Sloterdijk fordert den totalen Betrug der Massen

Wie sehr Teile der populären Philosophie in Deutschland auf den Hund gekommen sind, zeigt Peter Sloterdijk in der jüngsten Ausgabe des Intelligenzblattes Cicero. Sloterdijk schreibt dort, dass sich der moderne Staat zu einem „geldsaugenden Ungeheuer“ entwickelt habe. Dann kommt eine Menge ökonomischer Blödsinn, dem ich jetzt nicht nachgehe, zu anstrengend. Jedenfalls versucht Sloterdijk mal wieder originell zu sein und schafft es mal wieder nicht. Dann die Kernthese:

„Tatsächlich besteht derzeit gut die Hälfte jeder Population moderner Nationen aus Beziehern von Null-Einkommen oder niederen Einkünften, die von Abgaben befreit sind und deren Subsistenz weitgehend von den Leistungen der steueraktiven Hälfte abhängt. Sollten sich Wahrnehmungen dieser Art verbreiten und radikalisieren, könnte es im Lauf des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu Desolidarisierungen großen Stils kommen. Sie wären die Folge davon, dass die nur allzu plausible liberale These von der Ausbeutung der Produktiven durch die Unproduktiven der längst viel weniger plausiblen linken These von der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital den Rang abläuft. Das zöge postdemokratische Konsequenzen nach sich, deren Ausmalung man sich zur Stunde lieber erspart.“

Die „Hälfte jeder Population“ ist also unproduktiv. Streng betriebswirtschaftlich gedacht, stimmt das wahrscheinlich.

Beispiel VW: Alleine zwischen 2004 und 2008 wurde dort die Produktivität dermaßen gesteigert, dass die Herstellung eines VW Golf nur noch 35 statt 44 Arbeitsstunden benötigte. Das sind rund 20 Prozent. Jeder fünfte Arbeiter wurde hier also in gerade mal vier Jahren überflüssig. Betrachtet man einen Zeitraum von 20 oder 30 Jahren, ist es sicherlich mindestens jeder zweite, der nicht mehr gebraucht wird. Diese Menschen sind nun also unproduktiv.

Sloterdijk kommt nun aber nicht auf die Idee, dass dies ein grundsätzliches Problem eines in bestimmter Perspektive extrem produktiven Wirtschaftssystems ist, das soziale Gegenmaßnahmen erforderte und eine grundsätzlich andere Bewertung von Arbeit in einer Welt, in der Effizienz der moderne Gott ist. Nein, er behauptet allen Ernstes, dass jetzt die Unproduktiven die Produktiven „ausbeuten“. Die „Unproduktiven“ sind nicht nur selbst Schuld an ihrem Zustand der Arbeitslosigkeit, sondern sie schaden auch noch denen, die noch Arbeit haben.

Man könnte lachen, wenn das Zitate eines verrückten Sonderlings aus vergangenen Zeiten wären, so wie man heute über mittelalterliche Gottesbeweise lacht. Doch der Mann lebt hier und jetzt.

Die „Hälfte der Population“ klingt auch irgendwie nach Ameisen, wobei es da wahrscheinlich noch sozialer zugeht als in Sloterdijks wirrem Kopf. Sein Denken hat etwas Biologistisches, etwas (auch wenn das hier schon oft gesagt wurde) Sozialdarwinistisches. Aber das war ja schon in seinen „Regeln für den Menschenpark“ angelegt.

Es ist erschreckend, dass Sloterdijk als wichtiger Philosoph gilt. Wahrscheinlich bei niemandem, der noch halbwegs was in der Birne hat, aber zumindest bei den Knallköppen von Cicero und Co. Und Sloterdijk ist immerhin einer der bekanntesten, ähm, Intellektuellen. Aufmerksamkeitsökonomisch immerhin ist alles palletti, er beherrscht sein Geschäft. (Nebenbei: Er verwendet auch in diesem Artikel den Begriff „thymotisch“, den er selbst erfunden hat und der in keinem Duden steht. Man könnte das Wichtigtuerei nennen.)

Offenbar veranlasst die objektive Krise des kapitalistischen Systems einige ihrer Protagonisten nicht zum Umdenken oder wenigsten zum So-tun-als-ob, sondern zum radikalisierten Ausleben einer völlig ins Irrationale abgegleiteten Vernunft. Die Dialektik der Aufklärung lässt grüßen. Deren „Verstrickung in blinde Herrschaft“ macht sie selbst blind für alles, was ihrem einzigen Ziel entgegensteht: der Naturbeherrschung, oder hier: der zweckrationalen Gerechtigkeit gegenüber den Produktiven. Betriebswirtschaft als neuer Gott der Philosophie. In dieser Radikalität hat das eine neue Qualität.

Und daneben darf kein anderer Gott existieren. Was Sloterdijk als Medikation vorschlägt, zeigt die Richtung. Er fordert die

„Abschaffung der Zwangssteuern und deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit.“

Die armen, ausgebeuteten Produktiven zahlen also keine Steuern mehr und überlegen sich selbst, ob und wieviel sie geben, sozusagen mildtätig an die Unproduktiven spenden. Triebfeder des Gebens müsse „Stolz“ sein. Wenn die Produktiven beim Spenden keinen Stolz verspüren, bedeutet das verrecken. Damit wandelt sich die Aufklärung in einer spezifischen Konsequenz „zum totalen Betrug der Massen um“, wie Adorno und Horkheimer das schon 1943 schrieben. Die aufgeklärte Welt braucht für die Herstellung eines VW Golf leider nur noch ein paar wenige Menschen, der Rest muss weg. An die Binsenweisheit, nach der Autos keine Autos kaufen, verschwendet  Sloterdijk gleich gar keinen Gedanken, ihm geht es um das philosophische große Ganze.

Die „postdemokratischen Konsequenzen“, die sich Sloterdijk angeblich nicht ausmalen möchte, könnten wirklich kommen. Ich male mir ganz konkret aus, dass dann wenigstens solche Philosophen den Rat des Komikers befolgen müssen, dessen Name mir gerade entfallen ist: Fresse halten.

Mehr von mir zu Sloterdijk hier.

Mehr von mir zum Cicero hier.

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51 Antworten zu Sloterdijk fordert den totalen Betrug der Massen

  1. Jean Stubenzweig schreibt:

    Mir war dieser Mensch nie geheuer, auch zutiefst unsympathisch; was ich auch immer zum Ausdruck gebracht habe. Er hat seine Verquastheit – auch äußerlich – immer auszustellen versucht. Vermutlich kann man nur auf diese Kunst und Weise zum Status des «populärsten» deutschsprachigen Philosophen bzw. zu einer solchen «Beliebtheit» gelangen; möglicherweise gerade deshalb, weil ihn kaum jemand versteht, schon gar nicht diejenigen, die sich groupiehaft in seiner Nähe herumdrücken, allen voran Medienvertreter. Aber hier hat er sich dann doch einmal klar ausgedrückt – wenn ich mich an der von Ihnen so bezeichneten «Kernthese» orientiere. Nun ließe sich schulterzuckend sagen – Cicero, nun ja, da lesen ohnehin meist nur solche, die nichts anderes lesen, wenn überhaupt – und seine Bücher gerade noch von der Folie befreit ins Regal stellen. Oder so ähnlich. Wäre da nicht die Tatsache, daß er Hochschullehrer für Philosophie und Ästhetik ist, in der Nachfolge des postmodernen Gründungsreaktors Heinrich Klotz sogar Primus

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  2. hanneswurst schreibt:

    Geht thymotisch nicht auf Thymos zurück: http://de.wikipedia.org/wiki/Thymos

    Sloterdijk kann man ja gerne falsch verstehen (dass ist sein Hobby), aber was bittschön ist gegen mittelalterlich Gottesbeweise einzuwenden?

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  3. genova68 schreibt:

    Hannes, ja auf den geht das zurück. Das Adjektiv exisitiert trotzdem nicht, und man kann davon ausgehen, dass praktisch kein Cicero-Leser weiß, was damit gemeint ist. Hand aufs Herz: Kanntest du Thymos?
    Andererseits haben wir beide so etwas gelernt.

    Mittelalterliche Gottesbeweise sind toll, aber bitte nicht heute.

    Jean, Zustimmung. Ist der „Gründungsreaktor“ Absicht? Sehen Sie Klotz als reaktionären Architekturtheoretiker?

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  4. fk schreibt:

    hm, … begebe ich mich nun auf dünnes eis …
    vorweg, ich habe sowohl von sloterdeyk selbst, als auch von den aktuellen diskursen moderner philosophie zuwenig ahnung um hier wirklich belastbare thesen anbieten zu können. dennoch ein paar gedanken dazu.

    ich stoße nun nicht das erste mal auf eine negative kritik zu sloterdeyks beitrag. auch in einem anderen blog wurde in etwa die ähnlich argumentation vetreten wie an dieser stelle. leider weiß ich nicht mehr wo das gewesen ist, ist aber eventuell auch nicht so wichtig. ich habe das damals mit einer gewissen belustigung gelesen, da der kritisierende blog klare linke positionen vetreten hat und sloterdeyk da in meinen augen einfach bestimmte reflexe antriggerte die es bei der ‚linken‘ ebenso gibt. dort habe ich das belustigt zur kenntnis genommen, hier bei exportlabel läuft der ganze diskurs doch auf einem anderen level, so dass es sich imho lohnt dazu ein paar worte zu verlieren.

    ich gebe zu der text kann wohl als neoliberale position ausgelegt werden. aber – und hier begebe ich mich nun auf die eisfläche – er muss es nicht.
    sloterdeyk schreibt nämlich an keiner stelle von den arbeistlosen oder hart IV empfänger sondern spricht von den produktiven und unproduktiven. obwohl ich offen zugeben muss dass er die assoziation stark fördert wenn er kurz darauf dann ‚von Null-Einkommen oder niederen Einkünften‘ spricht. hier kann man unterstellen er sei zu schlau um sich platt als fdp-ler outen zu lassen oder er ist schlau genug hier interpretationsspielraum zu lassen.

    denn was ich ihm an dieser stell einmal zu gute halten will, ist gegen die gegenwärtig grasierende position anzugehen, der staat wäre unsere rettung. und alles wäre gut wenn wir nur den guten onkel keynes mal wieder aus der kiste holen würden und mit ihm gleich die spd mit willy brandt als kanzler. :)
    aber, das was wir heute als staat vor uns haben ist in der tat ein monstrum welches hervorragend eingepasst ist in das umverteilungsspielchen. die frage an dieser stelle ist eben, was oder wen man als unproduktiv und produktiv definiert. wenn man – wie gesagt ich bin auf ganz dünnem eis – mal das, was man ansonsten mit dem kapitalbegriff beschreibt als die unproduktiven kräfte erkennt, beuten diese sehr wohl die produktivkräfte – nämlich diejenigen die arbeiten – aus.

