SZ-Redakteur Marc Beise fordert ökonomischen Bordsteinkick

Marc Beise hat mal wieder zugeschlagen, der dem treuen Leser schon bekannte Mann fürs Grobe (hier und hier). Dieses mal allerdings übertrifft er sich selbst. Der Chef der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung nimmt jetzt die Beschwerden der französischen Finanzministerin Christine Lagarde zum Anlass, den wirtschaftspolitischen deutschen Sonderweg ganz Europa zu empfehlen.

Wir erinnern uns: Vor zehn Jahren klagten alle über das kranke Deutschland, Löhne zu hoch, Sozialleistungen auch, rote Laterne blabla. Dann kam die Agenda 2010, dazu massive Steuerentlastungen für Reiche, Liberalisierung der Finanzmärkte, Sinken der Reallöhne, Niedriglohnsektor, kurz: Zurichtung der Gesellschaft auf die Bedürfnisse des Kapitals. Das hat so gut funktioniert, dass das untere Drittel immer ärmer wird und die deutsche Wirtschaft alles überrennt. Die Finanzkrise ist auch ein Ergebnis dieser Politik.

Nun sind wir in Phase zwei angekommen: Westerwelle und Co. fordern Zwangsarbeit, für die FDP sind Hartz-IV-Bezieher Schmarotzer und demnächst lebensunwert, Gesundheit wird dank Kopfpauschale unbezahlbar und Sloterdijk will keine Steuern mehr zahlen. Die Börsenzockerei geht weiter, es geht voran.

Beise fordert nun diese Enthumanisierung als Leitmotiv für ganz Europa. Deutlicher kann der Mann kaum machen, dass er vom Kapital geschmiert wird.

Dabei ist es ist ja auch volkswirtschaftlicher Blödsinn. Als hätte es die Diskussionen der vergangenen fünf Jahre nicht gegeben. Als wüsste man nicht, dass die Gewinne der Konzerne nur destruktiv eingesetzt werden (Finanzkrise, Griechenland). Als stünden nicht auch in der SZ wöchentlich Artikel über Millionen Menschen, die fünf Euro oder weniger die Stunde verdienen (mit Scheißarbeit), als wäre der Zusammenhang zur schwachen Binnenkonjunktur nicht längst belegt, als hätten nicht zig Sozialwissenschaftler schon hundertfach gezeigt, wie destruktiv eine Gesellschaft sich entwickelt, in der Angst, dieses Mal vor dem Abstieg (und vor dem Fremden), sich zu  einem zentralen Moment entwickelt. Übertrieben? Folgt man Beise, keineswegs.

Die ökonomische Abwärtsspirale konnte man in Deutschland in den vergangenen Jahren ja ausgiebig studieren. Geringere Löhne unten, besser verwertetes Kapital oben, alles völlig sinnlos, wenn man den Fetischgedanken beiseite lässt. Einziger Effekt: Das Kapital will noch mehr.

Überhaupt: Es sind ja nicht einfach die ökonomischen Vorstellungen Beises, die wütend machen. Es sind die gesellschaftlichen Vorstellungen, die hinter einer solchen Scheiße stehen. Warum fällt mir jetzt der Begriff Faschismus ein? Natürlich ist es kein Faschismus, was Beise will, aber es ist eine Art, die Gesellschaft in einen Zustand zu versetzen, der jede menschliche Regung und das Subjekt ausschaltet, alles dem Kapital unterwirft bis zur Selbstzerstörung. Es ist ein ungebremster Fortschrittsglaube, dass man eine gescheiterte Logik nur verschärfen müsse, um ans Ziel zu gelangen. Hitler 1944 lässt grüßen. Jaja, keine Hitlervergleiche.

Die Ungleichgewichte innerhalb der EU werden zu einem Problem, ja. Aber den Süd- und anderen schwächelnden Europäern ist mehr gedient, wenn man ihnen den deutschen Weg zur Nachahmung empfiehlt. Erst wenn andere Staaten ihre Reformen umsetzen (Griechenland wird dazu gerade gezwungen), wird Europa als Ganzes wieder gut dastehen.

