NRW: vornehmstes Bildungsziel ist „Ehrfurcht vor Gott“

Man könnte meinen, Staat und Kirche seien in Deutschland getrennt. In Nordrhein-Westfalen zumindest ist das nicht so. Dort lernen die Schüler rechnen und schreiben und lesen auf einer ganz besonderen Grundlage. In Artikel 7 der Landesverfassung heißt es:

(1) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

Ehrfurcht wird von Wikipedia als Begriff „für eine mit Verehrung einhergehende Furcht“ definiert. Der Brockhaus von 1896 meint, Ehrfurcht sei

der höchste Grad der Ehrerbietung, das Gefühl der Hingabe an dasjenige, was man höher schätzt als sich selbst, sei es eine Person oder eine geistige Macht, wie Vaterland, Wissenschaft, Kirche, Staat, Menschheit, Gottheit.

Nun wurde die NRW-Landesverfassung 1950 beschlossen, da sprach man generell etwas pathetischer (wobei Achtung vor der Menschenwürde und Bereitschaft zum sozialen Handeln Erziehungsziele sind, die man nicht besser formulieren kann). Dennoch darf man fragen, ob es zeitgemäß ist, Schülern – zumindest absichtsweise – Ehrfurcht vor irgendetwas beizubringen, zumal vor Gott, und das noch als eines der wichtigsten Ziele. Schule sollte weder Furcht noch Ehrfurcht vermitteln, sondern Wissen, soziales Handeln und Respekt vor Differentem. Davon abgesehen sind schätzungsweise die Hälfte aller Schüler nicht einmal mehr christlichen Glaubens. Wenn schon, dann sollte man den Artikel 7 um Allah, Buddha, den Dalai Lama und Tom Cruise ergänzen.

Die Trennung von Staat und Kirche hat in Deutschland nie stattgefunden, das sieht man bei der Kirchensteuer, den Rundfunkräten, den kirchlichen Krankenhäusern, dem Religionsunterricht und der NRW-Landesverfassung.

Die Linkspartei in NRW will den Ehrfurcht-Passus übrigens aus der Verfassung streichen. Aber die sind ja eh radikal.

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7 Antworten zu NRW: vornehmstes Bildungsziel ist „Ehrfurcht vor Gott“

  1. Hm, ich bin mir nicht sicher, ist dieser Artikel nicht vielleicht durch das Grundgesetz aufgehoben (Bundesrecht bricht Landesrecht)? In Hessen steht bspw. auch die Todesstrafe in der Verfassung, ohne gültig zu sein.

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  2. genova68 schreibt:

    Ich bin kein Jurist, aber die Voraussetzung für diese Regelung ist ja, dass es etwas zu brechen gibt. Konkret: Im GG steht nichts davon, dass Kinder NICHT zu Ehrfurcht vor Gott erzogen werden sollten. Man könnte höchtstens mit weichen Zielen argumentieren: Menschenwürde oder so. Meine ich.

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  3. hanneswurst schreibt:

    Dass Gott überhaupt existiert, ist ja gar nicht bewiesen. Würde er jedoch existieren, dann wäre ein bisschen Ehrfurcht wohl angebracht, jedenfalls wenn er tatsächlich die Welt in sechs Tagen erschaffen haben sollte, da dies aus unserer Perspektive sicherlich eine beachtliche Leistung ist (zumal wenn ich dies mit den eher kläglichen Fortschritten der Baustelle vor meinem Büro vergleiche). Ich halte es indes nicht für sinnvoll, auf der Ebene des Landesgesetzes auch Ehrfurcht vor Tom Cruise und dem Dalai Lama zu verlangen. Diese Personen existieren und sind keinesfalls so über jeden Zweifel erhaben, wie das theoretische Gottkonstrukt. Für Tom Cruise ist nicht einmal eine Heiligsprechung durch eine respektable Instanz in Aussicht, insofern kann ich die Ehrfurchtsforderung gegenüber Tom Cruise nur als Unfug interpretieren.

    Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um kurz zu erklären, was Gott eigentlich ist. Gott ist dreifaltig: Vater, Sohn und Heiliger Geist.