    beträchtliche teile dessen was wir erwirtschaften fliesst über steuern als zinszahlungen an das zu rettende und angeblich so relevante sytem, oder über die krankenkassen in die pharmaindustrie – um nur mal zwei beispiele zu nennen. es fliessen also ganz ordentliche summen an völlig unproduktive stellen koordiniert durch den staat und das im übrigen global wie sloterdeyk auch schreibt.
    wenn wir uns den durch bankenrettung entstandenen schuldenberg einmal ansehen, wird sofort klar das sich dieses spiel in den kommenden jahren verschärfen wird. nach aktuellem verständnis der sitution und dem niveau des gesellschaftlichen diskurses sehe ich da keinerlei besserung.

    auf diese sache hinzuweisen finde ich wichtig und hierin erkenne ich jetzt mal die leistung des beitrags. das ist schwierig weil man sich aktuell aus einer staatskritischen position heraus ja schnell in einer wirtschaftsliberale ecke wieder findet. und ich will im übrigen auch nicht außschliessen, das sloterdeyk aus einer solchen argumentiert.

    natürlich steht außer frage, dass es sinnvoll ist, verschiedene aufgaben und probleme gemeinsam auf einer gesellschaftlichen ebene zu lösen. wir sollten dabei aber auch nicht vergessen, dass die regulierung von allem und jedem – im übrigen auch wunderbar zu beobachten in den aktuellen überwachungsbestrebungen des staatsapparats – nicht zwangsläufig zu unserem nutzen sind.

    der amerikanische ökonom John Kenneth Galbraith erklärte mal, die größte leistung der wirtschaft sei es gewesen, den menschen zu vermitteln privartwirtschaftlich organisierte bürokratie sei effizienter als staatliche. dieser aussage schliesse ich mich an.

    aber es war glaube ich luhmann der meinte bürokratie sei per se ineffizient, egal ob staatlich oder privatwirtschaftlich organisiert. dem schliesse ich mich auch an. :)

    mit besten grüßen
    fk

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  5. Jean Stubenzweig schreibt:

    Der Reaktor ist bewußt so gesetzt. Allerdings habe ich nicht bedacht, daß es so gewertet werden könnte. Ich meinte mehr das Kraftwerk dieses postmodernen Alles-ist machbar, das, da mag man darüber denken wie man will, sicherlich nicht als reakionär bezeichnet werden kann. Jedenfalls hatte ich in den mit ihm geführten Gesprächen – und das waren einige in den Achtzigern – nie einen solchen Eindruck. Da war eher ich ein fast puristischer Bremser, da er mir damals etwas zu fortschrittsforsch daherkam, mir zuviel Buntes im Kessel zuließ (was ich bis heute nicht mag, wenn ich dabei auch mittlerweile um einiges offener geworden bin). Aber das war es ja wohl letztendlich, das ihm dieses Gründungsrektorat eingetragen hatte, seinerzeit heftig-fröhlich gefördert vom damaligen Ministerpräsidenten. Und wenn ich mir nun Sloterdijk in der Nachfolge so betrachte, dann wünschte ich mir fast, Klotz würde auferstehen. Nicht nur, weil ich ihn in guter Erinnerung habe, sondern vor allem, weil er als Hochschullehrer jede Verquastheit vermied und immer aufgeschlossen war.

    Außerdem war er wesentlich besser zu verstehen, so rein vom Phonetischen her …

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  6. hanneswurst schreibt:

    @fk:

    Schließe mich an: Sloterdijk ist in seiner philosophischen Kapazität am ehesten mit Jean-Paul Sartre vergleichbar, aber seine ewige Andeuterei kann ermüden. Die Kritik, die ich bisher an seinen (epochalen) Theorien vor allem zum Ende des Humanismus mitbekommen habe, kam oft reflexhaft oder inkompetent daher. Wenn Sloterdijk ohne mit der Wimper zu zucken eine Situation seziert dann scheinen einige Leser zu mutmaßen, dass dies gleichzeitig bedeutet, dass diese Situation und ihre Konsequenzen vom Autoren gutgeheißen werden. So funktioniert der Boulevard, aber nicht der philosophische Diskurs.

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  7. genova68 schreibt:

    fk,

    bei Sloterdjik blicke ich auch nicht durch. Auf der Buchmesse vor ein paar Jahren hielt in ein Buch über die soziale Lage in Deuschland von ihm in der Hand und dachte: Sieh an, gar nicht schlecht, was der Sloterdijk da schreibt. Insofern habe ich mir den obigen Artikel auch aufmerksam durchgelesen.

    Wie du selbst anmerkst, sagt er deutlich, wie er Produktive und Unproduktive definiert. Da gibt es wenig Interpretationsspielraum. Wenn du von Monstrum redest und gleich Beispiele bringst, wie du das meinst, ist das nachvollziehbar. Bei Sloterdijk nicht. Er diskutiert eben nicht lange über Keynes oder Staatsverschuldung, sondern fordert völlig abstruse Sachen, die ziemlich sicher in den Bürgerkrieg führen würden. Gut möglich, dass er das weiß und es ihm mal wieder nur um einen Skandal geht. Wie man den verursacht, hat er schon beim Menschenpark gezeigt.

    Sartre hat da, soweit ich das sehe, wesentlich mehr auf dem Kasten. Sloterijks Standpunkt ist so eine Art naturwüchsiger Kapitalismus. Ich weiß nicht, ob es dafür überhaupt eine theoretische Position gibt: Schenken statt Steuern zahlen. Eine vorstaatliche Gemeinschaft, vielleicht wie bei den Merowingern, gepaart mit Turbokapitalismus.

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  8. Georg Wolf schreibt:

    Der Beitrag arbeitet die Fragwürdigkeit und und teilweise Abstrusität der Ausführungen des Herrn S. treffend heraus.

    Herr S. verfügt über die Fähigkeit, sehr viel Material zusammenzustellen (man fragt sich, wie viele Hilfskräfte er beschäftigt), und diese Materialzusammenstellungen können dann sehr lehrreich sein, wie etwa sein letztes Buch, das ich mit wirklichem Gewinn gelesen haben. Die Interpretationen sind allerdings oft Ausdruck von Vorurteil, Ressentiment und vermutlich auch Marketing sowie zu erklecklichem Teil verbalen Effekthaschereien geschuldet. Man sollte Herrn S. nach meiner Auffassung nicht ohne ein gewisses Maß an Vorbildung und Kritikfähigkeit, z.B. geschult an analytischer Philosophie, angehen und im Prinzip über die Sache schon vorher einigermaßen Bescheid wissen. Von „epochalen Theorien“ (hanneswurst) kann in meinen Augen keine Rede sein, allerdings sind vielleicht meine Maßstäbe (die eines philosophisch geschulten Naturwissenschaftlers) zu wenig geschreihaft (eine Epoche erkennt man im Übrigen wohl erst im Nachhinein).

    Wenn man sich nur etwa die Geschichte der Moralkritik usw. von der Antike in gehöriger Sorgfalt vor Augen führt, wird man sehen, dass Herr S. auch in seiner Rede vom „Ende des Humanismus“ nichts substanziell Neues verkündet. Wohl allerdings ist der Gestus epochal, ausgreifend und um sich schallend, so wie das Geltungsbedürfnis. Nicht ohne Grund gilt Herr S. in der akademischen Philosophie nicht sonderlich viel. Dies dürfte nicht darauf zurückzuführen sein, dass er als genialer Außenseiter und erfolgreicher Medien- und Marketingspezialist und Geschäftsmann wenig gelitten ist, sondern daran, dass seine Ideen sich letztlich häufig als ein wenig flau oder trivial herausstellen. Nicht ohne Grund publiziert er in Hochglanzzeitschriften wie „Cicero“, welche die gefühlte Elite (Elitaille) ideologisch gemäß dem aktuellen Zeitgeist in übersichtlicher, meinungsfertig und hypothalamusgängig aufbereiteter Form inklusive „ranking“ und ggf. adulatio bedienen. Und der Erfolg des Herrn S. dürfte nicht zuletzt in der Aura des Nietzschelierens liegen, durch die er seinen Lesern, vor allem den Gerne-Groß-Sein-Wollenden unter ihnen, den Eindruck vermittelt, zu den Auserwählten der Zukunft zu gehören.

    Auch in seinem letzten Buch ist dieser Gestus durchgängig spürbar. Leider. Dazu gehören auch die zum Teil ins Infantile reichenden Affekte und Aburteilungen gegen alles, was nach Belieben und Bedarf als „links“ klassifiziert wird, eine heutzutage billig zu habende Pose mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. So funktioniert der Boulevard, aber nicht der philosophische Diskurs (hanneswurst; Ihre Bemerkung erinnert mich an die Mahnungen zur Wissenschaftlichkeit, wie sie seitens „Evolutionsskeptikern“ oder „Klimaskeptikern“ gegenüber Fachwissenschaftlern gerne geäußert werden.) Herr S. dürfte auch wendig genug sein, sich Realisationen des Zeitgeistes anzupassen, die sehr viel deutlichere Formen annehmen als dies heute der Fall ist (in dieser Hinsicht, wenngleich nicht vom geistigen Format her, Heidegger vergleichbar).

