von der „Fisch stinkt vom Kopf her“, ist verdammt selbstgerecht. Müssten aber erstmal die Systemfrage stellen und definieren, was denn da falsch läuft. Wer bei den MEW hängen geblieben ist, verteht vielleicht das System gar nicht. Kapitalismuskritik und der Kampf um „Verteilungsgerechtigkeit“ ist nur noch das Juniorthema. Spätestens mit den „Grenzen des Wachstums“, 1970, ist die Agenda neu bestellt worden. Längerfristig hat ein Sozialismus oder was immer die gerechte Gesellschaft genannt werden möchte, auf einem kaputten Planeten überhaupt Null-Perspektive. Wer das Thema der Zerstörung der Lebensgrundlagen einfach unter Kapriolen einer kapitalistischen Produktionsweise subsummieren will, macht die Rechnung ohne den Wirt. Marx und Engels bekannten sich zwar fröhlich zum Darwinismus, aber begriffen haben sie ihn nicht. Und von der menschlichen Psyche verstanden die beiden Herren auch nichts. Die Dynamik menschlicher Motive (unbewusste, halbbewusste und ein bisschen auch die bewussten) befeuert die Maschinerie. Jeder Depp will doch ein Eierfon 3, 4, 5, N… Immer neuer Scheiß muss her, weil unsere Hirne einem Suchtmechanismus unterstellt sind. Nein, der Suchtmechanismus wird nicht vom Kapitalisten per Werbung in die Hirne gepflanzt. Das Dopamin ist schon drin! Wer nur „Gesellschaftskritik“ betreibt, kratzt an der Oberfläche und versteht so wenig, wie die, die alles einfach okkupieren wollen.

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  15. Wednesday schreibt:

    @tom-ate: „nur“ Gesellschaftskritik? Was weisst Du, was für Arbeit dahinter steckt? Sollen wir bei den alten Anarchisten stehenbleiben, weil sie weit weniger anspruchsvoll schrieben, und die meisten sind heute eh total veraltet? Und heisst es nicht immer, schon wer nur seinen Müll trennt, macht die Welt a better place?

    Immerhin zeigst Du an Deinem Beispiel, daß Linksradikale sich lieber gegenseitig an die Kehle gehen, als endlich sämtliche bisherige Wertvorstellungen über den Haufen zu werfen.

    Was wär denn angesagt, um Terra zu retten? Nicht nur iPhone, sondern auch die Produktion von Lebensmitteln und medizinischen Geräten einstellen (für diese zB braucht man weiterhin Kunststoffe auf Erdölbasis)?

    Konsumverzicht üben muss doch eh der grösste Teil der Menschheit. Nur nennt man es weiterhin dürsten, hungern, frieren, und an albernen Infektionen sterben… Konsumverzicht allein rettet sie nicht.

    Vielleicht aber unter Zuhilfenahme der Aufhebung aller Werte, die Zerpflückung aller Wertvorstellungen? Offensichtlich benötigen wir dringend weit mehr Gesellschafts- bzw. Wertekritiker/innen; hyperaktive Aktionisten gibt es ja schon jede Menge! ;-)

    Ciao
    Wednesday

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  16. tom-ate schreibt:

    @Wednesday: Zu allererst müsste man verstehen, was der „Mensch“ überhaupt ist, wie er funktioniert, im Einzelnen und in der Horde. Deine Antwort bringt nur die übliche Polemik der Linken gegen die „Ökos“. Kein Wunder bei meiner eigenen Polemik… ;-) Aber im Ernst: Wer nicht weiß, wie die Einzelteile funktionieren (im Wortsinne), kann das Ensemble, die „Gesellschaft“ immer nur falsch verstehen. Ich empfehle wirklich allen Gesellschaftskritikern einen vertieften Blick zu nehmen in die Wissensgebiete Biologie, Psychologie und Philosophie des Geistes. (Lacht nur). Wer dies nicht tut, kann zwar mit Worthülsen um sich werfen, weiß aber vielleicht gar nicht, warum er oder sie das gerade tut. Eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft kann nur mit Verständnis des GANZEN SYSTEMS gelingen. Warum wohl sind bisher alle Versuche eine solche Gesellschaft zu schaffen gescheitert? Antwort: „Revolutionäre“, die nicht wissen, was sie sind, können immer nur aus dem Ruder laufen. Letztlich geht es neben dem Wissen auch um Ehrlichkeit, Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Dies ist zudem die spirituelle Dimension (lacht nur) der Revolution.

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  17. Wednesday schreibt:

    @tom-ate, vielleicht bist _Du_ derjenige, der zu wenig informiert ist – es ist ganz schon unverschämt, „uns“ hier pauschal vorzuwerfen, die „Funktion der Einzelteile“ nicht zu kennen.
    Eben das Wissen auch um Biologie, Psychologie, kultruelle, soziale und religiöse Geschichte etc. nötigen die einen weiterhin zum Extremdenken, die anderen zur Aufgabe.
    Über Spiritualität im Allgemeinen kann ich tatsächlich gut lachen. Ganz besonders über Lichtnahrungs-Freaks.

    Ciao
    Wednesday

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  18. Donnie schreibt:

    Der Gegensatz zwischen den Faschisten oder Nationalsozialisten und den älteren sozialistischen Parteien muss in der Tat weitgehend als ein Gegensatz aufgefasst werden, wie er sich zwischen rivalisierenden sozialistischen Parteien einstellen muss. Über den Punkt, dass der Wille des Staates jeden Menschen den ihm zukommenden Platz in der Gesellschaft anweisen solle, gab es keine Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen.

    Friedrich August von Hayek

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  19. tom-ate schreibt:

    „Über Spiritualität im Allgemeinen kann ich tatsächlich gut lachen. Ganz besonders über Lichtnahrungs-Freaks.“ Ich auch. :-) Ich habe jedoch Spiritualität als Ehrlichkeit sich selbst gegenüber definiert. Ja, ich bin unverschämt, denn vielleicht verstehst Du, Wednesday wirklich etwas von Biologie, Psychologie – Geschichte hast du reingeschmuggelt, ich sprach von Philosophie des Geistes. Aber meine Erfahrung mit „Gesellschaftskritikern“ im Allgemeinen ist leider die, dass das Verständnis von Biologie z.B. sich in der Nullnummer erschöpft: Tierisches Verhalten ist „instinktgesteuert“, menschliches vernunftgesteuert.

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  20. Shock schreibt:

    @genova68:
    Freut mich, dass du meine Sicht der Dinge ernst nimmst. Das Muster der Medien ist wie bei den Piraten: Da ist eine Gruppe von Menschen, die sich nicht mit dem Wählen der vier (oder zwei in den USA) etablierten Parteien zufrieden gibt, also überhäufen wir sie mit Forderungen, die eigentlich nur eine schon lange bestehende Organisation erfüllen kann. Die Welt hat weder Zeit noch Geduld, etwas basisdemokratisches wachsen zu sehen. Ob es bei den Grünen auch schon so war, kann ich aufgrund meines Alters leider nicht sagen.

    Nachhaltige Verbesserungen kommen nicht ad hoc, sondern bedürfen eines „Marsches durch die Institutionen“. Alles andere ist m. M. n. nur russisch roulette. Robbespierre, Franco und Hitler sollten Hinweis genug sein.

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  21. Shock schreibt:

    @tom-ate:
    Eine gute Gesellschaftsform wäre eine, die eigennütziges Verhalten in konstruktive Bahnen lenkt. Ist es das, was du uns sagen willst? Darüber sollten wir schon hinaus sein.

