Zur Blasenschwäche in einer real existierende Demokratie

Das Duell am Sonntag: Was wäre eigentlich passiert, wenn Frau Merkel während der Live-Sendung aufs Klo gemusst hätte? Oder Steinmeier? Hätten die anderen dann fünf Minuten gewartet? Könnte man mit einer schwachen Blase noch Kanzler werden? Aufs Klo zu müssen in solch einer kribbeligen Situation wäre nichts ungewöhnliches, rein menschlich gesehen.

Es ging im Duell um Formales, sonst nichts. Selbst die Diskussion danach bei Anne Will: Es interessierte nur, wer mehr Leidenschaft gezeigt hat, wer mitreißender war. Inhalte? Und dann die grandiose Idee, Stoiber und Wowereit einzuladen. Total überraschend: Stoiber fand Merkel überzeugender, Wowereit den Steinmeier. Journalismus ad absurdum geführt. Und warum überhaupt Merkel und Steinmeier? Der Begriff des Kanzlerkandidaten existiert für den Wähler nicht. Es werden Parteien gewählt und einzelne Abgeordnete, keine Kanzler.

Demokratie wird nach und nach ausgehebelt. Das ist vermutlich kapitalistischen Gesellschaften inhärent. Es geht um Akkumulation, es geht um Rendite. Je mehr da mitreden, desto schlechter. Neidvoll allerdings muss man dem System attestieren, dass es, was die Inszenierung angeht, sich nicht lumpen lässt. Verglichen mit den lächerlichen Auftritten von Honecker und Co. früher ist es schon geschickter, zwei Politiker von zwei Parteien antreten zu lassen, die sich angeblich unterscheiden und das dann im Anschluss von Journalisten und anderen Prominenten angeblich kontrovers diskutieren zu lassen. Der irre Peymann forderte für Deutschland einen Politiker wie Berlusconi und die Bunte-Chefin wollte vor allem wissen, ob Steinmeier gut kochen kann und wie seine Frau aussieht (oder war sie es, die kochen können sollte?). Der einzige, der etwas zu sagen hatte, war überraschenderweise der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges, der kam auch erst zum Schluss.

Die vielen fitten Leute in unserer Zivilgesellschaft, die wirklich etwas zu sagen hätten, oder Journalisten, die wirklich kritische Fragen stellen würden, werden ausgegrenzt. Die kommen natürlich vor  (man will ja Demokratie sein), irgendwo anders.

Das Duell am Sonntag in ARD, ZDF, RTL und SAT1 war also nicht sehenswert. Vielleicht hätte man bei zwei Stunden 9Live mehr gelernt über die real existierende Demokratie.

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2 Antworten zu Zur Blasenschwäche in einer real existierende Demokratie

  1. hanneswurst schreibt:

    Have you guessed me yet? I’m the slime, oozing out of your TV Set. Warum machst Du es nicht wie ich und schaffst Deine Glotze ab. Noch ist es nicht so, dass Du gezwungen wirst, Anne Will zu sehen oder Deine Waschmaschine bei allen Waschgängen zu beobachten. Für wichtige Ereignisse (Fußball WM, Wahlparty, Grand Prix Eurovision) schafft man es immer noch, irgendwie auf Empfang zu gehen oder auswärts zu gucken.

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  2. genova schreibt:

    Ich habe meine Glotze schon länger abgeschafft, bin derzeit aber außerhäusig und habe mir das Duell deshalb angesehen.

    Ich finde es aber in Ordnung, etwas zu kritisieren, das ich nicht unmittelbar rezipieren muss.

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