FAZ: Von der Freiheit, Blödsinn zu schreiben

Es gibt Begriffe, deren Gebrauch bei Journalisten eine Art Warnsignal im Kopf auslösen sollte. Begriffe, die so ausgelutscht sind, dass sie ohne Erläuterung nicht zu gebrauchen sind. „Freiheit“ gehörte schon immer dazu, „Reform“ erst seit ein paar Jahren. Was ist Freiheit, welche Reformen brauchen wir? Die Antworten erfordern Differenzierungsvermögen.

Manchen Journalisten ist das wurscht. Jüngstes Beispiel: Jochen Zenthöfer und seine Rezension des Buches „Die gefühlte Ungerechtigkeit“ von Michael Hüther und Thomas Straubhaar, jeweils Chefs neoliberaler Wirtschaftsinstitute, in der FAZ vom 14. April 2009 auf Seite 10 (Link nachträglich am 16. April eingefügt).

Schon in den ersten beiden Sätzen bekomme ich Schmalspurideologie geliefert:

„Wer Freiheit will, muss Ungleichheit aushalten. Denn Freiheit und Gleichheit stehen in einem Spannungsfeld.“

Aha. Freiheit ist für Herrn Zenthöfer ganz wichtig. So wichtig, dass er nicht erklärt, was er darunter versteht. Hüther und Straubhaar jedenfalls, so erfahre ich, „fordern die Deutschen auf, sich zur Freiheit zu bekennen“.

Fast schon erwarten kann man die ausgeleierte Bemerkung, dass es „auch in Deutschland Reformbedarf gibt“. Doch leider, leider: „Politik und Volk sind nicht immer bereit dazu“.

Reformen, soviel wird klar, sollen nicht mehr Gleichheit, sondern mehr Ungleichheit erzeugen. Je mehr Ungleichheit, desto mehr Freiheit, lautet die Zauberformel. Auch hier kommt Zenthöfer zu der beklagenswerten Erkenntnis, dass sich

„viele Deutsche mit Gleichheit wohler fühlen. Auf ihren Wohlstand (Fernreisen, Mobiltelefon, Fußballübertragungen) wollen sie aber auch nicht verzichten. Das Volk profitiert von seiner wirtschaftlichen Freiheit, aber es mag sie nicht.“

So ein böses Volk. Es will Fußballgucken, ohne dass die Reichen reicher und die Armen zahlreicher werden. Der Nörgeldeutsche findet es noch nicht mal gut,  dass sich von den 5.000 Milliarden Euro Volksvermögen zwei Drittel in der Hand der zehn Prozent Reichsten befinden, obwohl er mit einem Handy telefonieren darf. Und weil er eine Fernreise unternimmt, ist es total unfair, dass er sich für die Einführung einer effektiven Erbschaftssteuer ausspricht.

Ein kleines bisschen dämmert es aber selbst bei Zenthöfer. Es sei „kein wissenschaftlicher Band“, den Straubhaar und Hüther geschrieben haben. So weit, so richtig. Was sie geschrieben haben, ist Teil des neoliberalen Geplappers, dass selbst mitten in der Wirtschaftskrise munter weitergeht. Der Freiheitsbegriff, um das nur kurz anzumerken, reduziert sich für solche Leute auf sogenannte unternehmerische Freiheit, also in etwa darauf, wie lange es dauert, eine GmbH zu gründen (weniger als 15 Minuten = Freiheit, länger als 15 Minuten = Unfreiheit) und möglichst wenig Steuern zu zahlen.

Zenthöfer hat seiner Definition des Freiheitsbegriffs noch ein Merkmal hinzugefügt. Er nimmt sich und bekommt die Freiheit, in einer angesehenen Zeitung Blödsinn zu schreiben. Jetzt könnte man den Begriff der Verantwortung in diesen Artikel einführen. Aber nur mit Warnsignal.

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4 Antworten zu FAZ: Von der Freiheit, Blödsinn zu schreiben

  1. Rosenthal, Claudius schreibt:

    Nur getroffene Hunde bellen – und die Art und Weise, mit der dieser Kommentar auf die Rezension Zenthöfern reagiert, lässt erahnen, dass hier richtig gut getroffen wurde.

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  2. hanneswurst schreibt:

    Verstehe ich nicht, dann ist „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ also gar nicht machbar?!

    Wie so oft gibt es hier keine „Ja / Nein“ Antworten. Beispiel Erbschaft: einerseits ist es unhaltbar, dass die Reichen Ihren Nachkommen enorme Vermögen zuschachern, mit dem fatalen Nebeneffekt, dass sich bestimmte Vermögensverhältnisse zementieren. Andererseits kann der Staat auch nicht erwarten, dass die Reichen nach Ihrem Tod die Kontrolle über ihr Vermögen automatisch dem Staat überlassen. Also bedarf es eines ausgefuchsten (Zumwinkel sicheren) Stifungsrechts, das den Erblassern einerseits eine gewissen Freiheit in der Widmung ihres Vermögens reserviert, das aber andererseits verhindert, dass diese Freiheit dazu genutzt wird, über Generationen untragbare soziale Ungleichgewichte aufzubauen.

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  3. genova68 schreibt:

    Was die Reichen nach ihrem Tod machen, ist für uns noch nicht Gestorbene nur höchst spekulativ zu beantworten.

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  4. hanneswurst schreibt:

    Das ist richtig, deswegen werden noch zu Lebzeiten bestimmte Vereinbarungen getroffen (bitte eine Kutsche mit sechs Pferden als Grabbeigabe). Aktuell ist per Gesetz vereinbart, dass eine Person mit dem Verlust des Bewusstseins, auch wenn dieses irreversibel ist oder der Tod festgestellt ist, nicht automatisch zu einer Un-Person wird. Der zu Lebzeiten geäußerte Wille über die sterblichen und anderen Überreste der Person wirkt nach dem Tode weiter. Das hat auch den Vorteil, dass für Vampire, Zombies und andere Untote nicht erst dann ein Gesetz geschaffen werden muss, wenn sich diese in den Waden der noch Lebenden festgebissen haben. Der Nachteil ist leider, dass Diejenigen, die sich schon zu Lebzeiten in unseren Waden festgebissen haben, auch noch nach ihrem Ableben ihren störenden Einfluss ausüben.

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