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  22. tom-ate schreibt:

    @Shock: Nein, das alleine nicht. Ich hab’s oben eigentlich umrissen, soweit sich das umfangmässig im Rahmen eines Kommentars geziemt. Und darüber hinaus – sind wir doch nicht! Eigennutzverhalten würde ich mit Konkurrenzverhalten gleichsetzen. Wir alle konkurrieren um beschränkte Ressourcen auf diesem Planeten. Das ist wenigstens eine der notwendigen Perspektiven (um zu begreifen). Es wäre super, wenn wir das Prinzip Eigennutz/Konkurrenz gegen das Prinzip Kooperation „austauschen“ könnten. Eine solidarische Welt. Das Problem der beschränkten Ressourcen bleibt jedoch! Insofern war das jetzt ein winziges Gedankenexperiment, das einem klar machen kann (nicht muss), dass der Zielzustand Kooperation aller auch durch die Tatsache der Beschränktheit der Ressourcen verhindert wird. Verhaltensweisen passen sich der Umweltsituation an, der gesellschaftlichen, aber auch der natürlichen. Das Paradoxe am Verhalten von Lebewesen ist, dass sie bei schwindenden Ressourcen in der Regel umso mehr darum kämpfen und somit auch Ressourcenverluste in Kauf nehmen. Hat das Gesamtsystem Erde also eine und wenn auch nur geringe Tendenz zu Resourcenknappheit im Vergleich zur stetig wachsenden Weltbevölkerung, so hat von den „Grundprogrammen“ der möglichen Verhaltensweisen, die Kooperation leider schon mal schlechte Karten. Jeder ist sich selbst der Nächste – die Umgangssprache „weiß“ es. Darum ist Systemanalyse auf allen Ebenen so wichtig.

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  23. genova68 schreibt:

    tomate, 18.41,
    Es gibt immer eine individuelle Ebene, aber es gibt eben auch Zusammenhänge. Wenn ich politische, also gesamtgesellschaftliche Prozesse ändern und beeinflussen will, dann ist die individuelle Ebene nicht effektiv und ihre Betonung unter Umständen kontrapoduktiv. Aus der Perspektive kann ich beispielsweise dem bildungsfernen Hartz-IV-Kind empfehlen, es solle sich halt anstrengen und dann wird schon was aus ihm werden. Dabei übersehe ich alle gesellschaftlichen Zusammenhänge, die wir ja kennen und die ich jetzt nicht aufzähle.

    Ich kann den einzelnen dafür tadeln, dass er ein Konto bei der Deutschen Bank hat, aber das ist politisch wirkungslos. Etc. Es geht auch nicht darum, dass der Fisch vom Kopfe her stinkt, sondern das ist eben systemisch. Man muss die Prozesse durchschauen und da rangehen.

    Zur Ökologie: Ja, Grenzen des Wachstums, aber eben innerhalb einer Kapitalismuskritik. Dass jeder das iPhone will, hängt ja auch mit Beeinflussungsprozessen zusammen. Wobei ein iPhone ja nun nicht das Problem ist, ökologisch gesehen, schon eher, was dessen Produktionsbedingungen angeht. Aber auch hier gilt es aufzupassen, dass Verzicht nicht darin mündet, dass alle den Gürtel enger schnallen, dann können wir nämlich so weiter machen wie bisher. Es geht um Emanzipation.

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  24. tom-ate schreibt:

    Gut, ich sehe die Priorität halt anders herum: Kapitalismuskritik, ja, aber innerhalb einer Analyse der gesamten Folgen menschlichen Handelns auf diesem doch sehr kleinen Planeten. Auch das iPhone, bzw. der ganze Elektroschrott mit eingebauter „geplanter Obsoleszenz“ ist durchaus auch ein ökologisches Problem. Ein großer Teil dieser „Ware“ landet nach wenigen Gebrauchsjahren auf den Müllhalden in Ghana. Wie es dort aussieht und wie die Menschen nichts ahnend darunter leiden, sieht man z.B. im Film „Kaufen für die Müllhalde“ von Cosima Dannoritzer. Das iPhone habe ich aber aus andern Gründen als Bsp. gebracht, um den Zusammenhang von Suchtverhalten und Konsum anzudeuten. Wir verstehen mehr, wie der Hase läuft, wenn wir unter anderem auch die Neurobiologie des Suchtverhaltens verstehen, den Motor in unserem Hirn, der das ganze System mit am laufen hält. Nochmals: Es ist komplexer als eine Perspektive ausschließlicher Kapitalismuskritik den Anschein machen läßt. Wenn wir die Mechanismen in uns selbst nicht verstehen, wenn wir nichts begreifen, wie und warum 7 Milliarden Menschen dies oder das tun, nützt auch die ganze Analyse kapitalistischer Eigentums- und Produktionsbedingungen nichts.

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  25. genova68 schreibt:

    Ich glaube gar nicht, dass wir uns ernsthaft widersprechen. Und es ist ja mittlerweile fast Allgemeingut, dass die kapitalistische Logik auch vor der Umwelt nicht haltmacht, wieso sollte sie auch. Ja, die ökologischen Folgen des Computerschrotts. Ich hatte nur im Hinterkopf, dass sich Jugendliche heute angeblich zunehmend über elektronische gadgets definieren und weniger über Autos. Aus ökolgischer Sicher ja durchaus erfreulich, wenn auch nicht problemlos.

    Suchtverhalten und Neurobiologie: Interessant und sicher aufschlussreich, wenn es um Analyse kapitalistischer Logik geht. iphone als Religionsersatz, wenn ich mir die Schlangen vor den stores anschaue. All das gilt es zu hinterfragen.

    Und weil ich hier gerade noch das Hayek-Zitat unseres Sportskameraden Donnie sehe:

    Es zeigt die analytische Unfähigkeit neoliberaler Ideologie. Demnach ist der Mensch homo oeconomicus, er verhält sich immer rational und agiert demnach auch „auf den Märkten“ rational. Man muss da also nichts regeln. Es gibt also nur sich rational verhaltende Individuen, keine Konstellationen. Wenn ein Individuum weniger hat als das andere, ist das also seine freie, rational gewählte Entscheidung. Sozialdarwinismus gibt es in dieser Logik auch nicht. Dieser extreme Laisse-faire-Liberalismus ist in sich stringent und gegen Kritik von außen immun: Wenn die reale Beobachtung ergibt, dass etwas nicht stimmt (Armut, Krisen etc.), dann ist immer „der Staat“ schuld, weil der sich noch nicht weit genug zurückgezogen hat. Es ist ein pervertiertes Menschenbild, das als Grundlage dient.

    Wobei ich den Hayek direkt nicht unbedingt angreifen will. Aus seiner Zeit heraus ist das ja nicht mal völlig falsch, was er da sagt. Sowas jedoch heute kommentarlos zu bringen, spricht Bände. Man sollte klar sagen, dass dieses Denken das der Chicago Boys ist, und da sind Analogien zum Faschismus kaum abweisbar.

    In dem Zusammenhang frage ich mich auch, wieso bei der Griechenlanddebatte niemand auf die Schock-Strategie von Naomi Klein zu sprechen kommt. Liegt das so fern?

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  26. tom-ate schreibt:

    Ja, ich habe in letzter Zeit einfach mehr Zeit investiert, um das Subjekt als solches, wiewohl es immer auch Teil des Ganzen und durch die gesellschaftliche Umwelt geformt ist, besser zu verstehen. Denn letztlich müssen Subjekte Veränderungen bewirken, oder nicht? Automatismen anzubeten: Auf den Kapitalismus folge gesetzmäßig der Sozialismus, halte ich für naiv. Seitdem ich da einiges zu verstehen glaube in Bezug auf Bewusstseinsprozesse, Entscheidungsmechanismen und Motive, ist mir klar geworden, wie gering denn die Chancen für den Menschen sind. Wir stecken in einer enormen Maschinerie drin, die sich bis tief in unsere Hirnwindungen gefressen hat. Es geht um Emanzipation, ich denke auch, wir sind uns weitgehend einig.

