Lena Meyer-Landrut: Jetzt ist alles möglich

Medienökonomisch betrachtet ist Lena Meyer-Landrut natürlich interessant. Sat1, Pro Sieben und die ARD, Unternehmen mit einer gigantischen Marktmacht, vermarkten eine eine nette, attraktive, wohl wirklich ziemlich coole, offenbar extrem stressresistente und insgesamt belanglose 19-jährige über mehrere Wochen hinweg mit Vollgas, strategisch geplant vom Vollprofi Stefan Raab. Lena tingelt durch sämtliche Radioprogramme und Fernsehsendungen, darf ihr Musikvideo kurz vor der 20-Uhr-Tagesschau zeigen, tritt eine Woche lang jeden Abend bei TV Total auf, macht bei Raabs Wok-WM mit undsoweiterundsofort.

Dann gewinnt sie einen langweiligen Schlagerwettbewerb, bei dem die Mehrzahl der Konkurrenten unterirdisch schlecht ist. Sie gewinnt ihn wie vor ihr 53 andere Sängerinnen und Sänger, und schon treten die üblichen rechten Vollpfosten auf den Plan. So findet Reinhard Mohr den Versuch einer Erklärung des Sieges Meyer-Landruts auf Spiegel-online allen Ernstes „eine Denksportaufgabe ohnegleichen“ und erklärt dann ganz sportlich:

Lena Nazionale, ein neues deutsches Fräuleinwunder. Ungläubiges Staunen überall. Das ist nicht wahr. Wahnsinn, Wahnsinn! Dass wir das noch erleben dürfen!…

Lenas Gesicht ist offensichtlich auch das Gesicht eines neuen Deutschland…

Schon 1945, als das Land der Nazi-Verbrecher in Trümmern lag, gab es ein sogenanntes deutsches Fräuleinwunder, das nicht zuletzt das Staunen darüber war, dass die Deutschen, die in fast ganz Europa schrecklich gewütet haben, auch ganz anders sein können – und ganz anders sind…

Und wer weiß: Womöglich entwickelt Lenas spektakulärer Erfolg auch noch Schubkraft für Jogi Löws WM-Kicker. Jetzt ist alles möglich.

Der letzte Satz klingt wie eine Drohung. Dieser unglaublich dämliche neue deutsche Nationalismus, der immer auch mit einer Eventisierung einhergeht: Eine Fernsehshow wird zum Testfall für den neuen Deutschen, der jetzt, endlich, befreit ist von Hitler und endlich auch anerkannt wird vom Rest Europas. Wir sind doch gar nicht so. Zumindest eine von 82 Millionen.

Ist der Sieg von Nicole 1982 genauso tümelig beschrieben worden? Damals ging es, wenn ich mich recht erinnere, doch eher darum, dass „Ein bisschen Frieden“ in die Zeit von Pershing II und SS 20 passte. Was sagt uns „Satellite“? 1982 wäre vor allem auch kein Idiot auf die Idee gekommen, aus einem Schlagerfestival eine Neudefinition der Nation abzuleiten.

Geradezu esoterisch wird es, wenn die Fußballer jetzt von Meyer-Landrut „Schubkraft“ erhalten sollen. Dieser Mohr kommt mir vor wie der geistige Bruder von Henryk M. Broder. Beide mal irgendwie links und dann abgedriftet.

Der JU-Chef Philipp Mißfelder schlägt Lena und Raab übrigens für das Bundesverdienstkreuz vor. Begründung:

„Stefan Raab und Lena haben zusammen den Grand Prix gerettet und Deutschland einzigartig präsentiert.“

Jetzt ist also alles möglich. Wie wäre es für den Anfang damit, dass unsere Lena Bundespräsidentin wird? Reinhard Mohr fände es sicher toll. Natürlich nur nach sportlichem Denken. Wahnsinn, Wahnsinn.

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32 Antworten zu Lena Meyer-Landrut: Jetzt ist alles möglich

  1. Jörg Kremer schreibt:

    Lass den Menschen doch ein wenig Euphorie. Die Realität ist so schnell wieder da. Man muss auch mal gönnen können.

    Die Verleihung eines Buneslenakreuzes ist natürlich Quatsch. Aber Männer in Liebe sind so romantisch… ;-)

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  2. genova68 schreibt:

    So schnell kannst du den Artikel doch gar nicht gelesen haben. Aber gönnen tue ich der Lena den Sieg auf alle Fälle.