    Nach Lektüre einiger seiner Werke bezweifle ich, dass man ihm bezüglich der politischen Agenda viel unterstellen muss; dazu braucht es beileibe nicht die ehrenwerte Gesellschaft des „Frankfurter Zukunftsrats“. Auch die „postdemokratische“ Prognose dürfte eher als Wunschvoraussage gelten denn als Befürchtung. Würde denn etwa das System der „gebenden Hand“ Demokratie verbürgen, und nicht ihr exaktes Gegenteil, indem der Mehrzahl der Bevölkerung auch noch formal das Recht auf adäquates Leben abgesprochen wird? Herrn S. Vorstellungen dürfte das Modell eines antiken Sklavenstaats oder einer mittelalterlichen Leibeigenengesellschaft am angemessensten sein. Sklaven und Leibeigene sind ja sozusagen per definitionem nicht produktiv, denn alles, was sie zu produzieren scheinen, kommt in Wirklichkeit von der Herrschaft her. Um sich diesem Eindruck nicht entwinden zu können, braucht man nicht reflexhaft oder inkompetent zu sein, es genügt die Fähigkeit, zwischen den Zeilen lesen zu können, plus ein wenig Bildung in den Kapriolen ebensowohl wie in den Offensichtlichkeiten der Geistesgeschichte. Die „Anthropotechnik“, d.h. die Arbeit an sich selbst, der sein letztes Buch gilt, dürfte ja auch nicht für die Masse gelten; sie impliziert den Text hindurch Härte, die man überall durchfühlt. Und die vielfache Bezugnahme auf den Sport als Selbstzucht weckt im übrigen das allerpeinlichste Gefühl der primitivsten Populär-Anbiederung, da helfen auch die Distanzierungen von heutigen Praktiken nicht (die im übrigen gemäß der Logik der Sache nicht konsequent sind). Die adressierte Elite will eben aufs Breitengefühl und den Massenspaß auch nicht verzichten. Und die Protagonisten etwa der seinerzeitigen konservativen Garde, Lagarde, Langbehn, Moeller van Bruck etc., ebenso wie viele andere derartige Geisteslaternenträger, haben doch wohl auch Adolf H. nicht gewollt? Sie waren aber dann ggf. rechtzeitig zur Stelle. Herr S. analysiert im übrigen nicht, ohne mit der Wimper zu zucken, denn dann wäre die Wertung der Dinge differenzierter. Er blinzelt sich und dem geneigtem Publikum die Dinge zurecht. Man wird sehen, wohin das führt, denn die multiplen und im Vergleich zur Vergangenheit vervielfachten Konfliktfelder der Zukunft werden einen ordentlichen Bedarf nach ideologischer Verkleidung des Egoismus inklusive Sterbenlassens und -machens wecken, den die konventionellen Religionen kaum werden befriedigen können. In dieser Hinsicht dürfte Peter S. Potential haben. Doch sind vermutlich solche Sätze Boulevard und Mangel an philosophischem Diskurs.

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  9. genova68 schreibt:

    Danke für den interessanten Beitrag, Georg Wolf,

    die hohe Zahl von Publikationen ist in der Tat bemerkenswert. Stellt sich die Frage, was er eigentlich selbst schreibt. Vielleicht gar nicht so viel. Wenn ich ihn im Quartett reden höre, habe ich keineswegs das Gefühl intellektueller Eloquenz, es ist eher angestrengt.

    Dass sein Anthropotechnik-Buch die von Ihnen beschriebene Schlagseite hat, ist bezeichnend. Vieles von dem, was Sloterdijk macht, ist lediglich seinem Aufmerksamkeitsheischen geschuldet. Sonst wäre er einer in der dritten Reihe. Sein Angriff damals auf die Frankfurter Schule zeigte das ja. Ordentlich treten, und schon lässt die Zeit Habermas ausführlich antworten und, zack, läuft das Ganze. Was ist dabei herausgekommen? Irgendeine substanzielle Kritik an der Kritischen Theorie? Wenn, dann ist es mir entgangen.
    Sloterdijk ist Nutznießer der Kulturindustrie und verurteilt deshalb folgerichtig die, die sie kritisieren.

    Inwieweit sich Sloterdijk als theoretischer Gestalter neuer Totalitarismen entwickeln könnte, tja, sicher, vorstellen kann man es sich.

    Generell aber ist das Problem nicht Sloterdijk, sondern eine Gesellschaft, die solchen Typen eine Referenz erweist, die ihnen nicht zukommen dürfte.

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  10. hanneswurst schreibt:

    Richtig ist, dass Sloterdijk auch in Fachkreisen heftig kritisiert wird und wurde. Falsch ist, dass er deswegen als Philosoph nicht ernst genommen würde. Sonst gäbe es keine „Sloterdijk-Debatte“.

    Außer „Regeln für den Menschenpark“ und ein paar Fragmenten und Interviews habe ich nichts von Sloterdijk gelesen. Ich muss nur eine Rezension von „Du musst Dein Leben ändern“ lesen, um zu wissen, dass ich ähnliche Weisheiten von Schopenhauer konsumieren durfte. Außerdem habe ich mich persönlich ausgiebig mit den Umwälzungen, die Informations- und Cybertechnik wahrscheinlich verursachen werden, befasst. Das ändert aber nichts am Wert von Sloterdijks Arbeit, der die Philosophie überhaupt erst wieder in das Sichtfeld der Kultur gerückt hat – ohne dabei mit „Best off“-Schinken arbeiten zu müssen wie „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ oder „Die Philosophische Hintertreppe.“

    Der Ethiker Dieter Birnbacher meinte, Sloterdijks Theorien wären zwar in der Sache unhaltbar, aber es wäre zu begrüßen dass er die Dominanz von Denkern wie Adorno und Habermas überwindet, deren Schulen zu lange ohne ausreichende kritische Reflexion bis in das 3. Jahrtausend getragen wurden. Das halte ich für eine treffende Analyse.

    Das Geschrei der Romantik-Linken um Sloterdijk ist verständlich, malt dieser doch eine ganz andere Zukunft aus, als jene sich vorstellen. Ein philosophischer Diskurs darüber sollte Sloterdijk als Person nicht angreifen, sondern seine Argumente entkräften oder Alternativen anbieten. Der Boulevard (und der Blogovard) zeigt lieber mit dem Finger oder versucht den Meinungsgegner in die Nähe von irgendetwas Unappetitlichen zu rücken.

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  11. genova68 schreibt:

    Kann man die (angebliche) Dominanz von Adorno mit unhaltbaren Theorien überwinden? Birnbacher scheint weniger Ethiker denn Logiker der fünften Dimension zu sein.

    Auf Adorno wird spätestens seit den 1980er Jahren eingehauen, nicht zuletzt von seinen ehemaligen Verteidigern wie Schnädelbach und auch Habermas. Ich fände es wunderbar, wenn kritisches Denken in der Gesellschaft noch eine Dominanz hätte. Dann hätten es Leute wie Sloterdijk schwerer.

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  12. hanneswurst schreibt:

    „Unhaltbare Theorie“ war der falsche Begriff, es müsste „Position mit unannehmbaren Konsequenzen“ heißen. Ich weiß nicht mehr genau wie Birnbacher es formuliert hat, aber ich meine er hat insofern recht, als dass ein Element der Übertreibung nützlich sein kann, um festgesetzte Diskussionen wieder in Fahrt zu bringen. Ich meine, dass Sloterdijk so arbeitet und dass darin sein Verdienst liegt.

    Natürlich ist Deutschland seit der „Ära Kohl“ nicht gerade von der Kritischen Theorie geprägt. Es geht jedoch um die Diskussion in der Geisteswissenschaft und deren Einwirkung auf die Gesellschaft. Da findet immer noch kaum ein Transfer statt, die Philosophie hat sich damit abgefunden, mit Jahrzehnten Zeitversatz die Krumen aufzupicken, die ihr die Wirtschafts- und Naturwissenschaften hinwerfen. Technologien werden auf den Markt gebracht, Jahre später zeigt ein Philosoph den keiner hören will auf, dass der Kram keinen Sinn hat.

    Dabei sollte es umgekehrt sein, Kunst und Geisteswissenschaften müssen ahnen, was kommen wird und was es bewirken wird, um die Zukunft mitzugestalten. Hier ist Sloterdijk Wegbereiter für Philosophen, die bereit sind, sich von der Enttäuschung über die Inkongruenz von Realität und Kritischer Theorie zu befreien und ihre altlinken Kaffeekränzchen hinter sich lassen um mutig und mit der nötigen Offenheit der Postmoderne zu begegnen.

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  13. genova68 schreibt:

    Die Philosophie, Gesellschaftswissenschaften überhaupt müssten ahnen, was kommt, das stimmt. Aber warum soll das die Kritische Thorie als Fundament nicht leisten? Wieso altlinke Kaffeekränzchen? Adorno hat mit der „Dialektik der Aufklärung“ und zig Schriften massiv zu gesellschaftlichen Entwicklungen Stellung genommen, mehr als alle anderen zeitgenössischen Philosophen zwischen 1940 und 1965. Dazu kommen seine soziologischen Arbeiten. Gerade den Frankfurtern kannst du diese Vorwürfe nicht machen.

    Es stimmt aber, dass man vom Institut für Sozialforschung seit langem nichts mehr hört, obwohl sie etwas zu sagen haben müssten. Sie produzieren auch, sind aber wohl keine guten Vermarkter.

    Das Kompliment, Debatten entfacht zu haben oder „Diskussionen wieder in Fahrt zu bringen“, halte ich außerdem für eine versteckte Verachtung. So wie „er hat sich bemüht“ in einem Arbeitszeugnis. Immerhin hat hier noch kein Mensch sagen können, was Sloterdijk eigentlich will. Und genau das macht sein Erfolg aus: Alle reden über ihn, obwohl es nichts zu reden gibt.

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  14. hanneswurst schreibt:

    „zwischen 1940 und 1965“

    Ich meine, es geht nicht so sehr darum, was Sloterdijk „will“, sondern um seine analytischen Fähigkeiten.

    „Kleptokratie des Staates“ ist ein Beispiel. Während überall sonst zu lesen ist der Kapitalismus wäre am Ende, sieht Sloterdijk den seiner Meinung nach statt dessen vorhandenen Semi-Sozialismus am Ende und warnt vor einer „Revolution von oben“, die in der Tat viel schlimmere Folgen hätte, als eine Auflehnung gegen das Establishment, da die momentan noch vorhandenen sozialen Mindeststandards betroffen wären. Dies ist ein nicht unwahrscheinliches Szenario, das Sloterdijk auch keinesfalls als erfreulich ansieht. Er stellt nur dar, welche Auflehnung gegen zu hohe Besteuerung es in der Vergangenheit gegeben hat um zu verdeutlichen, dass eine Hinnahme der aktuellen Steuersätze keineswegs selbstverständlich ist.

    Dieses Problem könnte die momentane Generation der 30-50jährigen spätestens dann heimsuchen, wenn sie im Alter von 67 Jahren auf ihre wohlverdiente Rente hofft, die dann in wesentlichen Teilen von Abgaben einer überschuldeten Folgegeneration aufgebracht werden soll. Uns bleibt die Hoffnung auf die thymotische Regung der Folgegenerationen. Wir können nichts dafür. Wir sind immer nur warm geduscht worden und kennen Not und Krieg lediglich aus Film- und Fernsehen.

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  15. Georg Wolf schreibt:

    Herr S. ist, wie ich schon betonte, in der Lage, umfangreiche Materialsammlungen zusammenzustellen, die auch entlegene Quellen nutzen und sehr hilfreich für das eigene Denken sein können. Auch versteht er es immer wieder, interessante und mit Beleuchtungspotential verbundene, schlaglichtartig erhellende Begriffe zu schaffen. Allerdings entfalten diese Begriffe sodann einen eigenständigen Sog, dem Herr S. selbst offenbar nicht entkommen kann – wenn sie nicht bereits unter dem Bedürfnis nach Sog autosuggestiv geschaffen wurden. Dieses Phänomen dürfte nicht zuletzt den Prägungen durch Heidegger und Nietzsche zu verdanken sein, bei denen sich ähnliches beobachten lässt.