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  27. genova68 schreibt:

    „Auf den Kapitalismus folge gesetzmäßig der Sozialismus, halte ich für naiv. “
    Ja, aber das behauptet außer der KPD und der MLPD auch niemand mehr, oder?

    Ansonsten wiederholt sich vieles, denke ich. Schon 68 gab es ja die massive Tendenz, nach Indien etc zu fahren und sozusagen auch mental komplett auszusteigen. Heut läuft das vielleicht differenzierter. Esoterik, Feldenkrais, Joga, Jesus Revolution Army, es gibt alles mögliche als Ersatz. Diese Prenzlauer-Berg-Stories der tollen Mütter gehen ja auch in diese Richtung, auch wenn das halt wieder eher unangenehme Ellenbogenmentalitäten sind, die sich maskieren.

    Das Kapital indes war immer stärker, wie die Geschichte von 68 zeigt. Subjekte müssen Veränderungen bewirken, die das Subjekt aber nicht bewerkstelligen kann, indem es sagt: Jetzt ändere ich mich. Die Zusammenhänge sind wichtig und wahrscheinlich geht es nur über direkte, konfrontative Einsicht. Es ist ja auch kein Zufall, dass wir hier über Occupy diskutieren, was real bedeutet, dasss ein paar tausend Leute auf Wiesen rumsitzen, während gerade in Griechenland nichts mehr geht. Die kriegen das sehr existenziell mit und wehren sich dementsprechend. Offenbar muss es immer soweit kommen, und das ist ja auch eine Frage der anthropologischen Verfassung des Menschen. Vielleicht sind wir einfach so.

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  28. ein Gast schreibt:

    Kopp-Nachrichten sehe ich ziemlich skeptisch, das hier ist trotzdem interessant:
    http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/paul-joseph-watson/aegyptischer-agitator-im-dienste-des-us-aussenministeriums-beraet-die-bewegung-occupy-wall-street-.html

    Mich hat ehrlich gesagt auch gewundert, daß sogar ARD & ZDF praktisch „Reklame“ für Occopy machten, obwohl man die öffentlichen inzwischen beim besten Willen nur noch als Staatspropaganda-Sender bezeichnen kann…
    Die Solidarität, die so blitzartig von der Politik verkündet wurde, ist natürlich auch das ganz gewönhliche Taktieren bzw. Populismus, trotzdem ungewöhnlich.
    Noch was zu dem Thema:
    http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=27113

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  29. genova68 schreibt:

    Wenn du Kopp ziemlich skeptisch siehst, dann kannst du auch solche Nachrichten nicht ernst nehmen.

    Dort steht über den „arabischen Frühling“:

    „Tatsächlich handelt es sich aber zum großen Teil um ein von langer Hand vorbereitetes geopolitisches Manöver unter Federführung der USA, Englands und Israels…“

    So einfach ist die Welt. Genausowenig sind ARD und ZDF einfach „Staatspropagangda-Sender“.

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  30. InitiativGruppe schreibt:

    Guter Artikel, interessante Diskussion.
    Ich bin, alles in allem, eher auf der Seite derer, die sich noch kein Urteil gebildet haben und die abwarten, wie es sich entwickelt. Dass ich am letzten Samstag in München nicht dabei war, liegt nur daran, dass ich mich unbedingt mal wieder ausschlafen musste … Ich war schon neugierig und meine, etwas verpasst zu haben, was man mit eigenen Augen sehen sollte.

    Will man heute (!) eine gesellschaftliche Bewegung haben, kriegt man sie wohl nur dann, wenn man sie thematisch breit und großzügig anlegt und den individuellen Neigungen viel Spielraum gibt. Wenn man generös darüber hinweg sieht, dass viele dabei ziemlich abwegige Gedanken hegen und dass die allermeisten aus meiner Sicht unzureichend analysieren.

    Das macht doch nichts.

    Ich fänd’s nicht schlecht, wenn die scharfe Bankenkritik allmählich mainstream würde – wenn sich auch Leute an diese Bewegung gegen das Finanzkapital hängen würden, denen ich an sich nicht so ganz traue.

    Mit der Zuspitzung, wie sie Genova hier vorschlägt, bin ich ganz einverstanden – für mich selber:

    Wie wäre es, man wiese konzentriert darauf hin, dass in Deutschland ein Prozent der Bevölkerung über ein Finanzvermögen von 2,2 Billionen Euro verfügt, zufälligerweise fast exakt die Summe der Staatsverschuldung? Und dann Namen nennt? Köpfe zeigt? Deren Enteignung fordert? Das ist sicher keine genuine Kapitalismuskritik, aber es ist plastisch, nachvollziehbar, und es drückt konkrete Verhältnisse aus.

    Ich mach das auch so. Auf diese „1 Prozent“, die uns ausnimmt und die uns manipuliert und die uns verachtet – auf die muss sich das Augenmerk immer mehr richten, und die Occupy-Bewegung, soweit sie bei uns bereits eine Bewegung ist, leistet dazu vielleicht ja doch schon einen Beitrag.

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  31. genova68 schreibt:

    „Dass ich am letzten Samstag in München nicht dabei war, liegt nur daran, dass ich mich unbedingt mal wieder ausschlafen musste“

    :-) Sich dem Druck entziehen und ausschlafen ist praktizierte Kapitalismuskritik. Du hast also alles richtig gemacht.

    Ich finde es aber cool, wie lange du schläfst. In Berlin fing das ganze erst nachmittags an.

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  32. ein Gast schreibt:

    Sorry, auch wenn sich das jetzt verdächtig nach Verschwörungs-Freak anhört, aber wenn ich mir die Berichterstattung auf ARD, ZDF und Phoenix in letzter Zeit so ansehe, insbesondere zum Thema Lybien oder Euro-Krise, fällt mir kein passenderes Wort als Propaganda-Sender ein.

    Daß um die Occupy Bewegung so ein TamTam und dazu noch halbwegs unvoreingenommen berichtet wird, ist (leider) schon was spezielles.

    Ich finde es gut, daß Leute auf die Straße gehn, und es mal gegen die Richtigen geht, nämlich Ackermann & Co. statt spätrömischem High-Life dekadenter Arbeitsloser.
    Natürlich sieht die Politik auch gern wenn sie den Schwarzen Peter allein den Banken zuschieben kann.

    Ich hab nur so ne Ahnung, daß einige versuchen werden das Ding zu vereinnahmen und „wohlwollend“ in bestimmte Bahnen zu leiten.
    Schlimmstenfalls wird das so enden wie die TeaParty in Amerika.

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  33. genova68 schreibt:

    Propaganda-Sender halte ich für übertrieben, weil die ARD aus x verschiedenen Anstalten besteht mit vielfältigen Interessenlagen. Wenn du das ignorierst, geht das in Richtung Verschwörungstheorie. Wer mit solchen Begriffen operiert, muss vorsichtig sein und das sehr genau begründen.

    Ich gebe dir natürlich recht in dem Ansatz, dass die Medien, und erst recht das TV, in weiten Teilen die Interessen der Herrschenden vertreten. Jüngstes Beispiel ist Günther Jauch. Es verwundert ja nicht wirklich, weil Jauch mit seinem Lausbubengesicht zwar gut ankommt, aber schon lange ein reaktionärer, unangenehmer Sack ist. In seiner neuen Talkshow lud er kürzlich Merkel solo ein. Eine Sache, die kein ernstzunehmender Journalist machen würde. Reine Hofberichterstattung. Und heute abend kommen Schmidt und Steinbrück, nur zu zweit. Das soll dafür sorgen, dass der neoliberale, rechte Steinbrück neuer Kanzlerkandidat wird.

