Wer sich in drei Minuten über das analytische Niveau des Rechtsintellektualismus in Deutschland informieren möchte, kann das derzeit in einem fulminanten Video des Magazins Cicero tun. Dort erklärt der ehemalige BDI-Chef und Präsident der Leibniz-Gesellschaft, Hans-Olaf Henkel, die Ursachen der Finanzkrise.
Henkel hat nach Eigenaussage „die Sache mal ein bisschen recherchiert“, und zwar an sich selbst. Er hat 1978 in Amerika ein Haus für 210.000 Dollar gekauft und knapp zwei Jahre später für 230.000 Dollar verkauft. Doch dann ging es erst richtig los mit dem Preisanstieg. 2005 war das Haus schon fast drei Millionen Dollar wert. Warum? Das „Gutmenschentum“ ist schuld. Denn vor allem die Präsidenten Carter und Clinton haben „jedem Amerikaner“ „ein Dach über dem Kopf versprochen … Und das ham se gemacht. Das Resultat ist die Immobilienblase.“
So einfach ist das also. Belege für seine steile These liefert Henkel nicht. „Ein Dach über dem Kopf“ zu versprechen meint für mein Dafürhalten schlicht, Obdachlosigkeit zu bekämpfen. Oder haben die Präsidenten allen Ernstes jedem Amerikaner ein eigenes Haus versprochen? Kaum vorstellbar.
Weimer glaubt das auch nicht so ganz und widerspricht und die beiden kommen dann auch schnell auf die unseriösen Kreditvergaben amerikanischer Banken zu sprechen, die in keinem Zusammenhang mit den bösen Präsidenten-versprechungen stehen, was Henkel aber souverän ignoriert. Dann thematisieren sie noch die bösen Linken, die kritisieren, dass die Finanzmärkte nach wie vor nicht an die Leine genommen wurden. Dieser Vorwurf erntet bei den beiden Experten nur Kopfschütteln. Die Liste der Gesetze, die genau das beabsichtigen, hätte mich interessiert.
Am Turbokapitalismus sind also die Gutmenschen und ihr soziales Geplimper schuld. Wer gegen Obdachlosigkeit ist, ist für die Finanzkrise. Der Wert von Henkels Ex-Haus hat sich mehr als verzehnfacht, weil die turbosozialistischen US-Präsidenten das Paradies auf Erden versprochen haben. (Nach Carter kam übrigens Reagan. Was hat der eigentlich dazu gesagt?)
Wohlgemerkt: Weimer unterhält sich mit Henkel, weil der gerade ein Buch zum Thema geschrieben hat, er gilt also eine Art Experte. Und der Mann tingelt durch die Talkshows und die politischen Radiosendungen, gibt Interviews (unter anderem einem rechtsradikalen Internetblog), schreibt Beiträge.
Henkel ist ideologisiert bis obenhin. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Es darf nicht sein, dass man sein Leben lang für den Kapitalismus streitet und dann, mit knapp siebzig, erkennen muss, dass da wohl doch etwas schiefgelaufen ist. Da ist es bequemer, das alte Feindbild, den Gutmenschen, beizubehalten und ihm das Dilemma in die Schuhe zu schieben. Es ist das alte Lied. Wer Feindbilder braucht, hat keine Probleme mit deren Fütterung. In seriösen Kreisen allerdings würde sowas erkannt, Henkel wäre ein alter, bornierter Mann, der keine öffentliche Beachtung fände.
Das Buch heißt übrigens „Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“. Die Süddeutsche hat es gelesen und resümiert:
„Am Ende bleibt der Eindruck, die deutschen Wirtschaftkapitäne sind durch die Bank vor allem eines: Schafe. Und vorneweg läuft eines, das auf den Namen Hans-Olaf hört.“
Doch es gibt eine gute Nachricht für Henkel: Die Obdachlosigkeit in den USA hat – wegen der Krise – wieder deutlich zugenommen. Endlich Schluss mit den sozialistischen Experimenten. Wer nichts leistet, schläft jetzt wieder unter der Brücke. Ist ja auch ein Dach, zumindest mit etwas Phantasie. Henkel und Co. sei Dank.
Rechtsintellektualismus ist das jetzt das Nächste nach Rechtspopulismus? Aber rechts ist ja nicht unbedingt kapitalistisch.
Ein gutes Neues: http://freidemzen.wordpress.com/2010/01/15/auf-ein-gutes-neues-teil-i/
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Hans-Olaf Henkel am 3.2.2009:
„Eine Verstaatlichung macht keinen großen Sinn, denn wir haben festgestellt, dass gerade die staatlichen Banken am meisten Unsinn gemacht haben, insofern ist der Staat ein schlechtes Vorbild.“
Am 2.12.2009 zitiert ihn das Handelsblatt indirekt so:
„Die Marktwirtschaft funktioniere auch mit Staatsbanken. Da der Bund die Banken ständig stützen müsse, könne man sie ruhig verstaatlichen.“
OK, dieses indirekte Zitat ist mit Vorsicht zu genießen, das Handelsblatt schiebt auch gerne einmal eine Märchenstunde für Bankvorstände ein.