Was ist „Europa als Ganzes“? Beise und Ackermann? Die schwächelnden Europäer. Am deutschen Wesen soll Europa genesen. Einziger Unterschied: heute sagen wir „bitte“, rhetorisch. Natürlich Deutschland, wer sonst? Exportweltmeister, die ganze Welt niederringen, wenn es schon nicht mit der V 2 funktioniert hat, dann doch bitte mit unserer stahlharten Wirtschaft. Es ist ja für jeden denkenden Menschen lächerlich, angesichts der wenigen denkenden Menschen aber todernst. Bzw. es denken viele, aber der Kapitalismus, das in einem bestimmten Sinn zuverlässigste System überhaupt, integriert die denkenden Leute scheinbar und schaltet sie dann findig aus.

Das Ausspielen von Menschen oder wahlweise Völkern gegeneinander hat Beise auch gut drauf:

Wenn es um die Verlagerung von deutschen Arbeitsplätzen ins EU-Ausland geht, zählt Solidarität nicht.

War schon richtig, die EU als „Wirtschaftsgemeinschaft“ zu definieren, nicht als eine soziale.

Wäre das Elaborat Beises in einem radikal-neoliberalen Blättchen á la eigentümlich frei erschienen: geschenkt. Dass die Redaktion der Süddeutschen, in der ja auch Leute wie Prantl oder Augstein zuhause sind, so etwas durchgehen lässt (oder durchgehen lassen muss?), mag zwar deren hochgehaltenem Meinungspluralismus geschuldet sein, stimmt aber angesichts der destruktiven Stoßrichtung traurig. Hat Prantl nicht auch eine gewissermaßen moralische Verpflichtung, einen Arsch wie Beise zu stoppen? Ist es nicht eine Frage des Anstands, sowas nicht zu veröffentlichen? Schade, dass wir keine französischen Verhältnisse haben. Dann hätte zur Abwechslung mal Beise Angst, nicht nur die Opfer seiner gesellschaftlichen Vorstellungen. Angst, morgens zur Arbeit zu kommen, weil ihn dort genau diese Opfer schon erwarten…

Woher kommt Beises Idiotie? Ist das eine extreme Form der Ideologiegläubigkeit? Oder ist es die banale Aussage, dass wir just one world haben, aber in different ones leben? So gesehen kommt Beise einfach von einem Trip nicht mehr runter. Festgefahren.

Zum Schluss dieses aufschlussreichen Kommentars kommt es noch einmal knüppeldick:

„Zum Tango gehören zwei“, sagt Ministerin Lagarde. Stimmt. Aber wenn einer der beiden Partner nicht Tango tanzen kann, hilft es auch nicht, es dem anderen wieder abzugewöhnen.

Wer soll eigentlich in Beises Welt (der übrigens aussieht wie die Musikantenstadlausgabe von Howard Carpendale) noch Tango tanzen? Wahrscheinlich er mit Ackermann.

Der Rest übt sich im Bordsteinkick.

(Foto: genova 2010)

Dieser Beitrag wurde unter Deutschland, Kapitalismus, Neoliberalismus, Rechtsaußen, Zeitungen abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

19 Antworten zu SZ-Redakteur Marc Beise fordert ökonomischen Bordsteinkick

  1. Pingback: Neues aus dem Kundencenter: Die Sponsorenwelt des Herrn Ahlhaus « Metalust & Subdiskurse Reloaded

  2. genova68 schreibt:

    Momorulez von Metalust hat noch was Interessantes zu dem Thema geschrieben, worauf hier verwiesen sei:

    http://metalust.wordpress.com/2010/03/15/deutschland-hat-die-anderen-zu-bettlern-gemacht-nachster-teil/

    Like

  3. Nihilist schreibt:

    Wer lesen kann … sollte im Vorteil sein. Stimmt aber nicht. Man muss auch denken können. Und zwar im Interesse des Gemeinwohls. Das hat schon Platon erkannt.

