Apokalypse auf dem Büchertisch

In Berlins größtem Buchladen Dussmann liegen auf dem zentralen Büchertisch, dem Eye-Catcher direkt vor der Kasse, friedlich nebeneinander:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Also das (nächste) Buch eines neoliberalen phantasierenden Sozialdarwinisten, das Buch eines neoliberalen technokratischen Sozialdarwinisten, das Buch einer mutigen, wie man sagt, und deshalb vielleicht depressiv gewordenen Jugendrichterin (†) und das Buch eines nicht namentlich gekennzeichneten französischen Autorenkollektivs, das glaubt, dass Unzufriedene mittels mannigfacher Sabotage das System lahmlegen. Interessant, dass sich das Aufstand-Buch offenbar sehr gut verkauft.

So geht Apokalypsen-Pluralismus. Jeder liest die Wahrheit, die ihm behagt. Dieser Büchertisch ist einer der seltenen Orte, an dem diese unterschiedlichen Perspektiven und Annahmen zusammenkommen, nicht nur in Form der Bücher, sondern auch die Leser, die direkt nebeneinander stehen und, sich mit ihren dicken Winterklamotten schon berührend, zu den favorisierten Werken greifen.

Vielleicht gibt es ja kurzen Blickkontakt.

Dann aber schnell weg. Der eine wird nach Weihnachten wissen, dass die dummen Moslems sich ausbreiten und Deutschland deshalb untergeht, der andere wird wissen, dass die faulen Südeuropäer via Euro uns runterreißen und Deutschland deshalb untergeht, die dritten werden wissen, dass die Kriminellen mit Samthandschuhen angefasst werden und Deutschland deshalb untergeht und die vierten werden wissen, dass die entwickelten Industrieländer nach und nach wegsabotiert werden und Deutschland also auch untergeht. Und alle haben es schon vorher gewusst.

An Silvester wird man sich dann unterhalten können über das Gelernte, natürlich immer schön gruppeninhärent. Deutschland ist im Eimer, so viel scheint festzustehen. German Angst. Aber letztlich ist das egal, denn spätestens zum Frühjahrsgeschäft kommen die nächsten Bestseller mit den nächsten Apokalypsen auf den Markt.

Es ist dies außerdem eine weitere Variante des flexiblen Kapitalismus. Man darf im System an dumme Moslems glauben und an faule Südeuropäer und an dreiste Kriminelle und an effektive Aufständische. Hauptsache, man kauft die dazugehörigen Bücher. Sogar alle vier auf einmal kann man kaufen und verschenken. Das System, das, zumindest in Teilen, angeblich demnächst begraben wird, freut´s. Selbst das Aufstand-Buch, das eigentlich den Verzicht predigt, das Entsagen des Konsums, ist nun ein Bestseller. Die Geschäfte gehen gut, nicht nur bei Dussmann.

Nachtrag: Der Fairness halber möchte ich anmerken, dass Kirsten Heisig ein durchaus relevantes Problem anschneidet und das Aufstand-Buch zumindest literarisch lesenswert ist. Dass die beiden anderen Bücher Bullshit sind, ist ja bekannt.

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11 Antworten zu Apokalypse auf dem Büchertisch

  1. chriwi schreibt:

    Das gerade Henkel über Rettung des Wohlstandes schreibt nachdem er jahrelang für die Abschaffung des Selbigen in der breiten Bevölkerung gekämpft hatte ist schon amüsant. Das ein Mann mit Migrationshintergrund, Migranten ein schlechts Genom andichtet ebenso. Das sind schon lustige Menschen unsere Eliten.

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  2. HF schreibt:

    „An Silvester wird man sich dann unterhalten können über das Gelernte,“ – wer liest denn heute noch Bücher, um etwas zu lernen? ;-)

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  3. hanneswurst schreibt:

    Ich lese das alles und mache auch alles so wie es da steht. Das wohlige Gefühl, alles richtig zu machen, ist einfach herrlich. Ich sage auch ganz offen: „Ich habe alles richtig gemacht. Wer es falsch macht, ist doch selber schuld. Hier steht es doch schwarz auf weiß.“

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  4. InitiativGruppe schreibt:

    Apokalypse ist in.

    Da ich ein Alt- und Ober-Apokalyptiker bin – ich glaub schon seit meinem 21. Lebensjahr (1971!) daran, dass sich die Menschheit zwischen 2000 und 2100 total ruinieren wird (ökologisch, per Krieg, oder beides) – frage ich mich, ob ich mich über so viel Gesellschaft nicht doch ein wenig freuen sollte.