Aber wenn etwas dran ist, kann ich mich mit der zweiten Aussage durchaus anfreunden, und es ist doch schön, wenn ein alter Mann noch so wandlungsfähig ist. Von der Finanzkrise, den Ursachen und den Perspektiven hat er allerdings leider keinen blassen Schimmer. Immerhin gibt er das öfters als die meisten „Experten“, die auch keine Ahnung haben, einmal zu. Dann wiederum überkommt es ihn manchmal und er gibt so ein Zeug von sich wie das mit dem „Dach über dem Kopf Versprechen“, welches er allerdings explizit auch Bush jr. in die Schuhe schiebt.
Dass diese Aussage ziemlicher Blödsinn ist, sollte er inzwischen herausgefunden haben:
http://de.wikipedia.org/wiki/Community_Reinvestment_Act
Naja, der Olaf. Lustiger Kauz. Wer an die siebzig ist, irgendeinen Bullshit verzapft, und trotzdem noch so viel Gehör findet, der hat ja auch guten Grund, damit fortzufahren. Die passende Literatur von H. G. Frankfurt hast Du ja, ungefährlich ist so etwas nicht. Wer nichts mehr von ihm wissen will, braucht allerdings einfach kein Fernsehen mehr zu gucken, denn Henkel ist eine originale Talkshow-Couch-Potatoe.
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Bush jr. macht er den Vorwurf auch in dem Video, stimmt. Das habe ich weggelassen, wobei es meine These nicht stört, eher verschärft. Henkel rechnet also offenbar selbst Bush zu den Gutmenschen.
Dass Henkel einen guten Grund hat, mit dem Bullshit fortzufahren, ist genau der Punkt. Das ist so ähnlich wie mit Broder. Diese Bullshitproduzenten kennen die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie, und das ist wichtiger als Sinnhaftigkeit.
Ich wollte eigentlich nur das Niveau von Cicero aufzeigen, das ja in konservativen Kreisen als die neue Sonne am Firmament gilt. Weimer übernimmt im September übrigens die Focus-Chefredaktion von Markwort.
Das Buch lese ich noch, nach Urlaub etc.
Zonk,
alles ist möglich. Mit deinem Blog bin ich allerdings überfordert.
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Da fällt mir die Sentenz:
„Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuld.“
ein.
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CRA, aha, danke für den Hinweis. Interessant: Das Gesetz wurde in den Siebzigern beschlossen, um Redlining, also Diskriminierung bestimmter Gruppen oder Stadtteile, zu verhindern. Henkel macht daraus den Beginn der größten Finanzkrise seit 1929.
Sisyphos, jo.
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Hi Genova:
nix Neues. Diesen Spin-Doctor-Trick hat die BILD schon Ende 2008 versucht…
lg, frohes Neues
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Henkel und seine Schablonen-Bücher in diesem neunmalklugen, Finalbewertungsstil sind einfach nur öde Henkel-Propaganda. Wer das liest nachplappert oder durch die Medien trägt, wird mit Aufmerksamkeitsentzug nicht unter einem Jahr bestraft.
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Hartmut, dir auch ein frohes neues,
Jörg,
wirst du jetzt ein Jahr lang hier nicht mehr vorbeisurfen? :bibber:
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der henkel … am topf, in dem sie uns köcheln … neulich sah ich gerster und busch-kowsky als dumme rotzlöffel bei maischberger, zwischen beiden der bergsteiger als quasi heiliger – maischi hats aber nit gecheckt. da ist das problem: die masse der journalys, publizys, moderatorys und reportys checkt nix, will nix checken. wenn die politys nix volksvertreter, die frager auch nix, wer, um gotteswillen denn dann? sollten wir uns sebst vertreten? im netz sind wir ja schon. hoffentlich nicht wie die fische im wasser …
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Wer würde wohl auf checkende Fischys aus dem Wassy hören? Ich nicht!
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@genova Das war jetzt ein paar Tage zu früh. Oder? Aber Du wirst das tapfer aushalten. Sei ein Kerl!
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Ein paar Tage zu früh? Wieso? Stehe ich auf der Leitung?
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☻☻♪♫ ﻯﻃתּ☻♪♫ ﻯﻃתּÉ
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@nheepapara
Ja wunderbar, geht doch! Man muss es nur wirklich wollen! Gut gegliedert, sprachlich deutlich reifer und der zentrale Gedanke, dass jede Gesellschaft einen Henkel hat, an der man sie greifen und zur Not auch ausleeren oder wegschmeissen kann, macht richtig Spass!
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Das war jetzt ein paar Tage zu früh. Oder? Aber Du wirst das tapfer aushalten. Sei ein Kerl!
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