    Das ist auch so eine konkrete Geschichte, wie die Leute verarscht werden. Es ist eine Medienmacht und eine Taktik, gegen die man nicht ankommt. Das System ist ausgefuchst.

    Und so sieht der Spiegel-Titel morgen aus:

    http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,ausg-5308,00.html

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  34. InitiativGruppe schreibt:

    Ob sich der Steinbrück das leisten können wird, neoliberal zu bleiben?

    Er ist natürlich der ideale Kandidat der Neoliberalen. Sozusagen ihr Kuckucksei in der SPD. Vielleicht wird er nach einem eventuellen Wahlsieg 2013 wowereiten – grün antäuschen und schwarz koalieren. Ich hoffe, die Grünen geben sich nicht dafür her, die Geschichte von 1998 – 2005 fortzusetzen; da läge dann ein Wowereiten nahe.

    Steinbrück ist aber andererseits nicht unpopulär. Ein Mann für die Krise. Das hat schon auch seine Gründe – die NICHT NUR in der Manipulation durch die Medien liegen. Die Mehrheit der Leute will von sich aus die (in ihrer Sicht) seriöse Mitte haben – etwa eine Merkel, die halb sozialdemokratisch und einen Steinbrück, der halb konservativ/neoliberal Politik macht. Auf die Mitte zu setzen ist auch ein möglicher Reflex, wenn man (zugegebenermaßen) nicht durchblickt und bescheiden genug ist, das zu ahnen. Dieser Reflex scheint mir besser, als sich blindlings einem Extrem an den Hals zu werfen.

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  35. genova68 schreibt:

    Er ist fürs Kapital ein idealer SPD-Kandidat. Mit dem wird es auch garantiert kein rot-rotes Bündnis geben. Es ist m.E. das x-te Hochschreiben vermeintlich Politstars, ähnlich wie Gauck oder Guttenberg.

    Über die Rolle Steinbrücks in der Finanzkrise gibt es ziemlich unterschiedliche Ansätze. Mich nervt bei dem Hypen vor allem, dass das so konsitenzlos passiert. Wenn der ernsthafte, gute, wirksame Vorschläge hätte, wäe die Aufmerksamkeit gerechtfertigt. Ich sehe die aber nicht, zumal er für die Schröder-SPD steht, die ja den ganzen Schlamassel mit angerichtet hat.

    Man kann Argumente wie die von Müller nicht ignorieren:

    Die Systemfrage ist gestellt – sichtbar an der Entscheidung über den SPD-Kanzlerkandidaten durch die Finanzwirtschaft: Peer Steinbrück

    Dass „die Leute“ irgendwelche komischen Dinge wollen, mag sein. Aber Politik sollte seriöse Konzepte haben, und die liegen bei der Finanzkrise nicht „in der Mitte“, wo immer die sein soll. Die liegen in einer seriösen Analyse. Und um welches Extrem soll es sich denn handeln? Das sind alles so komische Begrifflichkeiten. So wie bei der Berichterstattung derzeit über den Parteitag der Linkspartei. Da sind die „Reformer“ und die „Fundamentalisten“. Die Begriffe sind inhaltlich durch nichts gedeckt, es sein reine Kampfbegriffe, um zu signalisieren, dass man mit den einen vernünftige Politik machen könnte und die anderen gefährlich sind.

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  36. ein Gast schreibt:

    Politiker-Hype erinnert mich an Guttenberg – seitdem geb ich jedenfalls nichts mehr auf sogenannte Beliebheits-Skalas.
    SPD oder CDU – am Ende nicht sowieso nur noch die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub?
    Wenn ich an die Hartz4 Debatte denke – 5 €! Reiner Hohn.
    Ewiger Streit, als die SPD dann nach den Wahlen die Chance gehabt hätte, per Bundesrat was zu bewegen, gibt sie nach – also was, alles nur Show?
    Zur Euro-Krise hat die SPD außer Polemik bisher auch nicht viel gebracht. Vor allem „Euro-Bonds“ seh ich ziemlich skeptisch. Konsequent kann das doch nur in einem „US Europa“ richtig laufen?

    Zum Thema Propaganda: vielleicht einigen wir uns, daß _einige_ Berichte von _einigen_ Journalisten ganz gut unter dieses Label passen… für mich speziell Herr Armbruster mit seiner sachlich-fundierten Berichterstattung.
    In wessen Interesse, und wie die Verknüpfungen aussehen, wüßte ich aber auch gerne – ob das Westerwelle-Bashing im Regierungs-Interesse war, naja.
    Jedenfalls wissen wir jetzt – dank W’s „Nein“ sind wir jetzt in der Schuld, nächstes Mal müssen wir dann aber ran… eh, Verfassung/Krieg, war da was?… was solls, die ist schon lang das Papier nicht mehr wert.

    Propaganda/Euro-Krise: gebetsmühlenartig wurde uns Röslers „Ausfall“ mit der Insolvenz als reine „Euro-skeptische Wahlkampf-Taktik“ erklärt, verbunden mit der absolut dreisten Lüge, diese Bemerkung hätte die Märkte einstürzen lassen. Inzwischen ist die Pleite anerkannte Realität.

    Wenn ich Nachrichten schaue kriege ich jedenfalls immer öfter das Gefühl, ich muss wegschalten, bevor ich mich übergebe.

    Zurück zu Occupy – ich denke das ist es auch, was die Leute auf die Straße treibt. Nicht nur die Banken – allgemein das Gefühl, hier läuft was grundlegend schief – das ganze System.
    Man kann nichts mehr glauben, „Demokratie“ nur noch ein schlechter Witz… wir werden verarscht und kriegen es noch auf die Nase gerieben.
    So extrem war es nicht immer. Oder täusche ich mich?

    Das Problem ist nur, solche Bewegungen schreien halt nach Aktionismus. Und viele Leute geben gern einfache Antworten auf komplizierte Fragen, was meistens schief geht.

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  37. tom-ate schreibt:

    …“wir werden verarscht und kriegen es noch auf die Nase gerieben.“ – Vielleicht verarschen wir uns ja selbst und das kriegen wir nicht auf die Nase gerieben. Wir werden verarscht, klingt mir zu platt nach Verschwörung. Dahin kommt man fast automatisch, solange man nicht fortwährend selbstkritisch den eigenen Beitrag zum Schlamassel reflektiert. Und warum „informieren“ sich Millionen bei Bild, RTL2 und Co.? Wenn ich sage, die werden manipuliert statt informiert, entmündige ich sie damit nicht? Information bedeutet eben Arbeit. Arbeit fürs Gehirn. Aber das Hirn arbeitet gar nicht gerne, sondern nur wenn’s sein muss. Lieber hängt’s in homöostatischen Zuständen rum und freut sich über eine extra Ladung Dopamin, wenn was Unterhaltsames geboten wird. Damit entmündige ich das Subjekt nicht, sondern erkläre, warum das Subjekt schon seit jeher immer nur in Teilbereichen mündig ist. Wenn wir das verstehen, können wir uns dran machen, Strategien zu entwickeln, welche die real existierenden „Bedürfnisse“ der Hirnphysiologie mit einbeziehen.

