Warum Duisburg die Loveparade nicht nötig hatte

Ich will mich gar nicht weiter zu der Katastrophe von Duisburg äußern, nur zu einem Detail, das mir aufgefallen ist. Es geht um eine unangenehme Provinzmentalität.

Offensichtlich haben die Polizei und diverse Fachleute der Stadt aus Sicherheitsgründen ganz klar davon abgeraten, die Loveparade auszurichten. Die Stadt, allen voran die CDU-Fraktion und der Bürgermeister Adolf (ja, das gibt´s noch) Sauerland, hat die Kritiker mundtot gemacht und das Event gestartet, wie man sagt.

Warum wollten diese Leute die Loveparade unbedingt und trotzdem nach Duisburg holen?

Weil sie sich davon ernsthaft einen Image- und somit auch einen finanziellen Gewinn für ihre Stadt erhofften. Das muss man sich mal vorstellen: Die Loveparade hatte 1989 als Avantgarde begonnen, war aber schon Ende der 90er in Berlin ein reines Kommerzspektakel. In Essen und Dortmund konnte man in den vergangenen Jahren sehen, dass der Liebeszug endgültig verramscht wurde. McFit bestimmte das Level, das Ganze war eine Mischung aus Dauerwerbesendung und Ballermann.

Das mag ja für die Zielgruppe ok sein. Doch wie provinziell müssen die Verantwortlichen einer Stadt sein, dass sie so ein abegnudeltes Event unbedingt realisieren wollen, trotz unbestreitbar im Vorfeld artikulierter Sicherheitsbedenken? Wie sehr ist eine Stadt von Hoffnungslosigkeit geprägt, wenn ihnen Resteverwertung als Rettungsanker erscheint? Davon abgesehen ist eine Loveparade ökonomisch für die Kommune kaum verwertbar. In Berlin jedenfalls stritt die Stadt alljährlich mit dem Veranstalter darum, wer die Kosten für die Reinigung zahlt und bemühte sich dann auch nicht sonderlich, die Parade an der Spree zu halten.

Und woran genau soll Duisburg denn bitteschön partizipieren, wenn die eine Million Million Mainstreamraver nach ein paar Stunden wieder abgezogen sind? Ein Signum der Loveparade ist ja gerade eine bestimmte Form des Kosmopolitismus: Der Idee wie auch den Besuchern ist die konkrete Stadt wurscht. Es ist egal, zu welcher Stadt der Asphalt gehört, auf der die Floats entlangwummern. Einige Kids wähnten sich ob des komischen Namens mit dem verhinderten Umlaut wahrscheinlich schon in Holland. Who cares?

Duisburg, und vorher Dortmund und Essen, haben gezeigt, dass sie gerne als Resteverwertung für das dienen, was in den Vorbildstädten nur noch ein Gähnen hervorruft. Schade.

Denn Duisburg ist mir eigentlich sympathisch. Es gibt dort einzigartige Industrielandschaften, Brachen, Ecken, in denen die Zeit stillsteht, sich überlagernde soziale Schichten, rührende Bemühungen, Konflikte zu entschärfen, es gibt die skurrile Emscher, es gibt den Rhein. Für jeden, der sich ernsthaft für das Thema Stadt interessiert, ist Duisburg eine Fundgrube, die sich hinter Berlin und sonstigen hoch gehandelten Metropolen nicht verstecken braucht. Es gibt hier keine Kö, aber das macht die Hoffnung auf eine arschlochfreie Zone nur realistischer.

Industriekultur, Zechen, die Kulisse von Thyssen, der Landschaftspark-Nord, das wunderbare jüdische Gemeindezentrum von Zvi Hecker und mehr: Eigentlich gibt es genug, was Duisburg einzigartig macht. Dass die Stadthampelmänner meinen, ausgerechnet mit einer abgehalfterten Loveparade ihr Image aufpolieren zu müssen (und dafür selbst den Alptraum grob fahrlässig in Kauf nehmen, der dann real geworden ist), zeigt mindestens zweierlei: Erstens die nach wie vor aktuelle Kirchturmpolitik im Ruhrgebiet (Den Bochumern haben wir´s gezeigt!) und zweitens: einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Nachbarschaft (die in Form von Essen ja in der Tat gerne arrogant auftritt).