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  3. hanneswurst schreibt:

    Die Israelis haben UNSERER Lena stoisch null Punkte gegeben, das merke ich mir, diese Ewiggestrigen, diese fiesen Zänkerer. Was haben die eigentlich mit EURO-Vision zu tun, Israel liegt doch in Afrika.

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  4. genova68 schreibt:

    Unverschämtheit von den Israelis. Was wohl Herr Mohr dazu sagt, dass die sich unserer aktuellen Vergangenheitsbewältigung verweigern?

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  5. hanneswurst schreibt:

    Er wird wie ich den sofortigen Ausschluss Israels aus der EU fordern.

    Sehr gut hat mir Jimmy Jump beim spanischen Auftritt gefallen. Dann kam dieser Doppelgänger, ich dachte der ist auch ein Flitzer. Aber der war auch im zweiten Durchlauf noch dabei. Urkomisch.

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  6. Jörg Kremer schreibt:

    Ja genau. Israel! Warum eigentlich? habe ich mich zwischen den Freudenschreien auch gefragt. Kennt jemand die Geschichte dazu. Ich meine jetzt nicht DIE Geschichte. Die kenne ich.

    Israelische Musik ist für Europäer sehr gewöhnungsbedürftig. Umgekehrt sicher auch. Da sind alle Länder mit minimalorientalischem Einfluss deutlich im Vorteil.

    @genova Auf dem iPad ist man eben sehr schnell…

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  7. florianpopp schreibt:

    Herr Mohr artikuliert ja neben seinen kulturpolitischen Exkursionen auch immer wieder seine Leidensgeschichte am Herzen – die Chancen stehen also gut, dass wir nicht mehr allzu lange seinen dumpfen Sub-Journalismus ertragen müssen. Nichts für ungut, aber im INSM-Gewächshaus von SpON ist Mohr eines der ungenießbareren Nachtschattengewächse…

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  8. genova68 schreibt:

    Jörg,
    einen möglichen Grund nennst du ja selbst, die israelische Musik.

    Lenas Opa war übrigens deutscher Botschafter in der Sowjetunion.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Meyer-Landrut

    Und der Vater von Lena trägt den Künstlernamen Ladis von Karatsony, hihi.

    (Ich gehörte übrigens zur überwältigenden Mehrheit von rund 65 Millionen Deutschen, die den Grand Prix nicht gesehen haben. Schönes Gefühl, endlich mal beim Mainstream dabeizusein.)

    INSM-Gewächshaus bei Spon ist gut, muss ich mir merken.

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  9. rauskucker schreibt:

    Alles möglich? Quark.
    Bundespräsidentin kann auch sie erst mit 40 werden.

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  10. Jörg Kremer schreibt:

    @genova Danke für die Info.

    Ich habe neudeutsches Public Viewing betrieben. In der Herde war es echt witzig.

    Ausschlaggebend für mein PV war die sehr smarte Berichterstattung unter oslog.tv. Und natürlich mein berufliches Interesse an der Vermarkungsstrategie des Herrn Raab.

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  11. frank peso schreibt:

    Diese Synchronizität des nazionalen Fräuleinwunders, mit Hilfe einer strapezierbaren Diplomatentochter, und dem Rücktritt Köhlers wegen seiner Äußerungen am 22.5. d.J. ist doch interessant. Oder gibt es da noch was Miss zu verstehen?

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  12. frank peso schreibt:

    Und noch eine Synchronizität. Ein Orden für ein Mitglied des Aufsichtsrats der GEMA.

    http://www.berlin.de/landespressestelle/archiv/2010/05/31/297432/index.html

    Verdienstkreuz am Bande für Prof. Dr. Rolf Bude

    Im Auftrag von Bundespräsident Horst Köhler wird Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz am 3. Juni 2010 um 12.00 Uhr in der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an den Musikverleger und 1. Vorsitzenden der Max-Liebermann Gesellschaft e. V., Herrn Prof. Dr. Rolf Budde, aushändigen.

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  13. Redford schreibt:

    Och, bitte. An dem Eurovision-Ding gibt’s nun wirklich nicht viel zu politisieren. Abgesehen von der obligatorischen Punkteschacherei zwischen gewissen Staaten, natürlich. Solche Kommentare wie bei SPON würde ich nicht weiter ernst zu nehmen. Da ist die Euphorie mit manchem Redakteur durchgegangen.