    Ich finde mich allerdings in keiner der vier obigen Apokalypsen wieder. Da müsste ein 5. Buch auf dem Tisch liegen, Jared Diamond, „Collapse“. Da kriegst du die nüchterne Variante der apokalyptischen Vision geboten. Er zeigt auf, wie einige frühere Gesellschaften sich ruiniert haben …

    Dass Apokalypse in ist, finde ich alles in allem weise von der deutschen Menschheit. Sie versteht zwar nicht, was genau, aber immerhin merkt sie, dass was Fundamentales nicht stimmt.

    Sie merkt noch nicht, dass wir eine Art Zauberlehrling sind, der den magischen Besen Fortschritt in Gang gesetzt hat und ihn nun nicht mehr stoppen können:

    Die ich rief die Geister,
    Werd ich nun nicht los.

    Schön wär’s, jemand könnte sagen:

    In die Ecke,
    Besen! Besen!
    Seid’s gewesen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
    Erst hervor der alte Meister.

    Es gibt im wirklichen Leben keinen Meister und keinen den Spuk beendenden Spruch.

    Weil das so ist, bleibt uns Menschen nichts anderes übrig, als immer noch verrückter und hysterischer zu werden. Schließlich durchzudrehen. – Das wäre mein Buch für den apokalyptischen Büchertisch: „Die Menschheit wird verrückt.“

    Das letzte Kapitel in dem Buch wäre überschrieben: Die Rettung. Darunter: ein paar weiße Seiten. Am Ende, als kleine Anmerkung: „Wenn Sie unbedingt eine Rettung haben wollen, dann lassen Sie sich mal was einfallen!“

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  5. Nihilist schreibt:

    Ich bin wohl etwas altmodisch, ich lese Marc Aurel, Seneca, Platon, Schopenhauer, Kant, und Shakespeare; aber auch Bukowski, Hesse, Heine. Alles „Schriftsteller“ die nicht mehr leben.
    Da wäre den (gewissen) Autoren anzuraten … wenn sie von mir gelesen werden wollen – grins.

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  6. genova68 schreibt:

    Hannes,

    sehr gut, dann bist du ja im Bilde. Wenn ich demnächst mal orientierungslos bin, frage ich dich einfach.

    Dass Apokalypse in ist, finde ich alles in allem weise von der deutschen Menschheit. Sie versteht zwar nicht, was genau, aber immerhin merkt sie, dass was Fundamentales nicht stimmt.

    :-) Ich habe vor ein paar Tagen einen Videokommentar einer portugiesischen Wirtschaftsjournalistin (wohl Mainstream) gesehen, die der deutschen Politik eine ordentliche Mitschuld am Desaster dort gibt. Merkel drückt demnach ihre imperialistische Politik der ganzen EU auf. Da sind die Apokalyptiker also die herrschenden Schichten in Deutschland. Alles eine Frage der Perspektive. Ich finde diesen Ansatz wesentlich einleuchtender. Am deutschen Wesen soll nach wie vor oder schon wieder die Welt genesen. Da es mit dem Krieg nicht klappt, wird es halt ökonomisch versucht. Wobei hier die portugiesische Perspektive sich davor hüten muss, ins fremdenfeindliche abzurutschen.

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  7. InitiativGruppe schreibt:

    Ja, Genova68,
    da sind wir Deutsche immer in Gefahr, besonders penetrant zu werden.

    Wir machen „unsere Sachen“ in der Regel schon relativ gut; aber aus Angst, aus Pflichtgefühl – also aus einem problematischen Grund, einem Grund, der auch weh tut – und das lassen wir dann die anderen, die nicht so effizient und ordentlich und zuverlässig und kompetent und pflichtbewusst sind, gerne spüren.

    Je weiter der Abstand von unserer historischen Schande wird, desto höher steigt die deutsche Nase.

    Und weil wir – weise, wie wir sind – gemerkt haben, dass am deutschen Wesen die Welt nicht mehr genesen will, fürchten wir, sie wird untergehen, die Welt.

    Aber das wollen wir doch dem Rest der Menschheit vor ihrem Untergang schon noch unter die Nase reiben, dass WIR es besser gewusst hätten!

    Das mit dem Besser-Wissen ist natürlich etwas, das nur jemand kritisch aufspießen darf, der zugleich merkt: Mit dem Zeigefinger zeige ich hier auf DIE ANDEREN, drei andere Finger zeigen dabei automatisch auf mich zurück.
    Welcher Mensch ist kein Besser-Wisser?
    Ich etwa?