    Das kann der Herr Marc Beise wohl nicht. Da stellt sich mir die Frage: „Wo lassen Sie denken, Herr Beise“? Etwa bei Machiavelli?

    Like

  4. fk schreibt:

    jens berger beleuchtet das thema bei telepolis auch noch einmal ausführlich im artikel „Am deutschen Wesen kann Europa nicht genesen “

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32266/1.html

    beste grüße
    fk

    Like

  5. genova68 schreibt:

    Danke für den Hinweis, fk, Berger macht das natürlich viel fundierter. Lesenswert, wie immer.

    Like

  6. lustig schreibt:

    Danke!

    Like

  7. Pingback: Die Effekte deutschen Lohndumpings: Jens Berger erklärt es noch genauer « Metalust & Subdiskurse Reloaded

  8. Redford schreibt:

    Abgesehen von den höchst unpassenden NS-Vergleichen (deutsches Wesen, Hitler, V2) ist dies ein gelungener Artikel. Meinen Glückwunsch.

    Like

  9. genova68 schreibt:

    lustig,

    gern geschehen! Schön, dass sich mal jemand bedankt.

    Redford,

    na, dachte ich es mir doch: Wir werden noch dicke Freunde.

    Like

  10. Redford schreibt:

    Bei Wirtschaftsthemen vielleicht schon ;-)

    Like

  11. hanneswurst schreibt:

    Erinnert ein bisschen an die guten alten Stefan Baron Editorale in der Wirtschaftswoche.

    Es scheint eine Art Berufsethos der Journalisten der Ressorts Wirtschaft und Unternehmen zu sein, für die Ökonomie und nicht für die Menschen die darin leben zu schreiben. In den politischen Teilen oder im Feuilleton findet sich vergleichbares Gepoltere weitaus seltener.

    Rein rechnerisch liegen die Wirtschaftsredakteure mit Ihrer Aussage wahrscheinlich richtig: je sozialer der Staat, desto aufwändiger das Wirtschaftswachstum. Kann diese Einstellung einem Journalisten vorgeworfen werden, der sich doch nur für seine Klientel (wer liest schon den Wirtschaftsteil) interessiert und diese schützen möchte?

    Meiner Meinung nach sollte insgesamt ein wenig nachsichtiger mit Wirtschaftsredakteuren umgegangen werden. In vielen Fällen ist es auch völlig in Ordnung, den Wirtschaftsteil einfach nicht zu lesen.

    Like

  12. Leo Brux schreibt:

    Bei Beise stelle ich mir vor, dass er zum Dienstpersonal der Geld- und Wirtschaftselite gehört.

    Trotz einiger kritischer Töne im Anschluss an die Finanzkrise – der Wirtschaftsteil der SZ ist nach wie vor ein Verlautbarungsorgan dieser Geld- und Wirtschaftselite.

    Beise tut seine Pflicht.

    Like

  13. Spekulatius schreibt:

    danke für diese Worte! Tja die Denkrichtung Beises ist schon schwer nachzuvollziehen… Zunächst „Europa als Ganzes“ und anschließend „Solidarität zählt nicht“ -mal abgesehen von seiner ideologischen Borniertheit. Wie können einem Journalisten derartige logische Widersprüche widerfahren? Mein lieber Herr Beise, wenn sie schon so einen Firlefanz aufs Papier bringen, dann bitte mit technischem Know-How. Ansonsten fällt es uns doch viel zu leicht solchen Schund zu entwerten.

    Like

  14. .. schreibt:

    @Redford:
    Der Artikel ist nicht schlecht (was die Probleme der Wirtschaft angeht), aber die von Ihnen monierten Floskeln des Autors zeigen, was als einziges von der linken Ideologie übriggeblieben ist: Rassismus gegen Deutsche.