    Die im eigentlichen Sinne analytischen Fähigkeiten von Herrn S. beschränken sich nach meiner Wahrnehmung weitgehend darauf, für bestimmte Phänomene, die der allgemeinen Aufmerksamkeit sicher sein können, einen eingängigen Begriff zu finden, dessen Prämissen kaschiert werden und der dann der aufnahmebereiten Leserschaft ein pseudowissenschaftliches Rationale für ihre Vorurteile oder Präferenzen liefert.

    „Kleptokratie des Staates“ ist ein ausgezeichnetes Beispiel für dieses Verfahren. Diese Wendung oder Phrase ergibt nur vor dem Hintergrund der üblichen neomarktistischen Ideologie einen Sinn. „Klepto“ beinhaltet offenbar von vornherein eine Wertung. Warum kein neutraler Begriff?

    Dem Leistungsbürger steht gemäß diesem Hintergrund offenbar uneingeschränkt das zu, was er leistet oder zu leisten vorgibt – wobei er die Prämissen und Randbedingungen, die ihm das Einkommen verschaffen, geflissentlich ignoriert (so etwa wie wenn ein Arzt im Krankenhaus es unternähme, für seine Privatpatienten die gesamte Vergütung zu beanspruchen, weil die Infrastruktur des Krankenhauses als selbstverständlich vorausgesetzt wird). Aus einer anderen Perspektive könnte man im Gegenteil viel eher von einer Kleptokratie der sog. Leistungsträger sprechen.

    Wenn man sich nur vor Augen hält, wie sich die Einkommensverteilung und Vermögensverteilung alleine nur in den letzten 10 Jahren entwickelt hat, wie systematisch die Steuerlast der hohen Einkommen usw. reduziert wurde, mit welcher Selbstverständlichkeit die politische Klasse etwa bei der „Bankenrettung“ sich und ihre Klientel bedient hat und bedient usw., dann fragt man sich, in welcher Welt außer derjenigen neomarktistischer Verblendung oder Betrugsabsichten solche Begriffe geschaffen wurden. Auch die beliebte Bezugnahme auf die Schuldenlast der Zukunft hilft nicht, denn das ist ein Ablenkungsmanöver vom Mehr-haben-wollen hier und jetzt. Oder sollte in irgendwelchen anderen Bereichen (Klima, Energie, Frieden) eine nennenswerte „Verantwortung“ für die Zukunft statt Phrasenautomatik, Politik-Marketing usw. aufzuspüren sein? Der Boulevard hat hier gegenüber den Höhen und Höhungen des philosophischen Diskurses wenigstens den Vorteil, einen Kontakt mit der harten Realität sicherzustellen, die für nicht wenige steinernes Brot bereithält.

    Dass Herr S. sich in einem Hochglanzmagazin mit einem ganz bestimmten Zielpublikum und ganz bestimmten Präferenzen verbreitet, ähnlich wie in einem Kampagnen- und Gesinnungsblatt als Tageszeitung (das ich gut kenne, weil ich es jahrelang gelesen habe, bis die Schirrmacherei usw. mir unerträglich wurde), kommt nicht von ungefähr. Man frage dazu nur einmal einen typischen Leser dieser Blätter nach seinen Auffassungen oder schaue sich Leserkommentare an. Und entsprechende Auftritte in televisionären Sprechschauen, womöglich mit Geistesheroen der neoreaktionären Sorte (bei denen der neuerdings gerne erhobene Ton der Vornehmen sich etwas vulgärer anlässt), scheinen erhellend nur für den, der erhellt genug ist, um dieser Auftritte nicht zu bedürfen.

    Unappetitliches darf man meines Erachtens gerne unterstellen, wenn man das Unappetitliche ganz unappetitlich einem Komplex von Auffassungen unterliegen sieht. So sahen einige Beobachter sehr wohl schon Ende der 1920er Jahre die unappetitlichen Affinitäten und Dispositionen in Heideggers Werk, die dann 1933 ganz unappetitlich zutagetraten. Und wer „Sein und Zeit“ aufmerksam und mit sozusagen einem Vorschuss-Wohlwollen liest, der kann von den ersten Abschnitten des Buches auch heute noch sehr wohl fasziniert sein, mag aber spätestens ab etwa der ersten Hälfte des Buches ein zunehmendes Unbehagen verspüren. Dies nicht alleine wegen einer immer weiter ins Esoterische vorangetriebenen Begrifflichkeit, sondern wegen eines Unterstroms, der – vorsichtig gesprochen und entgegen dem, was man vielleicht aus der ersten Hälfte vermuten könnte – nicht in Richtung des Individuums weist, sondern des Überindividuellen und das heißt de facto Kollektivs.

    Und noch etwas Unappetitliches. Die Nebeneinkünfte von Herrn S. dürften seine Bezüge als Rektor deutlich übersteigen. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dort, wo sich ein objektivierendes Mahnen mit elaborierter Gestik manifestiert, besonders sorgfältig auf das ganz unappetitlich plumpe cui bono zu schauen, und zwar speziell bei Mitgliedern der sog. geistigen Elite. Es versteht sich von selbst, dass Herr S. mit seiner Philippika gegen hohe Steuern oder Steuern überhaupt ganz pro domo spricht. Er würde zu den unmittelbaren Profiteuren seiner Vorschläge gehören, möglicherweise sekundär auch durch das Wohlgefühl des mildtätigen „Gebens“, wenn es denn seitens der hohen Herrschaft erfolgt und diese nicht Härte vorzieht, die als Härte gegen andere bekanntlich ja auch anerkennenswerte Härte gegen sich selbst ist; andere Zeitgenossen, und nicht wenige, hätten das Vergnügen, in den Genuss des Gegenteils kommen. Ich bin geneigt, die nächstliegende Erklärung für die wahrscheinlichste zu halten und an das Gute im Menschen inklusive Herrn S. nicht so recht zu glauben. Dies sollte auch Adepten seiner Philosophie vor dem Hintergrund des weitgehend biologistischen Menschenbildes besonders einleuchten. Aber, wie gesagt unappetitlich und boulevardesk das alles.

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  17. hanneswurst schreibt:

    Meiner Erfahrung nach ist das Denken und Mitteilen nie schädlich, im schlimmsten Fall langweilt sich die Zuhörerschaft zu Tode. Wenn jedenfalls die gleichen Hysteriker Sloterdijk Brandstiftung zum Vorwurf machen, die das selbst heute noch in Hinblick auf Heideggers Nachlass tun (darf man „Sein und Zeit“ wenigstens epochal nennen?), dann braucht Sloterdijk sich darum jedenfalls keine Sorgen zu machen.

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  18. genova68 schreibt:

    Hanneswurst,

    mit deiner Vermutung zur Rente sitzt du der neoliberalen Propaganda auf. Aber das tun viele, die haben sich Mühe gegeben.

    Kleptomanie des Staates: Auch so eine Formulierung, die nur dazu dient, Gemeinwesen kaputtzuhauen. Die Reichen werden seit Jahren immer reicher und zahlen immer weniger Steuern. Das sind alles Tatsachen. Geschröpft werden besser verdiendende Angestellte, stimmt. Aber denen geht es trotzdem gut. Und wenn weitere Steuersenkungen, dann bitte sagen, wo gespart werden soll.

    Das ist genau der Punkt: Sloterdijk labert, kreiert Vorurteile, schafft billigen Neid, diesesmal den der Reichen auf die Armen. Von analytischen Fähigkeiten würde ich bei Sloterdijk zumindest in dem Cicero-Text nicht reden, wo sollen die zutage treten??

    Wie schon gesagt: Sloterdijks durchgedrehter Sozialdarwinismus, gepaart mit seinem Biologismus, würde ihn ohne weiteres zum Staatsphilosophen einer neuen, dunklen Zeit befähigen. Er müsste sich da nicht mehr verbiegen. Dass solche Leute „Debatten anstoßen“, ist nicht wirklich nötig.

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  19. Georg Wolf schreibt:

    Vielleicht empfiehlt es sich, ein wenig sorgfältiger zu lesen und wägen, statt zu Wurfvokabeln und leichtgängigen Projektionen wie „altlinks“ und „Hysteriker“ Zuflucht zu nehmen. Die Bedeutung von „Sein und Zeit“ habe ich offenbar nicht in Frage gestellt, ich schätze dieses Buch durchaus, vermag es allerdings auch in einen philosophischen, philosophiehistorischen und historischen Kontext einzuorden (soweit ein Werk dieser Dimension einzuordnen ist) und habe vor allem auf den Unterstrom hingewiesen, den man heute natürlich genauer als zuvor erkennen kann. Genau das war das Thema und der Grund meiner Bezugnahme auf dieses Werk. Dass Herr S. diese Dimension oder diejenige von Nietzsches „Zarathustra“ anstrebt, war er im übrigen unvornehm genug der Öffentlichkeit mitzuteilen.

    Und bei einer „Abfindung“ in der Höhe, um die es hier geht, angesichts von durchaus nennenswerten jährlichen Bezügen in der Vergangenheit ist das „Spenden für den guten Zweck“ doch wohl eine eigentümliche Veranstaltung, vor allem, wenn es auch noch ganz unappetitlich dem Boulevard mitgeteilt wird. Oder sollten inzwischen alle Maßstäbe der Angemessenheit, des Anstandes, der Bürgerlichkeit im nichtpejorativen Sinne (sollte sich daran noch jemand erinnern) verlorengegangen sein? Schreibt nicht jene bürgerliche Partei, deren staatspolitische Auffassungen den von Herrn S. dargelegten am nächsten kommen, mit dankenswerter Offenheit auf ihren Wahlplakaten „Für alle, die mehr wollen“? Ein Philosoph dürfte im übrigen auch für die „Missverständnisse“ seitens seiner Jünger verantwortlich sein, wenn diese so naheliegen, dass sie geradezu zwangsläufig erfolgen, vor allem dann, wenn er auch noch dieser Klientel entsprechende publizistische sog. Qualitätserzeugnisse bedient.

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  20. hanneswurst schreibt:

    Eine konstruierte Theorie: schon heute ist sichtbar, dass die Heterogenität der Menschen nicht nur in Hinsicht auf soziale Faktoren zunimmt. Neue Kluften öffnen sich, nicht nur die technische Kluften wie die digitale Kluft und die Cyberkluft, sondern auch biologische Kluften (Zugang zu lebensqualitätserhaltenden Therapien und Verringer der Alterserscheinungen, Gendiagnostik und -therapie). Diese neue enorme Heterogenität führt über Generationen zu einer Auflösung von Familien- und Sozialverbänden und schließlich zu einem Aussterben der Menschheit mit Ausnahme weniger Individuen, die in einer Art Olymp ein von Zeit- und Raumbarrieren weitgehend befreites Dasein jenseits unsere momentanen Vorstellungskräfte führen. Da der Mensch das Konzept der Individuation bis zu diesem Zeitpunkt als überkommen empfinden wird, ist moralisch nichts gegen diese neue Gesellschaftsform einzuwenden.