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  38. genova68 schreibt:

    Alle gesellschaftlichen Prozesse wirken aufeinander ein und bestimmen sich gegenseitig. Bildleser als solche isoliert zu betrachten, führt nicht weiter. Schuldzuweisungen schon gar nicht. Marx schon eher. Interessant finde ich, dass die objektiv bestehenden Klassengegensätze medial und sonstwie ständig aufgeweicht werden. Steinbrück ist dann eben ein Sozialdemokrat, der Politik für die arbeitenden Massen macht. Die Bild ist dann eine Zeitung, die sich für ebendiese Leute einsetzt. Diese Masken herunterzureißen, wäre das Gebot der Stunde. Aber das klappt wohl immer nur rudimentär und vorübergehend. Die Herrschenden wissen sich heute besser denn je zu schützen. Die mediale Beeinflussung und Kontrolle ist total, was sich am besten daran zeigt, dass es keiner mehr merkt. (Außer mir, natürlich)

    Das mit den Befürfnissen der Hirnphysiologie würde mich aber schon interessieren.

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  39. tom-ate schreibt:

    @genova: Ja, das wäre aber längere Vorlesung ;-) Kurz gefasst: In den Neurowissenschaften geht man zweckmässig davon aus, dass alle wesentlichen Steuerungsmechanismen, welche Verhalten, also auch menschliches Verhalten, möglich machen, im Gehirn eine materielle Basis oder zumindest ein materielles Korrelat aufweisen. Man kann einfachste „Triebe“, wie Hunger und Schlafbedürfnis neurobiologisch untersuchen und stellt, wie bei den Muskelreflexen, eine Kreisstruktur der Informationsverarbeitung fest. Die Systemtheorie stellt dazu die passende Begrifflichkeit, wie Ist- und Sollwert, Regler und Homöostase. Beim Hunger, z.B. misst das Gehirn im Hypothalamus die Glukose im zirkulierenden Blut und weiterer Variablen, wie Wärmeschwankungen und Signale der Magen-Darm-Chemosensoren. Der ventromediale Hypothalamus gilt als die Regel- und Integrationsstruktur für Hunger und das Sättigungsgefühl. Das ist jetzt ganz oberflächlich dargestellt, soll aber den Eindruck vermitteln, dass es sich um nichts anderes als einen komplex geregelten „Mechanismus“ handelt. Weitere Motive funktionieren ähnlich. Dieses Regelprinzip gilt ganz ähnlich im Bereich erworbener Motivation und Sucht. Banal gesagt, vermittelt ein positives oder negatives Gefühl bei der Verarbeitung eines Signals, das auch eine alimentative Wirkung haben kann, ob der Organismus diese Reizquelle nochmals, weiterhin aufsuchen soll/sich ihr weiterhin aussetzen soll (Bildzeitung z.B.). Die Macher bei Bild haben die Rezepte, um dem normalen Hirn bei Bild-Gabe positive Gefühle zu entlocken. Diese Gefühle wirken positiv verstärkend. „Mach das nochmal!“ Bei Opiaten funktioniert das verheerend gut, wie wir wissen. Das muss hier reichen. Fürs erste würde ich Birbaumer/Schmidt: Biologische Psychologie als Lektüre empfehlen.

    Das Problem für uns: Wenn unsere Hirnphysiologie auf die passenden Schlüsselreize da draußen trifft, nützen alle Argumente dagegen nichts… meistens jedenfalls.

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  40. Nihilist schreibt:

    @ tom-ate – schon mal was von Askese gehört?

    Und wie war der Spruch – es ist leichter einer Begierde zu entsagen als in ihr Maß zu halten.

    In diesem Sinne – ein Leben ohne Drogen ist möglich.

    ;-P

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  41. tom-ate schreibt:

    @Nihilist: Da seh ich noch gar keinen Widerspruch. ;-p
    Diese Mechanismen wirken ja nicht 100% fehlerfrei. Wir können andere Einflüße zur Steuerung nutzen, was man mit „Wille“ bezeichnen könnte, wohinter vielleicht eine eigene Denkleistung steht. Aber einen, den’s erwischt hat, der seine Täglich-Bild-Homöostase (nur ein Bsp.) schon hat, den kriegst du davon nicht so leicht wieder weg.

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  42. Nihilist schreibt:

    grins – Werbung verkauft ein Image – kein Produkt. Da mein „Image“ am besten mit „Querulant“ beschrieben wird …

    … da ich aber in meinem Bekanntenkreis Menschen kenne, die eine Sucht (einer Alkhol, mein Vater Nikotin – er entwöhnte sich mit Sahnebonbon die damals Stück 1 Pfennig kosteten, mein Großvater ebenfalls Nikotin – gezwungenerweise, er lag mit einem Beinbruch zu Hause und seine Frau verweigerte die Besorgung von Nachschub, ein anderer Bekannter sein kiffen) überwunden haben, bin ich der Ansicht jeder kann seine Süchte beenden, wenn er es wirklich will. Übrigens, hinterher war mein Großvater sogar glücklich darüber.

    Mein Glück, mir wurde Alkohol und Nikotin nie verboten, so war kein Reiz vorhanden das gegen den Willen der Eltern mal heimlich zu testen. Spätere Angebote von „Shit“ habe ich immer abgelehnt, nie am kreisenden Joint in der Gruppe gezogen. So wurde ich zwar von einigen angemacht, aber da steh ich drüber.

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  43. ein Gast schreibt:

    „Wenn ich sage, die werden manipuliert statt informiert, entmündige ich sie damit nicht?“

    Man muß eine Quelle halt einschätzen können. Wenn ich was in der BILD lese, weiß ich was ich davon halten kann. Die Leute in der DDR haben „ihre“ Nachrichten auch mit ner Prise Salz genossen, und mit West-Sendern verglichen.
    ARD & ZDF gelten aber als seriöse Medien. Und das wird ja auch gerne hoch gehalten hier im Westen, während wir auf andere Länder herabblicken wo das nicht so ist.

    Jede Nachricht nachzurecherchieren, dazu hat kaum einer die Möglichkeit, und auch mit Internet schon gar nicht die Zeit. Dann schaltet man den TV besser gar nicht erst an, weil Desinformation schlimmer als gar keine sein kann.

    Wenn das gezielte Weglassen von Informationen, und teilweise dreiste Lügen, gang und gebe werden im Öffentlich-Rechtlichen, kann man drüber streiten, ob man das „Verarsche“ nennt, und ob die Leute selber schuld sind, auf jeden Fall brauchen wir uns dann nicht mehr vorzumachen, wir würden in einer freien Gesellschaft mit demokratischen Idealen leben.
    Jedenfalls sind wir auf einem guten Weg weit davon weg.

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  44. genova68 schreibt:

    „Das Problem für uns: Wenn unsere Hirnphysiologie auf die passenden Schlüsselreize da draußen trifft, nützen alle Argumente dagegen nichts… meistens jedenfalls.“

    So ist es. Und das ist das Problem von Teilen der Linken, meine ich. Das ist umgekehrt auch der große Vorteil des kapitalistischen Systems. Wenn man nur ein Ziel hat, nämlich Rendite zu erwirtschaften, ist man flexibler, was Wege zur Erreichung dieses Ziels angeht. Man schaue sich beispielsweise „Change“ an, das Magazin der Bertelsmann-Stiftung. In der aktuellen Ausgabe geht es um Bürger, die sich engagieren, am Rande auch um Stuttgart 21. Selbst Walter Sittler lässt sich von denen vor den Karren spannen. Wenn man sich das Heftchen durchliest, könnte man meinen, man hält ein Heftchen von attac in den Händen. Zwar ist die Aufmachen sehr professionell und teuer, aber es geht um ziviles Engagement.