    Also: Vorsicht, Leo!

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  8. InitiativGruppe schreibt:

    Ach, beinah hätt ich es vergessen:

    Ceterum censeo Carthaginem esse delendam!

    Übersetzt:

    Und im übrigen bin ich der Überzeugung, dass die Menschenwelt doch bald untergehen wird!

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  9. genova68 schreibt:

    Das Thema der hohen deutschen Nase im aktuellen Kontext wird zu selten thematisiert. Gar nicht so im Sinne einer Anklage, mehr analytisch. Wettbewerbsvorteile um jeden Preis, ökonomisches Niederringen einerseits, Angst vor allem Fremden und die Projektionen, die medial hochgepushte stramme Neoliberale der besorgten Öffentlichkeit präsentieren, ob Sarrazin, Henkel, Broder oder Sloterdijk, um nur die Spitze des Eisbergs zu nennen. Wie einfach man hier diese ganzen alten Ressentiments aufleben lassen kann, nur ein wenig neu verpackt. Die Behandlung dieses Komplexes wäre mal eine notwendige Beschäftigung mit Vergangenheit. Dass Hitler ein böser war, darauf hat man sich ja mittlerweile geeinigt.

    Dass die Welt untergeht, glaube ich nicht. Wie soll das gehen? Sie ist ja rund und untergehen ist im Weltall prinzipiell nicht möglich. Der Mensch passt sich an. Bei Prognosen sind nicht die Vorhersagen als solche interessant, sondern das, was sie über die Prognostizierenden, also über die Zeit, in der die Prognose gestellt wurde, aussagen.

    Beim Besserwissergestus fasse ich mir aber auch an die eigene Nase.

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  10. Nihilist schreibt:

    Wie sagte Otto Walkes – als ich ihn noch neu und interessant fand.

    Lieber Gott, gib doch zu, das ich klüger bin als du.

    Und das trifft auf alle Menschen zu, die sich mit der „Konstruktion“ des Menschen befassen. Eine „bessere Version“ wäre durchaus machbar gewesen, für so ein allwissendes und allmächtiges Wesen.

    Somit belegt die Existenz des Menschen, an Hand seiner Konstitution, dass eben kein intelligentes Wesen an der Konstruktion beteiligt war. Mutation und Evolution prägten die Gestalt, kein Schöpferwesen.

    Nur die Furcht der Menschen vor der Nichtexistenz in der Zukunft formte den Glauben an ein „Nachlebensleben“ des Geistes. Komisch, das keiner Angst davor hat, vorher nicht gelebt zu haben.

    Aber da soll es ja doch Menschen geben, die dann meinen, schon einmal gelebt zu haben. Nichts als die kognitive Dissonanz, die Realität nicht so zu akzeptieren wie sie einmal ist. Wir werden gezeugt, leben, sterben irgendwann.

    Und diese Erkenntnis hatte nun einmal auch schon früher jemand, der es niedergeschrieben hat – Marc Aurel, der (eigentlich) einzige lesbare Römer, denn Seneca, da schweigt des „Sängers“ Höflichkeit. Nur ein Wort – NERO.

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  11. InitiativGruppe schreibt:

    Genova68,
    DIE Welt geht natürlich nicht unter – aber UNSERE Welt vielleicht doch: Ich meine, unsere Zivilisation. Selbst wenn alles ganz schlimm kommt, wird es Überlebende geben und irgend eine Art Neuanfang.

    Aber das, was wir als unsere Welt erleben – diese hochtechnologisierte Weltgesellschaft mit Milliarden Mitgliedern, organisiert in politischen Gemeinschaften – das könnte zusammenbrechen.

    Ich denke mir das etwa so wie Jared Diamond den Untergang der Maya-Hochkultur beschrieben hat. Viele haben es überlebt, aber auf einem sehr viel niedrigeren Niveau. Die Verluste beim Zusammenbruch waren aber katastrophal. Ohne Hochkultur konnte nur ein Bruchteil der Menschen noch ernährt werden.

    Weltuntergang, Apokalypse, ist also für mich nicht Der Jüngste Tag. Oder die Unbewohnbarkeit der Erde. Sondern so etwas wie eine rasende Katastrophe, bei der von den jetzt knapp 7 Mrd. Menschen nur noch 700 Millionen oder noch weniger übrig bleiben, und diese Überlebenden schauen müssen, wie sie sich auf vergleichweise sehr primitivem Niveau durchschlagen und reorganisieren können.

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