    1) Gott Vater ist der „unbewegte Bewegende“, die bisher einzige Erklärung für die Paradoxie der Entstehung des seienden Universums aus Nicht-Seiendem. Selbst gewiefte Quantenphysiker greifen auf Gott Vater zurück (nicht zu verwechseln mit dem „Godfather“ Teil I-III), wenn sie sich lange genug den Kopf über den Zustand des Universums vor und während des Urknalls zerbrochen haben. Die Erschaffung des Universums war nicht Gott Vaters einziges Werk, sicherlich jedoch sein Bedeutendstes.

    2) Gott Sohn ist Jesus, der lebender Beweis für den Willen von Gott Vater ist, sich mit uns unbedeutenden Existenzen abzugeben. Das Band der Liebe zwischen Jesus und den Menschen ist der einzige Grund dafür, dass unsere Erde nicht beizeiten in ein schwarzes Loch (eine Art göttlicher Recyclinghof) gesogen wurde.

    3) Der Gott Heilige Geist ist die eigentlich interessanteste Komponente. Der Heilige Geist ist Ausdruck der Durchdringung der mentalen Ebene (die Summe aller existierenden kognitiven Vorgänge) durch Gott. Selbst wenn Gott Vater nicht oder nicht mehr existieren sollte und selbst wenn Jesus gar nicht unsterblich gewesen sein sollte, so bleibt uns doch der Heilige Geist als das ebenso wie die Weltwerdung unerklärte Phänomen der Bewusstseinswerdung und die daraus ermöglichten Früchte wie Liebe, Güte und Selbstbeherrschung.

    Diesen Gott „ehrfürchtig“ zu begegnen scheint ein modaler Fehler zu sein, etwa so wie „Die Dressur von Seerosen ist vornehmstes Ziel der Erziehung“. Aber das Landesgesetz hat ja auch nicht der Papst gemacht. Und selbst wenn der Papst das Landesgesetz gemacht hätte, würde dies den Satz nicht validieren, da der Papst natürlich nur für diejenigen eine relevante Autorität ist, die diese Autorität wünschen.

    Insofern ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die LINKE den unsinnigen Ehrfuchtsparagraphen streichen will. Jedenfalls dann, wenn sie stattdessen keine Verpflichtung zur Jugendweihe in das Gesetz aufnehmen wird. (DAS war jetzt so ein richtiger Scheißwitz über die LINKE, wohingegen es keinesfalls polarisierend ist, einige Forderungen der LINKEN radikal zu nennen.)

    Andererseits ist der Wunsch nach „Ehrfurcht vor Gott“ so unbedeutend, dass es auch schon wieder polemisch genannt werden kann, wenn eine Partei die Streichung fordert. Ungefähr so wie eine Feministin, die stinkig wird, wenn man ihr versehentlich die Tür aufhält.

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  4. genova68 schreibt:

    Mein lieber Hannes, ich freue mich wirklich, dass du hier so oft kommentierst. Das macht den Blog auf jeden Fall vielfältiger. Auf Sätze wie den obigen mit dem schwarzen Loch würde ich jedenfalls nicht kommen. Aus mir wird halt kein guter Metaphysiker mehr.

    Abgesehen davon fehlt mir das Selbstbewusstsein, „kurz“ erklären zu wollen, „was Gott eigentlich ist“.

    Immerhin hast du gerade bewiesen, dass man auch Mittagspausen sinnvoll nutzen kann.

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  5. hanneswurst schreibt:

    Vielen Dank für die Blumen, lieber Genova, die ich stellvertretend für den Heiligen Geist gerne annehme. Der Segen Gottes sei mit Dir und Deinem Blog.

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  6. Anyu schreibt:

    Vielleicht beruhigt es Sie, dass ich gerade erst meine Lehramtsausbildung in NRW absolviert habe und an keiner Stelle auch nur auf die Verfassung hingewiesen wurde. Oberste Richtlinie war der Inhalt der Kernlehrpäne. Lehrer richten sich nach den Bildungszielen, die dort festgeschrieben sind. So war mir der Wortlaut bis gerade nicht einmal bekannt. In der Praxis werden also nicht lauter strikt gottesfürchtige und um jeden Preis heimattreue Erwachsene durch unser Schulsystem hervorgebracht. Zumindest wissen die Lehrer davon nichts. :-P

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  7. genova68 schreibt:

    Gott sei Dank.

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