    Jeder, der die Bertelsmann-Stiftung kennt, weiß, dass die genau das Gegenteil von zivilem Engagement wollen: Eine komplett durchneoliberalisierte Gesellschaft, ihr Einfluss ist enorm. Dennoch lassen die das in dem Heft nicht durchblicken und positionieren sich sogar tendenziell gegen S 21. Es geht um Glaubwürdigkeit, um Imagepflege, nicht um das vordergründige Beharren auf Standpunkten.

    Man kann davon auch lernen. Es geht nicht um Fakten. Den meisten jedenfalls. Da ist das, was du, Tomate, über Hirnphysiologie schreibst, beachtenswert.

    Der aktuelle Linksparteiparteitag zeigt m.E., dass das nicht beachtet wird. Man dürfte beispielsweise den Medien keine Chance geben, zu berichten, die Linkspartei wolle große Unternehmen „verstaatlichen“. Das ist ein rotes Tuch und erinnert in der Tat an die DDR. Man müsste sprachlich ganz exakt unterscheiden zwischen zu verstaatlichenden Großbanken und großen Unternehmen, die „in Besitz der Mitarbeiter“ o.ä. überführt werden sollen. Nur ein Beispiel.

    Ich denke auch, dass es viele tendenziöse Journalisten gibt, fast alle auf der Rechten. Man schaue sich Peter Frey vom ZDF an, in leitender Position und nachweisbar ein desinformierendes Arschloch. (https://exportabel.wordpress.com/2009/11/19/peter-frey-du-sollst-nicht-lugen/)

    Wie da die Seilschaften genau funktionieren, würde mich auch interessieren.

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  45. InitiativGruppe schreibt:

    Jeder, der die Bertelsmann-Stiftung kennt, weiß, dass die genau das Gegenteil von zivilem Engagement wollen: Eine komplett durchneoliberalisierte Gesellschaft, ihr Einfluss ist enorm. Dennoch lassen die das in dem Heft nicht durchblicken und positionieren sich sogar tendenziell gegen S 21. Es geht um Glaubwürdigkeit, um Imagepflege, nicht um das vordergründige Beharren auf Standpunkten.

    Könnte das nicht auch andersherum interpretiert werden? – Die Gesellschaft ist in manchen Tagesordnungspunkten so vital, dass Bertelsmann ihr da ein paar Schritte entgegenkommen muss?

    Ich sehe das wie die Sache mit dem Atomausstieg, oder mit dem Akzeptieren, dass es zur Integration keine Alternative gibt. WIR haben eben doch auch einen gewissen Einfluss, und der zeigt sich grade dann, wenn zum Beispiel Bertelsmann sich uns anbiedern muss.

    Anderer Punkt – ich greife etwas von weiter oben wieder auf:
    Mir ist der „Mitte-Reflex“ von Leuten lieber als das Ausflippen hin zum Extremen. Dabei stimme ich fast jeder Kritik an diesem „Mitte-Reflex“ zu, die du vorbringen könntest (fast jeder!) – nur, dieses permanente Ausflippen von immer mehr Leuten finde ich NOCH schlimmer als den „Mitte-Reflex“.

    Wenn die Sachen heiß und schwierig werden und der Frust und der Schmerz zunehmen, dann sollten die Betroffenen nicht rumbrüllen und um sich schlagen, sondern sich abkühlen und etwas Distanz von der Sache gewinnen und anfangen, ruhig, ganz ruhig nachzudenken – und ganz vorsichtig handeln, erst einmal versuchsweise.

    Ich weiß auch, dass mir dieser Wunsch nicht erfüllt wird, und dass alles öffentliche Verhalten immer hektischer und blinder und spontaner und wütender und zynischer und motzikotzi wird. Aber ich brauch da ja doch wohl nicht mitzumachen, und ich werd mir nicht einbilden, dass dadurch was besser wird, auch wenn ich gelegentlich mit Genugtuung reagieren darf, falls das faule Ei mal (ausnahmsweise) mitten ins richtige Gesicht getroffen hat.

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  46. ein Gast schreibt:

    @Initiativ-Gruppe:
    Mitte, Extreme – sind das nicht alles nur Schubladen, die außer Verwirrung wenig bringen?
    Zur Zeit läuft das ja extrem ab: das eine Lager, Pro-Europa – die „Mitte“, die Griechenland „rettet“ (sowieso ein Hohn, da werden viele gerettet, nur nicht Griechenland), und die Euro-Kritiker – unsolidarische, ewig-gestrige Europa-Gegner.

    Ich bin kein Finanzexperte – ich kann solchen nur zuhören, aber die mich am meisten überzeugen, sagen daß der Euro selbst (einer) der Fehler ist. Der Wechselkurs ist ein wichtiges Regulativ.
    Wenn ein Politiker sich wagen würde, das auszusprechen – der bräuchte auf jeden Fall ne dicke Haut.
    Kritik am Euro höchstselbst grenzt ja schon an Blasphemie. Ohne den Euro würde schließlich die Union zerfallen und sogar Krieg ausbrechen.

    Vor 10 Jahren haben einige Finanzleute prophezeit, was heute Realität ist – und waren auch damals schon Europa-feindliche „Extremisten“.

    Mit überstürzten Handlungen geb ich dir natürlich recht – da brauchen wir uns aber keine Sorge zu machen denk ich, im Gegenteil.
    Die Politik wird sich weiter Zeit kaufen, und unangenehme Entscheidungen aufschieben, eben genau aus der Furcht vor „Extremen“, die wahrscheinlich aber so oder so nötig sein werden.
    Und aus dieser Furcht heraus werden sie auch nicht die sinnvollste Entscheidung treffen, sondern die populistisch angenehmste.

    So wie die Steuererhöhung für kurz vor der Wahl angesetzt ist ;-)
    Demokratie hat halt auch ihre Schattenseiten.

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  47. ein Gast schreibt:

    @genova68
    Ja, die LINKE. Womit wir wieder bei den Medien wären ;-)

    Der Parteitag wurde auf Phoenix übertragen. Danach fasst der anwesende Experte zusammen und erklärt uns schon mal: politisch ist die LINKE auf dem Stand von 18nochwas!
    Das nennt sich Struktur-Konservativismus – nichts gelernt und nichts geändert. Die LINKE vertritt genau denselben Sozialismus, wie er schon vor 100 Jahren war.
    Zitat: „Man denkt man wär im vorigen Jahrhundert.“ Aha! ;-)

    N24 und NTV lassen sich natürlich auch nicht 2 mal bitten – in Dauerschleife informiert die Laufschrift über den Parteitag:
    GRUNDSATZPROGRAMM – VERSTAATLICHUNG ALLER BANKEN GEFORDERT

    Damit dürfte jetzt ja allen klar sein – mit der LINKEN kommt DDR reloaded. Aber von Propaganda trau ich mich ja schon gar nicht mehr zu reden ;-)

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  48. genova68 schreibt:

    „Könnte das nicht auch andersherum interpretiert werden? – Die Gesellschaft ist in manchen Tagesordnungspunkten so vital, dass Bertelsmann ihr da ein paar Schritte entgegenkommen muss? “

    Ja, IG, würde ich so sehen, wollte ich auch ausdrücken. Kapitalismus ist geschmeidig, dessen einzige Ideologie ist die Renditeerzielung. Um anerkannt zu bleiben, sind die auch vordergründig für gesellschaftliches Engagement. Aber der Gegensatz zwischen Bertelsmannstiftung und Gesellschaft existiert ja nicht wirklich. Es ist alles verwoben. Die mischen mit. Aufgabe eine kritischen Gegenöffentlichkeit ist es, die Hintergründe zu entlarven. Interessant dabei ist auch, dass eigentlich alles bekannt ist. Es gibt viele Bücher zu den Untaten der B-Stiftung, Internetseiten, alles. Dennoch wissen vermutlich 80 oder 90 Prozent der Leute nichts. Und deshalb können sie weiter verarschen. Und wenn irgendwann mehr Leute wissen, erfindet man halt etwas neues. Es hilft wohl nichts, man muss sich ernsthafter um die Logik des Kapitalismus Gedanken machen, ob es uns passt oder nicht.