    Die Lena ist in eine durchaus symphatische, hübsche 19-Jährige. Mehr sehe ich in ihr als Person nicht. Die Hellste mag sie nicht sein (bei dem sehr seltsamen Eintrag ins Stadtbuch), aber OK, sie singt gut halt gut und ist medientauglich. Ich gönne ihr den Sieg, obwohl mir persönlich einige andere Titel besser gefallen haben. Doch das ist ja alles Geschmackssache.

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  14. InitiativGruppe schreibt:

    Äh, was ist im Moment los?

    Lena ist als Präsidentin zurückgetreten, Köhler hat ein Schiff nach Afghanistan geentert, und die Israelis haben den Eurovisionswettbewerb besetzt und wollen ihn jetzt dauerhaft besiedeln?

    Ich versteh nur noch Bahnhof.

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  15. Jörg Kremer schreibt:

    @redfort Ja, absolut richtig!Es ist nur ein wenig liebenswerte Euphorie! Mehr nicht!
    Der Goldeintrag war aber sehr intelligent! Es war eigene Sprache (Axt), es war nicht die angepasste Standardformulierung! Sie hat klar gemacht, dass Sie zu all dem eine Gewisse Distanz hat! Und das ist gut so für ihr Alter. Für die Alten ist Sie jetzt frech, aber lieb. Für die Jungen ist sie lieb, aber frech!
    Perfekt!

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  16. HF schreibt:

    Raab sollte jetzt auch das Casting für die Besetzung des BuPrä-Postens übernehmen!

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  17. hanneswurst schreibt:

    @frank peso:
    So viele Synchronizitäten, ein gefundenes Fressen für jedes sanft psychotische Gehirn. Ich behaupte jedoch eine einfache, kausale Beziehung zwischen Oslo und Bellevue: Köhler hat am Samstag nach einigen Bierchen verkündet: „Wenn die gewinnt, trete ich so bald wie möglich zurück.“ Endlich mal ein Amtsträger, der hielt was er versprach.

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  18. InitiativGruppe schreibt:

    Neuer Präsident soll ja doch endlich eine Frau werden – und die entfremdete Jugend sollte auch besser eingebunden werden in unsere staatstragende Politik – LENA FOR PRESIDENT!

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  19. txxx666 schreibt:

    Tja, schon ein bissken Ageism, diese Klausel mit „BP erst ab 40“ – wenn damit auch diesmal die etwas Jüngeren diskriminiert werden; aber der Raab ist doch schon jenseits der Menopause, der könnt`s ja dann selber machen. Zutrauen tät er sich’s sicherlich!

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  20. Jo schreibt:

    Ja, Lena Meyer-Kübelböck hat die vollständige Submission mit Satellitenrolle und „Hundewelpen-„Augen personifiziert. Was mir etwas Angst macht, ist nicht die Geste als solche, sondern vielmehr die Lust daran. War es nicht ein submissives Deutschland, das Größenphantasien produzierte? Insofern kann ich Israels Punktevergabe durchaus verstehen …

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  21. Jo schreibt:

    … und als Präsidenten/Präsidentin bitte eine reife Persönlichkeit wie etwa die Gegenkandidatin bei der letzten Wahl.

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  22. genova68 schreibt:

    Tja, ob der Lena-Hype mit Submission zu tun hat, darauf kann ich mir gerade keinen Reim machen. Es würde ja passen. So wie man in der katholischen Kirche laut Süddeutscher auch keine lila Tücher mehr sehen will, sondern wieder Prunk und Pomp. Was ästhetisch zwar nachvollziehbar ist, aber Submission mit sich bringt. Dass die Ablehnung von Submission oft ästhetisch regrediert vor sich geht, ist ein anderes interessantes Thema.

    Es ist vielleicht die gewollte Submission unter das Authentische. Wo man selbst beim Self-Service-Bäcker über das automatisierte „Einen schönen Tag noch“ nicht mehr hinauskommt, zeigt uns Lena, dass wir doch noch irgendwie gemeinsam leben und uns freuen.

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  23. Maximilian schreibt:

    Was mich noch interessieren würde; woher kommt diese (neue?) deutsche Lust an -Entschuldigung- Bürgertöchterchen?

    Lena Meyer Landrut steht doch in einer recht langen Reihe von Charlotte Roche, Nora Tschirner, Helene Hegemann, etc.