Kraft meiner urbanistischen Sensibilität und obwohl ich gegen die Personalisierung von Städten bin, versichere ich Duisburg: Es muss sich nicht verstecken.

Das galt zumindest bis Samstag.

(Fotos: genova 2007)

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17 Antworten zu Warum Duisburg die Loveparade nicht nötig hatte

  1. hanneswurst schreibt:

    Industriekultur gibt es zwischen Recklinghausen, Dortmund, Solingen und Duisburg zuhauf. Also müssen zur Profilierung Skihallen, Einkaufszentren, Liebesparaden und dieser ganze Schrott her. Ich bin dafür, weite Teile der Rhein/Ruhrregion wieder der Natur zu übergeben, Vorbild könnte der Chippewa Lake Park sein: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Chippewa_Lake_ferris_wheel_2007.jpg

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  2. genova68 schreibt:

    Stimmt schon, es ist nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal. Zumal ein paar Kilometer weiter südlich die Schickimickistadt glänzt und noch ein paar Kilometer weiter südlich die hippe Medienmetropole. Duisburg hat es da nicht einfach.

    Wobei es marketingtechnisch ziemlich interessant wäre, Duisburg besser darzustellen. Ich glaube, dass es immer mehr Menschen gibt, die auf die üblichen Stadtkulissen keinen Bock mehr haben. Ob du in Rotenburg ob der Tauber rumläufst oder in Speyer, ist doch alles die gleiche Mittelaltershow mit Eis und Postkarten und schlechtangezogenen Kleinfamilien. Und die coolen, trendigen Hackescher-Markt-Ecken sind zwar massenkompatibel, aber eigentlich das gleiche in modern.

    Das Authentische wird wieder kommen.

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  3. frank peso schreibt:

    sag ma, das obere bild ist doch der palast der republik. wie isn der da hin gekommen?

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  4. Pingback: Der Ruhrpilot | Ruhrbarone

  5. genova68 schreibt:

    Sehr gut beobachtet, Frank Peso, der Palast der Republik ist tatsächlich in Berlin ab- und in Duisburg jüngst wieder aufgebaut worden. Er wird kommendes Wochenende im Beisein von Adolf Sauerland offiziell eröffnet. Die Nutzung ist vielfältig und verspricht einen raffinierten Mix: Einkaufscenter, Gastronomie, Büros und gehobenes Wohnen.

    mfg
    investor

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  6. Pingback: Ruhrgebiet und Loveparade: Der Zwang zum Megaevent | Ruhrbarone

  7. X schreibt:

    „Es gibt hier keine Kö, …“

    Doch, selbst die gibt es in Duisburg : http://bit.ly/dlN1di

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  8. Martin Schmitz schreibt:

    Du sprichst mir aus dem Herzen, genova. Duisburg ist eine einzigartige Stadt und für mich als Geograph gibt es bei jedem Besuch neues zu entdecken, obwohl ich 21 Jahre in dieser Stadt gelebt habe. Viele sehen nur das Grau im Norden und die vielen Industriekomplexe und wenden sich ab. Ich spüre dagegen die Seele der Stadt, die sich doch sehr von den 0/8/15-Städten in Deutschland, aber auch im Ruhrgebiet unterscheidet. Zu Deiner Auflistung möchte ich gerne noch zahlreiche Rheinwiesen und den Grünkomplex Sportpark – Sechs-Seen-Platte – Stadtwald ergänzen. Solch ein großes und attraktives Grünflächennetz habe ich in keiner anderen Stadt gefunden.

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  9. zahnwart schreibt:

    Schöne Beschreibung Duisburgs (das ich persönlich nur von zwei, drei Aufenthalten kenne, Ähnliches denke ich allerdings in Dortmund immer wieder). Ich fürchte, das ist ein Grundproblem, „kleinerer“ (wirklich klein ist eine Halbmillionenstadt natürlich nicht) Städte: dass sie ihre eigenen Qualitäten nicht wahrnehmen und stattdessen das kopieren, was sie in Metropolen als großstädtisch missverstehen, Musicals und Shoppingtempel. Nur kopieren sie es nicht einmal so schlecht, wie es in der Großstadt ist, sie kopieren es noch einen Tacken schlechter.