    Dürfte ein Philosoph so etwas schreiben? Darf ein Heavy-Metal Liedtext „Lutsch an meiner Kettensäge, Adorno“ lauten? Oder müssen beide wegen Verwerfung der Moral und Propaganda für eine „neue, dunkle Zeit“ beschimpft werden? Es ist doch nicht so, als wenn Sloterdijks Worte auf die gleiche Wage gelegt werden müssten wie die Worte von Lafontaine, Westerwelle oder einer anderen politischen Randfigur, denn: er ist kein Politiker. Er ist nicht einmal Sozialwissenschaftler. Ich würde einer Philosophin für ihre Texte etwas mehr praktische Verantwortung zumuten, als einer Heavy-Metal Sängerin. Aber nicht viel mehr.

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  21. Georg Wolf schreibt:

    Ihren Kommentar kann ich durchaus nachvollziehen, und vermutlich sind wir deutlich weniger voneinander entfernt, als dies unser Wortwechsel nahelegen könnte.

    Sie haben völlig recht, auf die Problematik dessen hinzuweisen, was menschliche Identität und was Moral im weitesten Sinne ausmacht. Mit diesen Dingen bin ich auch durch meine Arbeit selbst immer wieder konfrontiert. Ich würde es mir aber (1) nicht leicht machen, das von Ihnen skizzierte Künftige in Ordnung zu finden (das Erschrecken ist auch eine Mutter der Philosophie, nicht nur das Staunen, und Gleichmut pflegt sich der Gleichgültigkeit und dem Zynismus schneller anzunähern als dies die meisten wahrhaben wollen), (2) in der Philosophie auf Präzision, Redlichkeit, Selbstkritik und einen multiperspektivischen Blick Wert legen (hier ist Herr S. meines Erachtens insofern ein Ärgernis, als er bei seinen umfassenden Interessen und Kenntnissen mit weniger begifflichem und rhetorischem Tamtam bedeutend mehr leisten könnte und ich seine (nicht für ihn spezifische) Mischung aus Provokation und Anbiederung für in jedem Sinne fragwürdig halte), (3) die im Menschen angelegten unguten Tendenzen und das Bedürfnis nach ideologischer Einkleidung jeder Brutalität nicht unterschätzen (es ist eben viel Biologie darin, und das Humane (solange man diesen Begriff nicht ad acta legen möchte) erscheint gerade als das Unbiologische). Man sollte Herrn S. auch mit Blick darauf lesen.

    Übrigens ist sein neues Buch nach meiner Auffassung lesens- und sogar anerkennenswert (ungeachtet der Kritik mancher Fachphilosophen), wenngleich dort, wo Wertungen immer wieder penetrant&obstinat offeriert werden oder man biedernde, semantisch schaukelnde Zweideutigkeiten bemerkt, ennervierend. Es ist keineswegs ein Schopenhauer-Aufguss, sondern ein materialreicher Abriss eines wichtigen Aspektes der Menschwerdung als Kulturprozess.

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  22. fk schreibt:

    kennt eigentlich jemand hier den schönen essay „Zu einer Metaphysik der Scheiße“ von jean fisher, erschienen im katalog der documenta 11?

    irgendwie muss ich beim mitverfolgen der diskussion die ganzen zeit an die darin beschriebene figur des tricksters denken. auf die gefahr hin altbekanntes zu servieren: der trickster ist eine figur die in leicht variierender form in verschiedenen mythen unterschiedlicher kulturkreise auftritt.
    er hat etwas vom narren, ist also eine figur die in unterschiedliche richtungen unterschiedliche gesicher und profile präsentiert. die strategie des tricksters ist auf grund der dadurch entstehenden differenzen und unstimmigkeiten streit zu verursachen. streit dient in der strategie des tricksters dazu bestehende muster aufzubrechen und so für kommunikation zu sorgen bzw eine kommunikation auf neuer basis zu initiieren.

    ich bin ein großer freund der trickster-idee und halte diese auch für eine interessante strategie für politisches handeln. natürlich ist klar, dass sich der trickster selber nicht unbedingt bei allen beteiligten beliebt bzw zum freund macht.

    leider ist der text online nicht verfügbar oder ich habe ihn bisher noch nicht gefunden. sollte aber die möglichkeit bestehen, kann ich nur empfehlen sich den essay mal zu gemüte zu führen.

    beste grüße
    fk

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  23. hanneswurst schreibt:

    Hallo fk, zu diesen Thema empfehle ich auch Befassung mit dem Diskordianismus, fnord. Ich glaube auch, Sloterdijk als „trickster“ (davon habe ich vorher noch nicht gehört) zu kategorisieren könnte passen. Man wird ja meist nicht durch vollbewussten, eigenen Beschluss zum „trickster“. (Oder?)

    Hallo Georg, danke für die versöhnlichen Worte, wer sich der Entrüstung widersetzt und am Tisch bleibt (wobei Sloterdijk dafür ja nicht gerade bekannt ist), der kann gar nicht ins Dunkle tappen.

    Hallo Genova, man sollte auch nicht versuchen, „solche Leute“ ins Dunkle zu entlassen.

    Kallisti!

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  24. Raffaele schreibt:

    Der Komiker ist übrigens Dieter Nuhr, von dem das Zitat stammt: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.

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  25. genova68 schreibt:

    Hannes,

    auf die dunklen Zeiten kam ich wegen Heidegger. Wie gesagt, Sloterdijk müsste sich da nicht verbiegen, das kann man jetzt schon sagen. Abschieben tue ich ihn nicht, vielleicht ist ja einiges fruchtbar von dem, was er schon so zusammengeschrieben hat (sicher mehrere zigtausend Seiten). Seine zynische Vernunft seinerzeit wurde ja auch gelobt. Ich habe mich mit meinem Beitrag nur auf den Cicero-Artikel bezogen, meine Kapazitäten sind begrenzt.

    „Lutsch an meiner Kettensäge, Adorno“ ist extrem harmlos gegenüber den Thesen Sloterdijks, die ich in dem Artikel erwähne. Die Heavy-Metal-Band macht (provokative) Kunst und man kann sich kaum jemanden weniger gut beim Kettensägenlutschen vorstellen als Adorno. Also passt das grundsätzlich. Bei Sloterdijks Unterscheidung von Produktiv und Unproduktiv dagegen liegt „lebenswert – lebensunwert“ fast auf der Zunge, da ist nix mit Kunst, das ist nicht mal Provokation, das ist unverschämt. Wenn diese Worte nicht auf die Goldwaage gelegt werden sollen, dann warte ich auf eine Interpretation, die halbwegs schlüssig zu einem anderen Ansatz kommt.

    fk,
    die Trickster-Idee finde ich auch gut: Streit, um Geordnetes aufzubrechen, um Kommunikation entstehen zu lassen. Ob Sloterdijk das schafft, angesichts seiner verquasten Sprache? Wir diskutieren ja größtenteils über ihn, nicht über seine Thesen.

    Raffaele, ja, der ist es, danke.

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  26. fk schreibt:

    @genova68 „Wir diskutieren ja größtenteils über ihn, nicht über seine Thesen.“ … dafür kann er dann nun aber wirklich nur sehr bedingt etwas. :)

    @hanneswurst habe dann doch endlich mal fnord recherchiert. ich bin mir allerdings nicht ganz sicher ob fnord und trickster in die gleiche richtung gehen. wenn ich das richtig verstehe ist fnord ja eine art funktion welche durch entsprechende konditionierung kommunikation unterdrückt in dem sie einschüchtert.

    beste grüße
    fk

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  27. hanneswurst schreibt:

    @genova68: eine Einteilung der Gesellschaft in produktiv – unproduktiv (die ja – wie fk geschrieben hat – auch anders gedeutet werden kann, was in Sloterdijks Denke meiner Meinung nach auch passt) ist dann gefährlich, wenn daraus gefährliche Konsequenzen abgeleitet werden (wie das Begriffspaar „lebenswert – lebensunwert“ sie impliziert, deswegen ist der Vergleich mit „produktiv – unproduktiv“ meiner Meinung nach auch kein Vergleich von Äpfeln mit Birnen sondern von Besenstielen mit Rocksäumen). Ich schlage vor, Du liest noch einmal ganz genau nach, was Sloterdijk über eine „sozialpsychologische Neuerfindung“ genau schreibt. Hier die Interpretation, auf die Du wartest: er legt nahe, dass eine Gesellschaft, in der die Bessergestellten die Schlechtergestellten aus eigener Überzeugung (Stolz) unterstützen einer Gesellschaft vorzuziehen ist, in der die Bessergestellte versuchen das gesetzlich maximale (und mehr) durchzusetzen um sich vor einer Unterstützung der Schlechtergestellten zu drücken.

    @fk: falls Du das noch nicht gelesen hast: http://de.wikipedia.org/wiki/Diskordianismus. Fnord.

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  28. Georg Wolf schreibt:

    Danke, dass Sie das noch einmal explizit herausgestellt haben. Dass Herr S. die Dinge so darstellt, ist allerdings klar. Man sollte aber Mehreres bedenken:

    1. Wie steht es mit der Realitätstüchtigkeit dieser These? Liegt sie nicht auf der Ebene von „Wenn alle Menschen sich anständig verhielten, wäre die Welt besser“? Sollte nicht eine auch nur geringfügigste Menschenkenntnis sich erlauben dürfen, diese These unter den Anlässen für jenes Schulterzucken abzulegen, das man „Philosophen“ entgegenbringt?

    2. Dies um so mehr, als die adressierte Klientel, die dies in ein ganz konkretes politisches Programm umzusetzen in der Lage ist, alles andere als edelmütig sein dürfte. Es sei denn, man hat den (mir eher als Tollhausprädikat erscheinenden) Mut, beispielsweise die erwähnte Spende bei einem Vermögen von sicherlich >500 Mio. Euro tatsächlich als Signum des Edelmuts aufzufassen. Mir allerdings scheint jemand aus der Population der Unproduktiven, der sich von knappstem Einkommen eine Spende von 50 Euro abringt und dies nicht medial singt & kündet, eher dieses Prädikat zu verdienen. Oder sollte die Realitätstüchtigkeit einer auf die Praxis bezogenen These keine Rolle mehr spielen? Vielleicht weil wir uns den Stolz ggf. biologisch anzüchten, oder einigen Auserwählten, oder den jetzt schon finanziell Erleuchteten?