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  24. Jo schreibt:

    Ohne jetzt unnötig ein zu großes Fass aufmachen zu wollen, aber für mich hat das durchaus auch mit Frau von der Leyen zu tun, die ja eine Kampagne gegen Kindsmissbrauch anzustoßen suchte – und sich in der Form vergriff (nicht aber in der Zielrichtung). Die unschuldige Freude an naiv-kindlicher Unschuld (die nicht mehr unschuldig ist, sobald auch nur eine Kamera dazu kommt) scheint tatsächlich in unserer Gesellschaft bedroht (auch durch Personen wie Herrn Tauss, der endlich verurteilt wurde). Kann und darf es in einer konsumorientierten Mediengesellschaft unschuldige Lebensfreude geben?

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  25. genova68 schreibt:

    Junge, attraktive Frauen, die nicht auf den Kopf gefallen sind, kommen gut an, als Projektion in Form der eigenen Freundin, Tochter, Enkelin, der Zukunft Deutschlands, des Sonnenscheins, den man morgens beim Bäcker trifft.

    Ich würde aber Charlotte Roche aus der Reihe rausnehmen, weil die wirklich etwas kann und die einzige ist, der ich grundsätzliche Eigenständigkeit zubilligen würde.

    Soweit eine flotte Antwort.

    Jo, du kannst ruhig ein Fass aufmachen ;-)
    Deine Kommentare landen übrigens immer im Spamordner, keine Ahnung, warum.

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  26. hanneswurst schreibt:

    @Maximilian: WAS, Frau Meyer-Landrut ist eine BÜRGERLICHE? Ich dachte, sie stamme im Mindesten aus der Zarenfamilie oder Ähnliche. Jetzt kann ich mich nicht mehr über „Wir sind Eurovision“ freuen.

    MfG
    Hannes zu Wurst

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  27. frank peso schreibt:

    danke hanneswurst,
    „So viele Synchronizitäten, ein gefundenes Fressen für jedes sanft psychotische Gehirn.“, so mollige Diagnosen krieg ich nicht oft. Die letzte war „paranoide Schizophrenie, bei der Eigenbeziehungen, Wahnbildungen und Sinnestäuschungen vorliegen“. Aber weisst Du denn warum das Datum 22.5. eine kulturpolitische Bedeutung in diesem Staat hat? Oder stehst Du nicht auf Zahlensymbolik?

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  28. hanneswurst schreibt:

    @frank peso: „paranoide Schizophrenie…“ eine saftige Diagnose, die allerdings in dieser oder ähnlicher Form für jeden gilt, den ich kenne. Vor allem die meiner Meinung nach einwandfreien Eigenbeziehungen. Als Zahlenmystiker bin ich derzeit nicht aktiv, der Diskordianismus hat mich davon abgebracht. Mit dem 23.5. hätte ich etwas anfangen können, mit dem 22.5. leider nicht.

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  29. Jörg Kremer schreibt:

    @genova

    „Es ist vielleicht die gewollte Submission unter das Authentische. Wo man selbst beim Self-Service-Bäcker über das automatisierte „Einen schönen Tag noch“ nicht mehr hinauskommt, zeigt uns Lena, dass wir doch noch irgendwie gemeinsam leben und uns freuen.“

    Dieser Beitrag macht Dich mir sehr sympathisch lieber genova. Das hier all zu krude Gedanken auch mal normlmenschlich zurecht gerückt werden, tut dem Blog gut!

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  30. Jörg Kremer schreibt:

    @Maximilian

    „Was mich noch interessieren würde; woher kommt diese (neue?) deutsche Lust an -Entschuldigung- Bürgertöchterchen?

    Lena Meyer Landrut steht doch in einer recht langen Reihe von Charlotte Roche, Nora Tschirner, Helene Hegemann, etc.“

    Wir haben in Deutschland zu viele „Harz IV-Stars“, zu viele „Geschwisterliebe mit Nachwuchs- Stars“, zu viele „Ich war soundsooft im Knast-Stars“ und zu viele einfach dumme Stars, dass wir uns über diese Art von „Qualitätsstar“ so freuen wollen und können.

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  31. Redford schreibt:

    Jörg, da ist etwas dran.
    Das Prekariat im TV wollen vermutlich mit der Zeit immer weniger Leute sehen. Daher auch die Begeisterung für eine „Sauberfrau“ wie Lena. Obwohl ihre Umgangssprache („Axt, Geil, Dankeschönst“ etc.) wirklich schrecklich ist.

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  32. Der Moslem schreibt:

    Mohr wie Broder – Radovan Broder wie Horst Mahler. Geht alles.

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