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  10. sanctum429 schreibt:

    Da ich selbst Duisburger bin, bin ich froh doch auch mal was positives über diese Stadt zu lesen. Es ist schrecklich von Jahr zu Jahr, immer nur negativ durch die Presse zu gehen. Mafiaaffären, Rockerbanden, Loveparade, etc.

    Das Leben in Duisburg selbst sieht allerdings anders aus. Hier gibts niemanden, der sich wirklich unsicher fühlt, oder sonst was. So wie manche Medien zur Zeit nur über Duisburg „urteilen“, möchte man als „Einheimischer“ manchmal meinen, es würde über ein Dauer-Kriesengebiet gesprochen.

    Ein Image-Problem wirds jedenfalls mit sich ziehen, ob die halbe Millionen Duisburger das unterstützt haben, oder nicht.

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  11. Kai Sirt schreibt:

    Danke für den Text. Eine Sache wird in meinen Augen viel zu wenig/selten genannt. Der Hafen. Wenn man Wikipedia und anderen Quellen glaubt dann ist er wahlweise der größte Europas oder sogar der Welt. Er ist also beinah und irgendwie einzigartig – warum haben das so wenige auf dem Radar? Egal ob Duisburger selber oder Menschen von auserhalb, nur wenigen ist der Hafen richtig bekannt – ja man weiß das er da ist, aber mehr Infos – Fehlanzeige. Schade.

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  12. genova68 schreibt:

    Danke für die Kommentare.

    Martin Schmitz,
    ja, meine Empfehlungsliste war keineswegs vollständig. Interessanterweise hätte ich die Sechs-Seen-Platte aber nicht genannt. Da ist es schön, als Naherholungsgebiet sicher super, aber es ist nicht gerade etwas, was einem als Auswärtigem in Duisburg auffällt.

    Zahnwart,
    sehe ich genauso. Metropolkopien funktionieren nicht, sind schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt.

    Sanctum,
    „Mafiaaffären, Rockerbanden, Loveparade“: interessante Auflistung…

    Kai,
    der Hafen, tja, ich war auch schon dort, aber irgendwie ist er mir nicht hängengeblieben, keine Ahnung im Moment, woran das liegt. Die Sicht auf den größten Binnenhafen Europas (wenn ich nicht irre) ist jedenfalls völlig anders als im Fall Hamburgs.

    Meine Wahrnehmung des Ruhrgebiets ist so: Ich war zum ersten Mal im fortgeschrittenen Alter von 30 dort, komme ursprünglich aus dem Süden, und hatte bis dato nur die gängigen Klischees im Kopf: Kohle, Stahl, Smogalarm und den Slogan „Ein starkes Stück Deutschland“. Bei meinem ersten Besuch dachte ich spontan, dass der Slogan sehr gut ist, authentisch, und fand das Ruhrgebiet sehr sympathisch: die Industriekultur, Siedlungen wie Eisenheim, die iba Emscher Park, das überraschend ländliche Ruhrtal, die soziale Topographie (im Süden reich, im Norden arm), die Büdchenkultur, die ganze skurrile Ästhetik; ich fand die Art und Weise, wie dort mit dem industriellen Erbe umgegangen wurde, sehr angenehm, der Stolz, der entwickelt wurde im Blick auf die eigene Geschichte.

    Dann kam der Slogan der „Metropole Ruhr“ und wohl der überdimensionierte Anspruch, der seitdem und jetzt verstärkt kritisiert wurde.

    Das Ruhrgebiet sollte sich auf seine Stärken konzentrieren, den Begriff beibehalten und das Nachahmen von Metropolen sein lassen, klappt eh nicht. Eine Metropole wird das nie werden, wieso auch. Authentizität ist der Begriff, der entwickelt werden kann.

    Dazu gehört auch das Autobahnsystem: wieder so eine Sache, die an sich ziemlich unsexy ist, aber dort irgendwie funktioniert, die Leute dort sagen „fahr die 40 und dann auf die drei“. In Berlin wären damit U-Bahn-Linien gemeint, im Ruhrgebiet eben Autobahnen. Von denen aus kann man ja auch die gesamte Region erschließen.

    Mir ist auch nicht klar, weswegen die Emschergenossenschaft so krampfhaft versucht, eine „Emscherregion“ zu vermarkten, also eine Zweiteilung des eigentlichen Gebietes vorzunehmen und dann das Wort „Ruhrgebiet“ eine Todsünde ist.