    2. Es handelt sich nicht eigentlich um eine „Neuerfindung“, das ist nur Marketing unter Verwendung modischer Terminologie. Vielmehr handelt es sich in der Essenz um ein Amalgam aus antiker und mittelalterlich-christlicher Herrenmoral, das vor der Folie des modernen Staats neu erscheint. Und überall bei Herrn S. klappert im Untergrund Nietzsche mit, nur jetzt ein wenig quasi-sozial gemildert. Nach Art der mittelalterlichen Logik: Gott hat die Armen geschaffen, damit die Reichen auch in den Himmel kommen können, deshalb muss Armut sein. Insofern haben sie auch ein gewisses Lebensrecht. Soziale Milderung ist aber nicht im Kern der stolzbasierten Herrenmoral angelegt, da ist Nietzsche sehr viel ehrlicher. Und wer die Abstufungen gemäß Übefähigkeit und Selbstzucht in seinem neuen Buch zur Kenntnis nimmt, wird die eventuelle Extension der Wertung auf das nackte physische Lebensrecht sowohl theoretisch als auch praktisch extrem nahe und in der Logik der Sache liegend sehen.

    3. Die Geschichte sollte auch Herrn S. gelehrt haben, dass eine funktionierende und vor allem für alle Mitglieder erträgliche Gesellschaft auf einem (halbwegs) rationalen Konsens und (ansatzweisen) Interessensausgleich beruhen sollte, der die faktische Unvollkommenheit des Menschen in Rechnung stellt und notwendigerweise auch per gesetzlich einforderbarer Rechte und Pflichten begrenzt. Stolz ist eine individuelle Eigenschaft und vermutlich nicht einmal per se gut oder anerkennenswert (man denke auch an christliche Wertungen, wenngleich die letztlich sehr vertrackt und verdreht sind). Stolz ist mit Sicherheit kein Organisationsprinzip einer modernen Gesellschaft. Wer das versucht, sollte realisieren, dass er im günstigen Fall in einer Quasi-Feudalgesellschaft der wenigen Stolzen und vielen notwendigerweise Unstolzen landen wird, womöglich mit biologischen Stolzeszucht-Eskapaden, und im ungünstigen Fall bei Regimes nach Bauart des Tausendjährigen Reiches, in dem bekanntlich von Stolz groß & laut die Rede war (wer letzteres als Hysterie abtun möchte, möge bedenken, wie nahe kollektiver Wahn und individuelle Normalität, faktische Barbarei und moralischer Opportunismus liegen können; das, die fatale Rolle flexibler Ideologeme und die Wirkung politischer Kaskaden und Selbstverstärkungen, in denen eine Fatalität der Rechtfertigung einer anderen dient und in der ein geistig-moralisches Ausgleiten das nächste begünstigt, haben uns die Tausend Jahre vor allem gelehrt).

    4. Was an Herrn S. nicht nur stört, sondern in höchstem Maße misstrauisch macht, ist die Tatsache, dass solche offenkundigen Konsequenzen entweder aus lauter Bedürfnis nach rhetorischen Knalleffekten und publizistischer Ichblähung nicht mehr gesehen werden oder dass sie, einmal nonchalant oder mehrdeutig, einmal mit dem Unterton der Härte, als künftige Notwendigkeit suggeriert werden. Hier treffen sich dann plötzlich zynisch gewordene Kyniker, Nietzsche und Hegel usw., wie es gerade passt. Man sollte aber sehen, dass Personen, deren Fabulationen die gesellschaftlichen oder anthropologischen Notwendigkeiten der Zukunft mit oder ohne national- oder welthistorisches Tremolo zum Gegenstand haben, in aller Regel zunächst einmal den ganz handfesten und spezifischen ureigensten Vorteil, und zwar hier und jetzt, im Auge zu haben pflegen; sie sind eben faktisch so unstolz wie andere auch. Das gilt auf jeder Ebene bis in die ordinärste Politik: beispielsweise genossen bekanntlich die professoralen Versicherungsvertreter, welche mit wissenschaftsgetarnten Ideologem-Konstrukten die gesetzliche Rente systematisch zu demontieren und dem Publikum einen derzeitigen Obulus für ein (den meisten vermutlich unfruchttragendes) lebensrettendes Kapitalversprechen in der Zukunft abzuluchsen halfen, ihren eigenen Vorteil keineswegs in Zukunftsversprechungen, sondern ganz konkret und üppig schon hier & jetzt. Usw.

    Im Lichte solcher Überlegungen erscheint der Beitrag von Herrn S. bestenfalls peinlich, schlimmstenfalls verräterisch. Überhaupt rate ich, wie schon geschrieben, eher seine Bücher zu lesen, denn die enthalten wenigstens Material, aus dem man lernen kann. Die praktisch-philosophischen Botschaften an das Zeitungs-, Zeitschriften- und Televisionspublikum pflege ich jedenfalls eher unter der Rubrik „O si tacuisses“ einzuordnen. Allerdings mögen heute gerade diese Botschaften die Voraussetzung dafür sein, ein „führender“ Philosoph und womöglich gar ein Führerphilosoph nach Art von Platons „Politeia“ zu werden. Das Verhältnis von Theorie und schlichter Realität wenigstens würde bei beiden übereinstimmen, und Platons seinerzeitige politische Beratertätigkeit könnte dann auch über ein mögliches Ergebnis derartiger Aufwärtsstrebungen belehren.

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  29. hanneswurst schreibt:

    @Georg: da ist mein Glaube an die Verinnerlichung des kategorischen Imperativs vielleicht stärker (und Kants Logik kommt an dieser Stelle sogar ohne thymotische Regungen aus) und Sie vertrauen lieber Hobbes‘ Leviathan. Beides nicht ganz abwegige sondern abzuwägende Positionen. Leider kann ich mich an dieser Diskussion wegen Urlaub in den nächsten Wochen nicht beteiligen, wünsche jedoch weiterhin frohe Auseinandersetzung.

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  30. genova68 schreibt:

    Wenn mein Dauerkommentator in Urlaub fährt, bricht hier wahrscheinlich alles zusammen :-(

    Gute Erholung!

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  31. Hartmut schreibt:

    danke für den hinweis auf diesen verquast-widerwärtigen essay eines postmodernen faschisten.

    ich werde heute noch reagieren. die „unproduktiven“…ekelhaft.

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  32. genova68 schreibt:

    „Postmoderner Faschist“… wenn ich sowas sage, kriege ich es gleich um die Ohren gehauen ;-)

    Hanneswurst und Wolf: Man kann Sloterdijk so lesen wie in dem Posting vom 25. Juli 2009 um 1:02 getan, aber dann wird es nur noch dämlich. Dann geh ich lieber in den Kindergarten und hör mir an, was Fünfjährige zum Thema Utopie sagen. Das ist wahrscheinlich viel Interessanter. Im Ernst.

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  33. Hartmut schreibt:

    ich meine, was ist das anderes als postmoderner faschismus, mobilisieren von Haß gegen wehrlose?

    Sloterdijk lügt ja sogar auf der schlichten Faktenebene, um sein Herrenmenschentum an den Mann zu bringen.

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  34. momorulez schreibt:

    Das ist ganz einfach Faschismus … der viel bei manchen US-Libertären geklaut hat. Bei Hoppe und solchen, ursprünglich ein Habermas-Schüler. Armer Habermas.

    Diese Fixierung darauf, nun alles, was nicht passt, als „postmodern“ abzutun, meine Güte, bei manchen herrscht wirklich das falsche Bewusstein :-) … ein neuer Marcuse möge kommen!

    Zudem doch lange die Meinung vorherrschend war, das unnütze Geschwalle der Postmodernen sei einfach nur unproduktiv, sowas müsse doch nicht auch noch der Steuerzahler finanzieren, dieses Rumlungern an Universitäten, im Gegensatz zum nützlichen Wissen der Wirtschaftswissenschaften, zum Beispiel …

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  36. Georg Wolf schreibt:

    ad Kommentare von genova68, 27. Juli. 7:58, ferner hartmut und momorulez

    1. Mit dem Kindergartenprädikat sollte man vielleicht ein weniger vorsichtiger sein, und die Vorstellung davon, was eine Utopie ist, pflegt meines Erachtens um so komplexer zu werden, je mehr man darüber nachdenkt. Ob hier aus dem Mund von Fünfjährigen erhellende Beiträge kommen werden, womöglich analog gegen die Vernunft gerichteten propagandistischen Sentenzen eines gewissen Christentums, wage ich zu bezweifeln. Aus Fünfjährigen spricht nach meiner Erfahrung in der Regel öfter und mehr schiere Biologie als einem lieb sein kann, sofern es sich nicht um bereits Anerzogenes handelt, das als Spiegelbild zurückkommt.

    2. Angesichts der modernen technischen und biotechnologischen Entwicklungen (Würgevisionen, aber auch Möglichkeiten!) stellt sich in der Tat die Frage, wie „Menschsein“ und erst recht künftiges Menschsein zu fassen sein könnte. Wer im Bereich der (avancierten) Medizin tätig ist, hat einen Eindruck von konkreten Fragen, die sich jetzt schon auftun und denen man (ich jedenfalls) gerne ausweichen würde, wenn man nur könnte. Da hilft auch kein neuer Marcuse, der vermutlich nur Emotionen mittels Begriffsschaum befriedigt, aber zu den konkreten Problemen der praktischen Vernunft nichts beizutragen hat.

    3. Dass Herr S. solche Probleme mit seinem (im übrigen in meinen Augen keineswegs originellen) Begriff der Anthropotechnik angeht, ist im Prinzip hilfreich, denn das Feld des Inakzeptablen versus Wünschenswerten, des Erweiternden versus Verengenden ist im Felde des Humanen keineswegs abgesteckt oder auch nur vorab ersichtlich. Als etwa die in vitro-Befruchtung seinerzeit eingeführt wurde, hieß es in einem Kommentar in einer führenden wissenschaftlichen Zeitschrift, dies sei selbstverständlich nur für die Tierzucht gedacht und beim Menschen völlig inakzeptabel; heute hat man ein kommerziell durchorganisiertes Angebot, das von den Interessenten mit kompletter Selbstverständlichkeit, ja sogar moralischem Anspruch (Kostenerstattung etc.) wahrgenommen wird. Usw.

    4. Man sollte, wie ich schon betonte, nicht angesichts einer Abneigung gegen die Person von Herrn S. (die auch meinen Beiträgen zu entnehmen sein dürfte) versäumen, sorgfältig zu prüfen, inwieweit er etwas zu sagen hat, aus dem man lernen kann, auch wenn man die Schlüsse und Interpretationen nicht akzeptiert.