    Permanentes Ausflippen: Falls du damit das meinst, was man jetzt bei Occupy sehen konnte, stimme ich dir zu. Plötzlich kommen da haufenweise Leuten an, die etwas Chemtrails erzählen, überhaupt sind alle möglichen Verschwörungstheorien wieder en vogue. Solche Leute nerven in der Tat. Aber auch das ist systemisch: Wenn alles immer unübersichtlicher wird, der Feind spürbarer, aber nicht greifbarer (im Mittelstand wird mittlerweile massiv über Inflation etc. diskutiert), dann wird der Mensch eben irrational.

    Andererseits stimme ich auch dem Gast zu: Mit dem Begriff Extremismus muss man vorsichtig sein, weil das natürlich über den, der ihn verwendet, aussagt, dass der in der Mitte steht. Alles eine Frage der Perspektive. Wenn man sich die globalen Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre anschaut, hat das was von der Nazi-Zeit. Es geht einiges ziemlich schnell den Bach runter. 1998 war Lafontaine der Extremist mit seiner Forderung nach Regulierung des Bankenwesens. Wer sind denn die Extremisten, wenn Banken und Konzerne to big too fail sind?

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  49. genova68 schreibt:

    Gast,
    ja, die meisten Journalisten sind nicht die fittesten, würde ich sagen, zumindest wenn es um ernsthafte Themen wie Wirtschaft oder Politik geht. Das ist wohl auch systemisch, denn du kannst in den meisten Zeitungen icht ernsthaft über die Linkspartei berichten, du würdest ziemlich schnell Probleme kriegen. Es gibt Zeitungen, die die interne Direktive laufen haben, über die Linkspartei nicht als normale Partei zu berichten, sondern über etwas Aussätziges, analog zur NPD. So geht das.

    ntv und n24 ist Bildzeitung für Analphabeten. Was die so senden, ist nun wirklich das letzte. Aber die Einschaltquoten sind mäßig, insofern egal.

    Andererseits nervt mich die Linkspartei teilweise auch wegen ihres dilettantischen Kommunkationsverhaltens. Wenn die in Erfurt beschließen, dass Großbanken verstaatlicht und Konzerne ins Eigentum der Mitarbeiter überführt werden sollen, wird in den Medien daraus: Linke wollen Banken und Konzerne verstaatlichen. Der Rezipient denkt sich dann: Die wollen die DDR zurück. Das hätte sich die Partei auch vorher denken können und besser formulieren.

    M.E. wird die Linkspartei medial bekämpft, weil deren Forderung ernsthafte Probleme für die kapitalistische Verwertungslogik bringen könnte. Die Piratenpartei ist da schon besser, das Kapital kann sich freuen.

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  50. Nihilist schreibt:

    Die Partei die Partei die hat immer Recht – ab sofort für alle Parteien als Titelmusik einführen.

    So würden die Bürger besser erkennen, dass es egal ist, welche Partei an der Macht sitzt. Der Bürger in seiner Wut hat immer Unrecht. Und der Rechtsweg dauert und dauert und dauert … und wenn der Kläger nicht gestorben ist, dauert der Rechtsweg noch immer.

    Alternative? Abschaffung der Parteien! Aller Parteien! Nur noch Direktwahlen, ohne Listenplätze. Und ein „Scherbengerichtsrecht“ der Wähler im entsprechenden Wahlkreis, wenn der „Vertreter“ im Parlament gegen die Interessen der Wähler abstimmt.

    tja, und wovon träume ich Nachts? Verrate ich nicht. ;-P

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  51. hanneswurst schreibt:

    @Nihilist: das ist genau die „Joe the Plumber“ Einstellung, die der Tea Party und ähnlichem Gesocks Auftrieb verleit. Auch angesichts einer komplizierten wirtschaftlichen / politischen Lage gilt es, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Also: Kopf hoch.

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  52. madam schreibt:

    „Wie wäre es, man wiese konzentriert darauf hin, dass in Deutschland ein Prozent der Bevölkerung über ein Finanzvermögen von 2,2 Billionen Euro verfügt, zufälligerweise fast exakt die Summe der Staatsverschuldung? Und dann Namen nennt? Köpfe zeigt? Deren Enteignung fordert?“

    Lassen wir mal die rechtlichen Probleme beiseite, so stellt sich immer noch die Frage: wieviel Prozent des Vermögens könnte man tatsächlich auf diesem Wege bekommen? Wieviel mobiles Vermögen wäre bereits verschoben, wenn eine Mehrheit im Parlament eine solche Enteignung beschließen würde?

    Ja, Namen nennen! Aufkaufen aller CDs mit Steuerdaten, personelle Aufstockung der Steuerfahndung, höhere Steuern für Reiche. Aber auch das wird systematisch, systemisch hintertrieben.

    Inspirierender Artikel.

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  53. genova68 schreibt:

    madam,
    ja, wie die praktische Umsetzung aussähe, kann ich nicht sagen, kann wohl niemand auf Anhieb. Aber es ist eine Frage, die man stellen müsste. Ich kann nicht auf der einen Seite ständig erzählen, dass Geld für alles fehlt, und solche Zahlen und Verhältnisse ignorieren. Es würde auch die Diskussion komplett umdrehen. Es gibt keinen Mangel, schon gar nicht an Geld oder Reichtum. Jede Forderung nach „Sparen“ oder „Kürzen“ kann man durch solche Zahlen ad absurdum führen.

    Und die Benennung solche Verhältnisse führt im Weiteren zu der seit Marx gängigen Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt. Die Tatsache, dass die neoliberale Logik in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren in unseren Köpfen so Fuß fassen konnte, lässt ja nicht damit erklären, dass rational argumentiert wurde.

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  54. Nihilist schreibt:

    Zu: Die Tatsache, dass die neoliberale Logik in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren in unseren Köpfen so Fuß fassen konnte, lässt ja nicht damit erklären, dass rational argumentiert wurde.

    Es ist lange her, 1974 war es, als ich auf einem Lehrgang meines Arbeitgebers (öffentlicher Dienst mit Publikumsverkehr) oberflächlich in Rhetorik geschult wurde.

    Dabei kam die Aussage, mit einem Beispiel, das Menschen nicht mit Ratio sondern mit Emotionen „gelenkt“ werden können.

    So sollte man NIE, „ja, aber“ benutzen. Denn jeder der ein „aber“ hört, reagiert darauf emotional mit dem Wissen, nun kommt etwas, dass mir widerspricht.

    So wird ja auch über den emotionalen Weg die Werbung eingesetzt. Nicht ein Produkt, ein Image wird „angeboten“. Und mit „Negativimage“ funktioniert das auch, so arbeiten nicht nur viele Politiker. Das Beispiel A. Dübel ist eine der Geschichten.

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  55. tom-ate schreibt:

    @Nihilist: Guter Hinweis. Vielleicht sollte man mal die Politiker der Linken und der Grünen darauf aufmerksam machen, wie der Mensch psychologisch funktioniert. Die Kapitalisten, ihre Unternehmensberater, Vorstandsvorsitzenden, ihre Werbefritzen, die wissen das wirklich schon lange. Das mal ganz abgesehen von programmatischen Querelen.