    Die Frage ist natürlich, inwieweit man die Bewohner mitnehmen kann in solch einem Konzept. Aber wenn ich davon ausgehe, dass der Stolz auf die eigene Industriekultur ja auch erst geweckt und entwickelt werden musste, denke ich, dass da viel machbar ist.

    Andererseits kann man nicht ewig mit der Industriekultur weitermachen, das ist ja größtenteils Geschichte.

    Jedenfalls ist das Ruhrgebiet in gewisser Weise einzigartig, diese Authentizität macht es aus, das sollte man nicht mit beliebigen Events und Skihallen und Shopping Malls übertünchen.

    Düsseldorf (wo ich lange gewohnt habe) macht es negativ vor: Dort sieht man sich auf einem Level mit Paris und New York (Berlin ist wohl zu derb) und kopiert alles, was irgendwo anders erfolgreich ist: Fischmarkt, Weinfest, Skifahren am Rheinufer, lächerlich. Gerade aus der Warte schien mir Duisburg immer angenehm bodenständig, ehrlich.

    So viel in aller Kürze.

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  13. InitiativGruppe schreibt:

    Genovas Artikel war heute wieder einmal das beste, was ich beim Surfen gefunden habe. Auch die Kommentare dazu habe ich mit Gewinn gelesen.

    Besonders beeindruckt und getroffen hat mich das:
    „Ein Signum der Loveparade ist ja gerade eine bestimmte Form des Kosmopolitismus: Der Idee wie auch den Besuchern ist die konkrete Stadt wurscht. Es ist egal, zu welcher Stadt der Asphalt gehört, auf der die Floats entlangwummern.“

    Als Kosmopolit, der zugleich Lokalpatriot und Deutscher mit Geschichtsanbindung ist, erschreckt mich die konsequente Geschichtslosigkeit und beabsichtigte Bindungslosigkeit, die sich in der libertären (?) Gleichgültigkeit ausdrückt.

    Ist das die Zukunft? Gibt es unter denen, die eine Generation jünger sind als ich, auch andere starke Strömungen?

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  14. Pingback: Auch ich bin ein Bewohner des Ruhrgebiets « AISTHESIS

  15. genova68 schreibt:

    IG,

    ich verstehe was du mit „Bindungslosigkeit“ meinst, aber ich denke, die ist lediglich geographisch beabsichtigt. Eine Loveparade braucht keinen geographisch eindeutigen Ort. Ansonsten ist diese Bindungslosigkeit eher eine Folge der Moderne, neoliberal verschärft. Das ist nicht gewollt. Die Bindungslosigkeit soll ja im Gleichtakt des Techno plus Drogen eher überwunden werden. Ob der Versuch klappt, ist eine andere Frage.

    Wenn man das ganze eine Nummer tiefer hängt, ist die Loveparade der ballermanhafte Versuch, sich für einen Tag komplett aus dem zwanghaften Alltag herauszukatapultieren, sonst nichts.

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  16. InitiativGruppe schreibt:

    Unter einer Bindung verstehe ich eine Beziehung, bei der ich nicht frei bin und die ich dennoch will oder brauche.

    Wenn ich verheiratet bin, wenn ich Kinder großziehe, wenn ich Eltern habe, die meine Hilfe brauchen, wenn ich mit Kollegen kooperiere für meinen Arbeitserfolg, wenn ich mich in einer Bürgerinitiative unterordne, damit eine gemeinsame Aktion möglich wird, wenn ich mich als Deutscher zur deutschen Geschichte bekenne — dann bin ich nicht frei, jedenfalls nicht völlig frei. Solche Unfreiheit zu bejahen, sie als natürlich und richtig zu empfinden, das wird immer schwieriger und befremdlicher.

    Ich vermute, dass sich bejahte, gewollte Bindung durch Abhängigkeit und Zwang der Verhältnisse ersetzen lässt.

    Bindung kann man genießen, kann man auch gestalten. Da kann die Unfreiheit Freiheitsräume schaffen. – Abhängigkeit hingegen macht leiden, macht uns zu Gefangenen oder sogar Sklaven.

    Vermutlich können heute viele nicht mehr unterscheiden zwischen Bindung und nackte Abhängigkeit, weil sie in der Bindung nur noch die Abhängigkeit spüren.

    (Ich spreche da übrigens auch von mir selbst.)

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