    5. Bei dem Beitrag über den fiskalischen Staat in seiner Beziehung zu sog. Produktiven und Unproduktiven dürfte es sich allerdings um einen intellektuell vernachlässigbaren, sozusagen nicht signifikant von Null verschiedenen Text des Herrn S. handeln. Dennoch hat ein solcher Text Wirkung, indem er X sog. klugen Köpfen ideologisches Spielmaterial liefert, die sich hinter bestimmten Zeitungen und Zeitschriften zu verbergen pflegen, um sodann ihre Klugheiten auf ganze unverborgene Weise hinauszukrähen.

    6. Ich bezweifle jedoch, dass man derartigem geistigen Auswurfmaterial mit Begriffen wie „Faschismus“ oder „postmodernem Fachismus“ beikommt. Und das um so mehr, als diese Begriffe meines Erachtens in gewissem Sinne eine Verharmlosung der Situation darstellen. Im Zeitalter des Faschismus gab es einige Länder, die totalitäre Regimes dieser Sorte aufwiesen, ein anderes großes Land, das ein totalitäres Regime anderer Sorte aufwies, aber auch eine ganze Anzahl von Ländern, die zumindest relativ dazu freiheitlich organisiert waren. Eben das ermöglichte zumindest einigen Oppositionellen, zu entkommen und nicht zuletzt gegen diese Regimes zu arbeiten. Auch war – vor allem im Faschismus – immer noch das Bewusstsein eines moralischen Bruches mit der aktuellen Vergangenheit präsent, den man durch die eifrige Bezugnahme auf weit Zurückliegendes, auf Römertum, Germanentum und die neueste, jedoch ewig wahre Biologie zu rechtfertigen suchte.

    7. Heute ist die Situation vermutlich eine andere. Die (neo-)marktistische Ideologie hat mehr oder weniger die gesamte Welt durchsetzt (wohin denn könnte man noch auswandern?) und die Logik des vorgeblich ökonomischen oder technischen Sachzwanges kommt viel effizienter, „einleuchtender“ und unerbittlicher einher als die plumpen Wertungen etwa der Nationalsozialisten oder Kommunisten. Dem entspricht eine schleichende Verschiebung von Maßstäben und Zielen, die das Fundament der Vorstellungen beispielsweise von Humanität oder einer erstrebenswerten Gesellschaft unterminiert. Diese Logik wird dem Bürger erlauben, bei künftigen Vernichtungen jeder Art nicht einfach nur mehr oder weniger opportunistisch in Maßen mitzutun (wie dies seine evolutionär bevorzugte Art ist), zugleich aber nach Möglichkeit in concreto wegzuschauen und intern sich eine Reserve vorzubehalten – sie wird vielmehr, wie man befürchten muss, bei vielen nachhaltige Akzeptanz erzeugen.

    8. Zugleich allerdings sind diese geistigen und moralischen Verschiebungen mit den oben angesprochenen Verschiebemöglichkeiten, den negativen und positiven, mental und praktisch verquickt, und das gibt der Sache ihr erschreckendes moralisches und existenzielles Gewicht. Das beschworene Posthumane ist ja dem Antihumanen höchst affin. Orwells oder Huxleys Projektionen kommen diesem Komplex näher als ein Begriff wie „Faschismus“, dem das Attribut „postmodern“ in meinem Augen nur ein Bekenntnis der Hilflosigkeit beifügt, dass man die Sache zugleich meinen und nicht meinen möchte. Da muss ein neuer, ein treffenderer, ein präziserer Begriff her. Dieser Begriff muss die technizistische, die ökonomistische, die biologistische Dimension beinhalten. Allerdings habe ich selbst unter allen Kandidaten, die ich erwogen habe, noch keinen befriedigenden gefunden. Aber das könnte ja eine Aufgabe sein. Auch sog. Intellektuelle benötigen schließlich immer wieder etwas zum begrifflichen Festhalten und – ja – vielleicht auch rhetorischen Dreinschlagen.

    Mit freundlichem Gruß

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  37. genova68 schreibt:

    Hallo, Georg,

    was Fünfjährige an Authentischem zu berichten haben, finde ich interessant, auch wenn es biologistisch ist. Und das ist es ja nicht nur.

    Das mit der „avancierten Medizin“ ist auch interessant, aber ich fände es verheerend, wenn bei den Definitionsversuchen, was der Mensch denn ist, Leute wie Sloterdijk mitreden könnten.

    Der Faschismusbegriff ist in der Tat problematisch, und ich wollte ihn nur auf formale Phänomene angewendet wissen: Das vermeintlich neue, moderne, schicke, zeitgeistige, das nur den alten menschenverachtenden Mief kaschiert, außerdem Manipulation des Individuums. Da sind die Parallelen zwischen Sloterdijk, Neoliberalen und dem Faschismus nicht zu übersehen. Der Neoliberalismus bezieht sich übrigens auch auf alte Vorbilder: Den freien Markt, quasi der Naturzustand des Menschen, und auf seine Vordenker. Man muss weg von der All-inclusive-Gesellschaft.

    Alles weitere wäre erstmal spekulativ und müsste genauer betrachtet werden.

    Deshalb halte ich die Situation heute für insgesamt wesentlich angenehmer als die im Faschismus und muss deshalb auch nicht auswandern.

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  38. Pingback: Eine Verteidigung der Postmoderne gegen den Mißbrauch (1) « AISTHESIS

  39. hanneswurst schreibt:

    Ich möchte noch anmerken, dass mir die letzten Äußerungen des Herrn Wolf ziemlich quintessentiell vorkamen, und dass es außerdem Neuigkeiten zum Thema „Leck an meiner Kettensäge, Adorno“ gibt, siehe

    Lick My Chainsaw, Adorno

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  40. Pingback: Honneth versus Sloterdijk: „Ernstlosigkeit und Verquatschtheit!“. Zur Kritik der Kritik. « Metalust & Subdiskurse Reloaded

  41. pathoblogus schreibt:

    Für die akademische Philosophie (wenngleich es mir natürlich nicht möglich ist hier für die unterschiedlichsten Positionierungen zu sprechen) ist Sloterdijk eigentlich inexistent. Diesen Umgang darf man aber nicht falsch verstehen. Es handelt sich hier keineswegs um ein Meiden oder um ein Ausweichen gegenüber einem irgendwie unbequemen Philosophen. Sloterdijk wird ganz einfach nicht wahrgenommen, was am ehesten daher rührt, dass er keine nennenswerten, eigenen Beiträge, nicht einmal eigene Interpretationen liefert.

    Ich finde es durchaus passend, dass seine Arbeiten öfters unter dem Etikett „Prosa“ gehandelt werden, wenngleich auch auf dieser Ebene viel geistvollere und authentischere Autoren vorhanden sind.
    Imho bleibt von seinen zahlreichen Meldungen nichts anderes übrig als eine angestrengte Denk- und Denkerinszenierung, deren Fadenscheinigkeit aufzulösen jedem kompetenten Kritiker einfach nicht der Mühe wert ist.
    Dennoch muss ich mich outen, und zwar, dass ich manchmal, beinahe schon mit Freude, Bücher und Texte von ihm gelesen habe. Die mitunter einfallsreichen Wortkreationen sind manchmal wirklich unterhaltsam. Problematisch ist an seinen Kreationen bloß, und das wurde auch schon von Herrn Wolf gesagt, dass Sloterdijk von seinen eigenen Worten oftmals zu fasziniert ist, als dass er ihre eigentliche Anwendungsgrenze einhalten könnte. Das ufert so meistens in Konstrukten aus, die höchstens noch als Zwitter aus Begriff und Metapher zu verstehen sind. An richtiger Stelle geliefert, in rein fiktionale Motive eingespannt, würde solches Vorgehen vielleicht sinnbringend sein. Unter dem Deckmantel der Gesellschaftsanalyse oder der philosophischen Begrifflichkeit wird so aber bloß eine sprachliche Überdehnung, geschuldet ihrer Universalität, für analytisches Instrumentarium ausgegeben oder zumindest fehlverstanden.

    Öffentliche Streitigkeiten, wie z.B. irgendwelche Debatten um das Gefolge oder die Ausdünstungen Sloterdijks überraschen mich immer öfter, als manchmal sogar seriöse Wissenschaftler und Philosophen Stellung beziehen, was in der medialen Brachialarena einfach nur für den durchaus trivialen Sloterdijk positiv ausgehen kann.

    Dass der Vergleich Sartres mit Sloterdijk mehr als hinkt, muss allerdings noch einmal wiederholt werden. Diskussionen mit einer Person zu führen, die einen derartigen Humbug verzapft, ist eigentlich schon peinlich.

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  42. hanneswurst schreibt:

    Pathoblogus, Bruder im Geiste! Ist doch toll, dass wir zwei das Internet gefunden haben, oder? Ich wette, Du hättest 1990 auch nicht gewusst, wie Du ungestraft Deinem Drang hättest begegnen können, einfach so draufloszufaseln. Hang on to yourself!

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  43. pathoblogus schreibt:

    Keine Ahnung was ich von deinem Beitrag halten soll.

    Ich für meinen Teil habe 1990 fast noch gefaselt. Hast du auch eine Ausrede?

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  44. genova68 schreibt:

    Pathoblogus,

    dass Sloterdijk von ernstzunehmenden Philosophen nicht ernst genommen wird, ist gut möglich und beruhigend. Ernst genommen werden sollte er allerdings wegen der Gefährlichkeit seiner Aussagen, denn der Mann hat Einfluss. Gerade eine wiedererstarkte FDP könnte sich ohne weiteres mit dem Mann und seinem offen zur Schau getragenen Sozialdarwinismus schmücken.
    „Sprachliche Überdehnung“, so kann man es auch ausdrücken.

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  45. pathoblogus schreibt:

    Sloterdijk ist ein Schaumschläger im wahrsten Sinne des Wortes, und das ist jetzt keine positive Anspielung auf seine Blasenpustereien. Ihn als gefährlich zu bezeichnen halte ich aber für ein wenig hysterisch.

    Eine philosophische Auseinandersetzung mit ihm kann nur eine Auseinandersetzung mit größtenteils vorherrschendem, populärem Gedankengut sein. Einziger Unterschied zwischen Ihm und geschmackloser Trivialität ist seine Aufbereitung des Gemischs mit philosophischen Versatzstücken. Ihn aber als mögliche Treibkraft eines Denkens zu bezeichnen, wäre zu viel der Ehre.

    Dass die Philosophie von ihm keine Notiz nimmt ist also durchaus legitim.

    Übrigens fallen mir, bis auf ein paar problematische Stellen, die Sie z.B. oben zitiert haben, keine ähnlichen Stellen ein. Alles andere ist ebenfalls triviale Angst vor einer Dehumanisierung. Diese Entmenschlichung hat er sich aber auch von Luhmann abgesehen, was er ausnahmsweise sogar zugibt. Dort hat das aber rein analytische Zwecke.