    Wenn „Deutsche“ wirklich so brutal und grausam wären, wie der Linke postuliert, würde letzterer nicht mehr existieren – und wir wären der perfekten Welt ein gutes Stück näher :-)

    Like

  15. Werner Nig schreibt:

    Dieser Artikel ist eine lachhafte Polemitk. Um mich dem Niveau anzuschliessen … diese Hetztirade hätte Goebbels selbst nicht besser machen können.

    Like

  16. Besucher schreibt:

    DIE Geld- und Wirtschaftselite, DAS Kapital, fehlt nur noch DIE … na sie wissen schon, die mitta Kippa… die hängen da immer mittenmang…

    Wenn man schon nicht konkretisieren kann von wem Beise geschmiert wird dann sollte man es doch mit den Verschwörungstheorien gut sein lassen.

    Indirekt geben sie ja zu dass die ganze Konstruktion EU in ihrer Haushaltskonsolidierungspolitik von Anfang an eine gescheiterte Idee ist.
    Und den Autokraten in Brüssel kommt eine Wirtschaftsregierung über Griechenland und die Griechen gerade Recht.
    Nochmal zu Griechenland: Mittlerweile geben ja auch führende SPD-Kreise zu dass die Aufnahme Griechenlands in den Euro ein Fehler war (unter Hans Eichel seinerzeit) und wenn man so Geschichten hört dass der griechische Staat (der in Wahrheit eine Kleptokratie weniger reicher Familien ist) massiv Renten an Tote bezahlt hat dann fragt man sich doch wie man die EU in ihrer bisherigen Form noch moralisch rechtfertigen will.

    Mein Vorschlag: Setzen Sie sich nochmal mit Mises und der österreichischen Schule auseinander.

    Like

  17. genova68 schreibt:

    Besucher,
    DAS Kapital steht für die Triebkraft in der aktuellen Wirtschaftsordnung, das sich vermehren soll. Nix mit Personalisierung. Vom Kapital geschmiert werden ist sozusagen ein systemischer Vollzug. Ohne jemanden wie Beise wäre die SZ viele Anzeigekunden und einige Kooperationen los, ohne die sie nicht mehr überleben könnte. Schau dir mal die Finanzlage linker Zeitungen an. Kapitalismus schmiert systemisch.

    Mein Vorschlag: Schenk den Mises und die anderen Österreicher deinem Klempner, der spült sie dann das Klo runter. Aber bitte made in Germany.

    Like

  18. Besucher schreibt:

    Herrlich dieser Selbsthass :-)
    Aber Vorschläge wie eine gerechte Wirtschaftsordnung aussehen könnte hört man von Ihnen nicht.
    Sie sind auch eher einer der seine Wut herausbrüllt:
    vielleicht wäre der Mikrokreditfonds eine Alternative über die es sich nachzudenken lohnt.
    Aber ich frage mich ernsthaft oft sie nicht eine gestörte Identität haben:
    Sie nehmen die unterschiedlichen Mentalitäten die alle in Europa ihren Platz haben überhaupt nicht wahr. Sie argumentieren mit einem abstrakten Sozialstaatsmodell tja… von wem denn?

    Like

  19. Gerd REINHOLD schreibt:

    Man muss kein Freund des desaströsen Extrem- bzw. Finanzkapitalismus (und eben des betont indifferenten und ignoranten Herrn Dr. Beise vom Wirtschaftsressort der ach so „anspruchsvollen“ SZ/München) sein . . . Aber auf so viel dumm-freche Diffamierung des eigenen Landes provoziert den Hinweis darauf, dass die linken Diffamierer bzw. Verächter bis Feinde Deutschlands wie die Maden im Speck dieses Landes sitzen und selbst nichts, aber auch gar nichts Wesentliches zum Ganzen bzw. Volksvermögen beitragen . . . Schande über Sie! Details hierzu im Internet unter Deutschlandagenda.de (ff) . Dr. G. R., D-81377 M

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..