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  56. madam schreibt:

    man sollte am „wording“ arbeiten, statt Umverteilung (von oben nach unten) nenne man das Ganze Lastenausgleich. Das hört sich einfach besser an, und schon liest man das dann in bürgerlichen Qualitätsmedien wie: http://www.zeit.de/2011/44/Deutschland-Schuldenabbau

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  57. genova68 schreibt:

    madam,
    ja, stimmt. Und der Zeit-Artikel ist ganz interessant, wobei es zu diesem Lastenausgleich erfahrungsgemäß friedlich nicht kommen wird, weil es dazu friedlich noch nie gekommen ist.

    Die wesentliche Frage ist m.E., ob die Entfesselung kapitalistischer Kräfte in einem kapitalistischen System irgendwie zivilgesellschaftlich einzuhegen ist oder nicht. Es ist doch im wörtlichen Sinn ein Wahnsinn, dass sich die kapitalistische Logik in den letzten 20, 30 Jahren in fast allen dominanten Staaten der Welt durchgesetzt hat, obwohl man jedem Kind klarmachen kann, dass das in den Abgrund führt. Das sind ja recht simple volkswirtschaftliche Mechnismen.

    Das ist ja alles irgendwie menschlich: Das Indidivuum bewegt sich ja auch gerne sehenden Auges auf den Abgrund zu. Vielleicht ist uns dieses System deshalb so vertraut.

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  58. A.L. schreibt:

    das von wg. „empören ohne ziel“ – wurde da evtl. S. Hessel mit „Indignez vous ./. Empört euch“ sog. missverstanden ?
    ich weiss es auch nicht und beobachte/selbst-reflektiere auch/diese vorgänge (wie OWS) analytisch/skeptisch und denke mir meist „meinen teil“ dazu (ist/bleibt für mich fluide; ich bin bereit, jederzeit neue/andere impulse/input aufzunehmen)
    von daher habe ich ihren post und kommentare hier gerne gelesen !

    @madam : genau, von wg. „wording“ fiel/fällt mir vieles negativ/ auf speziell in bezug auf sog. mainstream-medien (egal ob teevee oder webz) und erinnert mich an „neuspreu/newspeak“ ist ist für mich verbale/manipulation.

    lastenausgleich = mE enteignung
    (wobei die sog. eigentumsrate in dld. im vergleich mit anderen OECD staaten weniger als 50% ist)

    vgl. hier; den titel des artikels finde ich „unglücklich gewählt“
    http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/:boersenstar-im-interview-dirk-mueller-sieht-das-finanzsystem-am-ende/60117866.html

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  59. erinnert mich an „neuspreu/newspeak“ ich stimme zu, Neusprech ist weit verbeitet und ich verabscheue es !!! Dennoch glaube ich, dass man im politischen Diskurs das „Positive“ besetzen MUSS, Balanceakt dass man hierbei nicht zum Lügner wird.

    Enteignung ist ein zu 100% negativ besetzter Begriff und es ist nichtmal klar, ob „Enteignung“ wirklich ein zutreffende Terminus ist, siehe Debatte die Sloterdijk angestossen hat. Enteignung könnte demnach die Verteilung des „ERSTEN Raubgutes“ sein, also ein Robin Hood Akt, und wer mag diese Figur nicht, aber warum ist sie im politischen Diskurs so unbeliebt?

    Um Mehrheiten in einer Demokratie zu gewinnen muss man sich m.E. „ein Stück weit“ – wie weit? – dem „ersten Empfinden“ der Mehrheit annähern. d.h. noch lange nicht „dem Volk nach dem Maul reden“ aber man könnte eine „positiveren, neutralern“ Aufhänger als wording nehmen, wenn dann explizit nachgefragt wird, dann soll man auch zu dem Begriff Enteignung stehen, wobei ich gebe zu „Lastenausgleich“ ist eher ein verunklarender Begriff.

    immerhin schreibt die FTD diese headline, das ist schon bemerkenswert, was ist unglücklich daran?

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  60. „Staatspleiten sind seit Jahrhunderten Teil des Systems. Wobei ich sie eher Reset nennen würde.“ http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/:boersenstar-im-interview-dirk-mueller-sieht-das-finanzsystem-am-ende/60117866.html

    auch hier nettes Neusprech wording: reset: ein „normaler Vorgang“ beim Arbeiten mit einem PC und danach LÄUFT ES WIEDER. so muss man das „verkaufen“

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  61. genova68 schreibt:

    A.L.,
    ja, das „Empört euch“, was man bei Occupy ja hört und liest, geht sicher auf den Hessels zurück. Ich glaube nicht, dass der missverstanden wurde, aber wenn man empört ist, muss man halt früher oder später Worte dafür finden, konkret werden. Da braucht es eine gute Analyse auf ökonomischer und gesellschaftlicher Ebene. All das gibt es ja zuhauf,es is eine Frage der Koordination. Und da bräuchte es griffiges.

    „Enteignung“ läuft so ähnlich wie „Umverteilung“. Beides ist richtig und falsch zugleich. Wenn ich davon ausgehe, dass Ackermann sich sein Vermögen legal erhalten hat, kann ich ihn enteignen. Wenn ich davon ausgehe, dass er sein Vermögen zwar legal, aber illegitim verdient hat, muss ich gar nicht von Enteignung reden, sondern sollte klarmachen, dass ihm das Vermögen gar nicht zusteht.

    Umverteilung von oben nach unten meint ja auch, dass die oben so fleißig sind und sich das alles erworben haben, weil es ihnen zusteht und denen das auch noch weggenommen wird. Wenn ich einen Schritt vorher ansetze und davon ausgehe, dass schlicht ein Bezahlsystem ungerecht ist, bei dem der eine 3 Euro die Stunde verdient und der andere 7000 Euro die Stunde, dann entwickele ich ein anderes Gefühl für Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit und stelle die Legitimität dieses Verdienvorgangs an sich in Frage.

    Nur mal so als Beispiel.

    Was Müller sagt, ist im Prinzip eine Fundamentalkritik des Systems, das er einer Generalüberholung unterziehen will. Und da fordert er eine radikale Enteignung oder wie man das eben nennen will. Bemerkenswert für einen Börsenmakler und insofern ein wichtiger Mann.

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  62. A. L. schreibt:

    @Martin Dambach – „unglücklich“ weil ich zB bei -star/s immer erstmal hellhörig/skeptisch werde von wg. wer-definiert-das-und-weshalb ?
    (als ich das erste mal, zurück in dld., im webz „DSDS“ las musste ich das goggeln. urgh)
    und : bei nem computer kann ich „resetten“. alles andere ist mE „verbale hackshite“

    @genova68 – bin ich auch/d’accord
    nur : sagen tun sowas ja mMn mehrere; als realista weiss ich, dass einfach „nix gscheides“ passieren wird (so politkmässig etc.)
    „history repeating“

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  63. genova68 schreibt:

    Passieren tut alles mögliche immer langsam. Geduld :-)

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  64. A. L. schreibt:

    ergo sum ./. Ambrose Bierce
    > Patience : a minor form of despair, disguised as a virtue <
    aus "The Devil's Dictionary"
    ((http://www.thedevilsdictionary.com/?P))
    :-)

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  65. genova68 schreibt:

    :-) Das wäre eigentlich nicht mein Motto, in der aktuellen Situation aber vielleicht nicht das schlechteste.

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  66. Anita Bernhardt schreibt:

    Tja scheint so als hätte der Siener es übertrieben. Habe hier gelesen dass die sich von ihm distanziert haben: http://www.occupyfrankfurt.de/2011/12/27/occupyfrankfurt-distanziert-sich-von-wolfram-siener/
    Im PDF steht ausserdem das er verbindungen zu ner Sekte hat und wohl mehr für sich als für occupy frankfurt arbeitet.

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