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  46. hanneswurst schreibt:

    Vorsicht, Pathoblogus! Deine „Kommentare“ sind zu leicht als Bullshit zu identifizieren. Mein Rat: überprüfe Deine zersetzenden Kommentare mit dem Rüstzeug aus dem Logik-Grundkurs! Ich hoffe doch, der ist auch in Zeiten der Bachelor-Studiengänge noch Pflicht? Jedenfalls: zu leicht kann der kritische Leser (es handelt sich dabei meist nicht um den Verfasser des kommentierten Blogartikels – dieser schmort meist zu tief im Saft seiner eigenen Ergüsse, um noch zur kritischen Reflexion fähig zu sein) Deine Ausführung als logisch unschlüssig entlarven. Denn die Aussagen „Für die akademische Philosophie […] ist Sloterdijk eigentlich inexistent“ und „dass die Philosophie von ihm [Sloterdijk] keine Notiz nimmt ist also durchaus legitim.“ können nur so aufgelöst werden:

    (a) Die Aussagen sind richtig, dann kannst Du kein Philosoph sein (erst recht kein „akademischer“, wobei ich diesem Attribut keine besondere Bedeutung beimesse), denn Du hast Dich ausführlich mit Sloterdijk beschäftigt und bis also Deiner eigenen Aussage folgend kein Philosoph. Dann wiederum ist es äußerst fraglich, ob Aussagen Deinerseits in Bezug auf Sloterdijk ernstgenommen werden sollten.

    (b) Die Aussage ist Bullshit, dann wäre es möglich, dass Du ein Philosoph bist.

    Ich vermute jedoch

    (c) Die Aussage ist Bullshit und Du hast außerdem von Philosophie keinen blassen Schimmer.

    Man könnte Deine Aussage in das klassische Paradoxon „Der Wissende sagt, dass kein Wissender je ‚Sloterdijk‘ sagt.“ überführen. Ein solcher Satz geht nur durch, wenn man zum Beispiel Adorno heißt.

    Also, lass Dir von einem Mitstreiter sagen: Klugscheißen will gelernt sein.

    Mit freundlichem Gruß
    hANNES wURST
    Senior Advisor
    Advanced Bullshit Technologies – the Makers of Guido Westerwelle

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  47. pathoblogus schreibt:

    Wenn ich studierter Philosoph bin, dann vertrete ich doch noch lange nicht die akademische Philsophie an sich. Das habe ich in meinem Eingangsposting klar gemacht. Wenn man sich als Akademiker nichtmal selbst an der Nase fassen, ohne deshalb gleich des Versuchs bezichtigt zu werden, sich an den eigenen Haaren aus dem Schmutz zu ziehen, dann hat man wohl ein Wahrnehmungsproblem, oder zumindest keine Ahnung von akademischer Philosophie. Das ist in Bezug auf Dich oder sonstwen zwar kein allzu verlässliches Gütesigel, aber zumindest doch ein Hauch der Gewährleistung von Seriosität, die dir augenscheinlich abgeht.

    Deine Ausflüchte ins Derbwitzige zeugen bloß von einem Halbwissen, das selbst von Sloterdijk nicht mehr verdorben werden kann, und sich mangels Konsistenz in Blödeleien flüchtet.

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  50. Jakobiner schreibt:

    Der Medienphilosoph Sloterdjik ist inzwischen im aufmerksamkeitsökonomischem Orkus versunken
    Keiner spricht mehr über ihn.Nachfolger ist der Andre Ruilett der Philosophie,David Precht,der das angestaubte Bild des altersweisen Elfenbeinphilosophen,der vor allem im Dialog mit sich selbst ist und seiner selbst wegen führt durch Jugendlichkeit,Eloquenz,massenverständlicher Sprache,Womenizing modernisiert.Auch spricht er wichtige Zukunftsthemen an,vertritt mehr linksliberale,humanistische Positionen von bedingungslosen Grundeinkommen und!Klimaschutz,die eher dem Politphilosophen Habeck und seinen Grünen zur Ehre gereichen und teils auch programmatisch von der Linkspartei oder den Piraten abgekupfert sein könnten.Inwieweit das originell,innovativ und nicht trivial ist,bleibt hier die Frage.Precht ist auch sehr futuristisch,fast ein Silicon-Valleyfan.Seine Diskussion mit Sarah Wahenknecht war interessant,als Sahra nur mit den alten Verteilungssozialismus und Hartz4 und Fordismus antwortete,Precht aber bei ihr und der Linken einen Mangel an Gesellschaftsvisionen und Utopien beklagte,zumal er die These vertrat,dass diese heute aus der Technologie und dem Silicon Valley kämen und nicht mehr aus der Politik.In den ÖR hatte Literarisches Quartett und Philosophisches Quartett wie zu erwarten späte Sendezeiten.Das literarische Quartett löste sich auf,ist nun wieder auferstanden ohne Reich’Ranitzki,während das!Philosophische Quartett völlig beendet wurde.Ald Nachfolger folgte dann der Pholosophieduotal mit Precht als Fragesteller,der vor allem Pllitiker befragte.Inzwischen gibt es auch dies nicht mehr.Philosophie scheint nun völlig aus den ÖR gekippt

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  51. Jakobiner schreibt:

    Sloterdjik wie auch Precht philosophieten nicht nur, sondern politisierten auch.

    Dennoch sind sie Marx niemals gefolgt, der meinte: „Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern“. Der Philosoph Marx gründete mit Engels auch den Bund der Kommunisten, schrieb sein kommunistisches Manifest, in dem davon die Rede ist, dass Ideen nur dann wirksam sein können, wenn sie über politische Organisation auch die Massen erfassen. Dererlei ist weder bei Sloterdjik noch bei Precht zu erkennen. Zwar wollen sie den politischen Diskurs durch ihre Meinungen beeinflussen, doch beide haben sich nie politisch organisiert, weder in einer Partei, noch haben sie eine eigene Partei oder eigene Organisation oder nur Initiative gegründet, womöglich auch, weil sie dererlei Absinken in die materiellen Organisationsgefilde als Aufgabe ihrer schöngeistigen Unabhängigkeit zuungunsten profaner und banaler Arbeit sehen, die vielleicht auch nicht so lukrativ ist, wie das Herausgeben von Büchern, Halten von wohldotierten Vorträgen, zumal man vielleicht auch lieber als Vorsegler des gängigen Mainstreams fährt, sei es jetzt Sloterdjik als sozialdarwinistischer Nachbeter und Vordenker der neoliberalen Globalisierung der 90er Jahre oder Precht als eben deren linksliberalen, grünangehauchten futuristisch- keynesianistischen Modernisierung.

    Während Sloterdjik sich auf die öffentlich-rechtlichen Staatssender und Buchverlage verliess, hüpft Precht vor allem auf You Tube, sozialen Medien, Buchverlagen und Eventvorträgen wie ein TV-Prediger oder Motivationstrainer herum und hat sich von dem Staatsfernsehen, auf das Sloterdjik setzte und das die letzten marginalen Refugien des Bildungsauftrags wie die Privaten immer weiter auslöscht, völlig emanzipiert und unabhängig gemacht. Dennoch ist die deutsche Philosophie nun provinziell beschränkt und nicht mehr vergleichbar mit Hegel, Marx, Kant, Frankfurter Schule und Habermas oder etwa den französischen Postmodernen. Dass der SPIEGEL keine Artikel mehr über die Krise der deutschen Philosophie schreibt, das ZDF nun auch das Philosophische Quartett und selbst Prechts Sendung gecancelt hat, zeigt wie wenig Bedeutung die deutsche Philosophie noch hat.Würde man noch Artikel über eine Krise der deutschen Philosophie schreiben, hielte man sie noch für existent. Aber wenn man nicht einmal mehr über eine Krise derselben schreibt, bedeutet dies dass man sie abgeschrieben hat und nicht mehr für existent noch berichtenswert hält.

    Anders als Sloterdjik und David Precht, die beide Philosophie studiert haben und als Philosophen im Beruf fungierten, ist dem Vorsitzenden der Grünen Robert Habeck als Literat und Geisteswissenschaftler aufgrund der Erbärmlichkeit des Zustands deutscher Philosophie der Ruf des Philosophen oder Politphilosophen quasi zugeflogen und vorausgeeilt . Er ragt da etwas aus der Parteienlandschaft, da keiner auf die Idee käme in einem Politiker wie Söder, Laschet, Scholz, Kevin Kühnert, Spahn, Merkel ,etc. einen Philosophen oder gar Politphilosophen zu sehen, zumal sie sich selber sicherlich auch nicht so sehen wollen. .Habeck hält es da mehr mit Marx, dass man philosophische Ideen nur dann befördern kann, wenn man sich politisch organisiert und somit die Massen ergreift. Als Vehikel dazu sieht er eben die Grünen.

    Liest man den ersten Entwurf des grünen Parteiprogramms, so wird hier Habecks Handschrift deutlich erkennbar, der dies mehr wie ein politphilosophisches Manifest geschrieben hat und da anhand von Kategorien wie Mensch- Mensch, Mensch- Umwelt, Mensch-Maschine, Masvhine-Umwelt, etc. sehr abstrakt und allgemein gliederte, um es dann mit Altbekanntem wie Humanismus und der Priorität und Universalität der Menschenrechte, Umweltschutz, Genderismus ala Judith Butler, Postkolonialismus , etwas Postmoderne und allgemeinen (sozialen) Gerechtigkeitsfragen irgendwie mit Leben zu füllen. Da dies scheinbar vielen Grünen dann doch etwas zu abstrakt und philosophisch anmutete, wurde es dann nochmals umgeschrieben und ist nun Parteiprogramm der Grünen. Doch anders als Precht, der medienerfahren ist, desavourierte sich Robert Habeck mittels zweier Facebook- und Twiiterkommentrae, die Bayern und Sachsen und deren Volksinventar den demokratischen Charakter absprachen. Jeder Machtpolitiker hätte dies übergangen, doch der feinfühlige Habeck schrie mea culpa und zog sich aus den sozialen Medien zurück, was ihm wiederum den Ruf eines digitalen Neanderthalers einrachte, zumal eben auch die Frage aufbrachte, ob wer so unbesonnen mit Gedanken und Worten ist, auch den Nimbus eines Politphilosophen, ja gar Philosophen verdient hätte . Für Habeck gilt: „Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben“. Si tacuisses, philosophus mansisses. Und so steht es auch um die deutsche Philosophie. Sie schweigt und hat der Welt, ja Deutschland nichts mehr mitzuteilen.

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